Die Islamisten, die den Jungfern schmähten

Samstag, 10. Januar 2015

Ich habe da schon ein paar Fragen. Kleinlich will ich ja nicht sein. Aber warum zum Teufel wollten diese Islamisten, die die Landstriche um Paris unsicher machten, nicht endlich zu ihren Jungfrauen? Ist das Paradies überfüllt? Hatten sie statt »Paris« »Paradies« gelesen und meinten daher, sie seien schon hinüber?

Jetzt mal ernsthaft. Seit Jahrzehnten erzählt man dem westlichen Medienbetrachter wie so ein Islamist tickt. Beispiele gab es genug. In Palästina. World Trade Center. Selbstmordattentäter im Irak. Das Prinzip schien so einfach. Diese Kerle sind bis aufs Blut fanatisiert, wusste man uns zu berichten. Nicht nur bis auf das Blut ihrer Opfer, sondern auch bis auf ihr eigenes. Da sie bereit seien, für ihre Sache ihr Leben hinzugeben, müsste man sie als unberechenbar einstufen. Drüben im Märchenland warteten angeblich ja auch die Jungfern auf sie. Man muss schließlich Anreize schaffen. So ein Terrorist kommt auch nicht aus den Puschen, wenn man ihm nichts verspricht.

Alles schien so geordnet. Der islamistische Terrorist war ein Mörder und Selbstmörder und man wusste, wie die Welt funktioniert. Strukturen sind wichtig. Schwarz und weiß sind praktisch.

Und nun diese atypischen Islamisten, die man uns da in die Wohnzimmer newst. Erst schreien sie »Allahu akbar«, schießen auf Menschen und machen sich dann trotzdem aus dem Staub. Dämlich sind sie auch noch, lassen einen Personalausweis liegen und liefern sich mit der Polizei eine Verfolgungsjagd wie im Kino. Inklusive Geiseln. Der ganze Ablauf ist natürlich von Toten gepflastert. Aber das Motiv dahinter sagte uns etwas in großer Deutlichkeit: Die Kerle wollten leben. Sie waren durchaus nicht bereit für den Tod. Noch gab es was, was sie hielt. Sie wollten lieben und ficken und im Irdischen wühlen. Und das als Islamisten!

Das lässt mich zweifeln, ohne dass ich nun irgendwelche Verschwörungen wittern möchte. Aber da stimmt doch was nicht. Entweder sind das keine Islamisten. Und dann müsste ich fragen, wem der ganze Straßenkrieg von Nutzen ist. Und ich müsste an Überwachung denken, die sie uns jetzt wieder schmackhaft machen und an Le Pen. Oder aber es ist letztlich so, dass der islamistische Terrorist, wie er in westlichen Köpfen stattfindet, nur so ein Konstrukt ist, um uns harte Praktiken wie den finalen Rettungsschuss und Rasterfahndung bekömmlicher zu machen. Jedenfalls ist ein Gegner, der selbst um sein Leben fürchtet, weitaus weniger furchterregend als einer, dem alles scheißegal ist. Das ist irgendwie die gute Seite an der ganzen Schlechtigkeit.

So oder so. Richtig glaubensfest waren die Brüder scheinbar nicht. Nun sind sie doch tot. Jungfrauen gibt es keine. Sie wollten ja nicht zu ihnen. Pech. Für sie. Und für uns. Lebend hätte man vielleicht erfahren, wer sie wirklich waren. Jetzt sagen es uns die Rekonstrukteure. Da kommt nie etwas Gescheites dabei raus.

Was für eine Welt! Nicht mal das Stereotyp vom Fanatiker trifft mehr zu. Hey, ihr idiotischen Abendlandser, noch ein Wörtchen an euch. Ihr seid ja empört, weil die hiesigen Moslems nicht den Anstand zeigen, ein Zeichen gegen diesen Terror zu setzen. Ich habe keinen von euch gesehen, der sich für die IRA entschuldigt hätte. Aber hört mal ganz genau zu: Auch euer konstruiertes Stereotyp von der fünften Kolonne der Moslems im Abendland gilt nicht mehr: Einer der erschossenen Polizisten war Moslem. Ahmed hieß er. Hat sich der Mann genug distanziert? Überraschung, ihr Experten - »die Moslems« gibt es eben gar nicht. Die Welt ist eben nicht nur schwarz und weiß.

11 Kommentare:

Wolfgang Buck 10. Januar 2015 um 11:29  

Hallo Roberto, ich verstehe nicht wie Du zu Deiner Einschätzung kommst. Vielleicht bist Du ja besser im Thema drin.

