Die folternde Gesellschaft

Donnerstag, 16. Juni 2011

Über Folter läßt sich kaum mehr streiten. Sie ist unbestreitbar als Instrument der Ermittlung und Wahrheitsfindung im Herzen der westlichen Gesellschaft angelangt. Über sie wird vorurteilslos diskutiert und sie findet einen breiten Konsens und viele Forderer. Dass sie in bestimmten Fällen eine Berechtigung hat, wird mittlerweile akzeptiert. Fraglich ist nur, in welchem expliziten Fall diese Berechtigung eintritt. So meinen (rechts-)konservative Kreise, dass man Terrorverdächtige foltern solle, um weitere Tote durch vermeintlich geplante Anschläge zu verhindern. Zu erinnern sei da nur an die Worte Wolfgang Schäubles, wonach durch Folter erzwungene Aussagen nicht zu verwerfen seien, wenn sie denn schon mal in der Welt sind. Selbst unter Linken spricht man ganz selbstverständlich von ihr. So äußerte sich selbst Oskar Lafontaine positiv zur Folter, als damals der Frankfurter Polizeipräsident einer Klage ins Gesicht sehen musste, weil er einem Entführer Folter androhte. In bestimmten Fällen sei Folter eine Option, stellte auch Lafontaine klar - und die Bestrafung des Polizisten, so führte er fort, wäre gar eine Katastrophe.

Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Folter zwar grundsätzlich ab. Es gäbe aber durchaus Ausnahmen, schiebt man dann aber nach. So wie im Fall Gäfgen damals, den der Rechtsstaat in seiner Ungerechtigkeit zum Fall Daschner machte. Oder wenn man einen Terrorverdächtigen dazu bringen möchte, weitere Komplizen und Vorhaben zu benennen. Unbemerkt bleibt dabei jedoch, dass die Hemmschwelle bereits relativ niedrig liegt, wenn man selbst schon Verdächtige foltern würde. Folter ist verwerflich, weil brutal; sie macht den gefolterten Menschen zur bloßen Verfügungsmasse seiner allmächtigen Peiniger - und: Folter ist unkontrollierbar. Nicht erst, wenn sie am Leib eines Delinquenten geschieht, sondern schon vorher, wenn man über sie beratschlagt. Aus sicheren Tätern, die gemartert werden sollen, werden schnell "ziemlich sichere Täter", dann Verdächtige, danach potenzielle Täter oder gar potenzielle Verdächtige. Das Verbot der Folter ist auch damit begründbar. Es hat seine Berechtigung, weil der folternde Mensch, wenn er erstmal gewaltsam und im beschaulichen Schutz staatlicher Legitimität am Nächsten tätig wird, keine Hemmungen, keine Barrieren, kein Mitleid mehr kennt. Das strikte Folterverbot ist notwendig, denn die leiseste Lockerung dröselt die Menschenrechte auf und installiert ein neues Rechtsbewusstsein, das keine Mäßigung, keinen Einhalt mehr kennt. "Foltert ihn!" wird dann der inflationäre Slogan, wenn man sich keine Mühe mehr machen will mit Menschen, die in die Fänge der Justiz geraten.

Der Gefolterte

Die Folter verändert in ersten Linie denjenigen, der unter ihr leidet. Es ist hierbei unerheblich, ob er als Schuldiger oder Beschuldigter und später als unschuldig Entlasteter aus dem Folterkeller getragen wird. Er wird an dieser Tortur bis an das Ende seiner Tage nagen. Der Einwand, es würde heute keine Folterkeller mehr geben, sondern lediglich - würde man sich heute dazu entschließen wieder zu foltern - "transparente Folter", kann nicht ernstgenommen werden. Gegen seinen Willen fixiert und der Gewalt anderer Menschen ausgeliefert zu sein, das ist keine Frage der Räumlichkeit. Auch die bürokratische Maskerade, die heute vermutlich anwesend wäre, also staatlich einbestellte Beobachter, die einer "Tortur zum Tode" Einhalt gebieten würden, änderte nichts am Trauma, das dort erlitten würde. Schmerz bleibt Schmerz, Ohnmacht Ohnmacht, eine durch Gewalt erzwungene Aussage bleibt eine durch Gewalt erzwungene Aussage, ganz egal, ob im miefigen Keller oder in einer smarten und modernen "Folter-Location".

