Bäuchlings

Freitag, 7. September 2012

Die Losungen rechter Parteien und Kandidaten, der angerechteten Mitte und der Presse, klingen einfach, zielgerichtet und suggerieren, dass man ganz genau wisse, worauf es ankomme. Progressive Slogans, manchmal auch als linke Parolen verortet, wirken hingegen oft kompliziert, vertrackt und verkopft und nötigen dem Zuhörer Anstrengung und hohe Aufmerksamkeit ab. Es verwundert nicht, dass das, was die rechtskonservativ modifizierte Mitte der Gesellschaft hören will, aus dem Äther von rechten Gedankenkonstrukteuren kommt. Um fair zu bleiben sei noch darauf hingewiesen, dass rechte Positionen nicht zwangsläufig konservativ sind - sie äußern sich heute weitestgehend über neoliberale Kanäle. Solche rechtsliberalen Parolen sprechen den Bauch an, sparen den Kopf aus. Sie bauen ihre Lösungsversuche und politischen Botschaften auf Bauchgefühl, inzwischen linke Modelle den Kopf bemühen und somit als Stichwortgeber für öffentliche Debatten quasi vollständig ausscheiden.

Wer etwas in Unkenntnis oder wider aller Bedenken erlaubt oder befürwortet, der tut das mit Bauchschmerzen oder Bauchgrummeln. Wenn etwas nebulös bleibt, sich aber Skepsis einschleicht, sagt einem ein vages Bauchgefühl etwas, was der Kopf nicht vermag. Man sagt: Mein Bauch sagt mir. Spontan und unüberlegt entscheidet man aus dem Bauch heraus. Den Zorn, im Gegensatz zur Wut, kann man als einen durchdachten Auftrag an sich selbst sehen, etwa als heiligen Zorn. "Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht", schrieb Papst Gregor, zitierte ihn Georg Schramm. Die affektive Wut hat man allerdings im Bauch, sie ist keine Kopfangelegenheit. Das undefinierbare Gefühl der Liebe macht Schmetterlinge, oder mit Grönemeyer: Flugzeuge im Bauch. Manchem Bauchgefühl, manchen Bauchflugzeugen folgt die Bauchlandung - oft Produkt mancher emotionalen Handlung. Kurzum, im Bauch ruht das Undefinierbare, das nicht denkbar Erfassbare, ruhen Ressentiments und verinnerlichte Prämissen, ruht Undurchdachtheit und Aktionismus; im Kopf hingegen findet mit etwas Glück das Gegenteil statt, dort wird aus undefinierbaren Bauchgefühlen eine konkretere Ansicht, dort werden Vorurteile durch Urteile des Denkprozesses nochmal geprüft - im Idealfall, denn in vielen Köpfen logiert fein angeschult und angelernt nichts weiter, als die abdomatische Vertretung des Bauches unter der Schädeldecke.

Dieses Körperteil, das nur verschwommen "wahrnimmt", das Gefühle bemerkbar macht, nicht konkretisiert, das qua seines organischen Aufgabenspektrums keine Denkmuster kennt, dieses Körperteil des Ahnens, Glaubens, Wähnens und Vermutens ist es, welches das Rechte, das Neoliberale anspricht. Deren Thesen und Anschauungen zielen auf die Bauchhöhle - dort dringen sie spielend ein, dort flutschen sie hinein wie in weiche Butter. Einfache Konstrukte, Bestätigungen sowieso herrschender Vorurteile, Abschieben von Verantwortungen, Zucht von Sünden- und Prellböcken - all das, um der Klientel ein rundherum gutes Gefühl, ein gutes Bauchgefühl zu schenken. Im Neoliberal-Rechtskonservativen fühlt sich die Mehrheit so wohl, weil es so ein praktikabel leichtes Weltbild pflegt, weil es die erträgliche Leichtigkeit des Seins hegt, weil es jede Schuld auf Leute und Gruppen abwälzt, die sich nicht wehren können. Ein voller Bauch studiert nicht gerne, lautet ein weitere Redensart. Wenn Parolen auf die Füllung des Bauches abzielen, wie soll man sich dann um vernünftigte Einsichten bemühen. Studere, sich bemühen, gelingt nicht, wenn der Bauch verdaut, was des Kopfes wäre.

Progressivere Parolen sind oft so viel komplexer, zielen auf Denkleistung. Es ist eben nicht der faule Grieche, der Europa in die Krise stürzte, sondern es waren komplexe und pervertierte Abläufe auf dem Finanzmarkt. Das zu verstehen ist meist nicht einfach. Mit Sparpolitik saniert man eben nicht Haushalte, wie man das von mit Neoliberalismus getunktem Konservatismus dauernd hört, sondern mit Investitionen - das steht den Erfahrungen des Bauchmenschen entgegen, daher ist es ihm unbegreiflich. "Sie würden es doch privat nicht anders machen", argumentieren Sparpolitiker - das kann der Bauch verarbeiten, das kann er verstehen. Ausgeben ohne zu besitzen: unvorstellbar, unverantwortlich. Da bekommt man so ein schlechtes Bauchgefühl dabei. Bauch gegen Kopf, das ist Überschuldung durch Sozialstaat gegen Mittelknappheit durch Steuersenkungen, das ist faule Schüler gegen verknappte Gelder in Bildung und Kultur, das ist Angst durch Überfremdung gegen Chancen der Multikulturalität, das ist zu viele Alte gegen Stärkung des Umlageverfahrens, das ist südländischer Müßiggang gegen spekulative Maßlosigkeit, das ist Moslems sind rückständig gegen jeder Kulturkreis hat seine historisch bedingten Erscheinungsformen. Der Bauch ist seinen Bauchrednern heilig, daher fragt und nagt man keine Löcher in die Bäuche, einfache Ansagen genügen - sonst entfleuchen noch die wertvollen Bauchgefühle, schlüpfen sie aus der löchrigen Bauchwand. Und dieses Bauchgefühl ist doch so ein vortrefflicher Rohstoff für die neoliberale Politik; sie braucht es, um wider allen Kopfes doch als attraktiv empfunden werden zu können.

Es ist mitnichten der Wohlstandsbauch alleine, der sich selbst zum Denkorgan erhebt. Es ist die Beschränktheit und Eingezäuntheit kleiner Leben in kleinem Umfeld, die pars pro toto persönliche Erfahrungen mit gesamtgesellschaftlichen Dynamiken vergleichen, verwechseln oder gleichsetzen. Auf solche Gemüter zielen neoliberale Parolen ab. Sie kultivieren das einfältige Weltbild ihrer Abnehmer, ihr Bildungsauftrag ist, nicht umfänglich zu bilden, sondern Affekte, Vorurteile und Überspanntheiten weiterzubilden. Progressivere Ansichten, vulgo auch linke Slogans genannt, sind in diesen Tagen auch deshalb so erfolglos, weil eine auf Bauch getrimmte Wirtschaft - ihr Marketing, ihre Werbung ist ja nichts weiter, als das Pinseln von Bäuchen, als das Entfachen undefinierbarer Bauchgefühle - und ihre Politik ein unentwirrbares Netz an Verbauchungen geschaffen haben. Sie haben die res publica simplifiziert auf Parolen, die jedermann verstehen kann, weil sie so simpel und eingängig sind, dass sie nicht mißverstanden werden können, weil sie auf Affekte abzielen, die in jedem Bauch hausen.

Progressive Parolen sind daher Hetze, weil sie auf die Köpfe zielen, mit der Absicht, Bäuche zu sättigen - neoliberale Slogans sind deshalb Wahrheiten, weil sie auf Bäuche halten, mit dem Vorhaben, Köpfe nicht zu sehr zu beanspruchen. Bauch ist immer eingängig, schnell begreifbar. In Zeiten, da man schnelle Erkenntnisse schätzt, um schnelle Lösungen sichern zu können, ist das natürlich das Körperteil des Augenblicks - der Kopf ist immer bleiern, schweißtreibend, braucht Geduld, muß per Synapsen Zusammenhänge verbandeln. Kopflastig nennt man das heute - kompliziert, nicht effektiv, zeitraubend, sind die Vorwürfe. Sie sind nicht das, was Bauchmenschen gerne hören und lesen wollen, um ihre Wut im Bauch als gerechtfertigt zu wissen.



4 Kommentare:

deviant 7. September 2012 um 10:50  

Im Grunde hat der Volksmund recht, den Bauch als Entscheidungsinstanz so prominent in die Sprache zu heben - heute gehen einige Forscher davon aus, der Bauch sei so eine Art primitives Zweitgehirn, weil im Darm mehr Nerven zusammenlaufen als irgendwo sonst, abgesehen vom Gehirn selbstverständlich und er entsprechend sensibel ist.

