Eine deutsche Melodie

Freitag, 12. April 2013

oder Der Scheißdeutsche als Schmiede der Nation.

Rechtskonservative Kreise bemerkten schon vor Jahren, dass eine besonders perfide Form des Rassismus die Deutschenfeindlichkeit sei. So prügelten ausländische U-Bahn-Schläger Deutsche, dabei Scheiß Deutscher! brüllend und zeigten damit ihren Deutschenhass. Nun hallt es nicht mehr nur unter Tage so, jetzt vernimmt man aus allen Ecken Europas etwas, was man hierzulande vereinfacht Deutschenhass nennt. Diese Simplifizierung ähnelt einer Stimmung von dazumal.

Mit der konstruierten Gemeinschaft, die sich auf der angeblichen Ablehnung aller anderen gründet, die als gemeinschaftlichen Ursprung das Gefühl nährt, man stehe alleine gegen die ganze Welt, hübschen sich Regierungen in Deutschland zuweilen ihre Isolierung auf. Man nennt sich einen beleidigten Lonesome Cowboy und gibt als Erklärung ab, dass das europäische Ausland den alten und so völlig unerklärlichen Hass wieder belebt hat, wieder Scheiß Deutscher! ruft. Über diesen "Rassismus gegen die deutsche Rasse" ist man schockiert, gleichzeitig ein Bestsellerautor kürzlich noch genetische Finten ausstreute, was man allerdings als Wissenschaft bezeichnete.

Wie in den Jahren um 1933 bis 1938/39 zieht man sich zurück auf einen Stolz, der sich aus dem vermeintlichen Wissen nährte, vom Ausland kleingehalten und verarscht worden zu sein, als Deutscher immer Nachsicht üben zu müssen. Carl Gustav Jung meinte in jenen Jahren, dass "die Psyche eines jeden Deutschen entscheidend beeinflusst wird" vom "typisch deutschen Minderwertigkeitskomplex, [des] Komplex des jüngeren Bruders, der immer etwas zu spät zum Gastmahl kommt". Wer dieses Grundgefühl bündelt und kultiviert, der könne in Deutschland seine politische Macht ins Magische sublimieren. Jung sagte damals Hitler nach, dass er eine "echte deutsche Melodie angestimmt" habe, "die den Deutschen einginge". Er betreibe eine Demagogie, die "auf Primitive wirkt" und er gäbe "das Echo seiner eigenen Stammesvergangenheit" ab.

Nun ist die Regierung Merkel nicht die Regierung Hitler. Darum geht es auch gar nicht. Es geht um eine Melodie, die das heutige Deutschland wiederentdeckt hat und beständig pfeift. Was Jung im Rahmen der Sudetenkrise glaubte, trifft heute ähnlich zu.

Das Deutsche definiert sich eigentlich stets durch Abgrenzung und in Phasen, da man epochal deutsch sein möchte, reichert man diese Abgrenzung mit einer erzeugten Wut an, immer auf unausgegorene Weise missverstanden und schlecht behandelt worden zu sein. Man isoliert sich in Selbstmitleid, kapselt sich durch die geschürte Wut über Deutschenhass von den europäischen Nachbarn ab und steht als Schicksalsgemeinschaft zusammen.

Der historische Isolationismus der Vereinigten Staaten war von wirtschaftlichen und libertären Aspekten gezeichnet. Der Isolationismus auf Grundlage des Scheißdeutschen baut auf Beleidigtsein, auf Wir gegen alle anderen. Die Basis dieser inneren Einigkeit gegen die äußeren Aggressoren ist die Deutschenfeindlichkeit, der Rassismus Europas gegen Deutschland. Der Scheißdeutsche als Schmiede oder Schmelztiegel der Nation ist insofern Agenda, läßt sich instrumentalisieren. Wenn man innerhalb Deutschlands meint, dass alle gegen diesen zentraleuropäischen Menschenschlag stehen, dann rückt man enger zusammen, kennt man keine Parteien mehr und hinterfragt die Maßnahmen der politischen Führer nicht mehr.

In Deutschland pflegt man gerne eine Romantik der Unfehlbarkeit der politischen Richtlinienkompetenz. Der postulierte Deutschenhass, der ja nicht mehr ist als der Hass auf eine deutsche Politik, die ins Neoliberale weist, der ja nicht weniger ist als die Ablehnung von patriotischen Hurra-Deutschen, die diesen Kurs unkritisch mittragen, erzeugt eine Kanzlerin der Unfehlbarkeit. Wo man von Außen angefeindet wird, so glaubt die deutsche Seele traditionell, da bedarf es einer Geschlossenheit im Inneren und tiefer Treue zum Führungspersonal. Von diesem Nimbus auf Grundlage der Scheißdeutschen-Agenda profitierte die politische Unfähigkeit in den Dreißigerjahren und tut es heute wieder.



