Tiefer, Langsamer, Näher!

Mittwoch, 23. November 2011

Das Dilemma der kapitalistischen Wirtschaft ist, dass die Welt nicht endlos ist. Die Kugelform macht Abgeschlossenheit. Unendliche Weiten: Fehlanzeige! Ein Wirtschaftssystem, das auf Wachstum Wohlstandsgedanken gründet, kommt spätestens dann in die Bredouille, wenn es nur noch wenig Platz zum Anwachsen gibt. Fortschritt kann es am Schlagbaum der Endlichkeit nicht geben. Hie und da gibt es noch zu erobernde Märkte. Beispielsweise soll jeder Chinese mit einem Auto ausgestattet werden. Da ist Wachstumspotenzial geboten. Da kann sich Höher, Schneller, Weiter!, dieses Motto des kapitalistischen Fortschritts, doch noch behaupten.

Wachstum benötigt Platz. Der ist aber nicht gegeben. Höher, Schneller, Weiter! ist damit ein Schlachtruf, den sich eine leistungsfähige Wirtschaft der Zukunft nicht auf die Fahnen schreiben kann. Die Enge des Planeten macht, dass umgedacht werden muß. Man muß sich mit der Endlichkeit bescheiden. Etwas mehr Bescheidenheit als Motto! Lebensqualität erhalten und steigern, dennoch dem entfesselten "Immer mehr" den Rücken kehren.

Tiefer!

Der Fortschritt durch Wachstum hat die Lebensqualität vieler Menschen nachhaltig zerstört. Verkehrslärm wird als erträglich im Angesicht des Fortschritts abgetan. Dadurch auftretende Krankheiten als Randerscheinung diffamiert. Immer höher hinaus wollten wir als Gesellschaft. Eine Flugreise als Massenartikel - Landebahnen hierzu; Straßenausbau zur höheren Mobilität. Wachstumsimpulse schaffen, damit mehr Kraftfahrzeuge gekauft werden. Europas Straßen, gerade in diesen mitteleuropäischen Gefilden, sind verstopft - und trotzdem Kauft mehr Autos! Die Umweltbelastung ist außerordentlich - aber kauft Autos! Das Erdöl geht zur Neige - doch eilt zum Autohändler, holt euch Verbrennungsmotoren!

Möglich, dass globale Mobilität auch ohne beträchtliche Umweltbelastungen wirklich werden kann. Wird die Hektik, der Lärm, das enge Gewusel auf den Straßen verschwinden? Werden die monotonen Straßenlindwürmer weniger? Kommt ein wenig Lebensqualität zurück, wenn das Erdöl durch Sonnenkraft ersetzt wird? Oder ist auch dann der Mensch für die Wirtschaft da? Lärmt es hienieden dann nicht trotzdem? Nur dann eben umweltschonender? Nur wer schont den Mensch? Sollte eine Wirtschaft, die die Menschen versorgt und sie nicht quält, nicht tiefer ansetzen, anstatt höher hinauszuwollen?

Langsamer!

Vieles scheint sich zu wandeln. Kein Atomstrom mehr, dafür erneuerbare Energien. Überhaupt müsse Wirtschaften heute bedeuten, dass man nachhaltig kalkuliert. Wirtschaft im Einklang mit Natur oder Schöpfung, wie es gläubige Menschen nennen. Nur die Zeit, sie soll nicht reformiert werden. Das heißt, dass es keine Zeit mehr gibt, weil keiner mehr Zeit hat, das gilt auch in einer zukünftig erdachten Welt als unabwendbar. Der Fortschritt trieb uns an. Schneller, immer schneller! Und wir trieben uns irgendwann selbst an. Schneller, immer schneller. Time-Management! Der Tag als tabellarisch geführter Stundenplan.

Der Wachstumsdrang trieb uns zur Eile. Wir mussten mehr wachsen als andere. Schnell, schnell, bevor sich andere dort ausbreiten und für uns kein Platz mehr ist. Nun formt sich der Kapitalismus in vollendete Ausbreitung. Wohin soll er noch wachsen? Welche Ressourcen nehmen, um sie an welche Konsumenten verteilen? Die letzten Märkte sind mehr oder minder auch bald gesättigt, wenn man sie überhaupt füttern will. Wozu noch die Eile? Warum noch immer Schneller!, wenn es nun auch langsamer gehen könnte? Bedächtigkeit als ökonomisches Prinzip. Nicht mehr so viel Unternehmen - einfach mal Unterlassen.

Näher!

