De dicto

Donnerstag, 8. Juli 2010

"Wir sind, so hat die berühmte britische BBC ermittelt, das beliebteste Volk der Welt."
- Hans Hermann Tiedje, BILD-Zeitung vom 5. Juli 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Oh, das schmeichelt denen, die nervös am deutschen Minderwertigkeitskomplex nagen. Ein auserwähltes Volk mag man nicht mehr sein, diese Zeiten sind zunächst einmal passé - aber wenigstens das beliebteste Volk der Welt soll man doch sein dürfen! Man ist ja bescheiden. Und die Briten erbarmen sich tatsächlich und stellen den Deutschen eine solche Bescheinigung aus. Wir sind wieder wer in der Welt! Vorbei die Zeiten, wo der Deutsche still und eingekehrt seine Heimat liebte. Heute soll die ganze Welt seine Heimat lieben - und ihn gleich noch mit dazu. Wie gut das denen tut, die an zu wenig Liebe litten, die eine Psychose entwickelten, weil sie sich immer ein wenig verschmäht wähnten.

Oh ja, die Deutschen werden geliebt, weil ihre exportlastige Wirtschaftsdominanz Arbeitsplätze im Ausland zerstört - und weil ihre strikte Lohnzurückhaltung und Steuerbefreiungswut die fremden Märkte mit billiger Ware segnet, mit denen die dort heimischen Produkte nicht mehr konkurrieren können. Sie werden für ihre Discount-Welteroberungspläne geliebt, die von Skandinavien bis Osteuropa prekäre Arbeitsplätze, Druck auf Erzeuger mitsamt ökologischen Raubbau in Geschenkpapier wickeln. Man liebt die deutschen Billigheimer arg, weil sie Arbeitsplätze schaffen, nachdem sie Arbeitsplätze zerstörten - Wechselkurs: eins zu anderthalb! Und nebenher führen sie sich in ihren Filialen auf wie großspurige Feldmarschälle - man denke nur an jene tschechische Lidl-Verkäuferinnen, die während ihrer Menstruation Stirnbänder tragen sollten. Ja, dafür wird man geliebt! Innig ist die Liebe zu jenen deutschen Firmen, die im Ausland Werkshallen errichten, sich dort weder an Sozialstandards noch an annehmbare Umgangsformen halten - die dort mit Kameras überwachen lassen, kranke Mitarbeiter feuern und auch arbeitende Kinder für lobenswert erachten, wenn sich dadurch nur die Lohnstückkosten verringern.

Oh ja, die Deutschen sind das beliebteste Volk auf Erden - aber nur dann, wenn man jene fragt, die mit dem deutschen Krämer noch nichts zu tun hatten! Denn der Minderwertigkeitskomplex ist nicht unbegründet, gerade deutsche Unternehmer und ihr Personal benehmen sich außerhalb Deutschlands wie die Axt im Walde - noch schlimmer als innerhalb deutscher Grenzen: was schon was heißen mag! Doch das soll nicht kümmern, der deutsche Leser soll sich daran erfreuen dürfen, dass er beliebt ist, dass er geliebt wird - der deutsche Global Player presst zwischenzeitlich weiter jene aus, die ihn laut Studien so arg begehren. Liebe macht blind, Geliebtwerden auch - man sage jemanden, dass er geliebt wird und schon trübt sich der Blick. Man sage dem deutschen Leser und Zuseher nur, dass er beliebt ist und schon legt sich ein Schleier über seine Augen, schon sieht er nicht mehr, wie sich seine Landsmänner fern der Heimat aufführen. Und genau dafür ist das Herausputzen dieser Man-hat-uns-wieder-lieb-Phrasen, die man dieser Tage wieder häufig vernimmt, erdacht...



16 Kommentare:

Rainer 8. Juli 2010 um 10:08  

Es kann einem übelwerden: Die Deutschen beliebtestes Volk, Job-Wunder, Ende der Krise in Deutschland, Produktion steigt über alle Maßen....
Ich fühl mich immer mehr an Orwell erinnert.

Anonym 8. Juli 2010 um 10:33  

Hallo Herr Lapuente,

Sie verführen mich immer öfters, die Links nach bild.de anzuklicken.
Das ist für meine Gesundheit gar nicht gut. Bei jedem Klick auf bild.de rumort mein Magen und das endet dann in eine derbe Scheißerei.
In Zukunft werde ich bei einer Verstopfung entscheiden, ob ich als Abführmittel Sauerkraut oder bild.de zu mir nehme. Nein, ich hau mir Sauerkraut rein weil es biologisch ohne Nebenwirkung wirkt. bild.de könnte Langzeitschäden durch starke Nebenwirkungen verursachen.

Anonym 8. Juli 2010 um 10:36  

@Rainer: Das mit Orwells 1984 haut hin:

- War is peace
- Freedom is slavery
- Ignorance ist strength

Der Deutsche arbeitet sich durch diese Auflistung von unten nach oben vor. In die gleiche Richtung, wie der Reichtum verteilt wird.

Anonym 8. Juli 2010 um 10:53  

Die Deutsche Bank, die gerne in der Ferne zwansgräumen läßt, hätte auch noch gut in die Aufzählung gepaßt.

ekelfranz 8. Juli 2010 um 12:27  

Nein, nein, da ist seine Schleimigkeit H. H. Tiedje nur seinen mangelnden englischen Sprachkenntnissen zum Opfer gefallen. Der Beitrag der BBC bezog sich auf einen Forschungsbericht der Universität Aberdeen
www.mar-eco.no/mareco_news/2009/new_ecomar_discoveries, der von Lebewesen in der atlantischen Tiefsee berichtet, die ohne Gehirn und ohne Augen existieren können. Die BBC meinte dann weiter, und darauf bezieht sich H. H. Tiedje in seinem Beitrag, die an Land lebenden Verwandten, die deutschen Spießbürger, wären aus diesem Grund auch das beliebteste Volk der Welt. Was, wenn man Tiedje und dem was er so von sich gibt so betrachtet, wohl nicht von der Hand zu weisen ist. Das gilt im Übrigen auch für den größten Teil der Leser, die den von Tiedje und Kumpanen vollgeschmierten Papierfetzen täglich als Nachrichtenquelle verwenden. Von den sie Regierenden ganz zu schweigen.

