Die Leiden des jungen Blogger

Freitag, 25. Oktober 2013

Seit zehn Minuten ist mein Text online. Vor etwa sechs Minuten habe ich ihn bei Facebook als Status gemeldet. Noch keine Reaktion. Woran liegt das nur? Habe ich den Puls der Zeit, den immer viel zu hohen Puls der Facebookianer nicht getroffen? Ruhig Blut. Abwarten. Solange melde ich den Schrieb mal bei anderen Portalen. Viele Leser bringt das zwar nicht. Aber dann bin ich auch da vertreten. Dabei sein ist zwar nicht alles - aber nicht dabei zu sein ist auch nichts.

Noch immer kein Lebenszeichen bei Facebook. Kein Gefällt mir. Das kann ja heiter werden. Der Text zieht nicht. Kommt nicht an. Habe ich doch gewusst! Scheiße! Kann ich es noch? Habe ich es verlernt? Und gleich nochmal Scheiße - ich habe vergessen den Text bei Twitter zu melden. Mache ich auch noch gleich. Viele Follower habe ich dort ja nicht. Trotzdem. Man muss hoffen.

Na, wer sagts denn. Ein Gefällt mir! nach knapp einer halben Stunde. Geht es aufwärts? War eine Stammleserin. Kann ich das als Auftrieb gelten lassen? Mach ich einfach. Und schon ist da das zweite Gefällt mir! Und geteilt hat den Text auch noch jemand. Ich werde wahrgenommen! Ich werde geklickt, also bin ich. Der Text könnte was für die NachDenkSeiten sein, fällt mir ein. Also schnell mal per Mail darauf verweisen. Und BILDblog? Nee, die nehmen den nicht. Das spare ich mir eine Anschrift. Wenn ich nur mal wieder einen Text bringen könnte, der die ganze Aufmerksamkeit aller meiner Freunde und Follower und einschlägiger Linkssammler auf sich ziehen würde!

Was solls. Ich muss reagieren. Sonst nippelt mir der Text ab. Sonst verschwindet er im Orkus der digitalen Nichtigkeit. Wer könnte bei Facebook Interesse daran haben? Wem pflanze ich Text und Teaser auf die Pinnwand? Es geht um die Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch. Hatte dieses Thema nicht mal eine Fanpage? Alles hat Fans bei Facebook. Ich erinnere mich, dass ich eine solche Facebook-Site gesehen habe. Hieß sie nicht Ja zur Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch! oder so? Da ist sie ja. Und ich poste das Ding auf Verdacht auch noch auf andere Seiten. Man muss flexibel sein. Bei der taz schreibe ich das lieber nicht. Die hat schon geschimpft. Hütet ihre Facebook-Seite fast schon überempfindlich.

Gleich halb Acht. Gleich muss ich zum Dienst. Soll ich BILDblog doch noch anschreiben? Bis Acht nehmen sie Hinweise entgegen. Scheiß an, die haben noch nie etwas über die Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch gebracht. Das ist denen zu platt.

Mittlerweile fünf Gefällt mir! und drei Geteilt. Wird doch. Könnte ein guter Tag werden, viele Leser und Kommentare, einen Haufen an Likes. Leider noch bei weitem nicht ganz so wie letztens, als alle Welt - meine kleine Welt! - zu mir kam, um diesen einen Text zu lesen. Doch es wird, es gedeiht. Eine e-Mail meldet mir noch kurz, dass ich einen neuen Follower bei Twitter habe. Dem hat mein aktueller Text vermutlich gefallen. Ha, bei Google+ haben schon drei Leute meinen Text gepluseint. Kein schlechter Wert gegen Zwanzig vor Acht. Verdammt, jetzt muss ich aber los, sonst komme ich zu spät.

Noch im Treppenhaus kommt mir die Idee, mal wieder beim Spiegelfechter anzuklingeln. Vielleicht teasert der mal wieder einen Text von mir an. Das bringt Leser und ihm Content. Ist es eine Sünde, gelesen werden zu wollen? Hat mir mal einer zum Vorwurf gemacht. Kannst ja gerne für deine Schublade schmieren, Kumpel! Mein Zeug will raus.

