Politik der Entpolitisierung

Montag, 15. August 2011

Was auf der britischen Insel geschähe, sei keine politische Manifestation mehr, sondern kriminell. Das schreiben die Gazetten an der Einheitsfront der Meinungsbildung einträchtig. Chaoten, Randalierer, kriminelle Marodeure! Höchstwahrscheinlich mag dieses Urteil sogar stimmig sein. Forderungen an die Gesellschaft stellen diese Jugendlichen vermutlich nicht, jedenfalls liest man davon nichts. Sie wüten als Mob durch die Straßen und brandschatzen. Dennoch ist das eine politische Dimension, auch wenn konservative Zeitungen gerade dies zu leugnen trachten.

Eine Gesellschaft, in der über Nacht alle Hemmungen fallen, Häuser anzuzünden, in der man eben mal Menschen mit Gewalt konfrontiert, muß sich doch fragen lassen, was schiefgelaufen ist. Gelangweilte Jugendliche sind nicht per se für "jeden Spaß zu haben" - sind nicht in nuce kriminell oder gewalttätig veranlagt. Da muß schon mehr dazu kommen, um diesen bedenklichen Schritt zu gehen. Perspektivlosigkeit ist es eher, was Menschen eine Laufbahn als Verbrecher einschlagen läßt - nicht gehört, nicht wahrgenommen zu werden, die Gesellschaft nicht zu interessieren, der ungeliebte Bodensatz eines nach und nach durchmanchestesierten Kapitalismus' zu sein: das animiert zu Brandstifterei, ermutigt dazu, die Spielregeln der Gesellschaft, die einen nicht liebt, zu unterwandern und für nichtig zu erklären.

Auch wenn der Mob keine Forderungen diktiert, auch wenn er nur durch die Straßen Britanniens schwappt, um Feuer und Angst zu schüren: das ist politisch! Wenn Politik und Wirtschaft seit Jahrzehnten reformerisch nurmehr zum Sozialabbau tendieren, Bildung zu einem Luxusgut machten, Jugendlichen sukzessive eine Aussicht auf eine Zukunft in Würde raubten, dann sind unzufriedene junge Menschen (die Unzufriedenheit im jugendlichen Leichtsinn gerne mal mit Macht alles kaputt! verwechseln), keine unpolitische Modeerscheinung. Sie sind das Erzeugnis politischer Kumpanei mit dem Kapital; sie sind das Produkt einer Gesellschaft, die politische Entscheidungen nicht nach Wertvorstellungen erringen wollte, sondern "ökonomisch abgewogen," nach Kosten, Nutzen und den Interessen von Konzernen. Fragt eine Gesellschaft nicht danach, was ihre Jugend will, fragt sie nur danach, was ihre Geldhaie möchte, dann darf sie sich nicht wundern, wenn die Jugend die Spielregeln des Zusammenlebens nicht mehr anerkennt.

Die Entpolitisierung seitens der Medien ist Programmatik - und damit Politik. Es ist der Versuch, die Schuld auf die Jugendlichen selbst zu verlagern. Wir dürfen allerdings nur von Teilschuld sprechen. Für Morde und Brandstifterei muß sich natürlich jeder selbst verantworten. Für die Dimension, für die aufgekeimte Bereitschaft junger Leute, überhaupt so weit zu gehen, tragen andere die Verantwortung. Diejenigen, die seit Jahrzehnten eine Politik gegen die Jugend, überhaupt gegen gesellschaftlich Benachteiligte, betreiben, diejenigen sind die Anstifter der Brandstifter. Sie haben ermöglicht, dass die Insel brennt. Der soziale Friede ist, wie jeder Friede, nichts, das alleweil gilt, wenn er einmal verwirklicht war - man muß ihn fortwährend stützen, jeden Tag neu erarbeiten. Wenn man das Engagement im Namen des sozialen Frieden einstellt, und die europäische Politik hat schon vor langer Zeit aufgehört, für diesen Frieden zu arbeiten, dann marodieren letztlich unzufriedene Gesellschaftsschichten.

