Ein langweiliges Opportunistenleben

Montag, 27. Mai 2013

Quelle: Piper
oder Der ideologisch aufgeladene Ingrimm zweier Konservativer.

Obgleich beide Autoren eng mit der Axel Springer AG verbandelt sind, ist Das erste Leben der Angela M. ein lesbares, weil durchaus informatives Buch. Denn es ist mehr als ein Buch nur über Merkel - auch, weil diese Frau bis 1990 kaum etwas hergab, worüber es sich zu berichten lohnte. Das ist zugleich auch eine der Schwächen dieser DDR-Biographie der Kanzlerin. Die auf Sensation getrimmte Berichterstattung rund ums Buch ist mit dem Inhalt kaum vereinbar. Weder ist Merkels "erstes Leben" besonders spannend, noch ist sie dort, obgleich sie vielleicht durchaus linientreu war, nachdrücklich aufgefallen. Und nebenher wird nichts aufgedeckt, was nicht ohnehin schon mehr oder weniger bekannt war.

Angela was there

Opportunisten haben nur selten interessante Lebensläufe. Sie taugen wenig zum Buch. So ist es auch in diesem Fall. Denn Merkels DDR-Vorleben besteht aus einer Aneinanderkettung von stillen Anwesenheiten. Angela nahm den Mauerbau wahr, war in der FDJ - ohne aufzufallen! -, pflegte Nähe zum linientreuen Flügel der evangelischen Kirche - ohne aufzufallen! -, machte Moskau-Reisen - aber keiner erinnert sich richtig an sie! -, ging später in den Demokratischen Aufbruch - schwieg auch dort! -, wurde die rechte Hand de Maizières - ohne Positionen zu beziehen! Angela was there - aber wie, warum und mit welchen Absichten, was sie einbrachte an Inhalten, das wissen auch Reuth und Lachmann nicht zu berichten.

Würden die Autoren nicht so nebenbei allerlei Zeitgeschichtliches jener Jahre einflechten, das Mädchen Angela stemmte die knapp 290 Seiten niemals. Dieser Frau aber scheinbar einen Strick aus ihrem DDR-Leben drehen zu wollen, mag wahrscheinlich PR sein. Falls nicht, ist es dümmliche Ideologie. Welche Vorwurf will man ihr denn machen? Als DDR-Bürgerin in der DDR gelebt zu haben?

Die Gleichsetzung als dramaturgischer Kniff

Die künstlich gestellte Diabolisierung der jungen Merkel geschieht im Buch manchmal recht plump. Sie soll vermutlich auch die jetzige Merkel aufhübschen. Das ist der Eiertanz, auf den sich Reuth und Lachmann spezialisiert haben. Die stille, politisch inaktive, an eine sozialere Welt glaubende Kommunistin, die Merkel gewesen sein soll, machen sie herunter, finden sie unerträglich. Die weltpolitische, Spardiktate verordnende, der an die neoliberalen Marktwirtschaft glaubenden Kanzlerin machen sie jedoch nur zögerliche Vorwürfe.

Konstant sprechen Reuth und Lachmann von der zweiten Diktatur auf deutschen Boden. Sie setzen damit die DDR mit Hitler-Deutschland gleich, machen sie zu einer Art geistigen Nachfolger des nationalsozialistischen Deutschen Reiches. Dieser zweiten deutschen Diktatur diente die junge Merkel, mokieren sie sich gerade so, als hätte sie im Namen der DDR Todesurteile ausgestellt. Dergleichen haben seinerzeit andere bundesrepublikanische Demokraten in ihrem Vorleben getan. Das ist überhaupt der wesentliche Unterschied, denn DDR-Vorleben können zwar mit Aushorchen und IM-Einträgen gefüllt sein, eher selten jedoch mit Erschießungen oder Deportationen, wie das in "der ersten deutschen Diktatur" der Fall war. Zwar kann man der DDR vorwerfen, dass sie teilweise ein sehr autoritärer Staat war, sich im spießigen Mief seniler Tattergreisphantasien verschanzte, aber mit dem Deutschland unter Hitler ist sie nicht vergleichbar. Man kann zwar der Hitlerjugend und der FDJ einen Hang zur Uniformierung nachsagen - aber was heißt das schon? Welches Weltbild in den Uniformen steckte, wäre die Frage der Fragen, die aber beide Autoren nicht stellen.