9 Kommentare:

Anonym 12. April 2013 um 09:32  

Wenn man die einschlägigen Kommentare auf SPON liest, merkt man, wie heftig diese nationale Suppe wieder hochkocht. Die EU sollte sich ehrlicherweise wieder auf ihre alte Bezeichnung besinnen: EWG
Mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft war sie nie. Und vielleicht erinnert sich noch jemand an die gleichnamige Quizsendung: Einer wird gewinnen! And the winner is... Wenn der große Gewinner des Euro sein Schmollpotential voll ausschöpft, könnten die Wahlen doch noch spannend werden. Die 'Alternative für Deutschland' könnte Schill-Format erreichen...

Anonym 12. April 2013 um 10:56  

ANMERKER MEINT:

Als Ergänzung zu Deiner hervorragenden ZeitgeistAnalyse" passt auch bestens die "WIRKampagne" der SPD. Hier zeigt sich ganz deutlich von welcher Mainstreamkorporation die Deutschen regiert werden und regiert werden sollen. Sie unterscheiden sich nur in Nuancen unsere staatstragenden Parteien. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die derzeitige Koalition in Meinungsumfragen eine satte Mehrheit hat. Wer wählen geht, wählt dann halt lieber gleich das Original. Es ist einfach schrecklich mit anzusehen, wie eine Partei ihr 150jähriges Bestehen zelebriert und im gleichen Atemzug ihre Wurzeln nicht nur verleugnet sondern regelrecht austrocknen lässt. Aus der Geschichte lernen, nichts da. Lieber die gleichen Fehler wieder begehen: Bloß nicht mit der heutigen USPD, der LINKEN also, koalieren - es könnte ja klappen.
Was die aktuelle Deutschenfeindlichkeit angeht, hier ein passender Link zu einem aktuellen Chanson dazu
http://www.swr.de/swr2/swr2-chanson-des-monats-pigor/-/id=7576/nid=7576/did=7365184/mpdid=11228326/13m42zo/index.html

Viel paß beim Hören1

MEINT ANMERKER

Anonym 12. April 2013 um 11:13  

Gut erkannt!
Gruß vom Einwanderer-Kind

Anonym 12. April 2013 um 13:23  

"Scheiß Deutscher" ist nur einfach nur eine Erfindung von dummen Nazis um sich mal wieder als Opfer zu inszenieren. Niemand benutzt diese Phrase wirklich.

maguscarolus 12. April 2013 um 18:00  

Der Artikel beschreibt eine Stimmungslage in Deutschland sehr treffend, wie ich meine.

War es Thomas Mann, der Deutsches Wesen mit den Worten charakterisiert hat: "Hochmut des Geistes gepaart mit Innerlichkeit." ?

Ichmeinemal 12. April 2013 um 19:56  

Meinten Sie statt "Nachsicht üben" nicht eher "das Nachsehen haben"? Ansonsten haben Sie da einen interessanten Aspekt aufgegriffen. Mir scheint also, es gibt drei Zustände des typisch deutschen Charakters: Der herrschsüchtige, äußert arrogant; der buckelnde, äußerst kriecherisch; und abseits der beiden noch das Jammern, sei es über angeblich bei sich selbst erkannte Schwächen oder die Bösen anderen, die an allem schuld sind - das, was Sie beschrieben haben.

Anonym 12. April 2013 um 22:08  

Vortrefflicher Text....

übrigens was ich von "Unfehlbaren" Menschen halte, dass muß ich als Atheist, und römisch-katholisch sozialisierter Mensch wohl nicht extra erwähnen....

Bild titelt nun wohl statt "Wir sind Papst" "Wir sind Kanzlerin".....

Amüsierte Grüße
Bernie

pillo 14. April 2013 um 11:07  

Churchill hat das ganze Dilemma mit diesem Volk treffend zusammengefaßt: "Entweder hat man die Deutschen an der Gurgel oder zu Füßen."

Genau das ist das Problem! Dieses Land schwankt beständig zwischen den Extremen. Nachdem er mit der herrischen, arroganten und gewalttäigen Methode gescheitert ist, wechselt der Deutsche ins andere Extrem. Nun bierdert er sich an die (vermeintlich) Stärkeren an, verleugnet sich selbst und gibt den Friedensapostel. Wenn er es wieder für oppertun hält und "seine" Zeit für gekommen sieht, läßt der Deutsche dann wieder den Herrenmenschen heraushängen.

Dieses Verhalten hat natürlich Auswirkungen auf die Erziehung der jeweils jungen Generation. Nichts ist deutscher als die Frage, was deutsch sei. Das innere Selbstverständnis eines Engländers, Franzosen oder Spaniers ist dem Deutschen völlig unbekannt.

Man kennt das doch aus dem Privaten. Wer gibt sich schon gern mit einem innerlich unsicheren bzw. zerissenen und obendrein launischen Typen ab? Bei so jemandem weis man ja nie, woran man gerade ist.

Ichmeinemal 15. April 2013 um 23:23  

Eine eingehende Ethnopsychoanalyse der Deutschen täte mal gut. Als Vorbild taugen die Deutschen alles in allem m. E. nicht, da ist einiges pathologisch. Aber erklär das mal einem Deutschen ...

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