Aus diesen nun Verbrecher und Kriminelle zu machen, die kein politisches Begehren aufweisen, ist Politik: eine Politik des Vergessenmachens, des Bemäntels, des Abwiegelns jeglicher Verantwortung. Die Bereitschaft zum Randalieren ist nicht unpolitisch, sie ist eine politische Erscheinung. Dem Willen zur Zerstörung wohnt somit auch ein stilles politisches Motiv inne.



29 Kommentare:

potemkin 15. August 2011 um 08:35  

Die Kritik an den Randalieren geht vielfach in die Richtung, dass diese vor allem Luxusdinge wie Flachbildschirme hätten mitgehen lassen. Also noch nicht mal Mundraub! Aber solange in den Medien, vor allem in TV-Serien den Zuschauern ein Leben vorgegaukelt wird, in dem jeder die neuesten technischen Errungenschaften besitzt, nicht zu vergessen Zweitwagen, Zweitfrau und Zweitwohnsitz, kann der Wunsch nach dem Kopieren einer fiktiven gehobenen Mittelschicht zumindest nachvollzogen werden. Rosamunde Pilcher für alle!

Stephan 15. August 2011 um 11:14  

die Insel brennt noch lange nicht und vor allem sie brennt noch nicht genug. Warum? Noch werden die Demonstranten als marodierende Banden stigmatisiert, erst wenn sie im Bewußtsein des größten Teiles der Bevölkerung als Aufständische, Rebellen, Revolutionäre akzeptiert wurden, wird der Rauch über der Insel wieder verschwinden. Bis dahin wird auch der Rest Europas erst einmal in Flammen aufgehen, ehe die (Mitte) Mehrheit erkennt, dass sie bei einem "Weiter so" ebenfalls zu den Verlierern gehört und den ELiten die Gefolgschaft aufkündigt in dem sie sich auf die Seite des Mob´s schlägt.

Anonym 15. August 2011 um 11:20  

Im Sinne @potemkins:

Weshalb Cameron auch lieber über eine Kontrolle der Werbeindustrie und ihrer verwandten Benebelungsindustriezweige nachdenken sollte als über eine Zensur von Internetdiensten.

Anonym 15. August 2011 um 12:21  

Sa fällt mir doch glatt dieser schöne Satz aus Chuck Palahniuks Fight Club ein:

"We've all been raised on television to believe that one day we'd all be millionaires, and movie gods, and rock stars. But we won't. And we're slowly learning that fact. And we're very, very pissed off."

Moto 15. August 2011 um 13:23  

Ich kann dem Artikel nur zum Teil zustimmen.

Der Beschreibung der - politisch geschaffenen - sozialen Rahmenbedingungen, unter denen die riots stattfanden, stimme ich vollinhaltlich zu, aber nicht alles, was unter politisch gesetzten Rahmenbedingungen stattfindet, ist deshalb gleich eine politische Tat.

Die rioters haben weder politische Forderungen gestellt noch Ziele angegriffen, die man als politische Symbole ansehen könnte. Hätten sie statt ihres eigenen Viertels Mayfair oder Belgravia oder das Parlament in Brand gesteckt, hätte man es als (wenn auch kriminelles) politisches Statement auffassen können. So aber war das ganze nichts anderes als eine Serie von Mord, Raub und Brandstiftung, begangen an den eigenen Nachbarn, die für ihre Lage auch nichts konnten, ein Ausbruch kollektiver Wut, die sich das erstbeste Opfer suchte, das zu finden war.

Das Politische an den riots liegt nicht in den riots selbst, sondern in den politischen Ursachen der Wut, die sich in ihnen Bahn gebrochen hat. Der Skandal liegt nicht darin, die rioters als Kriminelle zu bezeichnen (das sind sie), sondern darin, die eigene Verantwortung zu leugnen und so zu tun, als hätten sich hier ein paar kriminelle Vorstadtkids aus Mutwillen und Langeweile spontan entschlossen, etwas Randale zu machen.

Die riots deswegen aber gleich zu politischen Taten und die Beteiligten zu einer Art Stadtguerilla zu erklären, führt meines Erachtens genau so in die Irre. Nicht alles mit einer politischen Dimension ist deshalb gleich selbst politisch.

Anonym 15. August 2011 um 13:26  

Die Politik der Entpolitisierung ist scheinheilig und verlogen,
denn Armut, Perspektivlosigkeit und Hetze gegen die "Überflüssigen", gebiert irgendwann solche Ausbrüche und ist die verzweifelte Gegenwehr.