Soweit ich das in der Tagesschau mitbekommen habe waren die Täter vor ihrer Bekehrung zwar keine Kinder von Traurigkeit (Rapp und schöne Frauen) danach aber 100%ige so wie es sich für echte Fanatiker gehört.

Gestorben sind sie im Schusswechsel mit der Polizei. Also im Kampf. Somit dürften die Jungfrauen auch fest gebucht sein.

Das sie nicht die mutmaßlich übliche Masche als lebende Bomben durchgezogen haben liegt meiner Meinung nach an der Wandlung des Terrorkrieges in einen echten (natürlich asymetrischen) Krieg. Die IS (oder vergleichbare Guerilla) haben eben nicht mehr die bloße Zerstörung im Blick sondern wollen kämpfen, erobern, ihren "Staat" gründen. Dort sind sie wohl sozialisiert und ausgebildet worden.

Es ist nur logisch dass wir es nun mit Kämpfern zu tun bekommen und nicht mehr nur mit Selbstmördern. Davon abgesehen sind sie in ihrer Vorgehensweise sowohl technisch in Blick auf die Zerstörung von Menschenleben als auch propagandistisch effektiver gewesen.

Jochen 10. Januar 2015 um 12:37  

Ja, das ist verwirrend.

Wovon man wohl in jedem Falle Abschied nehmen sollte, ist die Ansicht, dass Al-Qaida oder der IS solche (oder ähnliche) Anschläge im Westen wirklich steuert. Man muss nicht "Mitglied" einer solchen Organisation sein, um Anschläge zu verüben. Ich denke viele ordnen sich diesen oder ähnlichen Organisationen per Zuruf zu, aus der Ferne.
Vielleicht sind solche Attentäter deswegen auch so "atypisch" bzw. anders, als wir sie uns gemeinhin vorstellen und wie Du, Roberto, das ja gut beschreibst.

Ulli 10. Januar 2015 um 14:27  

Es ist sicher noch viel zu früh, um über diese Anschläge viel sagen zu können. Da ich das Glück hatte, mal eine zeitlang in Paris zu leben, kenne ich die Gegend, wo die Geschehnisse sich abspielten, ein wenig. Der Pariser Nordosten ist gerade die Gegend, wo noch nicht alles völlig überteuert ist, wo also viele Studenten, Migranten, Kreative usw leben. Belleville ist ein alter Arbeiterstadtteil (dort befindet sich auch der berühmte Pere Lachaise mit den Gräbern der Kommunarden (und Jimmy Morrisons), der sich nun natürlich ändert. Es ist sozusagen Multikulti im besten Sinne, die beste Zukunft, die Europa haben könnte, belebte Straßen mit vielen Cafes, Kneipen und Läden, darunter auch viele arabische oder afrikanische. Dieses Massaker in dieser Gegend ist wirklich extrem schockierend.

Vielleicht hast du falsche Vorstellungen von den Tätern. Das sind keine halbwegs rationalen "Krieger", sondern Idioten. Schon aus der deutschen RAF gibt es Geschichten, dass die Jungs in den illegalen Wohnungen vor dem Spiegel mit der Pistole gerne mal Ziehen übten. In meinen Studentenzeiten traf man ja eine Menge ultraradikaler Leute: Es waren alles Spinner, die beispielsweise von Marx nur ganz rudimentäre Ahnung hatten. Wie alle Verschwörungstheoretiker glaubten sie sich von Gegnern und Agenten umgeben, zum mindesten von harmlosen, aber doch dummen Leuten, die die angeblich wahren Verhältnisse auch nicht ansatzweise durchschauen. Bei manchen dachte ich auch, er oder sie solle lieber mal eine Psychotherapie machen. Das war die akademische Variante. Von den Syrienkriegern haben viele ja noch nicht mal einen Hauptschulabschluss auf die Reihe bekommen, eine Ausbildung hat so gut wie keiner und auch die Killer in Paris waren ja offenbar Kleinkriminelle. In Syrien können diese Typen dann morden und vergewaltigen: Wenn man sein ganzes Leben lang der letzte Arsch und Looser war, wird man dann wahrscheinlich von Glückshormonen überflutet. Eigentlich ist es egal, ob man einer solchen Person erklärt, er sei die Blüte des deutschen Volkes oder ein toller Gotteskrieger: Es geht nur darum, diesen Leuten eine Ideologie bereitzustellen, mit der sie ihr fragiles Ego stabilisieren können und vor allem ihren Frust und ihre Lust an der Gewalt ausleben können. Es sind Leute, die aufgrund ihrer gescheiterten Biographie das Blut derer sehen wollen, die sie in ihren schlichten Hirnen für die Schuldigen haten.

