Wer zu spät schießt, den bestraft das Leben...

Mittwoch, 16. Februar 2011

Jetzt erst wird Europa gewahr, was es da angerichtet hat. Jetzt, nachdem Flüchtlingswellen das Mittelmeer überqueren, den wasserumspülten Vorhof Europas - der für Flüchtlinge manchmal schon ein Vorhof zur Hölle war! -, Lampedusa mit Namen, verstopft haben, sogar nach Sizilien ausweichen müssen, wird der Europäischen Union schlagartig klar: wir haben alles falsch gemacht!

Nein, nicht dass man ein schlechtes Gewissen hätte, weil man autokratische Regimes stützte, mit ihnen an einem Tisch saß, sich gütlich tat an veredelten Speisen und nebenher seine Bürger in den Maghreb schickte, damit diese dort ganz urlauberisch, despotischen Systemen zur wirtschaftlichen Stabilität verhelfen. Weil man etwa Touristen zur Stützung despotischen Terrors von europäischen Flughäfen aus ausschwärmen ließ - Terrouristen quasi. Nein, deshalb grämt man sich in Europa nicht. Denn das alles mag unmoralisch gewirkt haben - und war es ja auch; aber es war eben auch diplomatisch. Und wer zu etwas kommen will in der Welt, das heißt, wer zu Absatzmärkten und Ressourcen kommen will, der muß sich so verhalten; der muß die Despoten und Autokraten, die Unterdrücker und Tyrannen stützen und bauchpinseln. So will es der Brauch und so braucht es der Wille - der Wille zur Rendite.

Was Europa da dämmert ist, dass es nicht zielgerichtet eingegriffen hat - wieso hat es den Regimes nicht einfach empfohlen, gegen aufwiegelnde Massen zu schießen? Man hätte sich sicherlich auch dazu bereiterklärt, die öffentliche Meinung Europas dahingehend zu lenken, in den Demonstranten abnorme Kommunisten oder übergeschnappte Islamisten zu sehen. Die Sendeanstalten hätten da schon mitgespielt - wäre ja nichts, was nicht schon mal da gewesen wäre. Mubarak hätte dann als Bollwerk gegen ideologisch verblendete Menschenaufläufe gegolten. Aber nein, man war wieder mal zu zurückhaltend in Europa - die Vereinigten Staaten von Europa, die ja irgendwann mal als Gegenpol zu den Vereinigten Staaten von Amerika wirken wollten, müssen vom großen Bruder aus Übersee aber noch lernen: nämlich nicht zu zimperlich zu sein - intervenieren, schießen, Juntas stützen, frei gewählte Regierungen stürzen! So macht man Politik, die Wirtschaftsinteressen wahrt und Flüchtlinge unterbindet. Es ist ja nicht so, dass die hiesige Plutokratie solcherlei Methoden nicht kennte - nur ist man zuweilen eben zu langsam, weil demokratischer Schnickschnack schnelle Entscheidungen verhindert; eine starke Hand müsste da her, ein starker Mann, jemand der führt...

Und nun steht man vor einer humanitären Katastrophe! Damit sind nicht die Flüchtlinge gemeint, die sich in enge Auffanglager drängen, die die große Unfreiheit in ihrer Heimat gegen die kleine Unfreiheit in verzäuntes Areal verlegt haben - es ist eine humanitäre Katastrophe für uns Europäer! Der ganze Quatsch kostet doch Unmengen von Geld! Hätte man rechtzeitig geschossen, das heißt "schießen lassen mit unserem Segen", dann wären Folgekosten vermieden worden. Wer zu spät schießt, den bestraft das Leben! Daher ist es nun geboten, Hilfe zukommen zu lassen. Denn indem wir den Flüchtlingen helfen, helfen wir uns Europäern. Stärkt also die Militärdiktatur in Ägypten, startet ein Casting für einen tunesischen Autokraten, stützt die wankenden Regierungen des Maghrebs generell - wenn schon nicht für den Weltfrieden, so doch dafür, dass man wenigstens uns in Frieden läßt. Wirtschaftsfreundlich müssen die Regimes nur allesamt sein: das ist Grundvoraussetzung, das ist Konsens. Und ihre Leute im Griff haben müssen sie; egal wie, und sei es mit polizeistaatlichen Mitteln, das bleibt denen überlassen: wer sind wir denn, uns in innerstaatliche Belange einmischen zu wollen? Das geht uns doch gar nichts an!

