Kurz kommentiert

Dienstag, 1. Oktober 2013

"Gerade mal vier Tage nach der Bundestagswahl ist die CDU womöglich bereit, mit der SPD über Steuererhöhungen zu verhandeln. Was für ein Irrweg! Der deutsche Staat hat kein Einnahmeproblem, sondern ein Gerechtigkeitsproblem."
- Christian Rickens, Spiegel Online am 26. September 2013 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Lassen wir mal kurz Rickens' These so stehen. Es ist ja nicht mal seine, sondern der übliche angebotsorientierte Schmu nach der Formel Höhere Steuern (für Besserverdienende) = Stagnation = Rezession = Untergang der Welt, wie wir sie kennen und schätzen. Wie sich die Anhänger dieses Mantras Gerechtigkeit denken, zeichnet Rickens recht ansehnlich nach. Für ihn ist das Gerechtigkeitsproblem eine Angelegenheit zwischen Arbeitenden und Nicht-Arbeitenden. Zitat: "Das deutsche Steuersystem bestraft all jene, die jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen, egal ob Facharbeiter oder Manager." Der Feind steht im Lager derer, die sich den Wecker nicht zu stellen brauchen. Aha!

Facharbeiter und Manager und womöglich gar der Pizzabote leiden demnach unter demselben staatlichen Zugriff - und alles nur für die Faulpelze, für die Privatiers und den Sozialhilfeadel. Gut,das schreibt Rickens momentan mal nicht. Das ist derzeit nicht opportun. Mittlerweile erwischt es ja auch viele Journalisten mit der Arbeitslosigkeit, da hält man lieber mal den Mund. Ein Gerechter ist für Rickens dennoch jemand, der arbeitet. Ganz gleich was. Und diese Gerechten werden vom "deutschen Staat" (sein O-Zitat) ungerecht behandelt. Dieser "deutsche Staat" ist die wohlweislich gewählte rhetorische Distanz, die immer dann gewählt wird, wenn nationaler Taumel nicht nötig ist. Bei Steuerfragen eben. Der "deutsche Staat" zeichnet das Gemeinwesen als ein Ungeheuer, als den steuerfressenden Leviathan.

Klar, einige Punkte die Rickens auflistet stimmen ja sogar. Was die Kapitalertrags- oder Erbschaftssteuer betrifft etwa. Aber ist es nicht Augenwischerei, Steuererhöhungen für Besserverdienende zu einer Art Kampfbund der Fleißigen gegen die Nichtstuer zu deuten? Klar ist es das. Und nicht nur. Es ist beabsichtigt, denn es soll die Debatte umlenken, auf Abwege führen und die Wut von denen, die mehr Steuern abführen könnten, auf die, die nicht aktiv arbeiten umsteuern.

Auch wenn Rickens behauptet, dieser "deutsche Staat" hätte kein Einnahmeproblem. Warum sind dann die öffentlichen Kassen chronisch leer? Verschwendungssucht? Wohin verschwenden denn die Kommunen, die eigentlich immer blank sind, ihre Einnahmen? Oder sind die etwa nicht Teil des "deutschen Staates"? Teilweise reicht es nicht mal mehr für Schwimmbäder und Büchereien. Das Kulturangebot strauchelt. Kann man also zu viel einnehmen?

Wenn Rickens die Gerechtigkeitsfrage stellen will, dann sollte er mal in den Raum werfen, wie man die Gelder zwischen Bund, Länder und Kommunen gerechter verteilen könnte. In dieser Frage steckt mehr Potenzial für eine Gerechtigkeitsdebatte als in der Spaltung zwischen Arbeitenden und Nicht-Arbeitenden. Und die Frage, warum jemand, auch wenn er arbeitet, ein Gehalt beziehen muss, dass er nicht mal unter größter Mühe monatlich aufbrauchen kann, sollte natürlich auch mal aufgeworfen werden. Denn die Diskrepanz zwischen Viel-Besitzenden und Kaum-Besitzenden ist die eigentliche Grundlage einer solchen Debatte.


7 Kommentare:

Anonym 1. Oktober 2013 um 09:25  

ANMERKER MEINT.

Genau so ist es, Roberto. Und genau deshalb ist es so wichtig, solche Nebelkerzenwerfer zu entlarven und sie als das anzuprangern, was sie sind: Schreiberlinge im Dienst des Neoliberalismus. Schreiberlinge, die nicht wahr haben s/wollen, dass Gerechtigkeit nicht nur eine moralische Kategorie ist sondern eben auch eine ökonömische Seite hat, wie die Verteilungsfrage oder die Frage gerechten Lohns für geleistete Arbeit oder oder oder ... Im übrigen gibt es ja auch Bestverdienende, die anderer Ansicht sind als diese Lohnschreiberlinge. Vielleicht sollten "Journalisten" wie Rickens sich mal mit denen zusammen setzen.

