Nach den Anthropologischen Tagen

Montag, 13. August 2012

Das olympische Feuer zu London ist ausgeblasen. Der zurückgelassene Medaillenspiegel ist hierbei Abklatsch der europäischen Wirklichkeit; einer chauvinistischen Wirklichkeit, einer stammtischigen Wirklichkeit, wie wir sie als öffentliche Meinung kennen. In der ist es das arbeitsscheue Südeuropa, das nicht nur wirtschaftlich, sondern auch sportlich hintendran ist. Der Chauvinismus, dieses gallige Nebenprodukt einer nordisch-kühlen Politik und ihrer Presseorgane, er schaut nun bestätigt in sein ehrenvolles Spiegelbild, in dieses Medaillenspiegelbild und glaubt sich als Wahrheit. Der Schnorrersüden - Griechenland, Spanien, Italien und Portugal - hat gerade mal 48 Medaillen um den Hals gehängt bekommen. Die Lega Nord jedoch, das sind Deutschland, Frankreich und England, sage und schreibe 142 - hundertzweiundvierzig und die Last der vernünftigen Umstrukturierung Europas zum Schutz vor den unedlen Wilden aus dem Süden; und natürlich baumeln auch Milliardenpakete wie Mühlsteine um den Hals.

St. Louis 1904

Der Chauvinist findet es schon ziemlich treffend, dass diese urwüchsigen, diese bequemen und trägen Völker, denen der moderne Mensch des Nordens ständig finanziell aushelfen muß... findet es als Bestätigung seiner Weltanschauung, dass diese primitiven Ethnien, die sich in Modernität geübt haben, doch darin kläglich scheiterten, so mies gegenüber dem rationalen und nützlichen Mensch des europäischen Nordens abschnitt. Gegen den Menschen der Lega Nord sind die schwächelnden Geblüte des Südens chancenlos. Man sollte ihn aus der Wertung nehmen, diese erfolglosen Menschentypus, ihn nur noch untereinander stümpern lassen. Es braucht für die Reinheit des hohen Sportes vielleicht eine Sezession, eine Abspaltung von den Südstaaten, um der Sklaverei zu entkommen, die sie für den Norden bedeuten - wie nutzlos sie sind, zeigt ja doch auch der Medaillenspiegel. Und wenn sie weiter mit der leistungsstarken Zucht aus dem Norden wettbewerben, dann ist auf Dauer keine Leistungssteigerung, kein Leistungswachstum denkbar. Die Fitten brauchen Fitte, damit sie Höchstleistungen erzielen können, dass sie sich zu neuen Rekorden treiben - messen sie sich mit denen, die zu schwächlich sind auf der Brust, so gewinnen sie zwar, bringen dabei aber nicht die beste Leistung. Das hat Darwin schon so ungefähr erklärt - und de Coubertin, Vater der modernen olympischen Spiele, war ein Knabe von neunzehn Jahren als der in Downe starb.

In den ehemaligen Südstaaten wurde einst, damals 1904 war das, gerade mal 22 Jahre nach Darwins Ableben, noch richtiges, noch seriöses Olympia zelebriert; in St. Louis war die Welt noch anständig konzipiert, denn da durften Moros, Patagonier, Cherokee, Sioux, Ainu und Pygmäen noch gesondert auflaufen. Die wurden seinerzeit zwangsolympisiert, was man dann unter dem aufgeklärten Titel "Anthropologische Tage" aufführte. De Coubertin  machte sich Sorgen, er warnte, dass der schwarze Mann bald den weißen Mann überholen werde - wohl ein Horrorszenario für den Herrenmenschen. Und das ist wirklich so eingetreten, zuletzt eben mit Bolt, der das schöne Konzept vom nordischen Menschen wieder mal zerstörte; ein Konzept, das schon 1936 von Owens in Grund und Boden gerannt wurde. Mittlerweile habe wir uns daran gewöhnt, wir wissen auch, dass eine Disziplin alleine, die allumfassende Überlegenheit der nordischen Bewegung, des Nordic Walking quasi, nicht ausmacht. Man muß alles sehen, einen Blick auf Tabellen oder Medaillenspiegel wagen. Bolt veranschlagte man kürzlich im Ersten übrigens optisch zwischen Strauß, Kamel und Leopard; unter all diese Wesen stand zu lesen, wie schnell sie die 100 Meter laufen - der schwarze Mann zwischen Getier: das war schön kalkuliert unglücklich gewählt. Und man ist froh, dass Bolt kein legendärer Hochspringer ist, sonst wäre er im Ersten unmittelbar neben allerlei Affentypen fotomontiert worden. Jeder hat halt so seine Stellung in der Welt...

Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen

Der Nordeuropäer ist zwar langsamer als der Schwarze, aber er ist im Teamsport so viel besser. Der Nordmensch ist ein Teamplayer, ein soziales Wesen, kann sich unterordnen, dienen, mitreißen und delegieren. Das kann der Schwarze nicht. Der Nordeuropäer ist zwar langsamer als der Schwarze, aber er ist so viel besser als der Südeuropäer. Und so hat sich der Schwarze auch unseren Respekt verdient, er kann ja was. Aber was können die Südeuropäer schon? Sie können nicht wirtschaften, können nicht richtig sporteln, können nur wimmern und schimpfen und von unserem Geld leben! Das muß auf Genetik zurückzuführen sein; dieser Ex-Senator hat das doch schon mal festgestellt in seinem Buch. Dieses südliche Unvermögen gehört vielleicht nicht bestraft, denn dafür kann Südeuropa nichts - aber es gehört doch abgesondert. Raus aus dem Euro - raus aus Europa - raus aus dem Medaillenspiegel und in eine eigene Kategorie rein, in eines wo Faulheit und Jammerei gefragt sind. Das wird man doch noch mal sagen dürfen! Schauen Sie sich doch nur an, was das für Menschen sind. Bekommen den Arsch nicht hoch und reißen ihn sich auf der Aschebahn auch nicht auf. Das zeigt doch, welchen schädlichen Charakter man am Mittelmeer antrifft. Das mediterrane Klima ist nicht gesund für den Menschen, es macht ihn träge und verdorben. Im ewigen Eis des Nordens ist der Nordeuropäer erstarkt - die Welteislehre ist also doch nicht völliger Humbug! Ein modernes Europa kann sich rückständige Völker nicht mehr leisten. Wir sollten Olympia boykottieren, wie weiland 1980 - damals, weil die Russen in Afghanistan einmarschierten, künftig, falls Südeuropäer doch weitere Einmärsche in Olympiastadien planen...

Die spalterischen Fliehkräfte, die Europa auseinandertreiben, werden immer stärker. Es ist nicht nur ein neuer Nationalismus, der sich formiert - es finden sich so viele rassistische Untertöne darin. Die Krise des Euro ist für die Öffentlichkeit keine, die sich ökonomisch erklären läßt, die sich aus Außenhandelsdefiziten der einen und -überschüssen der anderen rekrutiert, sondern einfach nur Ausgeburt charakterlichen Mangels und volkseigener Beschränkungen. Die Krise ist keine des Euro, es ist die Krise, die der Euro mit Völkern hat, die geistig nicht reif sind, mit ihm, mit Geld überhaupt umzugehen. Das ist eine esoterisch verbrämte Rassen-Ökonomie. Die eugenischen Taschenspielertricks, die mancher Autor hierzulande schon vor Jahren als Wissenschaft verkaufte, haben ihren Beitrag dazu geleistet, die Welt nicht als soziologisch erklärbares Milieu, sondern als Kampffeld von genetischen Prozessen zu begreifen. Sie förderten eine Sichtweise, wonach die Welt nicht aus Ursachen und Wirkungen und Folgen entsteht, sondern aus inneren und determinierten Abläufen. Eine solche Weltanschauung begrenzt sich selbst und macht den zukünftigen Weg, den Europa zusammen gehen könnte, zu einem begrenzten, grenzwertigen Ereignis...



5 Kommentare:

Anonym 13. August 2012 um 09:35  

klasse text! richtig zynisch. aber das sind die zeiten ja in denen wir heute sind.

