Nomen non est omen

Mittwoch, 10. August 2011

Heute: "Realpolitik"
"Deutschland braucht Realpolitiker statt Moralapostel"
- Schlagzeile von Welt-Online vom 17. April 2011 -
Die Realpolitik bezeichnet eine Form der Politik, die sich nach pragmatischen, umsetzbaren und nach vorhandenen real existierenden Gegebenheiten richtet. Sie grenzt sich damit von einer Politik und Sichtweise ab, die normativ und werteorientiert entscheidet. Politische Entscheidungen im Sinne der Realpolitik werden zu einer verhandelbaren Masse erklärt. Alle Gesetze, Entscheidungen, Vorhaben und Ideen sollen sich nach pragmatischen Rahmenbedingungen richten. Alles was sich in diesem Spielraum bewegt, ist verhandelbar, der Spielraum selbst jedoch nicht. Der politische und wirtschaftliche Rahmen wird als gottgegeben und naturwüchsig erachtet und ist somit der Überbau des TINA-Prinzips.

Es ist schon bezeichnend, dass der Machtpolitiker Niccolo Machiavelli als einer der bedeutendsten Verfechter der Realpolitik gilt. Ethische, normative oder religiöse Überlegungen sind nur insofern in politische Entscheidungen einzubeziehen, sofern sie dem Machterhalt dienlich sind. Die Aufrechterhaltung der Macht ist, nach Machiavelli, die oberste Prämisse der Regierung. Wenn sich nun in einer parlamentarischen Demokratie Volksvertreter auf die Fahnen schreiben, sie würden in erster Linie realpolitisch agieren, dann wird die parlamentarische Verantwortung im Sinne der Bevölkerung und des Gemeinwohls zu handeln, vernachlässigt.

Realpolitik ist somit immer eine Politik der Mächtigen und Herrschenden, eine Politik die den status quo aufrecht erhalten will. Denn wenn Banken und Konzerne die Welt regieren, geben sie auch den Spielraum vor, in der sich eine pragmatisch orientierte Politik bewegen darf. Wer aus diesem eindimensionalen Kreis der Macht ausbrechen will, der wird von Realpolitikern als Spinner, Träumer oder Ewiggestriger diffamiert. Auch wenn sich Realpolitiker gerne als ideologiefrei sehen, so sind sie doch an die herrschende Ideologie gebunden.
"Welche Nöte der Realpolitik auch immer ins Spiel gebracht werden - gegen die Lesereise-Liturgin Margot Käßmann ist kein Stich zu machen."
- Meldung auf Spiegel Online vom 20. Juni 2011 -
Eine Politik, die ein klares gesellschaftliches Bild und eine Vorstellung vom gesellschaftlichen Zusammenleben formuliert, wäre dringend geboten, wenn man die Politik(er)verdrossenheit ernsthaft bekämpfen will. Zudem sind politische Entscheidungen immer menschliche Entscheidungen, denen bestimmte Wertvorstellungen und Interessen stets zugrunde liegen. Eine rein pragmatisch orientierte Politik kann es insofern nur in der Theorie geben, meist ist sie wohl eher ein Euphemismus für Machtpolitik im Sinne des Machterhalts der Herrschenden.

Realpolitik bedeutet: there is no alternative (TINA). Realpolitik bedeutet, Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht anzutasten. Realpolitik bedeutet, im Sinne der Mächtigen und Herrschenden zu handeln. Realpolitik bedeutet, keine Vision, keine Idee und keine Vorstellung von einer besseren Welt zu haben.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

13 Kommentare:

Anonym 10. August 2011 um 10:03  

In aller Kürze das Wesentliche herausgestellt. Chapeau!
Vive l'alternative!

Anhänger des 04.08.1789

Anonym 10. August 2011 um 11:18  

Ich muss bei Realpolitik immer an "realexistierenden Sozialismus" denken...

klaus baum 10. August 2011 um 12:14  

Realpolitik heißt auch: Wenn Gangster die Macht haben, muss ich mich der Inhumanität der Gangster anpassen und selber einer werden.

Wenn Mörder regieren, muss ich selbst zum Mörder werden.

Das Einkassieren einer korrektiven Wertevorstellung gegenüber der Realität ist eben ein charakteristisches Merkmal des NS.

Die Verabsolutierung der sogenannten Realpolitik ist inhumaner Totalitarismus. Was zählt, ist das Recht des Stärkeren. Oder das Motto: Der Stärkere hat immer recht.

ad sinistram 10. August 2011 um 12:31  

Stimmt, Klaus. Das kam mir in den Sinn, als ich Realpolitik las. Sie ist gründet immer auf dem Recht des Stärkeren. Man muß sich den auferlegten Gegebenheiten unterwerfen. Der politische Mensch ist damit nicht mehr Herr seines Handelns, sondern in einen engen, realpolitischen Rahmen gezwängt.

