Einschalten, eingreifen, einmischen, retten und zur Chefsache erklären

Donnerstag, 3. März 2011

Das Axel-Springer-Hochhaus zu Berlin ist der Ort, an dem der Kanzlerin schreiberisch Potenz angeheftet wird. Dort schreibt man Kanzlerschaftsgeschichte, erfindet man sich eine engagierte, malochende, stets rührige Kanzlerin, die sich überall dort einschaltet, eingreift, sich einmischt, rettet und etwas zur Chefsache erklärt, wo sich in diesem Lande Baustellen auftun. Ohne die emsigen Chronisten der Kanzlerin unter der Fuchtel dessen, der der Merkel politischer Ziehvater Trauzeuge ist, würde Merkel wie eine leicht untersetzte Dame wirken, für die Richtlinienkompetenz etwa so viel bedeutet, wie zu jedem Thema einmal töricht in die Kamera zu stieren, um dabei die Lefzen zu unverständlichen Worthülsen zu verformen.

Aber Dieckmannlob entkommt die Kanzlerin jenem Szenario; kaum ein Tag, an dem sie nicht als grande madame des Krisenmanagements beschrieben wird. Überall schaltet sie sich ein - und wie sie sich einschaltet, terminologisch konsequent einschaltet! Sie schaltet sich ein, wenn auf der Gorch Fock Unglücke geschehen - sie schaltet sich beim Kruzifix-Zoff ein - sie schaltet sich ein, wenn in Berlin darüber sinniert wird, ob es weiterhin ein Schulfach Religion geben soll. Und kriselt es in der Koalition, so wird natürlich auch von der sich einschaltenden Kanzlerin berichtet - und manchmal wird sie sogar aus berufenem Munde zur Hinzuschaltung bewegt. Die Kanzlerin ist eine Schaltstelle, der betreffende Textbaustein scheint ganz oben im Baukasten des aktuellen Journalismus zu liegen.

So weit oben wie jener Bauklotz, der von der eingreifenden Kanzlerin weiß. Sie griff ein, als in Stuttgart Bauprojekte zerdemonstriert werden sollten und sie griff ein, als man sich über die Hartz IV-Reformen stritt. Gelegentlich braucht es sprachliche Auflockerung, dann greift sie nicht ein - dann mischt sie sich ein. Die Kanzlerin ganz ergriffen; die Kanzlerin als Mischpult!
Manchmal, wenn die Dramatik der Situation es erfordert, wenn sich Einschalten und Eingreifen nicht mehr lohnen, wird das Sujet zur Angelegenheit des Chefs erklärt: dann heißt es Chefsache Bildungspolitik, Chefsache Milch, Chefsache Afghanistan-Einsatz, Chefsache Hartz IV-Kommission oder Chefsache Opel-Rettung. Pathetischer klingt es, wenn aus dem ordinären Chef eine übergroße Rettergestalt sprießt, so wie damals, als Merkel den Klimagipfel retten wollte - oder als sie Retterin der EU-Verfassung werden sollte - oder als man ihr nachsagte, nur sie könne die Wirtschaft retten.

Die Richtlinienkompetenz des Kanzlers scheint heute mehr denn je, ein bunter Baukasten voller bewährter Textbausteine zu sein. Regieren bedeutet demnach, sich in präperierte Sätze nach Baukastensystem einordnen zu lassen - es sind zudem positive Bauklötze; sie sollen Macherqualitäten unterstreichen. Es ist ein wortkarger Journalismus, der hier zur Praktik wurde; einer, der nicht nach Worten ringt, der sie schon im hübschen Baukasten vorrätig hat - ein einsilbiger, lakonischer Journalismus, gegen den Merkel freilich nichts haben kann; solange Journalisten in Baukästen gefüllt mit positiv konnotierten Phrasenbausteinen greifen, wird nichts hinterfragt, nichts angezweifelt... einschalten, eingreifen, einmischen, retten und zur Chefsache erklären: wer zweifelt da noch daran, dass es sich hier um eine rührige, nimmermüde und dienstbeflissene Frau handelt?



