Seit 7.48 Uhr in Freiheit

Sonntag, 4. Juli 2010

Ab heute bist du frei, ausgeplünderter Werktätiger! Ab heute rinnt alles in dein Portemonnaie! Seit 7.48 Uhr bist du deine Ketten los, deine Sozialstaatsketten, die dich in Gefangenschaft geschmiedet hielten. Erst am hundertfünfundachtzigsten Tag des Jahres ist deine Leibeigenschaft Geschichte - endlich bist du dein eigener Herr; endlich erlöst vom Joch der Steuerabgabe!

Eigener Herr sein: so müsste es das ganze Jahr vorherrschen! Frei von Steuern und Abgaben, befreit von Solidarität, ganz freimütig eigennützig. Dreimal täglich rollen die freien Liberalen ihren Gebetsteppich aus, penibel gen Manchester ausgerichtet, um genau jene Freiheit anzubeten - um diese Freiheit um ihre Wiederkunft zu bitten, damit sie sie erlöst aus ihrem steuerzahlenden Elend. Diese seit heute temporäre Befreiung, so reichern sie ihre Gebete um evolutionäres Geschwätz an, sei der eigentliche Naturzustand - Steuern zahlen sei zivilisatorischer Luxus einer aus der Art schlagenden Gattung. Werdet wieder natürlich - Amen!

Und wie erhaben sie den eigenständigen, steuerfreien Herrn zeichnen, diesen selbstverantwortlichen Typus Mensch, der keine Steuern zahlt und so von seinem Euro fast alles einbehält im Säckel. Ein Mann eigener Haftung - souverän in seiner Steuerfreiheit, eigenständig und unabhängig. Er ist besser gekleidet als der Steuerzahler, speist höherwertig, hat das Eiapopeia vom Himmel auf die Erde verlegt! Nur krank dürfen diese freien Herrn nicht werden, denn dann nützt der feine Zwirn ebensowenig wie die gute Speise - dann bröckelt die lächelnde Fassade des Steuerbefreiten, dann schaut er noch viel griesgrämiger drein als die angeketteten Steuersklaven.

Davon kommt in den Gebeten der freien Liberalen und des Bunds der Steuerzahler freilich nichts vor - Freiheit hat eben ihren Preis: sie kostet die Solidarität. Nur gut, dass die heute proklamierte Befreiung nur einer der üblichen Propagandascherze der BdSt-Sektierer ist. Man male sich nur aus, es fände eine wirkliche Befreiung bis Anfang 2011 statt: keiner dürfte mehr krank oder gar zum Pflegefall werden; Arbeitslose und Rentner wären bis dahin abgeschafft - und wer würde für Banken bürgen? Dann doch lieber in steuerlicher Gefangenschaft, damit ein Rest von Freiheit bleibt!

Nein, freu dich nicht zu früh, Steuerknecht. Du bleibst gefangen! Und weißt du warum? - Damit du befreit bist: befreit von jenen Sorgen, die dich erst ereilen, wenn dich das Leben angeschissen hat. Solange du nur schuftest und Steuern und Sozialabgaben zahlst, weißt du von diesen Kümmernissen nichts: und das wissen auch die Steuerbefreiungsfetischisten - deshalb überbrühen sie dich ja auch mit ihren schalen Botschaften und berichten dir von ihren sich entrüstet gebenden Gedenktagen. Solange du von den Sorgen, die manches Leben bereiten kann, nichts weißt, bist du leichter manipulierbar - jene, die schon mal vor den Scherben ihres Lebens standen, sind nurmehr schwer zu verdummen. Freu dich also nicht zu früh: du kommst heute nicht frei. Du kommst nicht frei, damit du frei von Sorgen sein kannst - wenigstens halbwegs.



9 Kommentare:

Anonym 4. Juli 2010 um 16:42  

Keine Steuern zahlen, das hieße auch: keine Straßen, keine Straßenbeleuchtung, keine Kanalisation, keine Krankenhäuser, keine Schulen und Universitäten, keine Bibliotheken, keine Theater, keine Schwimmbäder. Nichts, einfach gar nichts, was der Gemeinschaft gehört. Alles wäre abhängig von der Gnade der steuerbefreiten Bürger.

