Eine Kultur der Unkultur?

Freitag, 15. Juli 2011

Und dann war Afrikafest in dieser kleinen bayerischen Provinzstadt. Da war es eng, denn man kesselte das Spektakel in den schmalen Betonstreifen zwischen Häuserfassaden ein; einen Betonstreifen, den man hierzustadte Fußgängerzone nennt. Ein ganzer Stadtpark lag währenddessen, schätzungsweise anderthalb Kilometer Luftlinie entfernt, brach. Der hätte dieses Fest, das dem bayerischen Bürger die Kultur und Lebensfreude Afrikas näherbringen sollte (jedenfalls laut Plakaten, die allerorten hingen), mit reichlich Raum gesegnet. So aber wallende Hitze in der Enge der Häuserschlucht, so aber Hitze aufgrund sich reibender und aneinander vorbeischiebender schwitzender Körper.

Kultur der Hilflosigkeit

Das war enttäuschend genug, aber absehbar. Man wusste als Kind dieser Stadt ja, wohin man die Afrikaner verfrachtete, man kennt die Fußgängerzone ja bestens. Besonders zornig ums Herz wurde es einem allerdings, als man erkannte, was die Veranstalter offenbar als afrikanische Kultur verkaufen wollten. (Man schiebe beiseite, dass es die afrikanische Kultur nicht gibt, wohl aber afrikanische Kulturen, so wie Marillenknödel zwar eine europäische Speise sind, dabei aber eher selten in Spanien verzehrt werden.) Da waren Stände von Hilfsorganisationen aufgeschlagen, von christlichen Weibern und gläubigen Brüdern, die gute Werke in Afrika leisten. Das ist ehrenwert, natürlich! Aber ist das gleichfalls afrikanische Kultur?

Ist es afrikanische Kultur, wenn in die Wechseljahre gekommene Europäerinnen, ihren Dienst am Schwarzen öffentlichkeitswirksam feilbieten und ihn sich mit Lob und Münzen vergelten lassen? Oder ist es Ausgeburt des kulturellen Afrika, Projekte der Unicef zu präsentiert? Kulturleistung "christlicher Missionar", der unter der Sonne Afrikas seine Kutte gegen fransige Shorts und ausgewaschenes Polohemd austauscht, um ganz in Zivil seinen mildtätigen Dienst am Heil unmündiger Neger zu tun? Nochmal, alles irgendwie ehrenwert und vornehm und sicherlich mehr oder minder segensreich für die Abnehmer solcher Leistungen. Aber afrikanische Kultur? Oder ist es diese eigenartige Symbiose aus weißer Schirmherrschaft und schwarzen Rhythmen, die in dieser Fußgängerzone verschmolzen, die man als afrikanische Kultur ansieht? Weißes Sendungsbewusstsein und gesellige Mohren? Ernst dreinblickende Europäer und drollig grinsende Afrikaner? Der Weiße erwachsen seriös mit helfender Hand und der Schwarze kindlich tanzend und singend und dankbar nach helfenden Händen grapschend? Ist es das, was man hierzustadte oder aber gar hierzulande unter afrikanischer Kultur versteht? Eine Kultur der Hilflosigkeit? Eine Kultur des "Wir-bekommen-ohne-euch-nichts-auf-die-Reihe"? Eine Kultur, die nur gilt, wenn sie im Verbund mit europäischen oder christlichen Liebesdienst vereint ist? Eine Kultur dummer schwarzer Erwachsenenkinder, denen man die Feierlaune nur gestattet, wenn sie an der Hand weißer Autoritätspersonen gehen?

Warum in die Ferne schweifen?

Da nimmt es nicht Wunder, dass die Kanzlerin über den schwarzen Kontinent hastet, wie weiland Haile Gebrselassie durch Berlin. Was gäbe auch dort zu sehen, zu besprechen? Nichts, was man nicht auch hier regeln könnte. Bei den christlichen Schwestern zum Beispiel! Oder bei den Missionaren von Sankt Nimmerlein oder wessen Heiligkeit auch immer! Afrika, so die amtierende Wahrheit in hiesigen Gefilden, wird ohnehin von Europa aus gesteuert. Was auf Afrikafesten so offenbar ist, strahlt bis in die Politik aus - oder eventuell andersherum.