Das Smartphone sagt mir mehrmals werktäglich, dass es mehr Gefällt mir! wurden. Nicht viel, aber immerhin. Twitter ist hingegen verpufft. Wie immer. Zwei Flattr-Klicks geben Hoffnung. Der Text gefällt allgemein. Die Kommentare zeugen allerdings nicht davon. In einem werde ich "Pisser mit Rechtschreibschwäche" genannt. Finde ich für einen kurzen Moment sogar witzig. Die NachDenkSeiten haben den Text ignoriert. Und ausgerechnet heute bringt BILDblog etwas über eine Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch. Ich könnte mir in den Arsch beißen, bin aber noch auf Arbeit. Mache ich später.

Zurück am Schreibtisch. Schnurstracks ans Notebook. Was gibt es Neues? Was an neuen Themen für neue Texte und was Neues zum alten Text? Lese ihn mir nochmal durch. Mensch, der ist echt beschissen. Die eine Passage gelungen, der Rest unlesbar. Kein Wunder, dass der so unbeliebt war. Ich bin durchschaut. Die Leute wissen nun, ich kann es nicht, koche nur mit Wasser, bin einer dieser Langweiler im Heer schlechtbegabter Schreiber.

Noch ein Blick in die Statistik, um meine Krise am frühen Nachmittag zu untermauern. Aber siehe da, ich hatte doch viel mehr Leser als gedacht. Wieviele sage ich nicht. Geht nur mich was an. Na, vielleicht bin ich doch nicht so übel. Wie kommen die Zahlen denn her? Ein Blick in die Zugriffsquellen verrät: Vielen Dank an das SpOn-Forum und an eine Sammlung interessanter Texte im Internet. Und was ist das da für ein komischer Link? Hoppla, nackte Brüste und gespreizte Beine. Wer ist denn von dieser Seite auf meinen Text gesprungen?

Ich schließe mit dem Text des Tages ab. Jetzt ist er ist veraltet. Nach einigen Stunden ist er ausgelutscht wie verkochter Sellerie. Morgen ist ein neuer Tag. Da gibt es denn großen Wurf. Da bin ich mir mal wieder sicher. Zeit wird es ja. Du musst die Zielgruppen besser treffen, hat mir mal einer gesagt. Das zieht Leser. Zielgerichtet schreiben bringt aber nichts. Das wirkt so angestrengt. So gezwungen wichtigtuerisch wie ein Roman von Helene Hegemann. Da fällt mir Tucholsky Einschätzung einer damals beliebten Jungautorin (Irmgard Keun) ein. Passt auch auf Hegemann. "Hier ist ein Talent. Wenn die noch arbeitet, reist, eine große Liebe hinter sich und eine mittlere bei sich hat - aus dieser Frau kann einmal was werden." So von mir selbst entfremdet kann ich nicht schreiben. Ich mag gezwungene Texte von anderen nicht lesen. Und ich will sie niemand zumuten. Probiert habe ich es schon. Kam nie an.

Wann hatte ich zuletzt großen Zuspruch? Letzte Woche! Das ist eine Ewigkeit für hiesige digitale Verhältnisse. Wenn nicht bald Bestätigung kommt, zweifle ich mich mal wieder in die Schreibblockade hinein.

Ach, wie gut hatten es frühere Generationen von Blogger. Die hießen noch Publizisten. Kannten kein Internet. Schickten ihre Texte an Redaktionen, wurden manchmal auch gedruckt. Und ob der Schrieb dann gut ankam oder nicht, erfuhren sie eigentlich so gut wie nie. Dass er gedruckt wurde, war zwar Indiz. Aber was wissen Redakteure schon von guten Texten? Ob den Text überhaupt Leser gefunden hat, war letztlich unwesentlich, weil kaum überprüfbar. Dass er gedruckt war, reichte aus, um sich gut zu fühlen. Dass Texte heute per Mausklick in die Welt gehen, nicht nur in ein regionales Käseblatt, reicht aber nicht mehr aus um glücklich zu werden.