Alles wäre private Initiative und möchte dann entsprechend bezahlt werden. Und dann geht's los: der Eine will dies, der Andere wieder das. Und wenn mal was fertig geworden ist, verfällt's, weil auch die Gruppe der Geldgeber verfällt.

Am Ende, und nach langem Streit, kämen die Befreiten dann auf die Idee, eine Abgabe einzuführen - um Straßen, Krankenhäuser, Schulen usw. bauen und unterhalten zu können. Alles, was die Gemeinschaft halt so braucht, um eine Gemeinschaft zu sein.

klaus baum 4. Juli 2010 um 16:58  

wenn ich mich richtig erinnere, war es folgende sendung, die ich heute morgen so kurz nach 7 uhr gehört habe:
>>- Keine Rücksicht auf alte
Allianzen? Zum Selbstver-
ständnis der USA ein Gespräch
mit dem Politologen
Karl Kaiser<<
Darin sagte Prof. Kaiser, der in den USA lehrt, in Kalifornien müssten tausende von Lehrern entlassen werden, weil der Staat aufgrund von fehlenden Steuereinnahmen kein Geld mehr hat. Der Steuersenkungswahnsinn hätte dazu geführt, dass u.a. Kalifornien seine öffentlichen Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann. Und einen vergleichbaren Wahnsinn habe die FDP in Deutschland vor.

Ich dachte sofort an meine Freunde, die Lehrer sind.
Noch sind sie finanziell gut versorgt, und ich hoffe nicht, ich treffe sie im Land der Armut wieder.

Anonym 4. Juli 2010 um 17:49  

Du sagst nur die Wahrheit und auch noch rhetorisch supi verpackt. DIE Schande ist, dass du nur eine handvoll Menschen erreichst. Aber.
Spricht man mal in z.b. deinen Worten, oder in den Worten von Nachdenkeseiten oder Feynsinn, steht man sowas von ruckzuck in der Ecke des Verschwörungstheoretikers. Zum Kotzen.

Da ich gerade ein bisserl Frust schiebe, sei es mir gestattet, ein kleines Video zu posten ;-)

http://www.youtube.com/watch?v=RCiv1_GkAEE

klonyjane 4. Juli 2010 um 20:11  

Gibt es denn nicht mal einen fähigen Kopf der als Pendant zu dieser
Schuldenuhr die Zinsenuhr kreieren
kann ? Da wir doch in einer Gläubigerdiktatur leben, wäre es doch sehr lehrreich die tickende Gewinneruhr der Reichen und Schönen
täglich vor Augen zu haben, zumal
das ja auf unsere (die armen Schlucker) Kosten geht !!!!!!!!!

Anonym 5. Juli 2010 um 00:27  

Anonym klonyjane hat gesagt...

"Gibt es denn nicht mal einen fähigen Kopf der als Pendant zu dieser
Schuldenuhr die Zinsenuhr kreieren
kann ?"

Da kann man nur ganz und gar neidlos sagen: Eine geniale Idee, Danke !!!

MfG Bakunin

Anonym 5. Juli 2010 um 08:33  

seit 5:45 uhr wird zurückgeschossen! seit 7:48 uhr werden keine steuern mehr bezahlt! propaganda und uhrzeiten.

Anonym 5. Juli 2010 um 16:40  

Die Zinszahlungen an die Gläubiger machen für 2010 einen Betrag von 1.997,72 € pro Sekunde aus.

Quelle = auch hier Bund der Steuerzahler:

dhttp://www.steuerzahler.de/files/19765/Zinsdiagramm_1.4.2010.pdfer Steuerzahler:

Anonym 5. Juli 2010 um 17:42  

hmmm .. wie währe es denn mal mit einer "Umverteilungs-Uhr", mal so als Anschauungsmaterial was der Gemeinschaft so entzogen wird?