Die Kanzlerin kümmert sich wenig um Afrika, sie fliegt fast ausschließlich nur auf diesen "Kontinent des Elends", wenn "ihre" Nationalmannschaft am Kap auf gute Hoffnungen späht. Das schlägt sich freilich auch beim Sparsamkeitsfimmel in der Entwicklungshilfe nieder. Afrika ist, kurz gesagt, nicht nur auf multikulturellen Festen ein großes Nichts, das auszufüllen nur höhergestellte Kulturen imstande sind. Afrika findet auch politisch nur marginal statt. Der Kontinent unterliegt nicht dem Primat der Politik, er befindet sich im Schoß der internationalen Wirtschaft, ist Opfer des new colonialism, der dem traditionellen Kolonialismus stante pede folgte. Nicht verwunderlich also, dass Afrika nur ein randständiges Phänomen auf dem politischen Bildschirm ist. Was soll sich die Politik auch um etwas kümmern, das sie sowieso nicht in beeinflussen kann?

Plätze und Straßenzüge in der deutschen Provinz, die kosmopolitisch sein wollen, dabei aber nur herrschende Ressentiments unterstreichen, kommen dabei der Hast der Politik, über Afrika hinwegzuspurten, zupass. Oder wie kann ein Land Interesse an der Wiege der Menschheit entwickeln, wenn dessen Bevölkerung glaubt, afrikanische Kultur bedeute, den nichtsnutzigen Afrikanern in die Schuhe zu helfen



4 Kommentare:

Anonym 15. Juli 2011 um 08:12  

Die scheinheiligen Inszenierungen, in denen die Bilder von Verhungernden und Verhungerten aus den Armutsregionen dieser Welt gezeigt werden, sind eher mit der modernen Variante eines Opferrituals vergleichbar. Jene sterben in Massen zum Wohle des von den Betrachtern und Betrachterinnen der Bilder vergötterten Sozialprodukts und erweisen sich zusätzlich noch, sofern sie nicht mit Widerstand, Rebellion oder Bürgerkrieg ihrem Schicksal trotzen können, als “würdige” Opfer in den Augen des gelangweilten Bildungspöbels.

Die Letztgenannten feiern dieses Massensterben vor dem Hintergrund Jahrhunderte langer Ausplünderung realistischerweise mehr als eine Form von Erntedankfest, rhetorisch getarnt als Solidaritätsveranstaltung. Sie veranstalten kulinarische Gelage für Kinder, die im selben Moment bereits dem Tod geweiht sind, während der mit gefrorenem Trinkwasser eisgekühlte Champagner ihre “solidarische” Kehle hinunterfließt, und ihre eigenen Kinder zelebrieren einmal im Jahr kultähnliche Sammlungen.

UNICEF, UNESCO, “Brot für die Welt”, die “Deutsche Welthungerhilfe” und andere Organisationen verweigern hartnäckig ihren Beitrag zur Beseitigung der Ursachen des Massensterbens. Im Gegenteil. Sie verfolgen diejenigen und greifen sie an, die den für das Elend Verantwortlichen in Politik, Forschung, Finanzmanagement und Medien das Handwerk legen wollen. Auf der anderen Seite verschaffen sich die Protagonisten und Protagonistinnen während der Solidaritätsveranstaltungen ein kollektives Hochgefühl, das in Reden und durch gegenseitige Bestätigung des eigenen Anstandes noch gesteigert wird. Hier ist die Elite der “Gutmenschen” unter sich. Würde bei dieser Gelegenheit aber einer (z. B. einer wie ich) verkünden, es müsse um eine egalitäre Versorgung der Menschen weltweit gehen, würde er den Hass der Anwesenden auf sich ziehen. Erklärt dagegen ein millionenschwerer Medienstar oder eine steinreiche Talk-Moderatorin während eines Festessens, sie habe soeben symbolisch die Patenschaft über ein Kind aus einem Hungerland übernommen, sind ihr stehende Ovationen gewiss.

Nur die individuelle Wohltätigkeit, die Beschränkung auf den Einzelfall, kann die Sicherheit gewähren, dass der eigene Wohlstand, die eigenen Konsumgewohnheiten unangetastet bleiben. So hungern die Millionen weiter und der Anlässe für das Abfeiern der eigenen Gnadenerweise ist kein Ende.

