Ein kapitalistischer Heiliger

Montag, 10. Oktober 2011

Der Kapitalismus ist effizient. Das erkennt man wieder mal dieser Tage. Während im Katholizismus fünf Jahre vergehen müssen, bis ein Verstorbener selig, noch länger, bis er gar heilig gesprochen werden kann, macht es der Kapitalismus hurtiger. Besonders ausgewiesene, besonders exemplarische Getreue seiner Religion, werden umgehend in die Heiligkeit erhoben. Man macht eilig heilig.

Die Gemeinschaft der Heiligen ist um eine Persönlichkeit reicher. Steve Jobs, der Messias der Laufwerke, starb letzte Woche. Prompt erweist sich die Öffentlichkeit als Kongregation für den Heiligsprechungsprozess. Nachrufe vom edlen Kapitalisten-Hippie werden verfasst; Kondolenzbücher aufgestellt, in die man notieren soll, was der Apple-Gesalbte für einen persönlich bedeutete; das asketische Leben des Bit-und-Bytes-Bodhisattvas wird bestaunt und für überirdisch empfunden; seine Lehre, die sich aus elektronischen Geräten rechnet, wird als Evangelium der Monitore gefeiert; der Visionär wird gelobt, da er den Markt so gut kannte, wie weiland Jesus jede Ecke Nazareths; seine Predigten, die er vor Aktionären hielt, adelt man in den Katechismus kapitalistischer Menschenführung hinein. Kurz: wie man von ihm berichtet, das ist nicht das übliche Nachrufen, es ist die Heiligsprechung eines Mannes, mit dem sich die Öffentlichkeit nur deswegen verbunden fühlt, weil er ihnen bezahlbare Rechner lieferte.

Der Heilige des Kapitalismus zeichnet sich nicht durch Nächstenliebe aus. Kritik wurde an Apple immer geübt; die Firma würde soziale Standards unterbieten und asiatische Arbeiter ausbeuten. Das kapitalistische Heiligsprechungsverfahren kann sich mit solchen Einwänden nicht aufhalten. Wäre dem so, müsste Robert Owen heute als primus inter pares im kapitalistischen Himmel herhalten - das heißt, würde Sittlichkeit in diesem System was gelten, dann wäre Owen dort bekannt wie ein bunter Engel. Voraussetzungen für die kapitalistische Heiligsprechung sind aber der "Ruf der Rentabilität" (fama rentabilis), der "Ruf der Wundertätigkeit" (fama signorum) und der "Ruf der Rücksichtslosigkeit" (fama ignoratia). Beides zusammen, dazu eine ungebremste Beliebtheit beim Volk, das sich im Vokabular des kapitalistischen Heiligsprechungsverfahrens allerdings als Kunden oder wahlweise Aktionäre findet, sind die Eckpfeiler der eiligen Heiligen. Spirituelle Anhänger aus der Zunft der Schreiberlinge werden zu Kongregationalisten, die befinden sollen, ob der Verstorbene zum Heiligen taugt.

Das was wir erleben, ist der größtmögliche Abgang eines Unternehmers, Milliardärs und Kapitalisten. Man ruft ihm Weltverbesserer nach, als ob großer Reichtum und kapitalistische Denkweisen schlechthin, die Welt verbessern würden. Die schwarzen Flecken auf der Weste Apples und Jobs' werden bei der hysterischen Heiligsprechung unterwandert. Ausgebeutete Asiaten sind nun mal der Preis des westlichen Fortschritts, an dem ja auch, irgendwann, mit der Güte der Industrienationen, die Entwicklungsländer teilhaben dürfen. Für wenige hat er die Welt verbessert - für sich selbst natürlich auch. Ist das das Verhalten von spirituellen Erlösergestalten? Ein moderner Jesus? Ein Muhammad der Neuzeit? Ein Gandhi, der passiven Widerstand gegen faire Bezahlung leistete? Ein Dr. King, der das Bürgerrecht auf "einen Computer für jedermann" erstritt? Ein schlechtes Gewissen möcht' man haben, weil der gelobhudelte Asket scheinbar Rechner zum Selbstkostenpreis auf den Markt geworfen hat - oder gar Miese gemacht hat, um die Welt mit seinen Produkten einzuschneien.