Solange Frieden herrscht, solange der eine Teil der Europäer wieder touristisch in Nordafrika unterwegs sein kann, der andere Teil ökonomisch, gibt es nichts, aber auch gar nichts zu beanstanden. Wenn die Zustände sich dort wieder stabilisiert haben, dann können wir Lampedusa und Sizilien wieder räumen lassen. Erst Regimes wiederherstellen, dann Flüchtlinge rückführen - das liegt in unserer Verantwortung. Soviel Anstrengung! Ein Paar Gewehrsalven und man hätte sich diesen Aufwand sparen können - beim nächstenmal beraten wir unsere Partner und damit uns besser...



15 Kommentare:

klaus baum 16. Februar 2011 um 07:28  

gänzlich undifferenziert und stammtischhaft gesagt: wir haben es nur noch mit einem haufen heuchlerischer, bigotter, verlogener politiker zu tun.

EuRo 16. Februar 2011 um 07:40  

Das ist nicht witzig.
Das ist die völlig entblößte Wahrheit. Sieht ganz schön Scheiße aus, so ganz ohne Euphemismen...

Daniel Limberger 16. Februar 2011 um 09:40  

Lieber Roberto,

Chapeau!!! Danke für Deine Offenheit und Ehrlichkeit bei der Beschreibung des "Problems". Ja, so wird ganz Afrika gesehen: die Großmächte stützen die dortigen Staatsgewalten, um dort für uns Ruhe und Ordnung zu erhalten und die Menschen vor Ort, die kapitalistisch unbrauchbar sind, in Schach zu halten. So sind ja auch die Hungeraufstände der letzten Jahre für Europa und die USA ein *Sicherheitsproblem*! Menschen, gezwungen, an Geld zu kommen, um leben zu können – aber ohne die Möglichkeit, an Geld zu kommen. Grausame Marktwirtschaft global eben…

Liebe Grüßle

Daniel

P.S.: Ich weise auf einen morgen stattfindenden Vortrag zum Thema hin, der wohl einige Tage später auch zum Audio-Download zur Verfügung stehen wird:
- „Tunesien, Ägypten – Revolution in unseren arabischen Diktaturen“ (Dr. Peter Decker, Festsaal des K4/ Künstlerhaus in der Königstraße 93, Nürnberg, am Do., 17.02.2011, 20.00 Uhr, ALSO MORGEN!!!!) > http://doku.argudiss.de/?Kategorie=aktuell

Anonym 16. Februar 2011 um 11:37  

Kein Wunder, dass sich der größte Teil der Bevölkerung dafür entscheidet, an die durch die Massenmedien verbreitete Propaganda zu glauben. Nur dem Aufmerksamen, dämmert da vielleicht, dass "dies und jenes" nicht mit rechten Dingen zu gehen kann. Aber es wird halt nie ins Detail gegangen und am Ende gibt es immer "Experten", die alles wieder richten werden. Und schliesslich ist ja auch alles nicht so schlimm, nicht wahr! Nich wahr...?

Dein Artikel entblößt auf schmerzhaft ungeschminkte Art und Weise die zynische Wahrheit, die niemand haben will.

Diana

A.R. 16. Februar 2011 um 12:38  

Was passiert, wenn der Westen dann doch mal einen Diktator in dieser Gegend zu Fall bringt, hat man ja im Irak gesehen.
Das soll die Lösung sein?
Die Einschränkung der Zusammenarbeit mit solchen Staaten geht immer mit großem Geschrei der Menschenrechts- und Hilfsorganisationen einher, da diese Einschränkung der Zusammenarbeit dann das Volk träfe, und nicht die Herrscher in ihren Palästen.
Also den humanitären Aufschrei gibt es immer - wenn man mit den Despoten zusammenarbeitet, und wenn man es nicht tut.