In der ehemaligen DDR war auch irgendwann "Der Riemen runter". Zitat Honecker: "Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochse noch Esel auf". Wer der Esel war, dass wissen wir ja inzwischen.

In dem Buch von Joachim Bauer: "Schmerzgrenze, vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt" werden solche und andere Reaktionen bewiesen.

Lesenswert!

Anonym 15. August 2011 um 13:42  

Der Weisheit letzter Schluß:

http://www.deweles.de/globalisierung.html

Wer wissen will warum die Menschheit zwar auf den Mond fliegt, aber das Geld u.a. bis heute noch nicht verstanden hat, lese das Buch “Himmel auf Erden” von Stefan Wehmeier.

Desparada-News 15. August 2011 um 14:40  

Doch, es ist politisch. Einer der jungen Männer, der sich auch an den berühmten Fernsehern bedient hatte, gab auf die Nachfrage eines Neugierigen nach dem Warum zur Antwort: Er habe sich auch so eine Kiste genommen, weil er dann endlich etwas zu tun habe - diesen Fernseher anschalten, und zusehen, was an Programmen geboten wird. Denn, bisher habe er nichts zu tun, und auch nichts Beonderes zum Zusehen...

Das bedeutet, dass die Tage leer sind, und dass es nicht jeder dieser jungen Leute schafft, sich selber einen eigenen, vernünftigen Inhalt, vielleicht sogar das, was man Struktur nennt, zu schaffen. Anders gefragt: Hätten wir es geschafft, als wir jung waren? Dann, wenn wir ohne Aussicht auf Änderung vor dem Nichts gelandet wären?

Jeder Verbrecher ist politisch, wenn man so will. Eben darum, weil er eingesperrt werden muss, - weil darüber nachgedacht werden musste, wie Gefangene zu behandeln sind, usw. Schliesslich ist alles das nicht selbstverständlich. Aber, es ist zu spüren, wie sich alles dies auch verändert, und Menschen rascher eingesperrt werden für etwas, das früher nicht so krass bewertet worden wäre.

Das schreckt allerdings nicht ab, hat es noch nie, und wird es auch nicht tun. Doch, es ist eine politische Aussage, wenn auch auf die schlechte Art und Weise, dass sich Menschen getreten fühlen.

Anonym 15. August 2011 um 14:47  

Danke, Moto.
Die Randale des Mobs zu relativieren (ist DOCH politisch, ätsch!), ist wohl die andere Seite der Mainstream-Medien-Münze.
Die Randalierer sind in der Tat nicht politisch, aber die Ursachen sind es ...wie eigentlich immer & alles. Demnach: eine Binse.
-kdm
PS: Kein Buchtipp von mir; ich denke selbst.

Moto 15. August 2011 um 15:25  

@ Anonym (14.47 Uhr)

Keine Binse.
Mein Post bezieht sich auf den letzten Satz des Artikels ("Dem Willen zur Zerstörung wohnt somit auch ein stilles politisches Motiv inne."). Das lese ich so, dass Roberto meint, die rioters hätten (zumindest auch) mit einer politischen Zielsetzung gehandelt.

Genau das glaube ich nicht und der Post bezog sich auf die Frage, warum nicht. Also keine Binse, sondern eine Entgegnung auf Robertos Aussage (die ich im übrigen in verschiedenen Versionen auch schon anderswo gelesen habe).

Anonym 15. August 2011 um 15:52  

kdm,

bissel geeignete Lektüre könnte Ihrem Denken nur zuträglich sein.

Arbo Moosberg 15. August 2011 um 16:34  

Hm, warum musste ich beim Lesen des Textes wohl an Mely Kiyak denken.

Manul 15. August 2011 um 17:06  

Ich schliesse mich mit meiner Meinung Moto an. Die Krawalle selber hat hochpolitische Gründe, die man auf keinen Fall so leugnen darf, wie es in der Mainstream-Presse gemacht wird. Die Randalierer selber verhalten sich jedoch nicht politisch, da sie schlicht die falschen Ziele angreifen und sie schaden damit nur Menschen, die ein ähnlich prekäres Leben führen wie sie.

