Kommunismus in der Fahrgastzelle

Montag, 19. November 2012

Hat der denn gar keine Ahnung von dem, was wir als Gesellschaft brauchen? Wir brauchen nicht weniger - wir brauchen mehr! Steuerentlastung für Carsharing! Da beklagen sich die Autohersteller allerorten und Flasbarth fordert keck, man solle Carsharing fördern, auf dass noch mehr Menschen sich ein Auto teilen. Das kann man ja mal ignorant nennen. Und nebenher nimmt man auch noch Bürger in Schutz, die sich weigern, Vollzeitkunden sein zu wollen, die auf Teilzeit besitzen, obgleich die Wirtschaft auf Vollzeit- und Vollblutkonsumenten angewiesen ist.

Belohnen gefährlicher Mentalitäten

Muss nicht auch der Präsident eines Umweltbundesamtes mehr als nur die Umwelt im Blick haben? Ist es in Zeiten, da uns in jedem Kommentar, in jeder Nachrichten- und Talksendung Sportpalastansprachen gehalten werden - Wollt Ihr die totale Ökonomie? -, nicht notwendig, gewisse Ideale in die ökonomischen Vorgaben einzuordnen? Flasbarth redet sich einfach. Wenn er sich für die Förderung geteilter Autos ausspricht, dann sagt er damit doch auch: Wo zwei oder drei in einer Fahrgastzelle versammelt sind, da werden ein oder zwei Fahrgastzellen gar nicht erst gebaut! Dabei brauchen wir doch etwas zu tun, wir brauchen Beschäftigung. Nicht weniger Autos sind notwendig, sondern mehr.

Flasbarth kann doch nicht ernstlich Menschen belohnen wollen, die ökonomisch so ungebildet sind, dass sie sich ein Auto teilen wollen. Da werden falsche Akzente gesetzt, falsche, ja gefährliche Mentalitäten honoriert. Wir brauchen Steuervergünstigungen für solche, die viele Autos besitzen. Das gibt Sinn! Muss man denn nicht im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft Gesetzesentwürfe einbringen, die das Sharen verbieten? Dieses kleinkarierte Denken macht doch alles kaputt. Energie und Rohstoffe einsparen, lobt Flasbarth - wenn man das schon lesen muss! Es geht doch um so viel mehr. Sparprogramme sind einzig und alleine was für die öffentliche Hand, aber nicht für die Privatwirtschaft. Sonst sparen wir uns ja noch zu Tode!

Der Kommunismus in der Fahrgastzelle

Wachstum nennt sich das, was wir benötigen. Oder Expansion. Oder Märkte erschließen und Bedürfnisse schaffen. Autos gehören nicht zwischen drei oder vier Menschen geteilt. Das raubt Potenzial! Es gibt kein individuelles Recht, ein Auto besitzen zu können; wenn man kein Geld hat, muss es ohne gehen - aber jedes Auto sollte das Recht haben, nur einen Halter sein Eigen tuckern zu dürfen. Da wird Privatbesitz verspottet, da werden kommunistische Ideen für einen lumpigen Umweltschutz installiert. Wo ist die klare Linie, die harte Kante für die Ökonomie? Haben wir immer noch nicht erkannt, was Priorität haben sollte?

Maßhaltung und ökologische Denkweise sind natürlich feine Ideen. Alleine werden sie immer auf Kollisionskurs mit dem sein, was uns wichtiger zu sein hat, weil es uns Geld einhandelt, Beschäftigung sichert und damit Sachzwang ist. Mit Fahrgastzellenkommunismus punktet man vielleicht beim grünen Gemüt, aber doch nicht bei der Vernunft. Autos teilen: Als ob geteiltes Leid, halbes Leid sei - solche Teilungen kann sich keine Gesellschaft leisten, die das Wachstum benötigt, wie der Fisch das brackige Wasser. Die Vorteilssucht mancher Menschen, die die Mobilität nur temporär dann nutzen wollen, wenn sie sie gerade brauchen, ruiniert Branche und Gesellschaft gleichermaßen.

Ein System ohne Visionen stößt an die Grenzen seiner Grenzenlosigkeit

Die ökonomisierte Lesart der Welt stößt an ihre Grenzen. Sie tut es dieser Tage, da sich der gute Kapitalismus nicht mit den schlechten Zuständen in den Gesellschaften dieser Welt deckt. Und sie tut es im Kleinen, wenn Regierungen einerseits die Produktion von Kraftfahrzeugen anfachen wollen, um gleichzeitig das Carsharing zu lobhudeln und vielleicht gar zu begünstigen. Die politischen Verwaltungen eines Kapitalismus', der keine Zukunftsvision außer Profit, Profit, Profit! entfacht, der ohne Nachhaltigkeit und Vorausschau aktionistisch wächst, expandiert und Profitfelder erschließt ... die politischen Verwaltungen dieses Mahlstroms handeln gleichfalls ohne Weitsicht, ohne Fernblick. Das System hat auf sie abgefärbt, hat den ihm immanenten Fatalismus auf seine Protagonisten gesprüht. Die entwickeln kein Konzept, keine Generalvorhaben, sondern üben sich in Aktionismus, ganz so, wie das System natur- und strukturgemäß abspult. So gesehen sind diese Protagonisten wirklich unideologisch.