Anonym 16. Februar 2011 um 13:06  

Ich habe von diesem Staate die Nase Voll!

So, jetzt ist es raus.

Brandubh 16. Februar 2011 um 13:19  

Waren unsere Politiker denn irgendwann einmal besser?

Kassandra 16. Februar 2011 um 13:29  

'Terrouristen': auf den Punkt gebracht.

Jetzt habe ich für meine bis dato in dieser Hinsicht unartikulierbaren Empfindungen (aus Kindheit und heutige) eine treffende Bezeichnung. Danke!

udo haupert 16. Februar 2011 um 13:43  

Was soll dieses theater? "Wir" brauchen doch ausländische arbeitskräfte - heisst es zumindest. Und wenn die dann kommen ist es eine "humanitäre katastrophe"? Katastrophal ist wieder mal nur die dummheit, mit der man uns hinters licht führen will.

landbewohner 16. Februar 2011 um 13:55  

ob es wirklich ein fehler war, wird die zukunft zeigen.
der irak hat ja nicht nur den amerikanischen freunden gezeigt, daß kanonenbootpolitik nicht immer zur erwünschten friedhofsruhe führt. nun probiert man mal demokratie a la brüssel, wahlen ohne alternative, viel demokratisches getue, mehr überwachung und eine aufgerüstete frontex.
hoffen wir nur, daß sich die bande verechnet hat, dann könnten die aufstände in nordafrika auch für europa wegweisend sein.

Anonym 16. Februar 2011 um 14:24  

@ udo haupert
Sie meinten: '"Wir" brauchen doch ausländische arbeitskräfte - heisst es zumindest. Und wenn die dann kommen ist es eine "humanitäre katastrophe"?'

Aber die Qualifikation, Herr Haupert, die Sache ist in der Diskussion doch immer untrennbar mit der "Qualifikation"!

Gobi 16. Februar 2011 um 17:49  

Wieder einmal ganz besonders zutreffender Beitrag indem alles gesagt ist. Übrigens, das Wort "Terrourist" würde ich mir schützen lassen !!!

Viele Grüße und Danke für die viele Mühe.

PeWi 16. Februar 2011 um 18:17  

Alles richtig, aber auf die Touris zu schimpfen kann man so nicht ganz stehen lassen. Touris stützen mit ihrem Geld nicht nur ein Regime, sondern sie schaffen auch Arbeitsplätze. Und wenn man im arabischen Souk einkaufen geht, lässt man sein Geld an der richtigen Stelle.

Anonym 17. Februar 2011 um 08:50  

Schießbefehl? Kennen wir doch nur von der Ex-DDR mit über 100 getöteten Flüchtlingen. Die Bruderstaaten der humanitären BRD haben es nicht nötig, Kugeln zu vergeuden, sie lassen dank Frontex ertrinken. Jedes Jahr ertrinken im Mittelmeer und im atlantischen Ozean zwischen Westafrika und den kanarischen Inseln über 1000 Flüchtlinge. Und ein nicht unbeträchtlicher Teil davon wird an die herrlichen Badestrände mit deutschen Touristen gespült. Sofern der eine oder andere noch lebt, wird er von den Touris sogar ersthelferisch versorgt.

Banana Joe 17. Februar 2011 um 17:22  

Ein wenig OFF Topic aber trotzdem an dieser Stelle eine Frage...

...könnte es sein, dass z.Zt. gerade ein neues zeitgeschichtliches Kapitel geschrieben wird, das Bestens in Noami Kleins Buch "Die Schockstrategie" passen würde?

Ahnt man nich schon die "Reformen", die für diese Völker in Planung sind?

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