Ich denke, das liegt aber einfach daran, dass die Randalierer selbst sehr unpolitische Menschen sind und oft vielleicht gar nicht den Kern der Probleme verstehen, mit denen sie sich herum plagen müssen. So ist ihre Gewalt also nicht anderes als Gewalt derer, die mit politischen Institutionen und mit der Demokratie als Solches überhaupt nichts mehr am Hut haben.

Daher gibt es wohl von dieser Seite aus keine Forderungen und Manifeste, wie man eigentlich bei politischem Widerstand kennt. Die wird es auch nur dann geben, wenn andere besser politisch gebildete Gruppen sich diesem Widerstand anschliessen und die dann auch formulieren. Passiert das nicht, wird das Ganze wohl genauso enden wie die Unruhen in den französischen Vorstädten...

Anonym 15. August 2011 um 17:15  

"[...] Der soziale Friede ist, wie jeder Friede, nichts, das alleweil gilt, wenn er einmal verwirklicht war - man muß ihn fortwährend stützen, jeden Tag neu erarbeiten. Wenn man das Engagement im Namen des sozialen Frieden einstellt, und die europäische Politik hat schon vor langer Zeit aufgehört, für diesen Frieden zu arbeiten, dann marodieren letztlich unzufriedene Gesellschaftsschichten[...]"

Sehr zutreffender Satz.

Übrigens selbiges gilt auch für unsere westliche Form der Demokratie, die muß tagtäglich gegen Neoliberale, und sonstige Markttaliban, neu erkämpft werden.

Das Neoliberalismus bzw. Marktradikalismus und Diktatur Hand in Hand gehen, dass mußte ja z.B. Mittel- und Lateinamerika in den letzten Jahrzehnten leidvoll erfahren - Hoffen wir, dass GB diese Entwicklung erspart bleibt.

Gruß
Bernie

Anonym 15. August 2011 um 17:31  

Albrecht Müller hat gerade einen tollen Kommentar zur Strategie der Cameron-Regierung in GB, und den dortigen neoliberalen "Eliten", geschrieben, die Proteste zu bekämpfen:

"[...]Wer das Volk finanziell bluten lässt, wird es auch real bluten lassen[...]"

Quelle und ganzer Text:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=10448

Übrigens auch im Alltag wird die Umgangsweise miteinander in .de rauher - Eine Konsequenz der Neuen Weltwirtschaftskrise seit 2008.

In Deutschland funktioniert die Spalterei eben noch - Frägt sich nur: Wie lange noch?

Gruß
Bernie

Anonym 15. August 2011 um 17:41  

Könnte es sein, dass jedeR schlicht und einfach Angst hat?

Könnte es sein, dass die Menschen, denen Angst eingejagt wurde, versuchen, diese (freme) Angst nun wieder loszuwerden ..., um dann an der eigenen Angst zu begegnen?

Wann hört dieser ewige, sogar transgenerationale Verschiebebahnhof von Angst (und Ratlosigkeit und Ohnmacht)einmal auf?

Anonym 15. August 2011 um 18:44  

Was passiert, wenn nichts passiert?

Was dabei herauskommt, wenn die Gestaltung der Zukunft der hohen Politik überlassen wird, erleben wir seit dem Beginn der so genannten Finanzkrise im Herbst 2008. Die hohe Politik und vorgebliche Wirtschaftsexperten, von denen sie beraten wird, versuchen ständig, „die Zukunft vorherzusagen“: Man will einen „selbsttragenden Aufschwung“ herbeiführen, eine „Energiewende“ finanzieren, sich auf den „demographischen Wandel“ einstellen und nebenbei Massenarmut, Umweltzerstörung, Terrorismus und Krieg bekämpfen. Solange eine Mehrheit von Wählern diesen Unsinn glaubt, geht uns die Zukunft immer mehr verloren, denn:  

"Im Grunde ist Politik nichts anderes als der Kampf zwischen den Zinsbeziehern, den Nutznießern des Geld- und Bodenmonopols, einerseits und den Werktätigen, die den Zins bezahlen müssen, andererseits." 

http://opium-des-volkes.blogspot.com/2011/07/was-passiert-wenn-nichts-passiert.html

Anonym 15. August 2011 um 21:32  

"Im Grunde ist Politik nichts anderes als der Kampf zwischen den Zinsbeziehern, den Nutznießern des Geld- und Bodenmonopols, einerseits und den Werktätigen, die den Zins bezahlen müssen, andererseits"

Politik?