Natürlich war er beteiligt an dem, was wir als kommunikative Revolution bezeichnen könnten. Natürlich hat das, was seine Firma in die Welt brachte, manchmal die Welt bereichert - nicht immer, nicht alles war nützlich. Aber weder ist er Erlöser, Weltverbesserer, Heiliger - noch ein besonders guter, liebender Kapitalist. Nicht nach ethischen Maßstäben, nicht nach universellem Anspruch dafür, wann etwas gut, wann etwas schlecht ist: das ist die Gesetzlichkeit, in der er qua seines Amtes vor den Apple-Aktionären stiefelte. In der kapitalistischen Lebenswirklichkeit, die meist so wirklich und echt ist, wie Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel oder Guttenbergs Doktorarbeit... in dieser Lebenswelt ist Jobs natürlich eine Heiligengestalt. Eine anbetungswürdige Figur. Eine durch langatmigen Krebs gekreuzigte Ikone. Die Welt des Kapitalismus ist ethisch irrelevant - sie kennt nicht gut, sie kennt nicht böse; sie kennt nur Renditen. Wenn man schon nicht gut, nicht schlecht sein muß, so doch wenigstens reich, erfolgreich, das Lebensgefühl einer Generation treffen, die yuppie wie sie war, keine moralische Skrupel kannte: das reicht aus, um in den Kanon der kapitalistischen Heiligen aufgenommen zu werden.



8 Kommentare:

Anonym 10. Oktober 2011 um 08:53  

Mich haben auch die vielen Beileidsbezeugungen gewundert, die in lili-Blogs und linken Blättern wie "Der Freitag" veröffentlicht wurden.

Wäre erst heutzutage ein Ferdinand Porsche gestorben, hätten dieselben Fortschrittsjünger auch die Verdienste des Autobauers um die Mobilität auf 4 Rädern bejubelt.

Danke für diese kritische Würdigung.

Ernst Otte, Hamburg 10. Oktober 2011 um 10:14  

Wir sind Zeugen eines gerade eben inszenierten Hypes, dessen Halbwertzeit an den Ladentheken der Elektronik-Kaufhäuser noch nicht erreicht ist. Es geht dabei kaum um einen konkreten Inhalt, sondern um einen Mix, der es in sich hat: der gigantische Erfolg der Firma und die Askese ihrer Hauptfigur, dazu die von der Krankheit gezeichnete, immer schlanker werdende Gestalt des Steve Jobs. Er hat sich am Ende in kommerzieller Absicht mit beinahe Nichts abbilden lassen und bekam, je mehr er sich buchstäblich auflöste, eine Grazie, die der Gestalt Jesu Christi auf berühmten Altären ähnlich wurde. Man vergleiche die Stilisierung Steve Jobs´ zur Ikone auf den Apple-Nachrufen. Das Hauptmoment ist der zu frühe Tod. Alle Elemente zuammen ergeben eine rational kaum durchdringbare Mischung. Zum Heiligen wird Steve Jobs allerdings erst im Auge des Betrachters, der die Bilder dechiffriert wie gewünscht. Der Rezipient am Ende der Kette ist für sein Handeln verantwortlich, das finde ich für eine Prüfung von "kapitalistischen" Ereignissen unerlässlich, er darf nicht einfach nur als "Opfer" kapitalistischer Manipulationen gesehen werden. Es wird berichtet, dass Massen von Menschen das bis zu Job´s Tod wenig beachtete neue I-phone-4S geordert haben, darunter junge Leute "mit Tränen in den Augen". Über die Hauptfigur, der die Tränen gelten, wissen die jungen Leute meist gar nichts. Das Nicht-Wissen ist neben dem zu frühen Tod geradezu die zweite Haupt-Voraussetzung dafür, dass jemand zu einer Projektionsfläche für goße Gefühle werden kann. Mit "dem" Kapitalismus hat der von dir, lieber Roberto, beobachtete Prozess meiner Meinung nach nur insofern etwas zu tun, inwiefern auch in unserer Gesellschaft ein unstillbares Bedürfnis nach Anlehnung, Tröstung und Hinaufschauen beobachtet werden kann und zugleich eine gewisse Stabilität der ökonomischen Lagen. Steve Jobs ist ein Star in Kreisen der jüngeren Mittelschicht, die sich noch etwas ausrechnen in ihrem Leben. Er hat für diese Klientel im Augenblick genau die "Mischung" aus Erfolg, Ruhm, Leistung, Reichtum u n d religiösem Charisma, dessen Inhalt dunkel bleibt.
Der wirkliche Steve Jobs ist einer, der mir persönlich nicht bekannt ist - er ruhe in Frieden.

Anonym 10. Oktober 2011 um 10:27  

Was blüht uns erst, wenn Bill G. dereinst früher oder später gestorben sein wird?!

PS: Ich selber habe nur ein-, zweimal in den Nachrichten mitbekommen, dass es diesen Herrn Jobs gibt ... und dabei wurde nicht gerade nett über ihn berichtet.