Und die wahren Täter dieses Genozids sind unsichtbar. Sie haben kein Gesicht, keine Sprache, keinen Fingerabdruck, geben keine Haaranalyse und hinterlassen keine Urinspur. Für ihre Verbrechen benötigen sie keine Gewehre, nur Telex, Onlinebanking und e-mail.

christophe 15. Juli 2011 um 11:12  

Afrika müßte sich völlig neu erfinden. Fast alle Staaten haben willkührliche, wie mit dem Lineal gezogene Grenzen, die wohl auf die Interessen der Kolonialherren Rücksicht nahmen, nicht aber auf die Bewohner. Die blutigen Bürgerkriege, die in Afrika stattfinden, sind nicht irgendeiner Negermentalität geschuldet, sondern einer Stammeskultur, die mangels anderer sozialer Netze notwendigerweise existiert und die es immer wieder erlaubt, Ethnien zum Wohle neokolonialer Interessen gegeneinander auszuspielen. Ruanda war in dieser Hinsicht das bisher schrecklichste Beispiel, falls man Biafra schon vergessen haben sollte. Es ist leider zu befürchten, dass die Geschichte so weitergeht, bis der letzte Bodenschatz gehoben ist...

landbewohner 15. Juli 2011 um 18:53  

solange es den afrikanern nicht gelingt ihre durch den "westen" korrumpierten eliten abzuschaffen, wird ihr kolonialer status weiterhin bestehen und jedwede entwicklung zum positiven, wie z.b. kostenlose ausbildung und gesundheitsvorsorge z.b. und entwicklung einer fuktionierneden infrastruktur bis ins letzte dorf verhindert werden.
und irgendwelche "gutmenschen" die da " negern" zeigen, wie man brunnen bohrt oder kooperativen zur herstellung von 3.welt-ladenschrott gründet, braucht afrika sowenig wie annodunnemals deutsche offiziersfrauen, die strümpfe für arme "negerlein" strickten, deren eltern zuvor von ihren ehegatten erschossen worden waren.
bei allen vorbehalten gegen lybiens ghadaffi - für die afrikaner war er eine weitaus grössere chance auf gesundung und entwicklung es kontinents als all diese ngo`s , die sich da im lande tummeln und das afrikanische elend de facto im gleichschritt mit dem westlichen grosskapital und seinen verlogenen politgangstern konservieren oder sogar noch verschlimmern.

Anonym 15. Juli 2011 um 20:07  

Einige Ergänzungen zur Illustration der "Kultur der Hilflosigkeit" der Provinzstadtväter angesichts der sie überfordernden Thematik:

http://achtmilliarden.wordpress.com/2010/10/15/die-antwoord-»satire-rapper«-oder-»internet-phanomen«/

"Die Antwoord sind kein bloßer »novelty act«, sind nicht Guildo Horn oder die Ö La Palöma Boys, sondern — so scheint es hier — führen zu einer Beschäftigung mit südafrikanischer Kultur, die nicht einmal das Rahmenprogramm der Fußball-Weltmeisterschaft anzuregen im Stande war."

Darin verlinkt:
http://www.boingboing.net/2010/10/06/die-antwoord-evil-bo.html

"So, the story behind this video and song (or part of the story -- there's so much going on!) is that Wanga felt that he was being coerced into a form of ritual circumcision by his community. (...) The thinking, and this is communicated very directly to the young men, is that if you don't participate, you're gay. You're effeminate. You're not a real man. You never mature from being a boy to being a man. (...) And he came to a point where he was like, you know what? Fuck you all. The fact that I won't consent to having my penis sliced with an unsterilized knife, out in the bush, and risk infection or worse-- that doesn't mean "I'm gay," as you say. I reject this tradition."


Und zur Problematik vermeintlich authochthoner barbarischer Traditionen in Afrika am Beispiel der mörderischen Hexenjagden auf Homosexuelle in Uganda:

http://rhizom.blogsport.eu/2011/05/10/missionaries-of-hate/

"Der folgende Dokumentarfilm beleuchtet auf 45 Minuten die Hintergründe des Gesetzes und die Verstrickung US-amerikanischer Fundamentalisten – jener Missionaries of Hate, die dem Film den Titel gaben – in die Verbreitung einer fanatischen, religiös ideologisierten Form von Homophobie in Afrika."

Der Film scheint nur noch zerstückelt zugänglich zu sein, aus einem Kommentar a.a.O:

"Already, some Ugandan newspapers have taken to publishing lists of alleged gays and lesbians with blaring headlines like “Hang Them!” and “Homo Terror!” (...) Uganda is a country where American-style evangelical Christianity is exploding, and there are close links between many American anti-gay preachers, politicians, and activists, and their Ugandan counterparts. (...) It is Americans who have elaborated a vision of homosexuality as a satanic global conspiracy bent on destroying society’s foundations, akin to the Jewish octopus in classic anti-Semitic narratives."

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