Wo gibt es die noch in Deutschland?

Nein, es sieht doch in .de eher so aus, dass die Deutsche Bank, in Person von Ackermann, bestellt, und Merkel liefert.

Das soll Politik sein?

Wenn dies Politik ist, dann sind die Camorra, und die Ndrangeta, nicht Formen der italienischen Mafia sondern harmlose Männergesangsvereine.

Fazit:

!Politik ist keine Politik mehr wenn die SICH KAUFEN läßt!

!So EINFACH ist das!

In den Straßen britischer Städte haben die es bereits kapiert.

Wann kapieren wir es in Deutschland? Nie?

Gruß
Bernie

Stephan 15. August 2011 um 22:14  

der Klassenkampf scheint an fahrt zu gewinnen. Dabei ist es keineswegs einerlei, wie er sich ausdrückt. Provoziert wurde er von Maggi und den folgenden Regierungen. Oft genug gabe es den Ruf zur EInhalt, oft genug wurde er ignoriert. Wer sich aber ständig ignoriert fühlt, fühlt sich irgendwann wertlos, sinnlos, leblos. Einen Wert erfährt er, wenn er etwas tut, ebenso einen sinn, ebenso aktives leben. Es mag aus unsere very best situated Sicht törricht, unsinnig, vielleicht soagr unsinnig sein, was die Outlaws anstellen, doch das ist unsere Sicht, die merkwürdig verquer ist. Ähnlich agierende Menschen in Ägypten, Lybien, Syrien, Katar, etc. genießen unseren Respekt. Ein potentieller Selbstmörder, der auf einem Balkongeländer im 20 Stock einen Hochhauses balanciert und Aufmerksamkeit erregt, fühlt, lebt, sinniert, ihm sprechen wir zwar auch den SInn seiner Tat ab, aber wir haben Verständnis und Mitleid mit ihm, was sind die Krawallmacher soviel anderes wie der Tunesier, der sich selnbst verbrannte? sie schleifen doch nur das goldene Kalb, das für sie unerreichbar ist.

Rainer 16. August 2011 um 10:36  

Die Aussage "Das Private ist politisch" erlangt nach über 40 Jahren heute vielleicht endlich die Dimension, die ihr angemessen ist.

Granado 16. August 2011 um 13:17  

Wenn die Plünderung von ein paar Flaschen Mineralwasser genauso bestraft wird, ists es rational für den homo oeconomicus, bei der Gelegenheit lieber langfristige Konsumgüter zu klauen. Früher waren "Pöbelexzesse und Volkstumulte" auch nicht viel anders:
http://www.dhm.de/ausstellungen/streik/index.html
(s.a. Nahrungsmittelproteste, Streikexzesse)

Anonym 16. August 2011 um 14:15  

Zu Sit venia verbo:
Es war ja gerade kein Mundraub, der da in Großbritannien vor sich ging.

W.W.

Granado 16. August 2011 um 18:14  

Thatcher wollte statt Gesellschaft - Banden? Siehe:
Doris Lessing: Memoirs of a Survivor, 1974
Die Memoiren einer Überlebenden, 1979
Film: David Gladwell - Memoirs of a Survivor, Sept. 1981
Die Geschichte spielt in einer nahen Zukunft, in der das gesellschaftliche Leben durch eine nicht näher bezeichnete Katastrophe zusammengebrochen ist. Familien haben sich aufgelöst und Überlebende haben sich zu losen Gruppen zusammengeschlossen, um die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse sicherstellen zu können.
Eine merkwürdige Zeit ist das. Während alles zerfällt, bauen sich immer jüngere Kindergruppen brutal hierarchische Herrschaftssysteme auf.