Die "Tortur zum Tode" zu unterbinden, wäre ohnehin ein Akt, den sich eine folternde Gesellschaft nicht erlauben könnte. Läßt man einen ehemals Gefolterten frei, entweder gleich nach dem Akt, weil er sich plötzlich als unschuldig erwies, oder später, weil er zunächst eine Haftstrafe verbüßen musste, so würde man einen Menschen in Freiheit lassen, der nie wieder Vertrauen in das Land und seine Institutionen haben könnte. Die Radikalisierung eines solchen Menschen wäre nicht nur eine Gefahr, sie wäre vorprogrammiert und auch verständlich. Die Bereitschaft nun wirklich (oder weiterhin) Mittel des Terrors anzuwenden, dürfte niemanden verwundern und könnte dann auch nicht moralisch beanstandet werden. Dies geschähe vermutlich alles zwischen Therapien und Gewaltakten - hierbei ist an Khaled al-Masri zu denken, der nach seiner Freilassung aus einem Folterknast immer wieder straffällig wurde und keinen gesellschaftlichen Anschluss mehr findet. Zwar ist er nicht Terrorist geworden, aber vermutlich unterstreicht das nur seine Unschuld. Denn wäre er vormals in terroristischen Strukturen heimisch gewesen, nach der Tortur wäre er leidenschaftlich zurückgekehrt. So aber explodiert sein Gewaltpotenzial im alltäglichen Leben. Über kurz oder lang müsste sich der folternde Staat Gedanken über die Folgen machen, die er verursacht - und eine "Folter hin zum Tode", wenn schon nicht erlauben, so doch im Stillen befürworten.

Der Gefolterte und die Folternden

Noch ein Aspekt spricht dafür, dass eine folternde Gesellschaft immer eine durch Folter tötende Gesellschaft sein wird. Die Foltermeister und ihr Hilfspersonal wären einem lebenslangen Spießrutenlauf ausgesetzt, wenn ehemalige Opfer wieder in Freiheit gelangten. Die Angst erkannt zu werden wäre erdrückend und lähmend - ein friedliches Leben mit gutem Gewissen ausgeschlossen. Auch der Folterknecht radikalisierte sich im Laufe der Zeit. Er würde, schon aus Gründen des Selbstschutzes, großes Interesse daran haben, den Körper, den er behandelt (ein Rückgriff auf SS-Sprache: Sonderbehandlung etc.!), auch zu entleiben. Wäre er zu zimperlich, könnte es ihm eines Tages das Leben kosten, wenn eines seiner Opfer nach Rache trachtete. Natürlich könnte man sein Gesicht unter Kapuzen verfrachten, nur dann wäre der moderne Folterstaat, der transparent martert und misshandelt, wieder im stickigen Milieu des Folterkellers angelangt.

Der Folternde ist zunächst ein Täter. Aber im Laufe seiner Tätigkeit wird er zum Opfer voller Ängste, Zwänge und Traumata. Man darf davon ausgehen, dass Folterknechte eine geringe Lebensarbeitszeit hätten. Zwar haben in Vorzeiten auch Menschen lebenslang gefoltert, doch die Sozialisierung damaliger Tage ist mit der heutigen Sozialisierung unmöglich vergleichbar. Ein Menschenleben galt damals wenig - es lag außerdem nicht in der Hand des Folterknechts, es lag in der Hand Gottes, auch während der Tortur. Heute sprechen wir viel vom Schutz des Lebens, für den wir dann sogar foltern. Klar ist natürlich, dass in einer folternden Gesellschaft das menschliche Leben über kurz oder lang weniger Wert besitzt. Dann würde man sich Foltermeister züchten, die keine Skrupel mehr kennen, die nicht mehr humanitätsduselig (Achtung, wieder Nazi-Jargon!) wären. "Für die Menschenwürde foltern" wäre dann als gute Absicht schnell zu den Akten gelegt, die Unantastbarkeit der Menschenwürde müsste geradezu aufgehoben werden, damit Folternde und Gesellschaft ohne schlechtes Gewissen gutheißen könnten, was da im Namen der Sicherheit passiert.

