De auditu

Montag, 11. Juni 2012

Das geht ja mal gar nicht! oder Das geht ja mal überhaupt nicht! - diesen zähen Satz vernimmt mal medial häufig. Kommentiert man eine Haltung, ein Benehmen, eine Ansicht oder eine Form von Anderssein, so kann man diesen Satz in verschiedener Variation hören. Er soll uneingeschränkt zum Ausdruck bringen, dass eben diese Haltung, Ansicht und so weiter, auf keinen Fall Toleranz zu erwarten hat. Das geht ja mal gar nicht! ist der sprachlich ungeschliffene Ausdruck des Mittelschichtsspießers, der alleine seine Weltsicht als Zollstock für seine Umwelt verwendet.

Es handelt sich um eine rigide sprachliche Haltung von Menschen, die sich untertänig an Konventionen klammern und in ihrem Untertanengeist auch noch so anspruchslos sind, ernsthaft zu glauben, es gebe nur dieses eine Modell, nur diese eine Haltung, diese eine Form des geregelten (Zusammen-)Lebens. Anderes Auftreten bei einem Bewerbungsgespräch, unrasiert zu einem wichtigen Termin, Alkoholfahne - das schwant einem schon: Das geht ja alles mal gar nicht! Bezeichnenderweise kramt man diese Floskel bei Sachgebieten hervor, die das Mittelstandsleben tangieren. In politischen Fragen, in ökonomischen Belangen keine Spur davon. Das geht ja mal überhaupt nicht! ist die bürgerliche Sprachausformung aus einer Haltung heraus, die nichts toleriert, nichts anderes gelten läßt, sich selbst als Maß aller Dinge bezeichnet. Das geht ja mal gar nicht! ist bürgerlicher und irgendwo auch westlicher Absolutheitsanspruch in plumper Alltagssprache, erhält keinen Raum für das Andere, für das Fremde.

Man hört es oft im Alltag - auch im Fernsehen, bei Befragungen in Fußgängerzonen beispielsweise, wo es ausreichend Leute gibt, die irgendeinen modischen, semimoralischen oder konsumtiven Auftritt mit diesem Satz bewerten. Das geht ja mal gar nicht! ärgert deshalb, weil es ausschließt, isoliert und bannt. Vornehmlich die, die sich zur bürgerlichen Mittelschicht zugehörig wähnen, "argumentieren" mit dieser inhaltslosen, rein auf Bauchgefühl abzielenden Floskel. Das unterstreicht auch die Inhaltslosigkeit mit der diese Gesellschaftsschicht laviert. Sie baut sich Ansichten nicht mit Argumenten auf, sie mahnt mit dem Zeigefinger und sagt: Das geht ja mal überhaupt nicht! Die schwächelnde Lesekompetenz und der Drang zur schnellen Information und Schlagzeile bewirken auch, dass sachkundige Meinung heute als Das geht ja mal gar nicht! formuliert wird. Dabei sehen sie ganz oft, dass es sehr wohl geht. Phantasie ist deren Gabe nicht und wenn es etwas gibt, was es überhaupt nicht geben soll, dann igeln sie sich in Satzhülsen ein, die nichts zum Ausdruck bringen, außer moralingetränkte Abstraktionen einer Gesellschaft, die in ihren Werten und Normen gleichgeschaltet zu sein hätte.

Die adäquate Antwort auf diese eliminierende Redensart folgt selten. Doch, das geht! wäre eine solche. Es geht sehr wohl sich anders zu geben, anders aufzutreten, anders zu denken und zu handeln. Das geht ja mal überhaupt nicht! ist einem dikatorischen Impuls entsprungen - zerschellt aber unmittelbar, wenn man angemessen kontert. Es ist glücklicherweise nur ein sprachliches Diktat, das jedoch viel über die Geisteshaltung des Benutzers dieser Floskel preisgibt.



17 Kommentare:

Anonym 11. Juni 2012 um 08:41  

.....Das geht ja mal gar nicht! ....

lach der alte Internatsspruch, garniert mit den Feststellungen:

1. ...das ist schon immer so gewesen
2. ... wo kommen wir denn da hin
3. ... da kann ja jeder kommen

Anonym 11. Juni 2012 um 09:49  

Eina prima Betrachtung und Beschreibung eines Mittelstandsbürgers, der brav gelernt hat, sich anzupassen.