Ute Plass 10. Januar 2015 um 16:27  

"Einer der erschossenen Polizisten war Moslem. Ahmed hieß er."
Dazu lese ich u.a. auf zeit-online:

Und ist "Je suis Charlie" tatsächlich die angemessene Antwort auf dieses Massaker? Oder sollte man nicht (auch) "Je suis Ahmed" rufen, in Gedenken an den ermordeten Polizisten Ahmed Merabet, der zum Tatort gerufen wurde. Ihm hat der belgisch-libanesische Aktivist Dyab Abou Jahjah auf Twitter ein paar denkwürdige letzte Worte in den Mund gelegt. "Charlie hat meinen Glauben und meine Kultur lächerlich gemacht, und ich bin gestorben, weil ich sein Recht verteidigt habe, dies zu tun."

Anonym 10. Januar 2015 um 19:44  

"[...] Es sind Leute, die aufgrund ihrer gescheiterten Biographie das Blut derer sehen wollen, die sie in ihren schlichten Hirnen für die Schuldigen haten[...]"

Bei aller Zustimmung lieber "Ulli", aber dein "schlichtes Hirn" scheint doch voll auf markttaliban-Linie zu liegen? Was hat eine gescheiterte Biographie damit zu tun, wenn jemand radikal wird? Und warum waren wohl die schlimmsten Terroristen die hochgebildetesten?

Antworten dazu?

Ich warte mal gespannt drauf.

Du hast nämlich eine einfache schwarz-weiß Sicht, und zwar genau die, die Roberto J. de Lapuente hier angreift - die vom bildungsfernen Moslem (Sarrazin, AFD und PEGIDA lassen grüßen - Übrigens meiner Meinung nach auch Bildungsferne aus dem akademischen Milleu die uns A.H. und Konsorten wieder schmackhaft machen wollen?.....Oder hab ich da dieselbe schwarz-weiß Denke, die du hier Moslems unterstellst?

Anonym 10. Januar 2015 um 19:51  

Bildungsfern, lieber ulli sind für mich übrigens nicht die Terroristen allein, die nun leider ihren "Martyrertod" gefunden haben sollen sondern eben alle anderen auch, die auf die neoliberalen Taliban reinfallen, die einerseits diese Untaten verurteilen aber andererseits jeden Tag dafür sorgen, dass diese Terroristen neuen Zulauf erhalten - weltweit. Wie? Man nennt das asoziale "Reformen" - Gäbe es nämlich noch Zeiten wie diese bevor Schröder/Fischer an die Macht gekommen sind, und das ganze andere neoliberal Heuchler-Gesocks, dann wäre Bin Laden nie groß geworden, und man würde Al Kaida, IS, PEGIDA, Hartz IV und Konsorten nur aus schlechten Hollywood-Filmen kennen und nicht im realen Leben, wie wir alle, außer natürlich den Neoliberaliban und deren Fünfte Kolonne, durchleiden bzw. -leben müssen.

Janz Zynische Grüße
Bernie

Anonym 10. Januar 2015 um 19:53  

@Ute Plass

Mich anschließ, aber zuvörderst müßten eben nicht die neoliberalen Heuchler, und Massenmörder, an einem "Protestmarsch in Paris" teilnehmen - Schröder, Fischer, Merkel, Stoiber & Konsorten sind gemeint sondern eben Moslems, die zeigen wir sind weder Al Kaida noch IS, und der Terror dieser "Martyrer" ist unislamisch.....und nicht unsere Welt....

Gruß
Bernie

nightowl 11. Januar 2015 um 00:06  

@ Ute Plass: Ja, "je suis Ahmed M." wäre viel intelligenter und passender (toller Satz von Dyab Abou Jahjah!) - doch würde das die Pegidadödel verwirren und den Verlagshäusern, die mit (teilweise arg geschmacklosen) Religionskarikaturen ihre Auflage steigern wollen, keine Aufmerksamkeit einbringen.

maguscarolus 11. Januar 2015 um 16:21  

Übrigens! Ein Plädoyer für die Einzigartigkeit des "Islamistischen Terrors" hörte ich dieser Tage von jemandem, der sagte: "Und ich habe noch nichts davon gehört, dass irgendwelche Christen in einem muslimischen Land Terroranschläge verübt hätten."

Leider fiel mir die richtige Antwort in dem Moment nicht ein: "Wie würdest du das nennen, was NATO und USA in den muslimischen Ländern machen?"

ulli 11. Januar 2015 um 22:29  

Hallo Roberto,

habe ich vielleicht die Roboterprüfung nicht richtig gemacht und dieser Text ist nicht angekommen?