flavo 6. Juli 2010 um 12:53  

Die Eigenverantwortung braucht man nicht als Gemurks der Oligarchen zu brandmarken. Das Anhimmeln der Eigenverantwortung liegt im Herz der Mittelschicht und zumindest in der linken Herzkammer der Arbeiter und Angestellten. Was die Oligarchen machen ist einzig, sie sehen und greifen zu, in die Herzen dieser Menschen und ziehen ihre Seele an diesem Band heraus. Diese überschlägt es sogleich dreifach. Im Sog dieses angereizten geistigen Triebes rennen sie alle wie die Wilden umher. Der zuckersüße Saft des sozialen Aufstiges sickerte in den Hochzeiten des Fordismus bis in die untersten Etagen. Unmerklich war schon die Eigeninitiative angespornt worden, ihr waren aber leichte Bahnen gelegt, die großen Spielraum für Versäumnisse ließen. Und wenn es doch geklappt wie in so vielen Fällen dann klopfte man sich innerlich in der Ruhe des Vorschlafes doch auf die Schultern und belobigte sich, wie gut man das gemacht hat mit der Zeit. Die Mittelschicht, dieses groß gewordene prätentiöse Ungetüm, konnte ihren asketischen Aufstiegstrieb noch vertiefen, die Arbeiter folgten aber lässig und am Ende war mußten sich die Mittelschichtler duch illusionieren und glauben, sie hätten es ganz weit gebracht, während ein guter Lebensstil doch auch dem Arbeiter erreichbar war. Die Eigenverantwortung stachelt an, der Mittelschichtler kann nur nach oben gaffen und tut alles dafür, un wenn er sich ein unmoralisches Standbein in den unteren Gefilden zurechtdenkt, um sich empor zu denken. Die Mittelschicht hat es in sich, diesen conatus des willengetriebenen sozialen Aufstiegs. Er ist ihre Seele und diese wird nach der Verengung der offiziellen Aufstiegsbahnen angereizt. Wie die panische Maus in der Ecke erhöht die Mittelschicht die Betriebstemperatur. Der ganz abgründige Hass, der Neid, der Ellbogen, die Verachtung, das Ressentiment quillen in die Anwesenheit, die Spannung der Askese vor den wuchtiger gewordenen Ansprüchen der Prätention heizen ein. Es ist eine selbst verschuldete Unmündigkeit. Die ganzen Maskeraden der Solidarität und des Wohlwollens zerfallen. Es kommt das Rechthaberische, das Empfindliche, das Berechnende, der Dünkel, die Falschheit, das Tricksen zur Anwendung. Der conatus dieser Klasse pflügt durch die Gesellschaft. Die Oberschicht kann amüsiert zusehen und zum Zeitvertreib das Ölkännchen arbeitsteilig ins Feuer leeren. Die Arbeiterklasse ist der Acker, sie wird gespalten in die Unterschicht und in die unterste Mittelschicht. Der Sinn der Eigenverantwortung ist die Prätention. Wie ich vor Jahrzehnten aufgestiegen bin, von Tagelöhner Eltern zu Kunstvisitatoren, der Erfolg stellte sich ein nach der Imitation der über mir stehenden. Immer schon lächerlich aus der Sicht der Oberschicht, erbaute man sich ein Plastikkopie derselben und wähnte sich vor den Produkten eigener Leistung. Nun wurden die Daumenschrauben angezogen. Nicht der Aufstieg in breiten Aufstiegsbahnen ist gefordert, nein nun ist die Lebensführung bei Verbot von Unterstützung durch andere geboten. Das atomistische Leben ist gefordert. Schaffst du das oder bist du ein Schwächling, der am Tropf der anderen hängt? Die MEthode liegt bereit. Jahrzehntelang übte man sie ein: Askese. Die Prätentionsneigung wurde zu neuer Beweisführung aufgefordert. Nicht nur das imitieren des Lebensstils der Oberschicht befriedigte, nein, über Nacht erstand eine Welt der reichen Vorbilder, die von sich behaupten, Millionen an Besitztümern seien Hervorbringungen gerechter Muskelaktivität und die damit ein einhergehende totale Unabhängigkeit das Ziel des Lebens sowie die Vollendung von Mitmenschlichkeit: man stiehlt den anderen keine Cents mehr zur Erhaltung des eigenen Lebens. Das Mittelschichtherz muss Kapriolen schlagen, sie kommt in den Lebenskurs für Fortgeschrittene. Es wird Ernst.

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