Reuth und Lachmann benötigen diese Gleichsetzung von DDR und Drittem Reich, um die Dramaturgie der umgestülpten Merkel spannender karikieren zu können. Es ist ein ideologisch fundamentierter Kniff, um diese personifizierte Randnotiz der DDR, die Merkel ja war, zum ganzen Kapitel jenes Landes umzuschreiben.

Enttäuschte Konservative

Reuth und Lachmann attestieren Merkel natürlich, dass sie in der Bundesrepublik angekommen sei. Sie wechselte schnell ins kapitalistische Lager hinüber, wie das für Opportunisten üblich ist. Auf den letzten Seiten kommt die Verbitterung der beiden Autoren zur Sprache. Merkels politischer Inhalt sei immer Macht gewesen. Sie hätte keine Positionen, gehe immer den leichten Karriereweg, lasse Köpfe rollen, um ihren zu behalten. In der CDU habe sie mit dieser Methode konservative Elemente ausradiert. Das "System Merkel" habe die Sachauseinandersetzung verkümmern lassen, konservative Weltanschauung gäbe es nur noch als leere corporate identity. Sie zitieren den Historiker Michael Stürmer, der mal schrieb, dass unter Merkel Traditionsbestandteile des Konservatismus schwinden. "Die Wehrpflicht wurde suspendiert, das dreigliedrige Schulsystem aufgegeben, die Kernenergie verdammt [...] Änderungen im Familienrecht normieren eine neue Wirklichkeit" - das mag viel über Merkels Opportunismus verraten, über die Enttäuschung der Autoren sagt es jedoch nicht weniger aus.

Es ist die Wut darüber, dass da der Opportunismus gute alte konservative Werte aufgerollt hat. Dass Atomenergie keine Option mehr sein darf, nicht weil Merkel von sauberer Energie überzeugt wäre, sondern weil sie so ihre Macht festigen konnte. Merkel unterliegt dem Sturm des Zeitgeistes, wenn sie nun die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt - wo bleibt da die gute alte Scheidung zwischen Normalen und Homos? Alles der Machtgeilheit dieser Frau geopfert, die die Mauertoten befürwortete und das Gelbe Elend rechtfertigte? Der Konservatismus als Opfer eine wendehalsigen Kommunistin? Das tut freilich manchem in seiner Kalten Krieger-Ideologie weh.

Die Masche mit dem jetzt trockenen Ex-Säufer

Natürlich ist die Kritik an Merkel nicht mutig und auch nicht konsequent. Irgendwie merkt man den Autoren an, dass sie Merkel als das kleinste Übel ansehen. Käme da ein konservativer Hardliner, der Chancen bei der Wählerschaft hätte, würden sie Merkel gerne abschießen. Aber lieber eine opportunistische und karrieristische Konservative, als gar nichts Konservatives an der Macht, mögen sie sich denken.

Die Bildzeitung berichtete tatsächlich auch von diesem Buch. Ganz gegen ihre Linie. War das Abkehr vom Merkelismus? Der Verrat? Nein, diese Zeitung las mal wieder das, was sie lesen wollte. Filterte das Buch so, dass etwas "Nützliches" dabei herauskommt. Merkel wurde von ihr als Frau gezeichnet, die ihr erstes Leben aufgegeben habe, wo andere noch mittendrin stecken. Sie hätte nun ihr zweites Leben - und die Gysis, die können einfach nicht loslassen. Sie reichte ihren Lesern Jugendbilder, befand sie für ein sympathisches Mädchen, das später eine lernbegabte junge Frau wurde und endlich in der Realität, die aus Sachzwängen besteht, angekommen war.

Die von Reuth und Lachmann erzeugte Skandalisierung dieses DDR-Lebens wurde von der Bildzeitung umgedeutet. Für sie war sie nicht Opportunistin, sondern einfach nur vernünftig, einsichtig und klug genug, die Zeichen der Zeit zu deuten. Das ist die beliebte Masche mit dem Ex-Säufer. Also eine Art rührselige Geschichte, die von jugendlichen Irrwegen erzählt, die dann aber im Guten und Wahren enden. Das lieben Leser, die in dieser Postdemokratie ja auch parallel Wähler sein dürfen. Früher gesoffen, heute trocken und erfolgreich - früher Kommunist, heute im Kapitalismus angelangt. Da wird publizistisch unterstrichen: Bedenke, sie ist auch nur ein Mensch! - und: Es irrt der Mensch solang er strebt, bis dass er sich zum Kanzler hebt! Eine Manipulation nach Happy End-Art. Dank Reuth und Lachmann wissen Bild-Leser nun: Sie ist halt doch nur ein Mensch ...

"Das erste Leben der Angela M." von Ralf Georg Reuth und Günther Lachmann erschien beim Piper Verlag.


5 Kommentare:

Anonym 27. Mai 2013 um 08:02  

....wirklichen Wissen über Merkel hat ja wohl nur einer....und der ist im Bellevue gut entsorgt....

maguscarolus 27. Mai 2013 um 08:46  

Dass doch in Deutschland immer wieder Menschen in entscheidende Machtpositionen kommen, die menschlich vollkommen uninteressant sind, deren Biographie erst hinterher irgendwie mit Bedeutung aufgeladen wird, nachdem sie von den deutschen Volksmassen "ins Herz geschlossen" worden sind.

ulli 27. Mai 2013 um 10:51  

Dennoch ist die Frage nach Merkels DDR-Hintergrund interessant. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass ihre Politikpraxis schwer an die DDR erinnert. Damit meine ich vor allem ihr Regieren ohne jeden demokratischen Diskurs und das Verkleistern von Problemen durch billigste Wohlfühlpropaganda.

Etwa bei den Nachrichten zum Thema Arbeitslosigkeit fühle ich mich häufiger an die "Aktuelle Kamera" erinnert. Im DDR-Fernsehen kamen laufend Jubelberichte über die Produktionsfront: Schon wieder war das Planziel weit übertroffen worden, schon wieder ging es absolut grandios vorwärts mit dem Aufbau des Sozialismus. Dabei wusste jeder, dass das alles nicht stimmte: Die DDR war eine stagnierende Gesellschaft, die sich nur durch Westkredite am Leben halten konnte, die Innenstädte zerfielen, die Umwelt war grausam verschmutzt, und vieles mehr, und die Bevölkerung träumte sich jeden Abend mittels Westfernsehen in den Westwohlstand. Aber kein Wort davon in der offziellen DDR. Eines der bekanntesten Windeier war die Firma "Robotron" - ein Chiphersteller, der angeblich auf Weltmartniveau arbeitete, aber nach der Wende sofort pleite ging.

Merkel hat dieses Modell von Jubelverlautbarungen vor einer tristen Realität perfektioniert. In der DDR diente alles angeblich dem Sozialismus, heute ist alles angeblich alternativelos. Alles ist supergut - wenigstens für die herrschende Elite. Die Arbeitslosigkeit liegt auf Rekordtief - nur können leider immer weniger Menschen von ihren Jobs leben und explodieren Burn-Out und Arbeitsstress. Auch in Spanien und Griechenland wird es in Kürze wieder aufwärts gehen. Jeder weiß (wahrscheinlich sogar in der Heute-Redaktion), dass das nicht stimmt, aber dennoch jagt Erfolgsmeldung Erfolgsmeldung.

Andrerseits sind die Widersprüche in der DDR-Gesellschaft dann ja auch aufgebrochen...

Anonym 27. Mai 2013 um 16:48  

ANMERKER MEINT:
Eine hervorragende Rezension, Roberto,danke!

Vielleicht sollte man ergänzend noch anmerken, wie sich das ehedem sicherlich sympathische Mädchen Kohls, zur, in der derzeitigen Physiognomie ihrem Ziehvater auf dem Höhepunkt seiner Macht ähnelnden, Mutti der Nation entwickelt hat. Das System fordert seinen Tribut. Der zeigt sich an den Rundungen der jeweiligen Machteliten; außer an Merkel und Kohl sei auch an Fischers erinnert. Nur wer sich genügend Dauerfett zulegt, kann durchregieren, ohne ständig anzuecken. Vom Mädchen zur Mutti, eine pfundige Angelegenheit. Eigentlich sympathisch, wenn man bedenkt, dass 50 Prozent der Deutschen übergewichtig sind. Eifert Mutti denen nach oder ist sie gar deren Vorbild? Auf jeden Fall können sich viele in ihr wiederfinden. Mehr kann man von einer Mutti nicht verlangen.

MEINT ANMERKER

Anonym 29. Mai 2013 um 15:02  

Das Foto auf dem Buch sieht aus wie der Pocher mit noch schlechterer Frisur.

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