12 Kommentare:

klaus baum 3. März 2011 um 07:49  

ich fand es schon bei schröder extrem peinlich, wenn es hieß: kanzler schröder erklärt die rettung von .... zur chefsache.
spätestens mit dieser formulierung, die suggerierte, jetzt kommt superman angeflogen, war mir klar, dass es mit deutschland in jeder hinsicht, aber vor allem intellektuell, geistig rapide abwärts geht.
peinlichkeit heißt unsere politik. oder: die politik der falschen gesten.

Brandubh 3. März 2011 um 08:17  

Man kann es auch eine Verbetriebswirtschaftlichung der Politik nennen.

pillo 3. März 2011 um 11:06  

Irgendwann werden auch die negativen Textbausteine gedruckt werden. Wenn das Merkel aus Sicht der Betreiber dieses Systems ihre Schuldigkeit getan hat, also in der öffentlichen Wahrnehmung abgewirtschaftet hat, werden sich auch Friedes, Liz's und Huberts Schreiberlinge von ihr abwenden.

Selbst der Dicke aus Oggersheim konnte 1998 nicht mehr mit der vollen Unterstzützung "seiner" Medien rechnen. Bis dahin hatte es allerdings quälende 16 Jahre und vier(?) Bundestagswahlen gedauert. So lange konnten Springer, Kirch und Konsorten Kohl immer wieder an der Macht halten. Klar, Kohl war nicht dazu geeignet ihn a la Guttenberg zur Lichtgestalt zu stilisieren. Damals ging es um Stabilität, Kontinuität und Verläßlichkeit - Kohl als Fels in der Brandung und als einzig wahrer Garant für eine gute Zukunft.

Und dieses Konzept ging, dem schlafmützigen Deutschen Michel sei Dank, lange Zeit auf. So wurde Kohl aller Witze, allen Hohns und aller abfälligen Bemerkungen zum Trotz immer und immer wieder gewählt. Er war nicht beliebt und nur wenige gaben offen zu, für ihn (bzw. seine CDU) votiert zu haben und dennoch wurde er der "ewige Kanzler".

Ich sehe da viele Paralellen zwischen der uckermärkischen Pomeranze und ihrem einstigen pfälzischen Lehrmeister. So fürchte ich, daß uns noch einige Merkeljahre bevorstehen. Es sei denn, der adlige Fastdoktor kehrt zurück :0)

Rainer 3. März 2011 um 11:07  

Mir erscheint die Merkel gar nicht wie ein Mensch, sondern eher wie ein gut konstruierter Cyborg. Und die Dinger kann man bekanntlich ausschalten.

Anonym 3. März 2011 um 11:11  

frag mich schon die ganze zeit, wo eigentlich die ganzen SuuuuuperMinister aus der schröder zeit hin sind.

ist völlig untergegangen diese adelung der minister...

vermisse ich auch nicht - ist mir damals schon gehörig auf die nerven gegangen.

DRESDNER FAMA NEWS 3. März 2011 um 18:24  

...im Kreml brennt noch Licht. Oder?

Als Pionier bekam ich die Broschur: Ein Tag im Leben Walter Ulbrichts in die Hand gedrückt. Es sollte wahrscheinlich meinen Ehrgeiz - alles für den Sieg des Sozialismus zu geben, erhöhen. Allerdings hatte ich schon als Kind gesunde Zweifel, wie der gute Walter alles so in 24 Stunden hin bekam: das Lesen der Parteitagsbeschlüsse, den Besuch bei den Arbeitern und Genossenschaftsbauern, sein Interesse an den Problemen der Schüler und der Kleinen im Kinerdergarten. Auch die Alten bei der Volkssolidarität, sowie die Sportler wurden bedacht und mit dem abendlichen Besuch des Theaters und anderer Kulturschaffenden klang der Tag für ihn beim Lesen eines Buches aus.

Sicher hat die spätere "Erika" es auch gelesen und deshalb arbeitet sie unermüdlich, zumindest für die 10% des Volkes, die es ihr Wert sind...

