Als die Faschisten die besseren Menschen im gegnerischen Strafraum waren

Freitag, 25. Juli 2014

Ich hatte eben erfahren, dass man mich im Rahmen des Sozialplans entlassen würde, da kam Krieglbauer zu mir. »Ich habe es gerade gehört«, sagte er mir mit kollegialer Anteilnahme. Krieglbauer war Vorarbeiter. Und keine Leuchte.
   »Tja, Scheiße.« Ich gab mich wortkarg. Arbeitete weiter vor mich hin, ohne genau zu wissen, was ich tat. Jedenfalls hatte ich eine Bügelmessschraube in der Hand.
   »Nicht aufgeben«, rief er und ballte die Faust wie ein Dutschke der Werkstätten. Dann ging er weg.
   Einen Tag später beanstandete er meine Lustlosigkeit. In der letzten Spätschicht hätte ich mein Soll nicht erfüllt. Er las mir die Leviten: »Schau dir den Carsten Jancker an, der macht immer weiter und kämpft. Du musst deine Situation wie ein Fußballspiel sehen. Kämpfen. Machen. Wer aufgibt, geht als Verlierer vom Platz.«
   Seine Ansprache empörte mich. Sah ich aus wie ein Kicker? Rechnungen, die ich nicht mehr begleichen kann, sind kein verlorenes Punktspiel. So ein Unsinn. Wer hat dem Krieglbauer je erzählt, er wäre qualifiziert, seine Umwelt zu erbauen? Ich wusste ja, dass seine Welt ein Ball ist. Ein anderes Thema hatte er ja nicht. Die Bayern waren seine ganze Freude. Aber meine miese Situation mit solchen Mätzchen zu entweihen, das machte mich sauer.
   »Mann, verpiss dich!« Mehr fiel mir in diesem Augenblick nicht mehr ein. Er guckte doof und zog ab.
   Das war natürlich zu schroff. Der Mann war ja an sich kein übler Kerl. Aber dass er mich dann auch nie mehr zu motivieren versuchte, gab meiner Schroffheit rückwirkend Berechtigung. Der Zweck heiligte die Mittel. Ausnahmsweise.

Mir begegnete dieser Vergleich von Leben und Gesellschaft mit dem Fußball zu jener Zeit nicht zum ersten Mal. Schon in der Schule hatten wir einen Rektor, der uns die Gesellschaft in der Sozialkunde wie ein Sportmoderator kommentierte. Und letzte Woche dann las ich einen Text, der mich an Krieglbauer und an den Rektor erinnerte. Er war so voller Narrheiten, dass es schwer ist, darüber hinwegzugehen. Ich habe ihn schon letzte Woche kurz gestriffen.

Deniz Yücel sublimiert diese allgemeine sportive Interpretation des alltäglichen Lebens in eine profane Transzendenz. Er sagt nicht einfach, dass wir uns alle ein Beispiel an der Einsatzbereitschaft nehmen müssen, sondern macht uns im Grunde das Gegenteil weis: Moderne Staaten, Systeme, Gesellschaften, wie immer man das nennen will, brächten erfolgreiche Mannschaften hervor. Er behauptet insofern das Gegenteil von dem, was Krieglbauer meinte. Oder sagen wir, er spricht die Bedingtheit von Mannschaftssport und Gesellschaft an.

»Deutschland wurde Weltmeister, weil es sich modernisiert hat. Weil dieses Land ein anderes, ein besseres ist«, behauptet Yücel. Diese zwei Sätze sind seine zentrale Botschaft. Er bezieht das vor allem darauf, dass Deutschland heute ein weltoffeneres Land sei, in dem rassistische Reflexe nicht mehr wirken. Hat er die NSU vergessen? Die typischen Affekte der Menschen gegenüber Roma und Osteuropäer? Die Kampagnen konservativer Gazetten und Parteien? Alternative für Deutschland? Hat Yücel im Taumel nicht an sie gedacht? Überhaupt könnte man Yücels Einsicht auch anders lesen, denn er schreibt unter anderem auch: »Vielleicht ist es Merkel-Deutschland, das Weltmeister geworden ist. [...] Anfang des Jahrtausends hatte man den Anschluss verloren.« Meint er speziell den letzten Satz jetzt bezogen auf den Fußball oder die Gesellschaft? Wahrscheinlich beides. Letztlich war die Agenda 2010 also richtig? Denn sie hat uns nicht nur Hartz IV eingebrockt, sondern auch den DFB zum Weltmeister gemacht.

All das ist Unfug, der aber in der Stunde des Triumphs gut ankommt. Mit etwas mehr Abstand hätte es doch ins Auge stechen müssen, dass da was faul ist. Wenn modernisierte Gesellschaften die Voraussetzung für erfolgreichen Fußball sind und waren, dann muss die Sowjetunion in den Sechzigerjahren eine durch und durch moderne Gesellschaft gewesen sein. Jedenfalls besser, als manches, was es im Westen fußballerisch so gab. Zwischen 1958 und 1970 landete das Team bei Weltmeisterschaften immer mindestens im Viertelfinale, 1960 war man Europameister und 1964 und 1972 jeweils Finalist. 1968 reichte es für den vierten Platz. Es gab und gibt fürwahr imposantere Titellisten. Aber ausschlaggebend war, dass im sowjetischen Fußball das Pressing eingeführt wurde. So modern spielte damals niemand anderes. Die Taktik als Spiegelbild der Gesellschaft?