Der Gefolterte und die Gesellschaft

Eine Gesellschaft die hinnimmt, dass ihre Justiz foltern läßt, wandelt sich eklatant. Die Annahme, es bliebe alles wie es war für jene, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ist mehr als dumm. Das Klima wird nochmals merklich abkühlen, die Folter lähmt jeden einzelnen Bürger, die Furcht wird hinter jeder Handlung lauern. Was, wenn ich verdächtig werde?, wird man sich fragen. Zivilcourage und Hilfsbereitschaft werden schwinden - es könnten ja Konflikte entstehen bei der Hilfeleistung, und mit etwas Pech gerät man als Hilfsbereiter in die Mühlen der Marter. Der freie und mündige Mensch, der schon heute bedroht ist, wird dann gänzlich ausgestorben sein. Streikende oder demonstrierende Personen könnten ja unter Verdacht geraten - man könnte aus ihnen herauspressen wollen, wer die Demonstration initiiert hat. Selbst wenn für kleinere Vergehen keine Folter vorgesehen wäre - sie wäre auch gar nicht nötig bei Kleinkriminellen -, die Angst davor wäre stets präsent.

Unter Folter verändern sich nicht nur die unmittelbar beteiligten Personen, Gefolterter und Folternder - die gesamte Gesellschaft wandelt sich. Täter und Opfer leiden an Traumata wie die Gesellschaft daran litte. Auf der einen Seite Furcht vor dem staatlichen Terror, der mittels Folter verbreitet wird - auf der anderen Seite Denunziantentum und die Boshaftigkeit einzelner Bürger, die ihren Nachbarn, Arbeitskollegen oder Bekannten gerne mal der Folter aussetzen möchten, nur als Abreibung versteht sich. Die sowjetische oder aber die nationalsozialistische Gesellschaft kannten solche gesellschaftlichen Verhaltensmuster. Ein Staatswesen, das körperliche Gewalt auf seine Bürger ausübt, wird von nicht wenigen Menschen als "Mechanismus zur Abreibung unliebsamer Mitmenschen" missbraucht. Dann soll der Foltermeister ihnen zu Diensten sein - ein Staatsanwalt, der juristische Vernunft walten läßt, kann nur wenig zur Befriedigung niederer Gelüste gedrängt werden. Der Folterstaat macht aus seinen Bürgern auch dann Bestien, wenn sie nicht direkt mit der Folter zu tun haben. Er legt die niedersten Triebe frei, macht Verleumdung und Zuträgerei zur Normalität, autorisiert die Boshaftigkeit und Schadenfreude.

Ein Staat der Folter wird zum Instrument kleinkarierter Mitbürger, die ihren Gesinnungsterror oder ihren plumpen Menschenhass in die Institutionen tragen - ein Staat unter strengen rechtsstaatlichen Normen, kann nicht zum Instrument des Mobs werden. Der Folterstaat kennt nur die Angst als Urmotiv - der Rechtsstaat (ohne Folter!; denn die Apologeten der Folter würden auch den Folterstaat einen Rechtsstaat nennen) zeugt von Selbstvertrauen. Ein Klima der Angst setzt Verleumdung, Verhaftung und Geständnismachung in Gang, um aus Angst wiederum, Verleumdung, Verhaftung und Geständnismachung zu schürfen, was immer wieder in neuerliche Eskapaden mündete. Das Selbstvertrauen des Rechtsstaates benötigt diesen Mechanismus nicht, ermutigt nicht die Niedertracht und die Verleumdungswut - er schürt keine Angst und merzt somit ängstliche Verhaltensweisen weitestgehend aus.



21 Kommentare:

EuRo 16. Juni 2011 um 08:27  

Was mich daran so gruselt: Müssen wir tatsächlich wieder darüber diskutieren? War das nach dem 3. Reich nicht endgültig tabu? Bin ich wirklich zu naiv?