Und diese fehlende Ideologie werfen sie gerne als Vorzug in den Ring. Was Inhalte und Vorstellungsgabe betrifft ist das wirklich so. Ihre Ideologiefreiheit ist an der Sache, an der Zukunft manifest, was die ökonomischen Verhältnisse, das Effizienzdenken, die Profitmaximierung, die Kapitalakkumulation, die sonderbare Beziehung zu Besitz- und Eigentumsdefinitionen betrifft, da sind sie jedoch wohl ideologisch. Dass man keine Zukunft planen kann, steht außer Frage; dass man aber offenbar nicht mal eine Vorstellung davon hat, an welchen Werten und Idealen diese Zukunft geschliffen werden soll, zeigt sich an Flasbarths sinnvollen Einwurf. Immer weiter so! ist die Zukunftsparole von diesem System und denen, die es stützen. Flasbarth zeigt ungewollt, dass die Grenzenlosigkeit, die der Kapitalismus in aller Bescheidenheit benötigt, um sich selbst erhalten zu können, nicht realisierbar, auch nicht vernünftig sein kann. Vernunft und die herrschende Ökonomie sind nicht vereinbar.



4 Kommentare:

flavo 19. November 2012 um 08:03  

Das Auto im Abschied. In der Tat scheint das Ende des Individualautomobils begonnen zu haben. Zweifellos merkt man in den meisten Orten noch nichts davon, aber immerhin hat sich die Idee etabliert, dass es sich beim Automobil um so etwas wie einen Kleinbagger oder eine Bodenschleifmaschine handelt, die man sich ausleiht, wenn man sie braucht. Die Tonnen an psychischer Energie, die viele gelernt haben, in das Objekt Automobil zu laden, werden frei. Wuchtig schallende Chromauspuffe, lange Radioantennen, dunkle Gangsterscheiben, aktivische Formverkleidungen und detaillierte Ausschmückung der Schaltarmaturen, versteckte Tuningkits unter der Motorhaube, all diese tausend Dinge, die einen vielseitig reizenden, die Konkurrenten übertreffenden Mann symbolisieren, liegen bracher, mit weniger Aufmerksamkeit da.
Es ist auch traurig. Wer noch nie ein Automobil hatte, wird vielleicht diesen Expressionen der Phantasie nachtrauern. Ihm kommt es nur mehr als nützlicher Gebrauchsgegenstand entgegen, trocken und kahl, von dem man seine Liebe noch zurück halten muss, da man weiß, dass sie an der nächsten Rückgabestelle zu selbst eingebrockter Trauer wird.
Welches Ding soll man aber noch lieben?

Anonym 19. November 2012 um 10:33  

Sie blenden wohl aus, dass die GRÜNEN im Kommen sind? Da ist Nachhaltigkeit angesagt. Hihi.

Hartmut 19. November 2012 um 12:11  

Ein mit feiner Ironie gespickter Artikel, chapeau !

Und, in der Tat, wenn der "Auto-Fetechismus" entfällt, müßten sich dann nicht Millionen Menschen nach Surrogaten umschauen ?

Wenn dann die Automobilindustrie (Schlüsselindustrie) zusammenbricht, könnte man dann nicht das Sozialwesen in den Industriegesellschaften als "Schlüsselindustrie" deklarieren und praktizieren ?

pillo 19. November 2012 um 22:02  

Ob bei immer mehr jungen Menschen die Vernunft siegt oder sie sich schlicht keinen eigenen fahrbaren Untersatz mehr leisten können, lasse ich mal dahingestellt.

Grundsätzlich ist die Entwicklung hin zum Carsharing, zur Mitfahrgelgenheit, usw. positiv zu bewerten. Wenn man in einer Großstadt lebt und in selbiger auch noch arbeitet, braucht man einen eigenen PKW genau genommen nur sehr selten. Da ist es wohl eher die Bequemlichkeit als die tatsächliche Notwendigkeit, die einen ins Auto steigen lässt.

Wenn man all die Kosten - Abschreibung und Verzinsung, Sprit, TÜV, Reparaturen und Ersatzteile, Kfz-Steuer, Kfz-Versicherung, Sommer- und Wintereifen, etc. - zusammenzählt, merkt man, wie unglaublich teuer der Unterhalt eines eigenen Fahrzeugs ist. Selbst ein Klein- oder Kompaktwagen schlägt da für einen Normalverdiener übers Jahr gesehen mächtig zu Buche.

Es gibt allerdings eben auch noch sehr viele Menschen, die das eigene Auto brauchen. In vielen ländlichen Regionen bist du ohne eigenes Vehikel vollkommen aufgeschmissen.

Genauso ergeht es den hunderttausenden Pendlern. Und da rede ich nicht von denen, die jeden Tag vom Stadtrand in die Innestadt gurken, sondern von richtigen Pendlern. Die sieht man am Montag (von Ost nach West) bzw. am Freitag (von West nach Ost) auf der Autobahn. Wohl kaum einer von denen tut sich das freiwillig an.

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