Verpiss dich, wenn du mir so kommst!

Montag, 16. Dezember 2013

Besonders ein Punkt zeigt anschaulich, wie verquer die Große Koalition den Arbeitsmarkt wahrnimmt. Wenn sie in der Koalitionsvereinbarung ankündigt, dass sie "dafür sorgen [wird], dass geringfügige Beschäftigte besser über ihre Rechte informiert werden", dann sagt sie damit auch aus, dass der Missbrauch von Mini-Jobs einfach nur ein Produkt von Unwissenheit ist. Vom ausweichenden Charakter der Aussage wollen wir erst gar nicht erst sprechen.

Vor vielen Jahren habe ich mal auf geringfügiger Basis für einen Pizza-Service gearbeitet. Ich erhielt sogar einen Arbeitsvertrag. Darin war alles geregelt, was so geregelt sein muss. Neben dem schrecklich niedrigen Stundenlohn stand da, dass ich bezahlten Urlaubsanspruch (nach dem Bundesurlaubsgesetz) und Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz) hätte. Ich habe keine drei Tage dort gearbeitet, da lauschte ich einem Gespräch zwischen der Chefin und einem Angestellten. Letzterer wäre kürzlich krank gewesen und habe daher nicht gearbeitet. Und wer die vereinbarten Stunden nicht beisammen habe, sagte sie ihm, kriege eben weniger am Monatsende überwiesen. Drei Fehltage á vier Stunden seien demnach nicht verrechnet worden. Ganz normal, oder?

Zwei Wochen später bat sie eine Kollegin um Urlaub für die kommende Woche. Klar, kannste haben, sagte die Chefin großzügig. Fang gleich mal damit an, deine Stunden reinzuarbeiten. Urlaub war demnach nichts weiter, als das Ableisten vorher erbrachter Überstunden.

Einer machte dann mal den Mund auf. Er sagte der Chefin, er hätte ein Recht auf bezahlten Urlaub. Stehe sogar in seinem Vertrag. Sie zeigte auf die Türe, schrie: Du kannst dich gleich verpissen, wenn du mir so kommst! Hier mache sie die Regeln und wem das nicht gefalle, der könne gleich seinen Kram packen und abrauschen.

Eines will ich gleich klarstellen: Der Typ, der krank war und die Tante, die Urlaub wollte, waren nicht blöde. Sie wussten sehr gut, dass sie einen rechtlichen Anspruch hatten. Ich wusste es auch, schwieg aber trotzdem. Das Jobcenter saß mir im Rücken. Ich war daher ja froh, wenigstens etwas gefunden zu haben. Besser der Mist als ein Ein-Euro-Job, dachte ich mir. Man schluckt die Kröte und hofft sich irgendwie durchzuboxen.

Was ich sagen will: Es ist ja nicht so, dass es Missbrauch bei geringfügiger Beschäftigung gibt, weil die Leute nicht wüssten, was ihnen rechtlich zusteht. Sie wissen es im Regelfall ganz genau. Aber der Druck am Arbeitsmarkt oder der Arbeitsvermittler im Nacken machen sie gefügig. Sie nehmen hin, dass sie als Arbeitnehmer zweiter Klasse behandelt werden. Die Mehrzahl dieser Arbeitsplätze sind in kleinen Unternehmen zu finden, die keinen Betriebsrat und keine Gewerkschaft im Haus haben. Berichte diverser Mini-Jobber gleichen sich in puncto Urlaub und Krankheit erstaunlich.

Geringfügig meint ja eigentlich das geringere Maß an Arbeitsstunden und überdies den Umstand, dass diese Jobs nicht sozialversicherungspflichtig sind. In der Praxis wird dieses geringfügig meist völlig anders interpretiert: Die Leute, die diese Stellen haben, werden nur geringfügig geachtet.