Björn 16. Juni 2011 um 08:43  

@EuRo: Ich denke, wenn in unserem Land eine Person wie H-P Friedrich an einen so wichtigen Posten wie etwa den des Innenministers gelangen kann, MUSS man tatsächlich wieder darüber diskutieren. Das hat dann aber nichts mit Naivität ihrerseits zu tun, sondern mit dem ganz normalen Wahnsinn, der uns tagtäglich umgibt.

Desparada-News 16. Juni 2011 um 08:59  

@EuRo - ja, Du bist naif, wenn Du glaubst, dass das immer noch tabu ist, weil es nach dem 3. Reich so propagiert wurde. Es ging lange Zeit halbwegs gut, aber jetzt nicht mehr. Wir sind dabei, zunehmend wieder faschistischer - oder anders ausgedrückt - barbarischer zu werden.

potemkin 16. Juni 2011 um 09:32  

Es ist schon so: Vieles, was man vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten hatte, ist heute 'normal'. Wenn man die gewünschten Verändeungen nicht zu schnell durchführt, wie es Diktaturen handhaben, gewöhnt sich der größte Teil der Bevölerung daran. In den USA ist man bereits weiter: Dort herrscht schon die Meinung vor, dass waterbording nicht als Folter gelten önnte. Und der Zweck heiligt allemal die Mittel...

endless.good.news 16. Juni 2011 um 10:09  

Das Problem mit Folter ist, dass man wissen muss ob jemand Schuld ist. Wenn man dies mit Sicherheit weiß braucht man meist nicht mehr zu foltern.

EuRo 16. Juni 2011 um 10:38  

Es gilt als gesichert, dass Folter nicht zu den vorgeschobenen Zielen führt. das kann man wissen. Trotzdem sind viele immer noch scharf drauf. Da es zur Wahrheitsfindung ungeeignet ist, frage ich mal nach den wahren Intensionen der Befürworter. Ein psychologisches Gutachten würde mich interessieren. Ich selber bin kein "Gutmensch", käme aber im traum nicht auf die Idee, einen solchen Job zu machen - auch nicht für Geld. Wie muss man drauf sein, Folter anzuordnen und wie, diese auch durchzuführen? Ich habe den Verdacht, hier geht es in Wirklichkeit nur um die Legalisierung eines pervers-sadistischen Kicks. Oder gibt's noch eine rationale Erklärung für den Schwachsinn?

ad sinistram 16. Juni 2011 um 10:47  

Viele sind ganz wild auf die Folter, nicht weil sie glauben, damit fände man die Wahrheit - sie wollen als Strafvollzug, aus Gründen des Bestrafens also, foltern. So war Folter nie konzipiert und damit wäre die Folter in Zeiten der Massenmedien, tatsächlich ein neues Phänomen, denn sie wäre nicht mehr Mittel zur Findung einer Wahrheit (wohlgemerkt: einer Wahrheit, nicht DER Wahrheit!), sie wäre Labsal für die Massenseele, die dann wüsste: man bestraft wenigstens noch ordentlich in diesen Zeiten.

Hartmut 16. Juni 2011 um 11:05  

Danke für dieses wichtige Thema ! Dadurch, dass im Bewusstsein der Bevölkerung in den vergangenen 30 Jahren eine erhebliche Veränderung in Bezug auf die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung erfolgt ist, halte ich dieses Thema für dringlich. - Die Veränderungen, wie Du sie hier beschreibst, sind für mich zu fühlen. So wie unser Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte (Menschenrechte) im Wesensgehalt von etlichen Politikern durch die Hintertür unterlaufen wurde, so zeichnet sich auch hier wieder eine Wende zum Tragischen unserer rechtsstaatlichen Grundsätze ab.

Einen wesentlichen Gedanken möchte ich anfügen: Physische Folter ist grausam und meist sichtbar - psychische Folter hingegen, kaum nachweisbar, unsichtbar und was die Dauer betrifft, wohl auch viel länger wirksam. - Somit noch grausamer !

Natascha 16. Juni 2011 um 11:12  

Zur Wahrheitsfindung ohne lästige Ermittlungsverfahren, Beweisaufnahme und Zeugenbefragung gibt es in der Tat Heute schon effektivere Mittel als die Folter. Beispielsweise lässt sich durch Gehirnscans ziemlich zuverlässig erkennen ob jemand bei einer Befragung lügt, wobei die Fehlerquote dieser technischen Entwicklungen in Zukunft mit Sicherheit noch weiter abnehmen wird.

Bei der Folter scheint es mir eher um präventives Strafen und präventive Abschreckung zu gehen. Eine Gesellschaft die Folter legitimiert ist also letztlich eine Gesellschaft des negativen Friedens, einer Ordnung die nicht durch freie und humanistische Übereinkunft engagierter Bürger aufrecht erhalten wird, sondern durch ein Zwangssystem von Angst und Repressalien, von gegenseitiger Kontrolle mit dem stetig über jedem Untertan schwebenden Damoklesschwert.

Ein Folterstaat ist immer auch ein totalitärer Staat.

Die Folter stellt einen Rubicon dar, und wer meint dass nicht genug kleine Westentaschen-Caesaren bereitstünden um diesen zu überschreiten - oder wenigstens, versuchsweise mal einen Fuß ins Wasser zu halten um die Temperatur zu prüfen - der ist in der Tat naiv.

Roberto:
"Viele sind ganz wild auf die Folter, nicht weil sie glauben[...]"

Dabei geht es immer auch um die Befriedigung von Rachegefühlen und Sensationsgeilheit, insbesondere wenn die Folter öffentlich stattfindet, wie es bei uns im Mittelalter Gang und Gebe war und wie es auch Heute noch in vielen Staaten tägliches Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist.

Anonym 16. Juni 2011 um 11:18  

Man sollte mal überlegen woher diese Einstellung kommt.
Im guten alten Rom wurde grundsätzlich angenommen das ein Sklave ausschließlich mittels Folter befragt werden muß, da er ja Eigentum seines Herrn ist und diesen daher niemals freiwillig verraten würde ...
Aber mal ganz ehrlich laßt mich mit unserem Bilfinger-Berger brutalstmöglichen Aufklärer (Person beliebig austauschbar) mal alleine, ich garantiere das er nicht nur sehr hoch und spitz schreien wird, sondern das er auch schriftlich zugibt den Regenwurm vergewaltigt und dann brutalstmöglich an die Fische verfüttert hat.
QED ...

klaus baum 16. Juni 2011 um 11:47  

@EuRo: Da alles wiederkehrt, da die Geschichte einen ständigen Rückfall in die Barbarei darstellt, müssen immer wieder von vorn angefangen werden, den Rückfall in die Barbarei zu "verhindern" oder aus der Barbarei heraus die Humanisierung des Menschen neu zu beginnen. Immer wieder.

Oder, um Adorno zu zitieren: Es gibt keinen Fortschritt vom Wilden zur Humanität, sondern nur einen von der Steinschleuder zur Megabombe.

Arbo Moosberg 16. Juni 2011 um 13:05  

Roberto: "Viele sind ganz wild auf die Folter, nicht weil sie glauben, damit fände man die Wahrheit - sie wollen als Strafvollzug, aus Gründen des Bestrafens also, foltern."

Natascha: "Dabei geht es immer auch um die Befriedigung von Rachegefühlen und Sensationsgeilheit, insbesondere wenn die Folter öffentlich stattfindet, wie es bei uns im Mittelalter Gang und Gebe war und wie es auch Heute noch in vielen Staaten tägliches Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist."

Das Merkwürdige ist ja, dass die, die Folter "rufen", sicherlich nicht die Ersten sind, die selbst foltern wollen.

Der Ruf nach und das Verständnis für Folter ist daher reichlich verlogen: Es geht nicht um das Foltern, sondern um das foltern lassen. Mensch möchte sich in einem Anflug sadistischen Voyeurismus daran ergötzen, dabei aber bitteschön nicht selbst die Hände schmutzig machen.

Die bittere Ironie der Geschichte ist, dass die "Folterknechte" meines Wissens nach immer schon nicht gerade zu den gesellschaftlich angesehenen Gruppen gehörten. Es waren und blieben Ausgestoßene. Abschaum, der dafür bestimmt war, die Drecksarbeit zu erledigen, die mensch selbst nicht übernehmen wollte.

Die platte zeitgeistige Ausrede der "Verantwortlichen", dass Foltern notwendig sei, soll den FolterknechtInnen das Gewissen erleichtern. Im Endeffekt bleiben sie mit derlei Dingen und ihrem Gewissen allein gelassen.

Einen guten Eindruck vermittelt die Doku "Henker - Der Tod hat ein Gesicht". Dort lässt sich miterleben, was solch ein "Berufsstand" für Personen "anzieht" und was er aus Menschen machen kann.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich plädiere nicht dafür, dass Menschen Menschen foltern, wenn sie das seelisch und körperlich durchstehen.

Ich finde es nur verlogen und unverschämt, dass jene, die nach Folter rufen und diese vielleicht auch noch "politisch" zu verwantworten haben, nie selbst in die Lage kommen, sich ganz konkret mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen auseinandersetzen zu müssen.

Mit Bezug auf Robertos Text: Es sind die Folterer mit den blutigen Händen, die ggf. eine Rache fürchten müssen; die Herren und Damen, die Folter vom Schreibtisch oder bequemen Talkshow-Sessel aus verordnen, kommen i.d.R. noch nicht mal in den Ruch, dafür gerade stehen zu müssen.

Arbo

Trojanerin 16. Juni 2011 um 16:13  

Gegen seinen Willen fixiert und der Gewalt anderer Menschen ausgeliefert zu sein kann man auch als pflegebedürftiger Mensch erleben.

Aber das ist hier nicht das Thema.
„Eine Gesellschaft, die hinnimmt, dass ihre Justiz foltern lässt, wandelt sich ...“
Ganz wichtig finde ich die Hinweise darauf, was ein Folterstaat aus seinen Bürgern machen kann. Einerseits hört sich das wie eine erschreckende Utopie an, andererseits geht es nicht um utopische Zustände sondern um Folter, wie sie im21. Jahrhundert praktiziert und reflektiert wird.

ericool 16. Juni 2011 um 18:19  

Ich hab jetzt gerade meinen Orwell nicht zur Hand, aber erläuterte nicht O'Brien die Zukunft (bzw. Gesellschaft der Zukunft) Winston Smith gegenüber sinngemäß so:

"Stellen Sie sich ein Gesicht vor und einen Stiefel, der in dieses Gesicht tritt, immer und immer wieder."

Diese Erläuterung natürlich, nachdem er Smith ausgiebig gefoltert hat.

Die heutigen Parallelen zu Orwells Vision sind nicht nur im Kontroll- und Überwachungswahn zu finden.

Anonym 16. Juni 2011 um 19:38  

es ist wirklich traurig, dass folter erklärt werden muss... hier, heute ...aber wahr.

Anonym 16. Juni 2011 um 20:46  

Folter

Das Ende der Menschenrechte.
Das Ende menschlicher Würde.
Das Ende des Rechtsstaates.
Das Ende der Freiheit.

Folter ist Terror.
Gewalt und Hass.
Angst und Schrecken.
Furcht.
Lähmung.
Tod.

Zur Erinnerung
Auch die westliche Unwertegemeinschaft foltert.

Heute trifft es den Taliban, morgen vielleicht schon den - westlichen - Untertan.
Folter kennt keine Grenzen.
Ein Anfang ist gemacht.
Die totalitäre Gesellschaft - alternativlos - wird folgen.

res_inutilis 16. Juni 2011 um 21:03  

Nur für die wenigen, vermutlich jüngeren Mitleser im Forum, die noch nie etwas von den Milgram-Experimenten des Jahres 1961 gehört haben - und zur nachhaltigen Ernüchterung aller Optimisten:

http://de.wikipedia.org/wiki/Milgram-Experiment

Liebe Grüße in die Runde
misfit

Anonym 16. Juni 2011 um 21:22  

Sarrazin von der Staatsanwaltschaft mit ausführlicher Begründung von allen Vorwürfen der Verhetzung freigesprochen...
Das bisher grellste Irrlichtern linker Nachkriegspolemik ist damit wahlweise zu einem schwarzen Loch kollabiert oder zu einer Supernova der Lächerlichkeit verglüht.