Anton Chigurh 16. August 2011 um 19:35  

so, so - nicht politisch also.
Was für´n Humbug !
WER bitteschön sorgt denn (gerade auf den Britischen Inseln) dafür, dass das Volk künstlich blöd gehalten wird ??? Wer hat mal eben so aus Gründen der "Eliteerhaltung" die Studiengebühren um ein Vielfaches erhöht, das Volk belogen und betrogen und den Wähler verhöhnt ??
Wer mit solch arroganter Kaltschnäuzigkeit eine derart brutale Sozialkälte schafft, sollte sich über brennende Autos nicht wundern.
Wer auf der halben Welt mit Bomben und Granaten um sich wirft, darf sich nicht wundern, dass die Staatskassen irgendwann leer sind.
Und wer dann verwundert aufschreit, weil die (vielleicht doch nicht so ganz tumbe) Unterschicht einfach mal die Nase voll hat von Korruption und Selbstbereicherung, gehört auf hoher See über die Planke geschickt !

Anonym 16. August 2011 um 19:41  

Jetzt ist eh alles aus:
Merkel und Sarkozy planen Wirtschaftsregierung für Europa
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,780625,00.html

Die Finanzkrise dient nun dazu, die Nationalstaaten aufzulösen.

Michel 17. August 2011 um 12:17  

Cameron hat allen Ernstes gesagt, diese Aufstände hätten nichts mit Armut zu tun. Das muss man sich mal vorstellen.

Die Unterschicht hat halt kapiert, dass sie nur als Kostenfaktor gesehen wird, der unter Kontrolle gehalten werden muss.
Camerons Sparmaßnahmen greifen zwar noch nicht in voller Härte, aber allein die Ankündigung dieser Sparmaßnahmen macht der Unterschicht sehr deutlich klar, dass es für sie noch härter werden wird - da sorgt man jetzt schon mal vor.

Auch Zeichen, wie die Studiengebühren zu erhöhen oder die Education Maintainance Allowance (= Ausbildungs-Hilfe-geld, wer Abitur macht) zu streichen, macht doch jedem klar, dass es sogar für die unteren Mittelschichten immer schwerer wird, ihren Kindern die gleiche gute Ausbildung zu geben, die sie noch selber genossen hatten.

Cameron reagiert mit einer harten law-and-order Strategie, weil er einen moralischen Kollaps zu erkennen meint - das wird nicht auf Dauer funktionieren. Dann wird der Druck halt größer und irgendwann findet sich sein Kopf neben dem von Queen Lizzie auf den Spitzen des Zauns vor dem dann ausgebrannten Buckingham Palace.
Leider kommt dieser Law-and-Order-Ansatz bei immer mehr Menschen an, nicht nur in England sondern auch in Frankreich, wo Sarkozy die Elendsviertel von Paris einst mit dem Hochdruckreiniger säubern wollte (hatte er im Wahlkampf gesagt).

Zudem muss man berücksichtigen, dass das angelsächsische Rechtssystem in der Regel keinen Ermessensspielraum kennt. In der Folge wurde die alleinerziehende Mutter (Ursula soundso) von zwei ein- und fünfjährigen Kindern zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie Geschenke (Sportschuhe?) aus Raubzügen von Randalierern angenommen hatte.
Natürlich darf man keine Geschenke annehmen, wenn man den starken Verdacht haben muss, diese seien geklaut. Aber 6 Monate Gefängnis, ohne sich aktiv an den Raubzügen beteiligt zu haben, für etwas, das im Laden 100-150€ kostet und realistisch etwa 30€ (Produktion+Transport) kostet???

Die zwangskolonialisierten Völker des britischen Kolonialreiches hatten schon Recht, wenn sie meinten, dass das englische Gesetz überhaus hart, ungerecht und nicht zweckdienlich ist.

Darius 18. August 2011 um 16:37  

Hier ein weiterer Nachweis, warum man sich mit Interpretationen aus der Ferne zurückhalten sollte...

In der linksradikalen "Jungle World" von heute:
"Die Londoner Krawalle der letzten Woche lassen sich kaum politisch lesen, meint der britische Publizist Kenan Malik im Gespräch mit Federica Matteoni, im Gegenteil: "Der Generationenkonflikt ist wichtiger als ethnische oder religiöse Unterschiede. Ich würde fast nur von einem Generationenkonflikt sprechen. Es ist beeindruckend, wie wenig die Randalierer sich um ihre Communities zu sorgen scheinen. Sie scheinen nicht einmal ein Bewusstsein dafür zu haben, dass sie in einer Community leben."