Doch das geht - wäre eine mögliche und selbstbewußte Antwort. Eine andere, ironische Antwort wäre:
und somit schließt er messerscharf, was nicht sein kann und was nicht sein darf. - Wobei ich mir nicht sicher bin, ob dies von dem Betreffenden überhaupt verstanden wird.

Buchtipp: Wir Untertanen, Bernt Engelmann

Schönen Gruß
Hartmut

ulli 11. Juni 2012 um 09:53  

Nach meiner Erfahrung verwenden vor allem Leute diesen Satz, die schier endlos von der staatlichen Mittelschichtsförderung profitieren: Seien es die Pendlerpauschale oder das Dienstwagenprivileg (bei Ehepaaren gerne gleich beides), seien es das Ehegattensplitting oder früher mal die Eigenheimzulage. Es gibt noch zahlreiche andere Middle-Class-Subventionen. Was dann angeblich gar nicht geht, sind Einschnitte in die eigenen Privilegien. Häufig schätzen diese Leute auch Sarrazin oder ereifern sich über die faulen Griechen, die umgehend aus dem Euro geschmissen gehörten.

Turandot 11. Juni 2012 um 09:54  

Sehr anregend.Ja,Sprache ist verräterisch Ähnliche „Sprachungetüme“: etwas sei „angesagt“, „in“ oder eben „out“ etc. Kurios bei alledem: Im Zeiten so gern beschworener Individualisierung fühlt man sich bisweilen versetzt in eine vormoderne Dorfgemeinschaft, in der Kirchgang, Kleiderordnung, Teilnahme an einschlägigen „Events“ darüber entscheiden, ob man dazu gehört oder eben nicht.

Dusch-Lampe 11. Juni 2012 um 10:16  

Es gibt aber auch:

"Das ist ja mal voll korrekt Alter" - oder "Das geht ja mal voll"

Leider, wirklich leider bei unserer heutigen Jugend immer mehr auf dem Vormarsch...

Anonym 11. Juni 2012 um 12:04  

Neulich beim Vorstellungsgespräch habe ich meinen Schwanz aus der Hose gezogen und gleich mal eine Gehaltserhöhung gefordert. Diese uneinsichtigen intoleranten Mittelständler haben mir den Job nicht gegeben!

Was ist mit dir, brauchste nicht einen andersdenkenden freien experimentierfreudigen Genossen zur textlichen Unterstützung?

Anonym 11. Juni 2012 um 13:57  

Na, da passt das doch auch wie die Faust aufs Auge.
Wo kämen wir denn auch hin, wenn jeder macht, was er will und dabei doch ständig Gesetze übertritt. Geht ja mal gar nicht ;)
Darum: Wir brauchen Prävention in Form von Überwachung und Strafandrohung für jede dem Untertanen zugetraute Disziplinlosigkeit, damit er sich seiner Rolle als Untertan auch stets bewusst ist, statt Toleranz. :((

http://www.youtube.com/watch?v=wcVRlzP6SQA

Was soll man dazu noch sagen?

Cora

Anonym 11. Juni 2012 um 15:48  

Üblicherweise wird „Das geht ja mal gar nicht“ den Gemeinten gegenüber gar nicht ausgesprochen, sondern erst, wenn diese ausser Hörweite sind. In diesem Punkt hat das Trash-Fernsehen eine – wenn auch präformierte und zugleich präformierende – dokumentarische Qualität.

Daher mensch sowohl im TV wie auch in der Realität oft nicht „angemessen kontern“ kann: Ich kann die missbilligenden Blicke, das sich im letzten Moment doch nicht im Bus neben mich Setzen bloss ignorieren, zumindest wenn es aufgrund der Umstände nur um das simple Aussehen gehen kann, nicht um Verhalten. Oder soll ich mir das sprichwörtliche „Was guckst du?!“ angewöhnen?

Anders sieht die Sache aus, wenn es um „Das geht ja mal gar nicht“ -Verhalten geht, für mich beispielhaft Techno-Musik mit iPod und Kopfhörer produzieren und Zelebrieren im Pendlerzug (wobei der an teure Handys erinnernde iPod erfahrungsgemäss eher toleriert wird als unbekanntes, dafür schwereres Gerät wie Mini-Kaoss-Combo mit Kabelsalat oder Monotribe). Unter 17-jährige lieben es oft sichtlich, neugierig zuzusehen, bei Älteren werden die Blicke noch böser als einfach nur missbilligend. In diesem Fall ist für mich „angemessen kontern“ das ignorierende und stolz geniessende Weitermachen – beinahe lautlos, keinerlei Sitzplatz-Grenzen verletzend, sie verfärben sich beinahe giftgrün und können nichts tun, nichts, nichts…

Erst eine Bekannte brachte mich auf den Gedanken, dass viele Leute so negativ reagieren, weil sie einfach nur neidisch seien, als „Spassneid“ wurde das betrübliche Phänomen im Dokumentarfilm „Zeitgeist Stammheim“ (auch auf YouTube) benannt.