Ein ruhigeres, bedächtigeres und bescheideneres Wirtschaftssystem, das nur unbescheiden ist bei dem Ziel, den Menschen zu dienen, es benötigt weniger globale Verästelungen. Regionale Kooperationen sind zu leisten imstande, was Lebensqualität zeitigt. Globale Irrfahrten von Gütern sind ineffizient. Alles schweift in die Ferne. Die Wachstumswirtschaft baut für die Ferne Pipelines und Landebahnen und schickt dorthin Soldaten. Wie unabhängig ist eine Wirtschaft, die sich von den Ressourcen ferner Länder abhängig macht? Die Kriege führen muß, um so wie sie ist, überleben zu können?

Zeugt es von uneingeschränkter Lebensqualität, wenn wir Fluggelegenheiten installieren und noch weiter ausbauen, um die Ferne zu erobern, jedoch das Umland der eigenen Stadt nicht kennen? Ist das Lebensqualität, wenn uns das Wachstumsdiktat nötigt, junge Menschen in Uniformen zu pressen, damit sie uns Ressourcen und damit ein wenig Wachstum sichern können? Wäre eine Wirtschaft nicht dann näher am Menschen, wenn sie das Weiter! durch Näher! ersetzt?



12 Kommentare:

Anonym 23. November 2011 um 08:07  

Es gibt kein Menschenrecht auf ein Auto!

Harald Welzer, Sozialwissenschaftler schreibt dazu unter anderem:

"Das gefühlte Menschenrecht auf einen Lebensstandard, der vier Urlaubsreisen pro Jahr, drei Autos pro Familie und das tägliche Wegwerfen von Nahrungsmitteln in aller Selbstverständlichkeit voraussetzt, hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 jedenfalls nicht im Sinn, als sie Artikel 25 verabschiedete. Tatsächlich besteht das "Höchstmaß an Opferbereitschaft" unter Deutschlands Eliten heute wohl vor allem darin, bis zu zwölf Monate auf die Auslieferung des bestellten Porsche Cayenne warten zu müssen.

Weil sie alle diese Kampfwagen gegen das Weltklima fahren wollen. Nicht nur die umweltmäßig eher unmusikalischen Chinesen, sondern vor allem die Deutschen, die schon letztes Jahr 20 Prozent mehr SUVs kauften als 2009, um damit durch die deutschen Innenstädte zu pflügen und Kindern und Radfahrern Angst zu machen. Damit leisteten die Konsumbürger dieses Typs einen wesentlichen Beitrag dazu, dass das Jahr 2010 einen weitgehend unbeachteten Rekord zu verzeichnen hatte: Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte wurde nämlich mehr Energie verbraucht. Um 5,6 Prozent stieg der globale Energiekonsum an; die damit einhergehenden klimarelevanten Emissionen sogar um 5,8 Prozent.

Energiewende? Das kann man so nicht sagen. Trotz Kyoto, Kopenhagen und Cancún erhöhen sich Energieverbrauch und Emissionen jedes Jahr. Kurzzeitig unterbrochen nur durch die Weltwirtschaftskrise ist eine kontinuierliche Beschleunigung im Abbau von Ressourcen und in der Zerstörung des Planeten und seiner Atmosphäre zu verzeichnen. Allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen nahezu verdoppelt, und für die nächste Verdoppelung wird es nur noch ein Jahrzehnt brauchen, falls der Energiehunger der Industrie- und Schwellenländer weiterhin so schnell wächst wie im Augenblick.

Und wenn man davon spricht, dass die Leitkultur des Verbrauchs und der Verschwendung, der die westlich geprägten Industrieländer frönen, zurückgeführt werden müsse auf ein überlebensverträgliches Maß, kriegt man zu hören, man könne doch den nachrückenden Gesellschaften nicht den Lebensstandard verwehren, den man für sich selbst in Anspruch nehme.

.......und weil die immer wiederholte Behauptung, alle wollten so sein wie wir, nichts anderes ist als eine psychologisch leicht durchschaubare Legitimation unseres idiotischen Lebensstils: Wenn alle das nachmachen, muss es richtig sein, auch wenn die Zukunft dabei draufgeht."

christophe 23. November 2011 um 09:38  

Nun wird auch klar, warum so verzweifelt nach außerirdischem Leben gesucht wird: Es gilt, neue Märkte zu erschließen...

Lutz Hausstein 23. November 2011 um 10:02  

Dass dieses "schneller, höher, weiter" unser aller Leben immer mehr zerstört, nehmen die wenigsten bewusst wahr. Dabei leiden sogar schon die Kinder enorm darunter.