Wenn nun diese Regierung glaubt, sie müsse die Leute nur besser aufklären, dann verlagert sie die Verantwortung auf die Betroffenen. Nicht die angebliche Unwissenheit des Mini-Jobbers ist nämlich der Grund, dass es Missbrauch gibt - es ist der Umstand, dass man überhaupt solche Arbeitsgelegenheiten mit geringen Barrieren und Sozialstandards geschaffen hat.

Mit ein wenig Schulung ist das Problem nicht aus der Welt. Im Gegenteil, man ist noch verbitterter, weil man es nochmal offiziell gesagt bekommt, dass man ein Arbeitnehmer wie alle anderen ist, aber trotzdem seinen Mund zu halten hat, wenn man die Stelle nicht aufgeben will. Die von Rot-Grün arrangierte "Neuregelung" des Kündigungsschutzes, der erst für Betriebe ab zehn Mitarbeiter gilt (wobei Mini-Jobber nur anteilig gerechnet werden, bestenfalls nur als "halbe Mitarbeiter" gelten), hat das Schweigen der Betroffenen begünstigt.

Das passt zur Leitlinie der Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre. Arbeitslose waren demnach selbst verantwortlich für ihre Misere. Und wer zu wenig verdient, soll sich einen besser bezahlten Job suchen. Nun soll auch noch der Mini-Jobber stigmatisiert werden. Weil er nicht klug genug ist, wird er ausgebeutet. Das ist die einseitige Sicht neoliberaler Arbeitsmarktexperten einerseits und elitärer Dünkel andererseits. Denn der Pöbel, der Hilfstätigkeiten ausübt, ist ja bekanntlich ungebildet und dumm. Die Absichten der Großen Koalition bezeugen das nun auch noch offiziell.

Bei dem Pizza-Service habe ich dann nicht sehr lange gearbeitet. Als sie anfingen, die Arbeitsräume mit Kameras und Mikrofonen auszustatten und ich nicht mehr an mich halten konnte, sagte die Chefin: Verpiss dich, brauchst nicht mehr kommen. Hier bestimme ich, wie es langgeht. Aber der Rummel, der dann entstand, ist eine andere Geschichte.


12 Kommentare:

Anonym 16. Dezember 2013 um 07:31  

Mir scheint, es gibt einen Zusammenhang zwischen geringfügig und maximalfügig. Je geringfügiger die Bezahlung, desto gefügiger wird der Ausgebeutete.

Anonym 16. Dezember 2013 um 08:46  

Selbst schuld, wer in der falsche Familie geboren wird, hätte sich doch einfach einbisschen mehr bemühen müssen.

Wer glaubt Sarkasmus entdeckt zu haben, dürfte sich nicht getäuscht haben.

Anhänger des 04.08.1789

Die Katze aus dem Sack 16. Dezember 2013 um 09:21  

Wer selbst der Ansicht ist, ein Untertan zu sein, hat ohne Zweifel das Recht verdient, als solcher auch behandelt zu werden.

(Los)Lösung: Mut zur Freiheit!

Anonym 16. Dezember 2013 um 10:14  

Ich bin zwar noch etwas jung und daher vielleicht auch etwas naiv. Aber kann man dagegen nicht rechtlich vorgehen? Wenn es sogar vertraglich geregelt ist?
Ich will damit nicht den Standpunkt eines Liberalen einnehmen und an die Selbstverantwortung appellieren. Mir ist wohl bewusst, dass juristische Unterstützung Geld kostet und die Arbeitsstelle damit womöglich sowieso nicht zu retten ist oder das Arbeitsklima nach dem Rechtsstreit kaum zu ertragen ist.
Ich glaube aber dies hätte eine beträchtliche Signalwirkung. Vielleicht lieber Roberto, war dein Zögern nicht nur aufgrund der Drucksituation zu erklären, sondern der vorherrschenden Neigung lieber den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Wenn sich wirklich was ändern soll muss man dagegen vorgehen und dies am effektivsten und kostengünstigsten mithilfe von Leidensgenossen. Wenn derartige Situationen zu beobachten sind - dem Arbeitnehmer seine Ansprüche verweigert werden - so muss man sich sofort solidarisch zeigen und sich hinter ihm positionieren. Stattdessen neigen wir dazu uns als gegenseitige Konkurrenten zu sehen. Der liberale Lösungsvorschlag nach Selbstverantwortung zielt darauf ab, nur unsere eigene Lage verbessern zu wollen. Alleine besitzt wir jedoch eine kaum wahrnehmbare Durchsetzungsstärke. Gemeinsam besitzt man eben diese, und es sind absolute Gewinne aus der Sicht der Arbeitnehmer zu erzielen (keine Nullsummenspiele: mein Gewinn zulasten des anderen). Die Parole sollte also in diesem Fall heißen: Mut und Solidarität!