MEINT ANMERKER

Wolfgang Buck 1. Oktober 2013 um 10:06  

Zu diesem traurigen Thema nur ein Zitat das nun gut und gerne 150 Jahre auf dem Buckel hat:

"Ich frage jene, die sich der politischen Ökonomie verschrieben haben, ich frage die Moralisten, ob sie schon die Zahl der Menschen berechnet haben, die zum Elend verdammt sind, zu unverhältnismässigen Arbeitsleistungen, zu Demoralisierung, Schmach, Unwissenheit und zum Ruin, zu unüberwindbarem Unglück und absoluter Entbehrung – nur um einen einzigen Reichen zu produzieren."

Allmeida Garret, portugisischer Schriftsteller, 19. Jahrhundert

Anonym 1. Oktober 2013 um 10:12  

Wie man hier lesen kann, wirken sich Erhöhungen des Spitzensteuersatzes für die Friseusen oder Kellner dramatisch aus, dem muß Einhalt geboten werden!

http://www.der-postillon.com/2013/09/steuererhohungen-wurden-vor-allem.html

Anonym 1. Oktober 2013 um 10:18  

"Auch wenn Rickens behauptet, dieser deutsche Staat hätte kein Einnahmeproblem. Warum sind dann die öffentlichen Kassen chronisch leer?"

Ich schätze, wegen der Schuldenzinsen?

Sledgehammer 1. Oktober 2013 um 12:15  

Lagerrhetorik und Verwirrung bestimmen in Medienlandschaft und Politik zunehmend den Verlauf von Gerechtigkeitsdebatten.
Derweil platzieren sich die grummelnden Besitzstandswahrer kommod auf ihrem Besitz und die Besitzlosen, weitgehend stumm und ohne Lobby, wenig komfortabel auf ihren nackten Hintern.




Gisela Weber 1. Oktober 2013 um 13:02  

Schon idiotisch, welche Ideologie hinter dem derzeitigen Arbeitsbegriff steckt. So ist das Recht auf Arbeit nicht im Grundgesetz verankert, aber ein Recht auf Eigentum ist gesetzlich geschützt. Vor diesem Hintergrund sollen Menschen zur Arbeit genötigt werden ohne ein Recht auf Arbeit zu haben.

Ist hier mit Arbeit nicht die Lizenz zur Ausbeutung von Umwelt und Mensch gemeint? Schon die Bezeichnung, Bürger, beinhaltet eine rechtliche Höher-Stellung des Bürgers gegenüber dem Menschen, die sich über eine ökonomische Gestaltungsfreiheit rechtfertigt und eine Degradierung des Menschen zur Humanressource, zwecks Gewährleistung und Sicherung des Gewinns und des Eigentums, „legitimiert“.
Da gewinnmaximierende Arbeit nur mittels Ausbeutung funktioniert, muss eine, immer größer werdende Menschenmasse der Ausbeutung zur Disposition gestellt und entrechtet werden. Einem solchen Arbeitsbegriff ist längst der Inhalt der sozialen, ökologischen und generativen Verantwortung abhanden gekommen und eine solche Ökonomie führt zwangsläufig in Sackgassen oder in apokalyptische Zustände.

Das Fehlen der sozialen, ökologischen und generativen Verantwortung ist eine Mangelerscheinung der sogenannten "zivilisierten" Welt, die den Traum einer freiheitlich- gestalterischen und ökonomischen Individualromantik zu realisieren versucht.

Es gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Verantwortungslose Freiheit verhindert die natürliche Menschwerdung, die sich nur in Reflexion zu einer und in intergenerationaler Interaktion mit einer menschlichen Gemeinschaft entwickeln kann. Künstliche Individuationen sind das Produkt ökonomischer Freiheitsromantik und ersetzen nicht die natürliche Menschwerdung.

Joschka 1. Oktober 2013 um 19:24  

Anscheinend hat sich das ja wieder erledigt. Aber ich möchte gar nicht wissen zu welchen Kompromissen die CDU noch bereit ist, um eine halbwegs vernünftige Koalition hinzubekommen. Steuererhöhungen, allen voran der Spitzensteuersatz, war mit ein Grund, weshalb ich die SPD nicht gewählt habe. Aber der Wahlkampf ist ja schließlich vorbei und jetzt können die Parteien aufhören uns das blaue vom Himmel runter zu lügen.

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