Das Vergasen und der »Zwei-Minuten-Hass«

Mittwoch, 27. Mai 2015

Ich will diesen idiotischen Videoblogger, der die Lokomotivführer ins Gas schicken wollte, nicht verteidigen. Was gäbe es da auch zu verteidigen? Aber dass gewisse Menschen ihre sonderbare Charakterlosigkeit in diesem gesellschaftlichen Klima, das wir gerade erleben, gar nicht mehr in Zaum halten können, darf doch eigentlich nicht verwundern.

Die allgemeine Stimmung ist eindeutig. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer ist eine Bande von Saboteuren. Weselsky ein Hundsfott. Alle, die den Streik nicht in Bausch und Bogen verurteilen, gefährden das Gemeinwohl. Man führt detailliert und minutiös auf, was die Lokomotivführer veranstalten und wie gemeingefährlich sie und ihre Administration sind. Diese Gewerkschaft sei eine kleine Diktatur, die das ganze Land in Sippenhaft nehme und der Chef zeige anständigen Autofahrern auf der Autobahn auch noch den Mittelfinger. Zwischen Nordkorea und GDL scheint kein großer Unterschied zu herrschen. Jeder schlechte Comedian macht Witze über die faulen Lokomotivführer. So gut wie jeder Radiomoderator spult billige Streikwitze ab. Die Stimmung ist eindeutig. Das Klima bereitet. Das ist das Milieu, aus dem Typen wie dieser Videoblogger kriechen.

Solche denken ernsthaft, dass sie die Zeichen der Zeit richtig deuten. Die Indoktrination des Mainstreams ist so total, ja so totalitär, dass eine alternative Sichtweise quasi nur noch als Anzeichen gröbster Spinnerei deklariert wird. Weil ganz Deutschland nur eine Meinung und Ansicht zu haben scheint, werden auch unflätige Vorschläge nicht mehr versteckt. Man wünscht der GDL ja alles mögliche. Ins Gas zu schicken ist natürlich nicht nur geschmacklos, sondern auch geschichtsvergessen und unmoralisch, aber für gewisse Leute mit beschränkter Haftung im Oberstübchen, scheint auch so eine Hasstirade noch in Ordnung zu sein. Warum auch nicht, schließlich hasst ganz Deutschland diese Verbrecher auf Schienen.

Das ist ja der Grund, warum man öffentliche Wut nicht medial anfachen sollte. Sie endet immer mit solchen Auswüchsen. Es gibt immer Typen, die nicht wissen, wann das Maß voll ist. Die noch einen draufsetzen, weil die allgemeine Stimmung im Lande ihnen gewissermaßen eine Legitimität zu noch wütenderer Wut und noch hassenderem Hass verleiht. Der Videoblogger ist nicht Breivik, nicht Mundlos, Böhnhardt oder Zschäpe. Aber das Prinzip ist dasselbe. Alle verwechselten sie die Wut, die im Mainstream ausgeschlachtet und noch mal pervertiert wurde, mit einem Freifahrtschein.

Der nicht enden wollende »Zwei-Minuten-Hass« konditioniert manche Menschen regelrecht, diesen Hass zur Grundlage ihres Handelns und Argumentierens zu machen. Dann fallen alle Hemmungen und jede Unmenschlichkeit scheint angesichts dieses Fundaments gerechtfertigt. Man darf sich also nicht wundern, wenn manche in dieser Form an der öffentlichen Schlammschlacht teilnehmen. Worüber man sich wundern darf ist, dass es immer noch so wenige Spinner sind, die sich in dieser Art und Weise auslassen.

4 Kommentare:

Anonym 27. Mai 2015 um 07:30  

Morjen, Roberto! Gut bemerkt. Das ist das Klima, welches Rudi Dutschke zum Opfer fiel - 'BLÖD hat mitgeschossen' war ein gängiger Slogan damals. Da dachte mancher noch, dass es Alternativen gibt. Mir graut vor den kommenden Zeiten!
MfG der Hanne

Wolfgang Oesters 27. Mai 2015 um 12:18  

Solche Entgleisungen wie die des Videobloggers, der die Lokomotivführer (und vor allem wohl auch den Gewerkschaftsführer Weselsky) offenbar am liebsten „ins Gas schicken“ will, sind das Resultat einer schon seit langem fast völlig verfehlten, weil extrem einseitigen Bildungspolitik des Westens. Schon seit langer Zeit hat man immer mehr auf den sogenannten „homo faber“, den technisch versierten Menschen gesetzt, den „homo sapiens“ den weisen und daher stets auch an den jeweiligen Hintergründen und Zusammenhängen interessierten Menschen immer mehr vernachlässigt, ja nicht selten auch regelrecht diskreditiert. - Nun haben wir es „folgerichtig“ immer öfter mit Menschen zu tun, denen es eigentlich nur noch um möglichst reibungslose Funktionalität und um möglichst schnellen persönlichen Gewinn geht, die das Gesamtbild bzw. die Gesamtsituation aber nicht mehr wahrnehmen und somit auch nicht richtig einschätzen können.

Ich meine, man tut insgesamt (also auch für sich selbst) gut daran, sich über die Ergüsse solcher Leute nicht weiter aufzuregen, und - es ist auch weitaus besser die vielfach schon lang verschlafene Aufklärung vor allem bei all jenen Menschen fortzusetzen, die zwar leider oft noch nicht so viel von der gegenwärtig doch schon sehr komplexen Malaise insgesamt verstehen, aber doch schon ein echtes Interesse für umfassende und wahrheitsgetreue Aufklärung zeigen. - Ich setze gerade auch in solch' unübersichtlichen Zeiten wie heute auf ein solches, vor allem qualitatives Wachstum und ich bin darin möglichst geduldig und insgesamt auch sehr zuversichtlich.


W. Oesters (zeitkrit. Website: achtgegeben.de)

Michel NRW 29. Mai 2015 um 11:48  

Ich hab auch drei Grazien in der Bahn überhört, die sich über die Streiks der Lokführer beschwert haben. Da kämpfen Menschen für angemessene Löhne und drei Grazien behaupten, dies sei eine unmögliche Tat, da sie ja jetzt während des Streiks nur noch 1 Zug pro Stunde zur Verfügung hätten anstelle der 2 Züge, die regulär pro Stunde fahren.
Mein Hinweis, dass Streiks dazu dienen, die Ansprüche der Arbeiter rechtlich angemessen durchzusetzen, fiel auf taube Ohren. Meine Ergänzung, die Bahn mache in den Verhandlungen Versprechungen und würde diese nicht einhalten bzw. nicht in Tarifverträge umsetzen, wurde ebenfalls ignoriert. Die anscheinend schlaueste der Drei zickte nur zurück, ihr Herr Vater dürfe auch nicht streiken. Auch wenn mir der Beruf Ihres Herrn Vaters nicht bekannt ist, ist dies wohl kaum ein Argument.

Es scheint eine Menge Ignoranz zu geben. Die drei Grazien haben offensichtlich noch nicht kapiert, dass sie in naher Zukunft auf Seiten der Arbeitnehmer stehen werden und dass sie sich ja dann überlegen können, ob sie ihre Gewerkschaft unterstützen oder ob sie für einen Appel und ein Ei malochen gehen und nie streiken.

Anonym 30. Mai 2015 um 18:27  

Michael NRW,
du hast wohl noch nicht begriffen, dass Beamte nicht streiken dürfen...

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