Anonym 16. Dezember 2013 um 11:00  

A.
Die Erfahrung die du mit deiner Pizzachefin gemacht hast ist kein Einzelfall. Das sich da Menschen über andere Menschen stellen, meinen besser zu sein, ist zutiefst verstörend ja faschistisch. Es zeigt mir wie dumm die Menschen sind. In diesem "Klima" scheint mir ein zweites Holocaust wahrscheinlich. Faschismus und Kapitalismus sind für mich das gleiche.

Ute Gisela 16. Dezember 2013 um 14:03  

Die suspendierte Arbeitsvermittlerin Inge Hannemann hat eine Petition an den Bundestag gestartet, mit der sie die Abschaffung von Leistungskürzungen verlangt, die gegen Erwerbslose verhängt werden. Schon mehr als 5000 Mitzeichner nach einem einzigen Tag! Bei mindestens 50.000 Mitzeichnern gibt es eine Anhörung im Deutschen Bundestag.

https://www.grundeinkommen.de/22/11/2013/petition-gegen-hartz-iv-sanktionen.html

ad sinistram 16. Dezember 2013 um 14:26  

Schön, dass hier auf die Petition verwiesen wird. Ich habe schon unterschrieben. Vielleicht möchte ja der eine oder andere noch.

Anonym 16. Dezember 2013 um 14:43  

Mich interessiert "Dia andere Geschichte" auch...
:-)

Gruss,
Wolfgang

Ute Gisela 16. Dezember 2013 um 15:30  

Ja, mir geht's wie @Wolfgang.
Mich interessiert auch noch "die andere Geschichte".:-)

Stefan Rose 16. Dezember 2013 um 16:12  

Apropos Solidarität: Ein Freund von mir hat eine ähnliche Erfahrung gemacht (wer nicht...). Konstellation war ähnlich, allerdings war er noch Gewerkschaftsmitglied (hat als Arbeitslosen 2,50€ Beitrag im Monat bezahlt). Der hat brav alle Belege, Stundenzettel etc. gesammelt und dem Chef am Ende seinen Mitgliedsausweis nebst einer schönen Nachzahlungsaufstellung präsentiert und mit Arbeitsgericht gedroht.
Ich will Gewerkschaften nicht in den Himmel loben, aber viele glauben, die seien nur für tarifliche Fragen zuständig und wissen nicht, dass die einem ggf. auch die erste Instanz beim AG bezahlen, wenn Aussicht auf Erfolg besteht. Auch wenn im Falle von Hartz IV solche Nachzahlungen angerechnet werden, vielleicht ein Mittel, gewissen AGs solche Touren abzugewöhnen...

Anonym 16. Dezember 2013 um 16:56  

"es ist der Umstand, dass man überhaupt solche Arbeitsgelegenheiten mit geringen Barrieren und Sozialstandards geschaffen hat."

Ich würde der kundigeren Einordnung wegen immer eine relative und eine absolute Einordnung vornehmen.
Relativ sind die Sozialstandards im Niedriglohnsektor in Deutschland Weltspitze.
Absolut gesehen ist auch diese Weltspitze noch ausbaubedürftig.

ad sinistram 16. Dezember 2013 um 17:20  

Ich gelobe feierlich, die andere Geschichte bei Gelegenheit nachzuliefern. Ehrlich.

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