Ganz so, wie bei die Bauchmenschen von der BILD das gern hätten (gerade nochmal zum Thema gegooglet; BILD: "Der Darm ist schlauer als das Gehirn") ist es dann aber auch nicht.

Anonym 7. September 2012 um 10:55  

Heinrich Heine, Kurt Tucholsky, Ton Steine Scherben, Franz-Josef Degenhardt, Georg Schramm etc.

Ich weiß nicht. Welches Organ liegt - für den Deutschen oft wie ein blinder Fleck - zwischen Bauch und Kopf? Der gute progressive Slogan spricht doch eher das Herz an, als den Kopf. Während der Rechte auf die Anregung niederer Instinkte zielt.

Die hier vorgetragene Argumentation scheint mir daher ein Mißverständnis zu sein, weil sie einseitig eine negativ konnotierte emotionale Ansprache nur einer rationalen Argumentationsweise gegenüber stellt, obwohl auch die Progressiven eine lange und lebendige Tradition der pointierten und emotionalen Ausdrucksweise hat. Man nehme nur den "Anonymus" der in der deutschen Geschichte so viele wirklich treffende und eingängige Volkslieder geschaffen hat.

Vielleicht haben wir verlernt, unsere Anliegen mit Leidenschaft zu artikulieren. In diesem Sinne und mit Heinrich Heine:

Im düsteren Auge keine Träne.
Sie sitzen am Laptop und fletschen die Zähne.
Großdeutschland wir weben dein Leichentuch,
wir bloggen hinein den dreifachen Fluch...

Magua

StrangeAI 7. September 2012 um 14:14  

Die Komplexität mit der linke und rechte Positionen vermittelt werden, ist unterschiedlich - auf jeden Fall. Aber deshalb wird weiterhin der Intellekt abgesprochen. Es geht darum zu verstehen. Und einfache Thesen sind einfacher zu verstehen. Und sie sind auch leichter wiederholbar und auch in anderer Form wiederzuerkennen, wenn sie subtil im Deckmantel daherkommen. Trotzdem alles Kopfbotschaften.

Daneben gibt es klare emotionale Botschaften. Hier geht es zum Beispiel um die Stigmatisierung von Arbeitslosen als dumme, faule Säufer. Das dient der emotionalen Rechtfertigung von Sanktionen. Dadurch werden wir entsolidarisiert und unser menschliches Mitgefühl wird untergraben. Das hat der faul Hund nicht verdient.
Aber auch auf dieser Ebene gibt es durchaus linke Botschaften. Wenn wir uns das Bild des arroganten Superreichen anschauen, der mit quasikriminellen Machenschaften und Ausbeutung zu Reichtum gelangt ist. Das ist im Prinzip dieselbe Schiene. Es ist die emotionale Rechtfertigung von Sanktionen. Enteignet den Unmensch!

Wenn wir beides verbinden ist es die Intuition, die daraus unsere Position strickt. Und das ist es wohl, was mit Bauchgefühl gemeint ist. Aber eine Intuition ist nicht frei von Argumenten. Im Gegenteil sie verbindet äußerst effizient alle möglichen Aspekte und schafft es auch klare Entscheidungen zu treffen auf der Grundlage haufenweiser vager Informationen. Eine komplexe Theorie stellt allerdings erhebliche Hindernisse für die Intuition dar. Und das wird zum Fallstrick für die progressiven Ideen. Um hier gleichzuziehen braucht es eigentlich eine neue Vision. Etwas was sich plakativ dem entgegenstellen kann, was Realität ist. Wohin gehen wir als Gesellschaft, als Menschheit? Denn hierauf hat keine der rechten Ansätze eine befriedigende Antwort. Und der aktuelle Kurs führt uns zurück in düstere Zeiten, führt zu einer Gesellschaft in der man nicht leben will, zu einem Planeten auf dem man nicht leben kann.

Anonym 7. September 2012 um 15:24  

“Das Wort ist am Ende, aber es ist kein heldenhaftes Ende. Das Wort ist tot, aber kläglich tot. Nicht vom Tyrannen erschlagen, nicht vom Zensor erwürgt. Als leere Worthülse im Brackwasser der Beliebigkeit untergegangen. Die Polemik ist tot, es lebe die Unterhaltung.”

Georg Schramm

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