Na ja, "wir" haben in der Finanzkrise dummerweise keine anderen 'Brote und Spiele' laufen, die wir als Ablenkungsmanöver zelebrieren (lassen) könnten.

Anonym 10. Oktober 2011 um 10:57  

Irgendwie müssen die Apple-Kunden ja (auch vor sich selbst) rechtfertigen, dass sie doppelt so viel für ihre Geräte zahlen wie andere. Eine Religion passt da wunderbar.
- Jeeves

Inhumanist 10. Oktober 2011 um 11:35  

"Bezahlbar"? Zuletzt wohl eher "Nachfragegerecht".

Jan 10. Oktober 2011 um 12:30  

Herrlich. Da ich facebook hasse, ein dickes +1 ;)

Anonym 10. Oktober 2011 um 13:10  

IT-Fachleute haben durchaus noch in Erinnerung, was eine Suchmaschinenabfrage nach [Steve Jobs Janitor] zutage fördert. Es geht Jobs dabei um den Unterschied zwischen dem Hauswart und dem Vizepräsidenten bei Beförderungen: Wenn der Abfall im Papierkorb nicht geleert wird, würde Jobs den Hauswart fragen, wo das Problem liegt. Der Hauswart könnte vernünftigerweise antworten, dass das Schloss ausgewechselt wurde und er keinen Schlüssel bekommen hätte. Das sei eine akzeptable Entschuldigung für jemanden, der sein Leben lang Papierkörbe leert. Ein Hauswart erhalte die Gelegenheit, nach dem Vorfall zu erklären, warum etwas schief gegangen sei. „Irgendwo zwischen Hauswart und CEO zählen Gründe nicht mehr. Dieser Rubikon ist überschritten, wenn jemand Vizepräsident wird.“ Mit anderen Worten: Du hast keine Entschuldigung mehr für Fehlschläge. Du bist nun für alle Fehler verantwortlich, die passieren, und es ist völlig egal, was du sagst.

Das Nichtoffensichtliche an dieser Denkfigur ist das Entscheidende: Es gibt nämlich unmittelbar unterhalb des CEO einen zweiten Rubikon, oberhalb dessen sämtliche Verantwortlichkeit aufhört, da alle Schuld vollumfänglich beim Vizepräsidenten hängenbleibt. Und diese eigentliche Denkfigur macht Jobs für Kaderleute zur Identifikationsfigur: Während Angestellten am unteren Ende der Nahrungskette die Figur des Vizepräsidenten durchaus einleuchtet, „erleuchtet“ die Kaderleute (immerhin oft 2/3 der Belegschaft in IT-Unternehmen) die Figur des Hauswarts, unmittelbar oberhalb dessen sie für sich den Jobs’schen Rubikon sehen, also unterhalb der kompletten Belegschaft. Der implizite zweiten Rubikon liegt natürlich unmittelbar unterhalb ihrer erhabenen Persönlichkeit.

Und diese Erzählung entspricht tatsächlich der christlichen Mythologie und begründet die symbolische Darstellung Jobs‘ auf der Titelseite des Economist mit Heiligenschein: Während Gott und die Heiligen selbst a priori ohne Schuld sind, sind alle anderen a priori arme Sünder, von denen ganz selbstverständlich erwartet wird, dies etwa durch Körperhaltung, Gesten und Worte auch sichtbar auszudrücken. Diese Verhältnisse vergiften so oft das Betriebsklima, und dieses Jammertal zu bessern hiesse, die ursächliche narzisstische Persönlichkeitsstörung bei den Kadern zu heilen. Die Prävalenz dieses Problems dürfte einer der Gründe sein, weshalb die narzisstische Persönlichkeitsstörung kürzlich aus dem weltweit angewandten „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ gestrichen wurde (http://www.nachdenkseiten.de/?p=10832).

maguscarolus 10. Oktober 2011 um 20:53  

Bezeichnender Weise bleibt zu diesem Thema offenbar wieder nur eine Schelte des Konsumcharismatikers Jobs und seines finanziellen Erfolgs.

Mag doch jeder tun wie er will. Ich verwende seit ca. 15 Jahren die Produkte aus dem Hause Apfel und bin damit bisher sehr gut gefahren.

Es geht um Technik und um Design in Hard-und Software, und wer diese beiden Dinge nicht zusammen haben will oder nicht braucht, der ist mit Windows oder Linux doch prächtig bedient, und wird dort auch allenfalls von Herrn Steve Balmer unterhalten, der nicht die Absicht hat, seine Figur einem "medienwirksamen Dahinschwinden" zu unterwerfen.

Darüber hinaus könnte gelten: de mortuis nil nisi bene - soweit es moralisch und historisch vertretbar ist.

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