Anonym 3. März 2011 um 20:14  

Die geistesgeschichtliche fuckin' Reality excellent auf den Punkt gebracht:

Exakt aus diesem Grund hätte ich – wäre ich denn zu diesem Zeitpunkt Professor Häberle gewesen – Guttenberg das „summa cum laude“ geben müssen. T.I.N.A.! This is the reality: „KTv Guttenberg hat einen Großteil seines politischen Handwerkszeugs in recht elitären Zirkeln sogenannten Thinktanks erworben. Hier ist vor allem die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. (DGAP) zu nennen die als direkter Ableger und Schwesterorganisation des US Council on Foreign Relations fungiert und eine ähnliche Struktur aufweist. Ziel beider Institutionen ist die Bewertung von globalen politischen Entwicklungen und die direkte Beeinflussung der legislativen Politik durch Handlungsvorschläge, die fast immer umgesetzt werden.“

Und ich wünschte mir – bei aller Antipathie gegenüber Professoren im Allgemeinen, aber aus Sympathie zu Menschen im Konkreten a priori – er hätte die Grösse, seine fällige öffentliche Verteidigung präzise auf dieses Argument zu gründen. Nebenbei bemerkt: Die „Massgaben der Kunst“ von Peter Hacks könnten i(nicht nur) ihm zu diesem Zwecke Mut machen.

Eine öffentliche Karriere als Akademiker ist aufgrund der objektiven Verhältnisse gegenwärtig objektiv unvereinbar mit dem kantianischen kategorischen Imperativ, und diese Erkenntnis zu popularisieren würde der bleibende Verdienst von Prof. Häberle gewesen sein.

There's still a chance, take it or leave it!

Yet another hint: Lady Bitch Ray & Professor Wildgen, anyone? You're not the first one, believe us that one, for this one time. „Freedom is just another word for nothing left to loose ...“ and if you've ever felt that teenage spirit of freedom, there's no return no more, and you'll utlimately be able to feel alive.

Anonym 3. März 2011 um 22:15  

Kohls Mädel ist halt jetzt die "Supermutti" der gesamten Nation.

Ich seh sie so in der blauen Bluse mit dem gelb untersetzten "S", wo früher "FDJ" drauf stand.

Anonym 4. März 2011 um 03:10  

Mein lieber Roberto, Du hast in der Überschrift das "Ausschalten" vergessen ... Solch ein, wenn auch "negativer Textbaustein" (siehe @pillo), hätte eigentlich nicht fehlen sollen.

ForenBoy 4. März 2011 um 13:57  

KenFM über den Sturz Guttenbergs und das "System Merkel"

http://www.youtube.com/watch?v=uc6V79Vk4D4

Anonym 6. März 2011 um 12:58  

Was Staatsoberhäupter angeht, würde mal ein kritischer Artikel dergestalt Größe zeigen:

Ja, wir Linke sind anfällig für Despoten, die sich vom Westen nicht verbiegen lassen!
Wir waren es, die sich nach Gaddafis UN-Rede 2009 in solcherlei Zustimmung ergingen:

- Der Kerl hat eben mal ordentlich auf den Putz gehauen. Recht so!
Muss dem Mann in jeder Hinsicht recht geben, ich glaube diese Aktion räumt in meinem Herzen gerade einen kleinen Platz für ihn frei, weiter so!

- Die Welt braucht viel mehr von Leuten seines Schlages. Der sagt wenigstens was schief läuft und handelt dagegen, fast alle anderen reden nur alles schön.

- Soll man den Mann nicht bewundern? ...
Soll man sich für die [während der Rede] Fliehenden schämen, die keine Antwort auf Gaddafi haben?

- Ich fand den Auftritt angemessen und bewundere den Mut Gaddafis, der seine Meinung sagt und nicht, wie viele andere, wegen irgendwelcher zu erwartender Vorteile der gesamten UNO in den Arsch kriecht.

Fazit aus solchen Bekundungen ist doch:
Wie soll man so einem würdigen Mann Waffen verwehren für eine Armee, wie sie jedes andere Land auch hat?

Unknown 6. März 2011 um 19:15  

Als ehemalige FDJ-Funktionärin für Agitation und Propaganda und jetzige
Kanzler-Funktionärin im Realexistierenden Kapitalismus, wer wundert sich da über die Rolle der
Bild als Völkischer Beobachter ?

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