Wenn wir schon dabei sind, die These von der modernen Gesellschaft als Grundlage erfolgreicher Mannschaftsleistungen im Fußball für Unsinn zu entlarven: Die österreichische Nationalauswahl galt gegen Ende der Kaiserzeit bis hin in die Ära des Austrofaschismus als ein »Wunderteam«. Wann war die Gesellschaft moderner? Unter Kaiser oder Schuschnigg? Das faschistische Italien feierte die WM-Titel 1934 und 1938 als Triumph des faschistischen Übermenschen über all die anderen, die in minderwertigeren System lebten. War der Jubel berechtigt? War der Faschist echt der bessere, leistungsfähigere und einsatzkräftigere Mensch? Hat uns 2004 bewiesen, dass die Griechen in einem intakten Gesellschaftskörper lebten?

Gesellschaftliche Sinnsuche im Fußball hat es freilich immer gegeben. Nur vielleicht nicht als solches Massenphänomen wie heute. Als der bayerische Bereichssportführer Oberhuber 1940 als These vorbrachte, dass das Wort vom Angriff, der die beste Verteidigung sei, »seine tiefste Erfüllung und Berechtigung gerade in unseren Tagen erhalte«, da schrieb er dies in eine Zeitschrift namens »Fußball«. Für solchen Unsinn waren die Jünger des Sports offen. Sie haben zu allen Zeiten geglaubt, dass ihr Sport mehr als nur Sport sei, nämlich Abbild und Formgeber der Gesellschaft. Aber diese exegetischen Spagate leistete man für ein Fachpublikum und nicht für die Masse. Yücels Analyse war ja nur einer von ungezählten Texten, die den WM-Titel zu einem gesellschaftlichen Produkt deklarierten, vielleicht auch, um die frohe Kunde vom »Wir sind Weltmeister!« irgendwie zu untermauern. Denn wenn ein modernisiertes Land wie Deutschland, in dem der Niedriglohnsektor und Hartz IV als modern gelten, in dem Lobbyismus wütet und die NSU zwar vor Gericht steht, aber Rassismus weiterhin blüht - wenn ein solches Land titelreif ist, dann ist das wahrscheinlich auch der Sieg des Leiharbeiters und Hartz-IV-Berechtigten, des Lobbyisten und des Rassisten. Unser aller Titel!

Vor einigen Tagen gewannen die Säbelfechter des Deutschen Fechter-Bundes erstmals die Weltmeisterschaft. Die Medien berichteten verhalten. Jenes Morgenmagazin, das eine Woche zuvor verkündete, dass wir Weltmeister seien, meldete: »Die deutschen Säbelfechter haben erstmals die Weltmeisterschaft gewonnen.« Wie? Nur die? Nicht wir alle? Aber diese Säbelfechter sind doch wohl auch das Produkt eines modernen Deutschland. Hat die soziale Schieflage und die Schere zwischen Armut und Reichtum, die immer weiter auseinanderklafft, nicht auch diesen Titel ermöglicht? Yücel, schreiben Sie noch was dazu? Einer muss es doch mal kundtun, dass gutes Säbelfechten von einer modernisierten Gesellschaft ausgeht.

3 Kommentare:

Nina Tabai 25. Juli 2014 um 18:11  

"Er bezieht das vor allem darauf, dass Deutschland heute ein weltoffeneres Land sei, in dem rassistische Reflexe nicht mehr wirken."

Das gilt, so lange ein Nicht-Biodeutscher den leistungsbewussten Onkel Tom gibt. Und keine Sekunde länger.

Man feiert sich für eine Mannschaft, in der Özil und Boateng neben den Biodeutschen Lahm und Müller auflaufen, doch wenn Boateng mal einen schlechten Tag hat, ist es mit der Toleranz vorbei, dann hat es sich ausgenegert. Wer einen anständigen deutschen Nachnamen hat, kann mit mehr Nachsicht vom deutschen Fußballfan rechnen.

Mein persönlicher Favorit der aufgesexten Meta-Berichterstattung über den Fußball ist aber der Artikel Wir sind nicht wie sie in der FAZ.

"Wir sind nicht wie sie, wir können uns nicht identifizieren. Wir können sie nur bewundern und verehren. [...] Man muss sich nur Bastian Schweinsteiger anschauen, 29 Jahre alt, diesen jungen Mann, der so erwachsen Fußball spielt. Und der in den zehn Jahren, seit er Profi ist, alles Kindliche verloren hat. Er hat jetzt scharfe, fast harte Züge im Gesicht, einen Grauton in den Haaren (und vermutlich ein sehr schönes Plus auf dem Konto). Seine Altersgenossen, gerade jene, die sich zur sinnstiftenden, zur kreativen oder meinungsbildenden Klasse zählen möchten, bewerben sich derweil ums dritte Praktikum, ums Promotionsstipendium, versuchen, wenn sie schon einen mies bezahlten Anfängerjob bekommen haben, die deutschen Großstadtmieten auszuhalten. Und keiner hat allzu große Eile, sich dem sogenannten Ernst des Erwachsenenlebens zu stellen."

Du könntest glauben, diese jungen Multimillionäre hätten den Welthunger besiegt, mindestens aber AIDS geheilt und nebenbei ein neues chemisches Element entdeckt, welches sie in einer Feierstunde im Bundestag auf den Namen Merkelium tauften.

Der römische Plebs bewunderte vermutlich auch eher Gladiatoren, als Prätor und Konsul. So hat jede Generation die Helden, die sie verdient.

Anonym 25. Juli 2014 um 20:57  

http://vonb-lang.blog.de/2013/05/15/gestreift-gestriffen-15981568/

Anonym 26. Juli 2014 um 12:41  

....Fussball.....so ziemlich das Letzte.....

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