Ich sitze hier und beobachte Indizes, reite mich in den Zweifel hinein und verliere die Gelassenheit. Ja, ich könnte mir gar nicht mehr vorstellen, den traditionellen Weg mit Stift und Papier zu wählen. Mir würde die unmittelbare Rückmeldung fehlen, das Angebundensein an den Schwarm, den ich Leser zu nennen pflege. Eigentlich für den Blogger undenkbar, Texte ohne sofortige Rückmeldung rauszuhauen. Daher ja diese Ungeduld, wenn die Rückmeldungen nur schleppend liken und teilen.

Was ich sagen will: Schreibende waren ja immer von Selbstzweifeln zerfressen. Aber seitdem wir alle mehr oder weniger Online-Publizisten sind, hat sich diese Haltung noch verstärkt. Scheiße nochmal! Ich muss hier abbrechen. Sehe eben, dass meine organische Reichweite bei Facebook schwindet, falle vermutlich aufgrund fehlender Nachfrage unter EdgeRank. Ich muss gegensteuern. Bis morgen!


6 Kommentare:

Sledgehammer 25. Oktober 2013 um 13:05  

Der (an sich,der Ignoranz der anderen)leidende Blogger und sein notorisches Graben nach "Liebe und Verständnis", oft mässig erfolgreich, trotz informativem/aktuellem/lustvollem Text/Thema/Kommentar-treffend,unterhaltsam,selbstironisch ausgewalzt. Rettet meine Stunde!

m4rc 25. Oktober 2013 um 22:44  

Da fragt man sich, wie der Bloggende es aushalten konnte, zweimal ein Buch zu veröffentlichen ;-).

Und was vergessen wurde: Die RSS-Abonnenten, wie ich es einer bin. Wir kriegen den Text so oder so geliefert.

georgi 26. Oktober 2013 um 17:10  

... dabei bist Du der 99st-erfolgreiche Blogger Deutschland. Erfolgreicher als Du sind nur noch der Honigmann, PI-news, achgut, zahllose Apple-Toll-Finder und die Mädchenmannschaft.

Anonym 27. Oktober 2013 um 05:36  

jo robert sieh mal die andere seite wenn ich schon meine üblichen blogs durchhabe die sag ich mal hochfrequenter als du ihre ansichten richtung glasfaser ballern und ich einfach nicht glücklich werde weil der eine zu sehr auf seinem halb neutral halb ich-zerleg-euch-argumentativ-film ist und der andere keine neuen intressanten sachen bringt und wenn dann von dem autor den ich nich leiden kann dann bist du nicht selten die rettung. Der mensch der mir politblog-konsumenten das gewisse "der typ hat ne eigene kritische meinung die an sich intressant und verpackt die sache noch gekonnt" gibt
liebe grüße valle

Friederike 27. Oktober 2013 um 16:32  

Über den Kiezneurotiker hier reingestolpert.... ach, ja, die Statistiken... wir sollten eine Selbsthilfegruppe aufmachen.
Viele Grüße aus der Nachbarschaft (ich werde jetzt öfter mal vorbeischauen.).

JimKnopf13 28. Oktober 2013 um 14:39  

Ach, hier geht es doch aber nicht um Herrn Roberto De Lapuente, oder?! Das ist eine eine kleine Erzählung mit einem fiktiven Ich, das uns was auftischt. Das Blog hier ist ja längst sehr erfolgreich. Und es soll ein 'junger' Bloggger sein, der hier leidet, kein erfahrener Top-Hunderter. Also ich nehme es als Trostworte für mich. Und natürlich: Die Anregung über den 'Impact' nachzudenken und die Auswirkungen auf das Schreiben, da nun alle über ihren Impact nachdenken.

Unsere jüngste Büchnerpreisträgerin behauptete gerade in der ZEIT, sie denke gaaar nicht an die Leser, wenn sie schreibe. Das wäre das Gegenteil: die reine Literatur, vor sich hin produziert. Stimmt aber bestimmt nicht. Schreiben ist kein Selbstgespräch, zumindest nicht, für eine Autorin, die bei Suhrkamp veröffentlicht. Glaube ich nicht.

Ähnlich wie die Demutsgeste dieses Artikels. Nur von der anderen Seite. Und noch frustrierender: Da wird eine Schreiberin zur gefeierten Groß-Autorin und - mehr oder weniger - Bestsellerin; und sie hat nie auch nur daran gedacht, obs jemandem gefallen könnte. Wie nett für sie.

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