Anonym 11. Juni 2012 um 16:16  

Unangenehmer finde ich die in der gesamten politischen Klasse geltende Sprachformel "Wir brauchen...".
Kein Polittalk ohne die mehrmalige Darreichung dieser Formel.

flavo 11. Juni 2012 um 17:14  

Abdreh- oder Würgargumente. Eine rigid-spröde Existenzstruktur urgierte solche Floskeln oft. Im Grunde ist es eine Schutzreaktion. Was nicht verarbeitet werden kann, das geht schon mal überhaupt nicht.
Weiter betrachtet ist es ein Problem der Existenzschließung. Schließung ist notwendig, entweder endet man sonst in der Psychose oder bei der Wirklichkeit. Die Frage ist, zu welchem Grad. Der Mittelstandsspießer muß mächtige Wünsche zurückhalten. Er muß seine Wünsche nach den Wünschen anderer konzipieren. Seine Impulse muss er abwandeln und in eine innere Schublade legen, die er mit der Zeit absperrt und deren Schlüssel er nach Möglichkeit wegwirft. Das geht eine Zeitlang. Wird er dement, dann frisst die Demenz seine neurologisch materialisierte Schublade auf und die wilden Wünsche stürmen weider hervor. Leider etwas spät.
Die Welt ist nunmal so, dass viele Trickdiebe herumlaufen, die an die Schublade klopfen, die gar interessiert wären daran, was sich drin befindet. Und der Medien gibt es ach so viele. Ein Klang, ein Geruch, eine Stimmlage, ein Ort, eine Szene, ein Tier, ein Deja vu, ein Geschmach, ein Wort, alle diese sinnlichen Medien finden direkt zur Schublade. Der Mittelstandspießer ist ein Kämpfer. Er verteidigt seine Schublade. Oft hilft ihm der Komlize 'man'. Das tut man nicht. Das kann man doch nicht machen.
Oder es geht eben mal überhaupt nicht. Er bevorzugt das überschaubare Sensem. Genormte Durchflüsse. Gleichmäßige Amplituden. Klare Konturen. Isomorphe Strebungen. Damit er all das haben kann, muss er die andere Hälte des Daseins als etwas erleben, das schon mal überhaupt nicht geht.

Anonym 11. Juni 2012 um 19:45  

deutschland wird europameister und sie machen hier alles nur schlecht. das geht ja mal gar nüscht.

pillo 11. Juni 2012 um 22:05  

Das Pendant zu "Das geht ja mal gar nicht!" ist das ebenso gern verwendete "Das kann man so nicht sagen!". Und das, obwohl man es doch gerade eben genau SO gesagt hat. :o)

Nichts ist für den Spießer ärgerlicher, als jemand, der ihm zeigt, dass es auch anders ginge, wenn er nur etwas Mut aufbringen würde. Also bügelt man das Gegenüber lieber in bräsiger Selbstgefälligkeit ab:

- Das geht ja mal gar nicht!
- Das tut man nicht!
- Das gehört sich nicht!
- So etwas sagt man nicht!
- Das kann man so nicht sagen!
usw.