Hallo Bernie,
was sollen denn all diese Unterstellungen? Weder habe ich Sympathien für Sarrazin, noch für Schröder oder den Neoliberalismus. Ich denke auch nicht marktradikal. Nein, das tue ich nicht.

Dann schreibst du: "Gäbe es nämlich noch Zeiten wie diese bevor Schröder/Fischer an die Macht gekommen sind, und das ganze andere neoliberal Heuchler-Gesocks, dann wäre Bin Laden nie groß geworden, und man würde Al Kaida, IS, PEGIDA, Hartz IV und Konsorten nur aus schlechten Hollywood-Filmen kennen und nicht im realen Leben." Also bitte! Schröder und Fischer haben vielleicht in Deutschland viel Böses getan, aber für Bin Laden oder IS können sie nichts. Da überschätzt du sie aber. Man sollte auch Al Kaida und Hartz IV nicht in einem Atemzug nennen. Das sind ganz verschiedene Dinge.

Über diese Syrienkrieger habe ich gesagt, dass nur wenige einen Schulabschluss besitzen und kaum einer eine Ausbildung. Das kann man in jeder Zeitung nachlesen. Auf Spiegel-Online habe ich heute gelesen, der Geiselnehmer in dem jüdischen Supermarkt habe die Geiseln beschuldigt, als Steuerzahler Schuld am französischen Militäreinsatz in Mali zu tragen. Unter einer intelligenten Aussage verstehe ich was anderes!!!

Ansonsten sollte man abwarten, bis der Pulverdampf sich verzogen und die Toten begraben sind. Um solche Ereignisse einschätzen zu können, braucht es Abstand. Und es ist auch eine Sache des Respekts vor den Opfern. Mir persönlich wird viel zu wenig darauf reflektiert, dass in einem jüdischen Supermarkt 10 Geiseln genommen wurden, darunter sogar kleine Kinder, und einige auch sofort umgebracht wurden. Doch gerade in Frankreich gibt es zahlreiche kritische Geister, die diese Anschläge reflektieren werden.

Pegida hat unmittelbar nach dem Anschlag erklärt, sie hätten es doch schon immer gewusst und gesagt und jetzt sei wohl alles klar. Diesem Beispiel sollte man besser nicht folgen und sich vor vorschnellen Erklärungen hüten.

Anonym 12. Januar 2015 um 19:43  

@Ulli

Gut, die Unterstellungen nehme ich zurück, aber nur wenn Du die Unterstellungen an meine Adresse auch zurück nimmst.

Statt einer Antwort verweise ich heute auf einen Beitrag Albrecht Müllers von den Nachdenkseiten, denn folgenden Punkt:

"[...]ufklärung auch im Sinne der Suche danach, was die Terroristen von Paris zu ihren Taten tatsächlich getrieben hat und welche sozialen Hintergründe es möglicherweise gibt, ist nicht sonderlich aktuell. Gefragt wird nicht mehr, nicht nach den Hintergründen, auch nicht nach den Ungereimtheiten. Wer in diesen herumrührt, stellt sich außerhalb der geschlossenen Reihen[...]"

Quelle und kompletter Text:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=24536#more-24536

...da ich mich nicht gerne uniformieren lasse, siehe oben habe ich eben noch einen unabhängigen Kopf und sehe es nicht gerne wenn Medien pauschal unterstellen, dass die Attentäter ungebildet oder doof waren - Ich bleib dabei, die gefährlichsten Terroristen sind die Hintermänner, egal ob bei PEGIDA oder bei Islamisten.

Die sind steinreich, und hochgebildet - siehe Bin Laden, und da pauschalisiere ich, im Gegensatz zu dir, eben nicht, und finden dennoch Anhänger, die beides eben nicht sind.

Woran liegt das? Nicht am Sozialabbau und Krieg dieser Tage?

Ich denke so eine Situation hatten wir schon einmal, vor 2015 Jahren - Die Großmacht hieß damals Rom und der religiöse Terrorist Jesus Christus....

....wer Christus übrigens für einen guten Hirten, im Gegensatz zum Kriegstreiber Mohammed sieht, der ist eben kein Religionskritker, und hat die Bibel nicht richtig interpretiert - Jesus spricht nur für seine Gruppe, den anderen billigt er den Status von "Hunden" zu, die die Reste von seinem Mahl speisen dürfen, und einmal läßt er sich sogar dazu hinreißen davon, dass er nicht den "Frieden bringe, sondern das Schwert"....

Religion, ist eben perse Terrorismusverdächtig, und ich bin dafür alle Religionen zu ächten, insbesondere die Monotheismen....da die wegen der In-Group/Out-Group-Zusammensetzung immer wieder zu furchtbaren Religonskriegen animineren.

Was dagegen?

Frägt sich
Bernie

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP