Welcher Verfassung treu ergeben?

Freitag, 7. Oktober 2011

Die deutsche Einheit ist unvollendet, gab die Linke am dazugehörigen Feiertag zu Protokoll. Soziale Diskrepanzen zwischen Ost und West sahen sie - zurecht! - kritisch. Diese zu beseitigen, die Mauer in den Köpfen einzureißen, das sei wesentliche Vorbedingung, um die Einheit auch als feiernswert einzustufen. Synchron zur Linken, die die soziale Schieflage ankreidet, rissen ebenfalls die Christsozialen ihren Mund auf. Für sie ist der Tag der deutschen Einheit der Tag, an dem man die Linken verprügelt. Die sei nämlich verfassungswidrig und müsse dringend beobachtet werden, bevor man zum Parteiverbot schreitet.

Verfassungswidrig also! Die Linke, die der sozialen Frage auch am Einheitstag gewahr wird, ist verfassungswidrig. Da entblättern sich die Christsozialen aber mutig. Die Janker- und Trachtenhemd-Partei zeigt ganz ungeniert, wes Geistlosigkeit Kind sie ist. Wer nämlich Soziales zur Diskussion stellt, der ist verfassungsfeindlich. Gleiche Löhne, gleiche Lebensbedingungen - das ist gegen die Verfassung! Faire Löhne gar, faire Lebensbedingungen als Steigerung zur bloßen Gleichheit - das ist kommunistisch und arg verfassungsfeindlich!

Welche Verfassung ist denn eigentlich gemeint? Die, die Ackermann und Freunde dieser Republik verordnet haben? Davon muß man ausgehen. Denn gegen die Verfassung, sprich: gegen das Grundgesetz, ist es nicht, wenn man sozialen Ausgleich einfordert. Aber gegen die Verfassung der neoliberalen Verfassungsväter und -mütter ist es sehr wohl, soziale Unkosten und Profithemmnisse zu verlangen. Es spricht gegen die marktradikale Verfassung, gleiche Löhne zu wollen - das wäre nämlich ein Eingriff in den Markt, damit ein Eingriff in die Freiheit. Und die Freiheit ist es doch, die der Westen den Ostdeutschen brachte. Wo ist der Dank? Stattdessen verfassungsfeindliche Tendenzen und Reden!

In der Präambel der Verfassung, entworfen von den Henkels, Ackermännern und Grubens, liest es sich so: Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor den Aktionären, hat sich das Deutsche Volk, weil wir ihm keine andere Wahl ließen, unsere Verfassung gegeben. Und weiter unten heißt es: Sie (die Verfassung) zu schützen und zu ehren, ist die Aufgabe der politischen Parteien. Diese sind für die politische Willensbildung zuständig, in der wir sie vorher instruieren. Das ist die eigentliche Verfassung, die dem Grundgesetz übergestülpt wurde. Die Beißreflexe der Christsozialen sind nur Ausdruck dieser speziellen Verfassungstreue. Landesrecht ordnet sich Bundesrecht ordnet sich dem Grundgesetz ordnet sich der Verfassung der marktradikalen Ultras unter. Auf die Hierarchie kommt es an. Die Linke kennt diese scheinbar nicht, weswegen sie ausgesprochene Feinde der einzig wirklichen, einzig amtierenden Verfassung sind.

Stets, wenn man die Linke mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden nicht dem Sinne des Grundgesetzes entsprechen, spricht man von Verfassungsfeindlichkeit. Nicht Grundgesetz-Feindlichkeit. Man wirft ihnen vor, nicht pro Verfassung zu sein - dass sie gegen das Grundgesetz wären, sagt man nicht. Ungesagt bescheinigt man der Linken damit vielleicht, dass sie nicht gegen das Grundgesetz sei - wohl aber gegen die Verfassung, die die Wirtschaft der Politik unter die Nase gejubelt hat. Das ist das Kuriose am Neoliberalismus: er bedient sich einer Sprache, die der Lüge dient - und wenn er gut hörbar verschweigt, dann ist es häufig die Wahrheit, die offenbar wird.



15 Kommentare:

Ralf Stiegler 7. Oktober 2011 um 09:48  

"Ich glaube an die Deutsche Bank, denn die zahlt aus in bar, uh"

(Marius Müller Westernhagen)

ericool 7. Oktober 2011 um 09:50  

"Die Janker- und Trachtenhemd-Partei zeigt ganz ungeniert, wes Geistlosigkeit Kind sie ist." Das sitzt, Roberto! :-)

Die alte Keule "vaterlandslose Gesellen" funktioniert eben immer noch, egal, was draufsteht. Traurig nur, daß die Rückgratlosen (und/oder Karrieristen) innerhalb der Linken wie von jeher auch die SPD beim Schwingen besagter Keule anspringen wie ein Moped.

Der Prügel, der zur staatstragenden Partei erziehen soll...

DD 7. Oktober 2011 um 10:10  

Die Linke steht ja nicht nur für Soziales - wo ist denn die Quelle, dass die CSU die Linke ausgerechnet wegen ihrer Sozialpolitik für verfassungsfeindlich hält, wie es im Artikel steht? Könnte es nicht sein, dass andere Politikfelder gemeint sind?

ad sinistram 7. Oktober 2011 um 10:25  

In den üblichen Medien war innerhalb eines Artikels beides nachzulesen - dort hat man verbunden, was inhaltlich zusammengehört. Wahr bleibt auch, dass die CSU keine teilweise Kritik übt, sondern die Linke gesamt diskreditiert. D.h.: auch das Soziale wird mit angegriffen. Ist auch wenig verwunderlich. Dobrindt äußerte sich schon öfter, dass das alles sozialromantischer Kitsch ist - die CSU, wie auch die anderen, sie greifen doch die Linke nicht deswegen an, weil sie nicht mitmacht in ihrem BRD-ismus. Es geht um die sozialen Aspekte, die in der Linken noch zu erkennen sind und von denen sich die anderen Parteien zunehmend verabschiedet haben.

Anonym 7. Oktober 2011 um 11:07  

"[...]Das ist das Kuriose am Neoliberalismus: er bedient sich einer Sprache, die der Lüge dient - und wenn er gut hörbar verschweigt, dann ist es häufig die Wahrheit, die offenbar wird[...]"

Genau ins Schwarze getroffen, die neoliberalen Ideologen lügen ja schon seit 30 Jahren - angefangen mit der Lüge, dass der Neoliberalismus keine Ideologie ist ;-)

Übrigens ich machte schon 2004 die Erfahrung, in einer Gaststätte, als jemand am Nachbartisch zurechtgewiesen wurde, weil er sich anhören würde wie "ein Prediger".

Sprachfetzenweise bekam ich mit, dass es im die neoliberale Wirtschaft ging, und der Mann war eben ein Priester dieser neuen weltlichen Religion, die Gegner wahlweise, schon damals, ohne jegliche Begründung, als "Sozialisten" "Kommunisten" oder "Nazis" abstempeln wollte.

Noch so eine Lüge, die sogar von neoliberalen Historikern, wie z.B. Götz Aly in Deutschland oder Robert Gellately im angelsächsischen Sprachraum unters Volk gebracht wird, via Geschichtsfälschung: Neoliberalismusgegner sind allesamt Faschisten ebenso wie Sozialstaatsbefürworter und Keynesianer....

Gruß
Bernie

DD 7. Oktober 2011 um 12:05  

Das Riesenproblem ist doch, dass man im ganzen Artikel statt Linke auch NPD einsetzen könnte, die seit längerem mit Betonung des Sozialen zu punkten sucht.
Als gewitzter NPD-Stratege könnte man den Artikel in dieser Umformung direkt übernehmen.
Wer will eigentlich Abstraktionen der Berliner Verhältnisse (mit den Regierungsanteilen der Linke) in anderen Teilen der Republik, frage ich mal in die Runde?

ad sinistram 7. Oktober 2011 um 12:19  

Was daran das Riesenproblem ist, weiß ich nicht - was hat das mit der NPD denn hier, auf den Text gemünzt, zu suchen?

Der gewitzte NPD-Stratege könnte das tun - der gewitzte Verfasser würde gewitzt das geistige Eigentum, das Grundlage war, beanstanden.

Die rhetorische Frage zum Ende hin, wer etwas wo möchte, lasse ich mal so stehen. Ich frage mich indes nur, wohin die Rhetorik führen soll... Nachtigall und so...

Anonym 7. Oktober 2011 um 12:38  

@Roberto J. de Lapuente

Seh ich genauso

"[...]Ich frage mich indes nur, wohin die Rhetorik führen soll... Nachtigall und so...[...]"

...paßt doch genau zu meinem Hinweis darauf, dass für Neoliberale, die in meinen Augen die wahren Neuen Rechten sind, alle Neoliberalismusgegner eben Rechtsextremisten sind....

Soll heißen:

Die schließen von sich selbst (Neoliberale = Neue Rechte) auf andere (Linke = Nazis)....

Es soll aber nicht geleugnet werden, dass die NPD die Strasser-Strategie führt, d.h. man !verkauft sich! als "wohlfahrtsstaatlich" und "sozialstaatsbefürwortend".

Wer ein wenig im Geschichtsunterricht - über die Weimarer Republik und deren Gegner - aufgepaßt hat, der weiß dass diese Strategie der echten (Neo-)Nazis in Wahrheit uralt ist.

Spätestens ab dem sogenannten Röhm-Putsch wußte man, dass die soziale Ausrichtung der NSDAP eine Lüge war, ebenso wie die heutige NPD darauf setzt, dass hier einige im Geschichtsunterricht gepennt haben, oder noch schlimmer die Strategie der neoliberal-rechten Volksverdummung Früchte trägt, und dies keiner mehr weiß.

...so jetzt geh ich Mittagspause machen....

Amüsierte Grüße
Bernie

Hartmut 7. Oktober 2011 um 13:55  

Wie immer guter Artikel.

Was müssen das nur für ungeistige,
minderbemittelte Unmenschen sein, die ihren gesamten Hass und Frust auf arme, kranke und behinderte Menschen projezieren? Und dann noch auf so hinterfotzige, wiederliche Art und Weise indem sie die Menschen, die diesen sozial ausgegrenzten Menschen beistehen und helfen wollen, diffamieren und verprügeln.

Solchen Unmenschen wünsche ich, nichts weiter, als dass sie in Notlagen kommen, wo sie nach Hilfe schreien und betteln.

Meine ernsthafte Frage hierzu,
gibt es noch so etwas, wie ein
soziales Gewissen ?
(Dieser Blog und einige andere Blogs ausgenommen)

Mit recht trüben und zornigen
Gedanken aber nicht ohne Hoffnung

Gruß von

Hartmut

Anonym 7. Oktober 2011 um 16:47  

@DD (12:05) Uhr

"Das Riesenproblem ist doch, dass man im ganzen Artikel statt Linke auch NPD einsetzen könnte, die seit längerem mit Betonung des Sozialen zu punkten sucht.
Als gewitzter NPD-Stratege könnte man den Artikel in dieser Umformung direkt übernehmen." Zitatende

Na und? Hitler war Nichtraucher - muss ich jetzt das Qualmen anfangen?

Die NPD und die Linke zu vergleichen ist an Hohlheit und auch Bösartigkeit nicht zu überbieten. Der Internationalismus der Linken und der Nationalismus der Rechten - wie soll das zusammengehen? Der Pazifismus der Linken und der Militarismus der Rechten? Ja wie denn?

Die Linkspartei ist die einzige Partei im Bundestag, die das Grundgesetz ernst nimmt und auch immer wieder verteidigt gegen Angriffe durch die neoliberalen Einheitsparteien. Die CSU ist ein schlechter Scherz!

Dazu passend folgendes Zitat von Franz Josef Degenhardt: "Was zitieren Sie eigentlich ständig das Grundgesetz? Sind Sie etwa ein Kommunist?"

Weber Johann 7. Oktober 2011 um 21:21  

Warum spricht niemand an, dass die CSU dem Grundgesetz nicht zugestimmt hat. Kann dann eigentlich eine solche Partei anderen Parteien vorwerfen, sie seihen gegen die Verfassung.

Frank Benedikt 8. Oktober 2011 um 06:29  

Welche "Verfassung", Robbie? Die, über die wir nie abstimmen durften?
Auch da gilt m.E.: "Es ist genug!"
Keine(n) von uns hat man je gefragt. Zeit für Demokratie!

Liebe Grüße
Frank

Granado 8. Oktober 2011 um 14:36  

"...hat sich das Deutsche Volk, weil wir ihm keine andere Wahl ließen, unsere Verfassung gegeben."
Muss heißen: "... unserer Verfassung ergeben."
Übrigens wurden damals die Berufsverbote nicht begründet, gegen das Grundgesetz zu stehen, sondern nicht auf dem Boden der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" - was immer das sein sollte.

Anonym 8. Oktober 2011 um 15:02  

@Frank Benedikt

Ich bin geneigt dir Recht zu geben, aber leider wird die Tatsache, dass wir immer noch keine legalisierte Verfassung, außer dem Grundgesetz, haben, auch in Kreisen der Neuen Rechten - zu denen wir hier nicht zählen - gerne als Argument genommen, um gegen die heutige "Demokratie" zu hetzen. Ebenso wie die unglaubliche Tatsache, dass es zwischen den ehemaligen Allierten des II. Weltkrieges und Deutschland immer noch "keinen Friedensvertrag" gibt.

Den Neurechten sollten wir nicht noch Mühlen auf ihre rechtsextreme Agitation liefern, lieber Frank Benedikt.

Anton Chigurh 8. Oktober 2011 um 23:09  

CSU - und das hier ist der Witz in Tüten, hat mit christlichem Menschenbild, und das was es verkörpert, nun mal GAR NICHTS zu tun. Das Gelumpe ist weder christlich, noch sozial und eine Union ist das - wie vielfach bewiesen - schon lange nicht.
Man muss gar nicht alle die Sträuße, Streibls, Wiesheus, Pfahls, Hubers, Hohlmeiers, Becksteins heranziehen um zu belegen, was das für eine kriminelle Meute ist, die sich da als Hüter des Grundgesetzes aufspielen will. Kaum ein Monat ohne einen skandalösen Auswurf von einem CSU-Kasper, der nicht mit der Verfassung kollidieren würde. CSU - sind das nicht die Gesellen, die mit der Partei verbunden sind, die einen Kanzleramtsminister beschäftigt, den man "mit so einem Scheiß wie dem Grundgesetz in Ruhe lassen soll" ?
Wenn hier jemand vom Verfassungsschutz beobachtet werden muss, ist das zweifellos das nationaltümelnde Gesindel aus dem "Freistaat" Bayern.
Ein konstruktiver Vorschlag von mir: Sammelt bundesweit Unterschriften für eine Initiative zur Abspaltung von der BRepD - Stimmen dafür bekommt Ihr genug - und meine erst recht !

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