PeWi 12. Juni 2012 um 05:58  

Brillant geschrieben - auf dem ersten Blick. Auf den 2. Blick: Wo ist Ross und Reiter benannt? Zu vage, zu verallgemeinert. Ja, es gibt im zwischenmenschlichen Leben viele Situationen die "überhaupt nicht gehen". Das hat nichts mit Spießer zu tun - ich würde dann gern einer sein wollen - und nichts mit Anpassung. Im weitesten Sinne mit Anpassung schon. Unser menschliches Zusammenleben geht nicht ohne Anpassung. "Es geht überhaupt nicht", wenn wir die Kreise anderer stören. "Es geht überhaupt nicht", wenn Menschen diskriminiert werden, wir selbst andere diskriminierend behandeln, abschätzig über andere Sitten und Bräuche zu sprechen, nur weil wir sie nicht verstehen/verstehen wollen. "Ja, wo kommen wir denn da hin", wenn wir von allen verlangen, sich einem bestimmten Menschenbild anzupassen, egal welches. Auch dieser im Artikel geschilderte Aufschrei ist letztendlich auch "nur" "Das geht ja mal gar nicht", nur eben besser formuliert. Auch Spießer haben ein Recht auf ihre Spießertum. Ich toleriere sie und mache eine Bogen um sie herum. - Es geht auch überhaupt nicht, wenn Pimkie lauthals schreit "I love my Kleid" oder Saturn "So muss Technik". - Es geht auch überhaupt nicht, wenn man Tourist ist und als Frau ohne Kopftuch in eine Moschee geht (ob man das mag oder nicht) oder an einem japanischen Mittagstisch lauthals zu nießt. Es gibt gewisse Umgangsformen, die das Leben miteinander erleichtern, die aber immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden sollten - so wie dass man ab 18:00 Uhr in Deutschland Abendbrot isst und deshalb niemanden mehr stören dürfte. Darüber sollte man lächeln und weise darüberhinweg gehen. Wie über viele andere Dinge. Was der eine als kleinkariert ansieht und spießig, ist für den anderen der Inbegriff des Seins. Warum auch nicht. Ich muss das bei dem anderen nicht lieben. Sich auf das gegenteilige Ross zu setzen und sich jetzt darüber aufzuregen, dass Mensch auch kleinkariert sein kann, oft nur in engen Grenzen denkt, nicht großzügig ist, enge Toleranzgrenzen hat, ist eine andere Art von "Das geht ja mal gar nicht". Ich weiß, dass Sie das nicht in dem von mir geschilderten Sinne gemeint haben, aber das hätte dann dazu gehört, Name und Adresse zu nennen. Eine Gesellschaft funktioniert nie ohne bestimmte Regeln. Mensch ist Herdentier mit individualistischen Zügen, ob wir das wollen oder nicht.

Banana Joe 12. Juni 2012 um 15:15  

1) Preisfrage - "richtig" oder "falsch"?

Toleranz: das geht ja mal gar nicht?!?

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2) Preisfrage - "richtig" oder "falsch"?

Intoleranz: das geht ja mal gar nicht?!?

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3) Noch ein Gedanke: Der Splitter im Auge des Anderen...

...das "geht gar nicht" sagte der Mensch mit dem Balken vor den eigenen Augen.

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4) Mögliches Fazit

Die Melodie ändert sich im Laufe der Zeit, doch etwas bleibt: das Thema ist offenbar so alt wie die Geschichte der Menschheit.

Schlemil 12. Juni 2012 um 21:07  

Danke PeWi - der klügste Beitrag zu dem ganzen Thema (den Artikel selbst einbezogen).

Der Aufschrei der Linke gerade über Gauck kennt ja nichts anderes als "das geht ja mal gar nicht". Gerade heute wieder:

Gauck hatte am Mittag beim Besuch der Führungsakademie der Bundeswehr gesagt, "dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glücksüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen". Er rief die Deutschen zu größerer Offenheit für Auslandseinsätze der Bundeswehr auf und bemängelte zugleich eine gewisse Ignoranz der Bürger gegenüber den Streitkräften. Der Präsident sprach in Hamburg auch davon, dass Gewalt "notwendig und sinnvoll sein kann, um ihrerseits Gewalt zu überwinden oder zu unterbinden".

Anonym 15. April 2014 um 11:10  

"Bezeichnenderweise kramt man diese Floskel bei Sachgebieten hervor, die das Mittelstandsleben tangieren. In politischen Fragen, in ökonomischen Belangen keine Spur davon." (Soviel: 2012)

Update 2014:
Oh doch! - Seit dem letzten "Habemus Merkel!" haben wir es in der Politik gesichtet: Abhören der Kanzlerin? "Das geht gar nicht!" Also angekommen - das Maul des Wahlvolks.

Anonym 15. April 2014 um 11:16  

"Bezeichnenderweise kramt man diese Floskel bei Sachgebieten hervor, die das Mittelstandsleben tangieren. In politischen Fragen, in ökonomischen Belangen keine Spur davon." (Soviel: 2012)

Update 2014:
Oh doch! - Seit dem letzten "Habemus Merkel!" haben wir es in der Politik gesichtet: Abhören der Kanzlerin? "Das geht gar nicht!" Also angekommen - das Maul des Wahlvolks.

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