klaus baum 10. August 2011 um 13:49  

Der Philosoph Hermann Schweppenhäuser meinte meinte in den 70er Jahren einmal: Der Unterschied zwischen dem Nationalsozialismus zum realen Sozialismus besetehe darin, dass man den realen Sozialismus an seinen Ideen messen kann, die gespeist werden u. a. von der Literatur und der Philosophie des deutschen Idealismus - die Verbindung Hegel - Marx ist ja bekannt, auch die Unterscheidung zwischen einem linken und einem konservativen Hegelianismus.
Man kann also sagen, der reale Sozialismus steht im Widerspruch zu seinen Ideen des Humanismus. Der Nationalsozialismus hat seine "Ideen", sprich Wahnvorstellungen verwirklicht. Von einer Differenz zwischen Idee und Wirklichkeit kann man in Bezug auf den NS nicht reden. Demzufolge ist er die absolute Realpolitik, die sogar darüber streng wachte, dass keine abweichenden Gedanken das Ohr seiner Bürger erreichte.

Anonym 10. August 2011 um 14:56  

Solange die Visionen so wischi-waschi sind, stellt sich auch die Frage der Verantwortung, die in dem Artikel ja komplett umgangen wird.
Visionen von einer besser Welt bedeuten nicht, dass der imaginierte Weg tatsächlich zum Gewünschten führt und nicht evtl. horrende Nebeneffekte hat, an die in der Hurra-Utopie nicht gedacht wurde.

W.W.

Anonym 10. August 2011 um 17:19  

W.W. –

Sie sind langweilig.

Alle Ihre Beiträge sind eine Apriori-Verteidigung des Bestehenden, vulgo für Realität Gehaltenen.
Eine schlimmere Hurra-Utopie als den gegenwärtigen Turbokapitalismus hat
es bislang noch nicht gegeben. Die hat zudem den ekligen Seiteneffekt, das immer mehr darin Involvierten das Hurra im Halse stecken bleibt. Und irgendwann nur noch Erzkriminelle ihr Hurra über den Trümmern der Gesellschaft krächzen werden, nach Geierart.

Ich gehe davon aus, dass Sie von der vorherrschenden Ideologie profitieren, oder dies zumindest zu tun wähnen (kommt bekanntlich von Wahn …)
Also im Großen und Ganzen eher ein mieser kleiner Systemmitläufer als -profiteur sein dürften. Sie und Ihre >Götter< habe ich und wahrscheinlich die Mehrheit der denkenden Menschen sowas von satt, dass Sie und Ihre Wahngenossen sich irgendwann gar nicht mehr warm genug anziehen werden können.
Wer soziale Kälte säht, wird zuletzt an seiner Saat jämmerlich erfrieren!

Anonym 10. August 2011 um 17:54  

chapeau an den letzten anonym!

Anonym 10. August 2011 um 18:20  

"Realpolitik bedeutet: there is no alternative (TINA)."

Realpolitik heißt also: "alternativlos".
Komisch, ich kenne das Wort irgend woher. Wo ist mir das bloß in den letzten zwei Jahren begegnet...?

Jürgen Kluzik 10. August 2011 um 20:03  

"Wer macht die Realität? Der 'Realist'? Dieser läuft hinter ihr her. ... Die Wirklichkeit, mit der der Realist rechnet, befindet sich immer schon in Agonie. Die Praktiker, der 'Realität' Zugewandten leben und wirken gar nicht in der Realität. Sie bewegen sich in einer Welt, die nicht mehr wahr ist. Sie sind in einer ähnlich seltsamen Situation wie etwa die Bewohner eines Planeten, der so weit von seiner Sonne entfernt wäre, daß deren Licht erst in ein oder zwei Tagen zu ihm käme: die Tagesbeleuchtung, die diese Geschöpfe erblicken, wäre nachdatiert. In einer solchen falschen Beleuchtung, für die aber der Augenschein spricht, sehen die 'Realisten' den Tag. Was sie Gegenwart nennen, ist eine optische Täuschung, hervorgerufen durch die Unzulänglichkeit ihrer Sinne und die Langsamkeit ihrer Bewegungen. Ihre Welt ist immer von gestern."

Egon Friedell: "Kulturgeschichte der Neuzeit Band 2"; dtv, S. 1269

Anonym 10. August 2011 um 20:05  

Im Podcast von Frank & Fefe?

Anonym 10. August 2011 um 21:44  

Vielleicht ja da: http://alternativlos.org/ ;)

Granado 16. August 2011 um 18:33  

"Im ganzen neigen die Menschen hinlänglich stark dazu, sich dem Erfolg oder dem jeweilig Erfolg Versprechenden innerlich anzupassen, nicht nur - was selbstverständlich ist - in den Mitteln oder in dem Maße, wie sie ihre letzten Ideale jeweils zu realisieren trachten, sondern in der Preisgabe dieser selbst. In Deutschland glaubt man dies mit dem Namen 'Realpolitik' schmücken zu dürfen."
Max Weber: Der Sinn der 'Wertfreiheit' der Sozialwissenschaften, 1914/1917
(dort auch bedingte Verteidigung der 'Gesinnungsethik' z.B. des revolutionären Syndikalismus gegen angepaßte 'Verantwortungsethik')

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