flavo 13. August 2012 um 10:41  

Ein amüsanter Text! Derweilen weile ich österreichischen Landen und lese heute in der Ubahn Zeitung auf den letzten beiden Seiten als Doppelseite: 'Das sind unsere Olympia-Versager'. Ein Nordland in der Krise sozusagen, eine Kehrseite. Darunter sind auf zwei Seiten sämtliche österreichischen Olypioniken samt Foto und erreichtem Ergebnis aufgelistet. Die Alpenstaatler sind letztlich ohne Medaille aus London abgereist. Nun darben sich die Fernsehansager in nicht zurückhaltbarer Beschämung oder allenthalben Bemitleidung aller ihrer befragten Olympioniken samt ihrem organisatorischen Umfeld: wie erklären sie sich das? Ist die Nation etwa insgesamt abgerutscht? Gibt es gröbere, ja strukturelle Defizite im ganzen nationalen Sportsektor? Ein Land im Abwärtsdrall?
Die Schundblätter evozieren: 'Null Medaillen. Wie Tuvalu und Burkina Faso.' 'Für immer hinter Botswana?' Die Bevölkerung des Satellitenstaates des europäischen Molochs BRD, der ebenso exportorientiert zu den Spitzenclubs äähm Siptzenstaaten in Europa zählt, die Bevölkerung wird kollektiv beschämt mit alten kolonialistischen Sinnskripten: Wüstenstaaten und Mininseln voller Wilder und Schürzenträgern sind auf dem Vormarsch. Man ist abgesackt auf das Niveu der Unterentwicklung. Man reaktiviert eine rassistische Kolonialfiktion und löst darin Scham und Angst aus, peitscht von darin heraus den Leisungsdrall an. Die eigene Leistungsüberwachung versagte ja blamabel, man wähnte sich ganz oben und mußte erfahren, dass man ganz unten steht. Ein Revolverblatt argwöhnt: 'Wie im heimischen Sport Geld versickert ...'. Man schaue: man zeiht die Sportfunktionäre dessen, was man sonst nur für die Südländer reserviert hat: die Verschwendung, das Liegen auf der faulen Haut bei gleichzeitigem Abkassieren.
Überhaupt: nun wird der Bevölkerungskörper zum politischen Objekt: es schrillt der Alarm, denn nur 30% der Jugendlichen machen Sport. Der Sportminister fordert, dass er in Zukunft mehr Leistungsdenken wolle, von den Arbeitslosen wohl ebenso wie von den Sportlern und -innen. Ein neuer nationaler Sportchef wurde sogleich ins Auge gefasst und dieser präsentierte auch schon die erste Lösung: mehr Turnunterricht. Der erfolgsverwöhnte Skichef soll Führung ergreifen. Er wisse, wie es geht.
Olympia, das Öl, das alle zwei Jahre in das nie hell genug leuchtende Leistungsfeuer der Nationen gegossen wird, gehört abgeschafft. Es ist Zementierer des Leistungskomplexes, Impfung, Straffung und Stählung einer Welt des igeligen Gegeneinander, des blinden Hineintrainierens oder -arbeitens zum Zwecke des Niederringens des Anderen. Es ist freilwilliger Lernmonat: man lernt, man internalisiert kapitialistische Schein-Leistungsordnung als Antriebsmotor, ihre kognitiven und emotionalen Orientierungssequenzen, die abgegrauende Strahlfläche dieses Sinngewebes wird allzweijährlich neu angestrichen. Man braucht sich nicht wundern über die Stoßrichtung der heutigen Welt. Denn wer von uns hat schon mal mitgemacht an einem einmonatigen Internalisierungskurs in Solidarität? Gewiß niemand. Solidarität, ein Wort, dessen Buchstaben gerade noch zusammenhalten. Und man braucht nicht zu meinen, der Solidaritätskomplex west in der Natur des Menschen und bedarf nicht der Übung und nur des Abbaus des Bösen. Nein, wir haben nicht einmal eine Vorstellung davon, was wir einen Monat lang in Solidaritätsübung denn überhaupt tun könnten. Was täte man da? Unsere physiopsychische Existenz, wie wäre sie in diesem Monat? Nun, Olympia ist nur die Spitze des Eisbergs. Trotzdem gehört es abgeschafft. Die Trauerarbeit wäre wahrlich klein.

Anonym 13. August 2012 um 18:25  

Böse, bitterböse. Aber richtig. CHAPEAU!

stefanbecker 13. August 2012 um 21:08  

da beschreiben sie ein weiters Mal in ihrer besonderen Art, den real existierenden Faschismus.
Wie soll man angesichts dieser Erkenntnis gesund bleiben?
Und lieber Flavo,ich wünschte der Text könnte mich auch amüsieren, dann wäre ich ein zuversichtlicher was die Zukunft angeht.

mann_von_nebenan 16. August 2012 um 13:57  

>Anthropophagische Tage< würde ebenso gut passen – wird das humanistische Menschenbild doch seit Längerem vom Marktfaschismus lebendigen Leibes aufgefressen, längst schon ohne Tischetikette!

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