Anonym 21. August 2011 um 09:57  

@Darius

Das passt aber genau zur Aussage der rechtsextremen Maggie Thatcher "Es gibt keine Gesellschaft sondern nur Individuen"....soll Maggie Thatcher vor Jahren einmal so geäußert haben.

Fazit:

Albrecht Müllers Nachdenkseiten haben Recht, wenn die bescheinigen, dass GB nun erntet was Maggie Thatcher gesäät hat.

Sollte man schon wissen....

Vielleicht meint Cameron nun auch "There's no alternative" wie sein großes Vorbild - Übrigens was aus der Ferne angeht, soweit liegt GB nicht vom Kontinent weg, und Albrecht Müller bescheinigt den selbsternannten neoliberalen "Eliten" Europas schon seit Jahren, dass die nur noch Unmoral haben, und zwar eine ziemlich Üble (ebenso wie deren ideologischer Anhang in der Mittelschicht, Oslo hat's bewiesen - Brevik ist der Held aller Rechtsneoliberalen, da bin ich mir fast sicher - diese Haßprediger, von Sarrazin bis Broder, werden aber nicht verfolgt, wie man es richtigerweise mit islamistischen Haßpredigern macht, und dies schreibe ich weil ich rechtsneoliberale Christen für genauso schlimm erachte wie die islamistischen Taliban. Fazit: Wenn schon Krieg gegen den internationalen Terrorismus, dann über Ideologie-; Religions- und Parteiengrenzen hinweg, dass wäre nur fair).

Gruß
Bernie

flavo 22. August 2011 um 12:43  

Die beraubte Generation stellen die Jugendlichen dar. In materieller Hinsicht. Eingepfercht in ein Prisma aus Gadgetswelten, narzistischen Mackersog oder erniedrigten Bitchgehorchsam sind sie eine Generation von herangezüchteten Fressmäulern, die zur Bereicherung der illusionären Kapitalisten dahinlebt. In Kindesjahren gefestigt zur Einfältigkeit fortgereicht geworden ist es die Frechheit und Eingekapseltheit, die mitunter irrationale Aneignungskämpfe urgiert, aber niemals koordinierte Zusammenschlüsse und gemeinsame Kämpfe. Handlungslogisch steht nur die Aneignungsstrebung zur Verfügung. Die reguläre Form ist schwierig, Arbeit fehlt, Bildung fehlt, Erziehung wurde versäumt. Also die irreguläre Form. Alles wird irregulär. Der Krieg leuchtet vor irregulären Kämpfern, die Aneigner spalten sich ebenso in reguläre und irreguläre Fraktionen.
Erreicht wird die kurzfristige Völlerei im Konsumtrog, Gadgets und Fastworldthings zur Befriedigung der inneren Spannung.
In existentieller Hinsicht. Eine ganze Generation fremdgesteuerter, unterwürfiger und einfältiger Menschen, deren letzter existentieller Fluchtpunkt nur die finanzielle Völlerei ist, das tauchen im perversen Überfluss und die maximale Wirkungsreichweite des eigenen beliebigen volatilen Willens, Macker und Bitches. Die Revolution gegen die Finanzoligarchie kann maximal zu einer despotischeren Oligarchie führen. Handlungslogisch gibt es keine andere Strebung, nur den Wechsel der Agenten auf der Bahn der Aneignung. Im Grunde gibt in Dominanter Form nur Aneignung und Ausscheidung, Verzückung und Langeweile, Spannung und Entspannung in microglobalen Agenten, in deren Vollzug sich Menschen einspannen (lassen). Das enthusiastische Leben in der Illusion. Die zweifellose Illusion. Das klare Sein im Schein. Die Inversion des Scheins zum finalen Schein, zur Natur. Das Vertun der Freiheit, ihr Versiegen in Gadgets, Macker und Bitches. Der Kreisgang der Menschem um diese Struktur, nicht Menschen fangen etwas an, sie stehen nunmehr Schlange am Kreisgang. Der letzte freie Schritt ist jener in den Kreisgang, in das betörende Karusell, in das Auf und Ab der Gadgetsaneignung und die einfältige soziale Welt aus Mackern und Bitches.

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