Als ich gestern mit einem Bekannten telefonierte, erzählte er, wie seine Tochter (5. Klasse!) im Gymnasium zu pauken habe. Nach dem Unterricht bis ca. 13-14 Uhr, einen knappen Stunde Heimfahrt und einer kurzen Erholungsphase muss sie jeden Tag umfangreiche Hausaufgaben erledigen. Dabei hat sie jeden Wochentag zwischen 1 und 3 Stunden satt zu tun, sodass sie von 16 bis 17/19 Uhr damit beschäftigt ist und häufig gleich danach erschöpft ins Bett fällt.

Dies hat doch nicht das Geringste mehr mit Kindheit zu tun! Unsereiner hat nach Ende des Unterrichts sofort den Ranzen in die Ecke geknallt und ist bis zum Dunkelwerden mit den Freunden unterwegs gewesen. Anschließend hat man (manchmal zumindest ;-) ) die viertel oder halbe Stunde Hausaufgaben gemacht.

So werden jedoch die Kinder schon von klein auf zu Arbeitsrobotern herangezüchtet, deren einziger Lebensinhalt darin besteht, zu arbeiten, zu arbeiten, zu arbeiten. Ist dies wirklich das, was wir unseren Kindern als Sinn ihres Lebens eintrichtern wollen?

Weniger (Stress) ist mehr (Leben)!

Neufundländer 23. November 2011 um 10:48  

Sie blasen in das gleiche Horn wie diejenigen, die in den '80ern das Ende der "Umwelt" kurz bevorstehen sahen.
Auf Ihr Szenario wird man vielleicht in 100 Jahren zurückkommen, aber solange ein Großteil des Planeten noch unbesiedelt und unbeackert ist, ist das doch etwas verfrüht.
Man wird noch Jahrzehnte genug Zeit haben, vom Wachstum langsam abzukehren.
Durch die Klimaerwärmung erschließen sich ja erst noch neue Regionen zur Besiedelung durch den Menschen, die viel größer sind als die Regionen, die unbesiedelbar werden - Beispiel Sibirien.

Ingram 23. November 2011 um 11:10  

Tja... Längst sind zwei Drittel des jährlichen Etats in Deutschland gesetzlich festgeschrieben: 176 Milliarden für Soziales inklusive Rente (Zuschuss 80 Milliarden). Zweitgrößter Haushaltsposten sind die Zinsen (45 Milliarden) zur Bedienung der rund 2 Billionen Euro Staatsschulden. Bleiben rund 130 Milliarden, die überhaupt nur verfügbar und disponibel sind. Seriöse Haushaltspolitik in Deutschland wie im Rest Europas müsste im Grunde alles wegstreichen, was über den erwarteten Einnahmen liegt. In diesem Jahr circa 25 Milliarden Euro. Das tut aber niemand.
Plädoyer?

Hartmut 23. November 2011 um 11:14  

Sehr schöner Artikel - herzlichen Dank dafür !

Tiefer, langsamer, näher sind drei Eigenschaften, die im Bewußtsein der Menschen negativ besetzt sind. - Hingegen sind schneller, höher, weiter, eigentlich seit der Antike, leider positiv besetzt.

Und hier denke ich,müßte eine "Umpolung" ansetzen.

Ein Bsp.: die Zeit betreffend, schnell bedeutet gut - langsam ist schlecht !

Die meisten der Kulturen, bevor sie untergingen hatten ein gemeinsames Symtom: Gigantomanie !
Ich glaube, das trifft für die jetzige Kultur besonders zu.

Noch ein Bsp. zum Wachstum:
aus der Medizin wissen wir, das unbegrenztes Wachstum mit dem Tod endet - man nennt es Krebs. - Wie sollte es da in der Wirtschaft anders verlaufen ???

Meine Empfehlung zum Thema:

Die Kreativität der Langsamkeit,
Fritz Reheis

Gruß
Hartmut

Anonym 23. November 2011 um 12:48  

Danke, der Artikel spricht mir aus dem Herzen! Ich fürchte, dass aber nicht nur das Wirtschaftssytem zu diesem "immer Mehr und immer Schneller" führt, sondern dass es nur das - für die meisten vermutlich unbewusste - Verhaltensmuster "Ich hab noch nicht genug! Ich brauch mehr! Mir läuft die Zeit davon!" widerspiegelt.

Schon als Kinder werden wir gründlich verdroben, damit wir später mal gute Rädchen im Getriebe abgeben (angpasste, fleißige, manipulierbare Hamster, die von sich aus brav laufen und gern noch eine Extrarunde drehen für eine geheucheltes Lob des Chefs). "Wer rastet, rostet! Zeit ist Geld! Erst Arbeit, dann das Vergnügen!" - diese famosen Weisheiten unserer Eltern und Lehrer (und deren Eltern und Lehrer), zusammen mit einem bewusst forciertem immer währendem Konkurenzkampf schon im Kindesalter führen dazu, dass kaum noch ein Mensch ruhen kann - im wahrsten Sinn des Wortes - das Nervensystem ist so aufgeputscht und im Dauerstress (auch tief verinnerlichten Gefühl des nicht Gut-Genug-Seins), dass es nicht mehr zu einem langsamen Ruhezustand findet. Dass sich die Meschen nach Ruhe und Einkehr sehnen, ist zwar vermutlich die tiefere Wahrheit (das Nervernsystem wünscht sich das sehr), aber für die meisten eher beängstigend (weil sie nicht mehr wissen, wie das geht). Nicht mal im Urlaub können wir ruhen, sondern müssen uns in Daueraktivitäten stürzen, dürfen wir keinen Zeit verlieren.

Zeit ist Geld (eine Lüge)! Und Geld ist nicht Zeit! Das merken viele erst, wenn die Zeit abzulaufen droht und auch das viele Geld auf der Bank mir nicht mehr Zeit geben wird.

Und die Gier nach mehr (nach Erfüllung in der Zukunft - wenn ich mehr Besitz, mehr Ansehen, mehr Erfolg habe) fällt nicht so leicht weg, sondern erst, wenn man erkennt, dass man einer Lüge, einem Phantom nachläuft. Wie beim Esel, dem man eine Karotte an einer Schnur hinhält.

Wie viel braucht ein Mensch, um glücklich zu sein? Haben Millionäre genug (nicht von außen betrachtet, sondern in ihrer eigenen Wahrnehmung - ein reichen, erfüllten Lebens - ein Leben im Überfluss, das ohne Angst gibt und sich an nichts festklammert)? Oder muss man immer noch mehr haben (vielleicht müssen erst Milliarden her, dann wird es reichen)?

Oder muss ich der Beste werden (wie verrückt, aber das wird uns allen eingepflanzt), egal auf welchem Gebiet - immer der Beste? Dabei ist es so schön, mittelmäßig zu sein, faul zu sein, Spaß zu haben, zu Spielen, einfach zu leben. Aber das wird uns mit aller Gewalt abtrainiert (kleine Kinder wissen es noch)!

Ich fürchte, dass diese Muster und ihr Wahnsinn müssen erst auf breiterer Front erkannt werden müssten, damit sich auch an der Ausbeutung der Welt wirklich was änderen kann.

André 23. November 2011 um 13:00  

Sehr schöner Artikel, der nachdenklich macht.
Entschleunigung versus Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
Décroissance versus Exportweltmeister.

Anonym 23. November 2011 um 13:10  

Der "frühe Vogel" kann mich mal......

Hartmut 23. November 2011 um 13:21  

Noch ein Nachtrag:

Zitat von Volker Pispers:
Auf dem Grabstein des Kapitalismus wird stehen:

"Zuviel war nicht genug !"

Trojanerin 23. November 2011 um 22:30  

Kann es ein ruhigeres, bescheideneres Wirtschaftssystem geben? Woran misst man das? Entschleunigung im Alltag ist gut und ich sehne mich danach und bin froh, dass ich das (nicht immer) einigermaßen hinbekomme.

Es wird ja immer wieder auf die Umweltbelastung durch Autos und die Begrenztheit der Ressource Erdöl hingewiesen. Wenn viele chinesische und indische Menschen sich ein Auto kaufen, dann ist das eine Gefährdung des Weltklimas. Natürlich wird das Klima dadurch gefährdet, aber es wird mit zweierlei Maß gemessen. Wenn die Deutschen sich einen Zweit- und Drittwagen leisten ist das in Ordnung, aber wenn die Inder sich aufmachen, sich Autos anzuschaffen, dann ist das klimaschädlich.
„Welche Ressourcen nehmen um sie an welche Konsumenten zu verteilen?“

Ich glaube nicht an eine Einsichtsfähigkeit. Vielmehr glaube ich, dass die Verteilungskämpfe noch viel schlimmer werden.
Wenn die Frage schon steht, an welche Konsumenten verteilt werden soll, dann haben diejenigen, die sich nicht als Konsumenten eignen, ganz schlechte Karten.
Und genau darum geht es. Wie würdevoll gehen wir mit denjenigen Menschen um, di aus welchen Gründen auch immer, im Verteilungskampf nicht mithalten können.

Anonym 30. November 2011 um 13:39  

Wie bei fast jedem Artikel:
Ich verstehe, was du nicht willst, aber ich verstehe nicht, was du willst.

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