Anonym 17. Juni 2011 um 08:44  

Die alltägliche Folter in unserer Gesellschaft zum Wohle der Menschen: Tierversuche!

Siehe auch: Hans Wollschläger "Tiere sehen Dich an - oder Das Potenzial Mengele."

Granado 17. Juni 2011 um 10:42  

"Die Radikalisierung eines solchen Menschen wäre nicht nur eine Gefahr, sie wäre vorprogrammiert und auch verständlich."
Der Konjunktiv wurde für (unschuldige) Guantanamo-Gefangene schon gestrichen bzgl. Warnung, sie zu entlassen bzw. aufzunehmen (in Deutschland).
In Rom galten Sklaven als geeignet, weil bereitwillig, ihre Herren zu denunzieren! Aber nur bei ihnen, nicht bei Herren war Folter zulässig, aber schon damals unzuverlässig in puncto Wahrheit - das zeigt ihren Charakter (auch) als Machtdemonstration. Das steht den Richter-Argumenten entgegen, der die Rede von Folter bei Haftbedingungen von RAF-Gefangenen verfolgte, wo man doch gar nichts mehr von ihnen wissen wollte.

Anonym 22. Juni 2011 um 18:34  

"Anonym 17. Juni 2011 08:44

Die alltägliche Folter in unserer Gesellschaft zum Wohle der Menschen: Tierversuche!

Siehe auch: Hans Wollschläger "Tiere sehen Dich an - oder Das Potenzial Mengele."
"


Das war klar das sich die Jünger Singers und Co bei einem so ernsthaften Thema mit ihrem relativistischen Tierleid = Menschenleid melden würden.

Mensch und Tier verbinden Ähnlichkeiten, sie sind aber nicht gleich! Diese im Sinne Singers utilitaristische Vorstellung Leid und Leid sei aufwiegbar, wäre und ist gerade ein Argument FÜR die Folter. Wenn wir sowieso 50 Millionen Tiere schlachten zu Genußzwecken, wenn Tiere untereinander sehr gnadenlos sind, wieso nicht wir Menschen auch? Was solls! Schützen wir dies oder das Recht, diese oder jene Pflicht, dieses oder jenes Leben eben indem wir mal hier und dort ein bischen Leid zulassen. Z. B. ist die Atombombe auf Hiroshima und Kriege allgemein immer wieder durch solche Begründungen hoffähig! Man gibt vor Menschen retten zu wollen, dafür muss man auch mal leid verbreiten dürfen. Das mit dieser Argumentation sogar der Holocaust zu rechtfertigen wäre, die Bombardierung Dresdens oder auch oben erwähnte Atomaren Freilandversuche als Heilsbringer dem eigenen Volke verkauft werden können, wird übersehen.

Und aus diesem Relativismus und aus anderen, sehr einfachen psychologischen Projektionsprozessen und Weltanschaulichkeiten entsteht auch die blinde Anwendung von Tierrechten in falschem Zusammenhang.

Foltern ist falsch! Tierversuche sind keine Folter und können auch nicht Folter sein. Selbst das gequälte Tier unterliegt nicht dem Folterprozess eines Menschen, der in seinem Bewußtsein ganz andere Dinge erlebt, wenn er ausgeliefert seinen Peinigern gegenüber Schmerz erleidet.

Nichts desto trotz sollten Sie weiterhin den Akteuren auf die Finger schauen. Prüfen Sie jede Handlung, fordern Sie Untersuchungen wenn möglich ohne Tiere einzusetzen, machen Sie öffentlich, kämpfen Sie für einen fairen Umgang mit Tieren, bleiben Sie aber realistisch und hören Sie auf Menschenrechte auf so grausame Art zu degradieren und relativieren.

MFG

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