Banana Joe 8. Juli 2010 um 13:08  

Lieber Roberto,

Deine Ausführungen treffen zu 100% ins Schwarze.

Eine witzige Anmerkung möchte ich dazu noch beitragen:

"Ja die Deutschen können auch wieder richtig ausgelassen feiern" konnten die Zuschauer von Netzer und Delling bei der ARD gestern noch VOR DEM Spiel gegen Spanien hören (die beiden haben schon ziemlich dick aufgetragen)...

Doch was war nach dem Spiel?
Freude über das erreichen des Spiels um Platz 3? - Fehlanzeige!
Der "Bericht aus Berlin" und München zeigte leere Plätze.

"Fröhlich Feiern" sieht anders aus. ;-)

Uschi Basfeld 8. Juli 2010 um 13:41  

Chapeau!!!

unschland 8. Juli 2010 um 13:55  

ist doch alles nicht weiter schlimm
- wenn sich die briten jetzt erinnern, wer ihre wahren freunde sind:
schön war doch die zeit, als britische truppen zusammen mit deutschen freichorps und braunen truppen seit an seit die revolution in weißrussland bekämpften!

kapiernix 8. Juli 2010 um 14:05  

Dieses Ergebnis der Umfrage machte mich auch sehr stutzig. Mir fallen dafür eigentlich nur folgende Erklärungen ein:
1.) Die Umfrage wurde versehentlich in einem Paralleluniversum durchgeführt, in dem alles umgekehrt ist.
2.) Die haben einfach in Excel eine Zufallsfuntion generiert, die eben zufällig Deutschland ausgespuckt hat.
3.) Die haben einen Affen auf unterschiedliche Knöpfe drücken lassen, immer wenn er auf 'Deutschland' gedrückt hat bekamm er eine Banane, bei allen anderen Knöpfen einen elektrischen Schlag.

Falls jemandem noch andere plausible Erklärungen haben, würde ich diese gerne lesen.

Mit freundlichen Grüßen

elli 8. Juli 2010 um 14:34  

@ kapiernix

vielleicht ja, weil sie sich auf diesem weg erhoffen, dass wir ihnen bei der finanziellen rettung von BP helfen..

bis denndann, elli

Anonym 8. Juli 2010 um 15:08  

Anonym Banana Joe hat gesagt...

Lieber Roberto,

Deine Ausführungen treffen zu 100% ins Schwarze.

Eine witzige Anmerkung möchte ich dazu noch beitragen:

"Ja die Deutschen können auch wieder richtig ausgelassen feiern"

" Doch was war nach dem Spiel?"

Sehr gut beobachtet!!!
Die Deutschen können offenbar immer nur dann ausgelassen feiern, wenn sie gegen vermeintliche oder tatsächliche SCHWÄCHERE Gegner gewinnen, SIIIIIIIIEGEN....
Besonderns natürlich auch in Berlin, auf der so genannnten "Fan-Meile", so auch schon 1940, als Adolf Hitler nach der millitärischen Niederwerfung Frankreichs Teile der daran beteiligten Wehrmachtshorden mit großen TAM TAM durch Berlin marschieren ließ, des Führers damaliger "Fan Meile" am Siegestor.
Und Hunderttausende Berliner und deren "Gäste" gröhlten, jubelten, kreischten, brüllten, "feierten", "Blumenmeere"..(Siehe You Tube Video).
Nur 5 Jahre später bettelte das gleiche Gesindel, die gleichen "soooo ausgelassenen feiernden Deutschen" an den Gulaschkanonen der ROTEN ARMEE um Suppe und Brot!
Ja, ja, diese "ausgelassen feiernden Deutschen"....
Noch ein Kontrast zu wirklich alten und zivilisierten Kulturvölkern Europas: Bei der EM 2004 NACH dem Sieg der griechischen Mannschaft gegen die portugiesische Manschaft im Endspiel(!)in Lissabonn feierten Tausende griechischer Fans zusammen mit vielen portugiesischen Fans gemeinsam(!) noch die ganze Nacht dieses Fußballereignis!
Wäre DAS in Deutschland denkbar NACH einer Niederlage der deutschen Mannschaft?
Und DIESES Volk soll dass "beliebteste der Welt" sein?
Bei derartigen Blödsinn bleibt einem nur noch die Spucke weg!
Ich denke, "kapiernix" hat mit seinen "Affen" so voll ins Schwarze getroffen wie jener tolle fliegende Spanier gestern so wunderbar ins deutsche Tor! :-)

MfG Bakunin

Anonym 8. Juli 2010 um 18:27  

Das war wirklich unter der Gürtellinie, mein lieber Bakunin.

Ich kann mich aber nicht verleugnen.... dein Text hatte doch das gewisse Etwas.
Bei den Partisanen würden manche noch um ihr leben bitten.
Und sie verliern immernoch (Kroatien & Serbien) "ironischeslachen*

Zoran

Egon 8. Juli 2010 um 18:57  

Nach dem Abpfiff, den Kommentaren und den folgenden Interviews mit den Spielern (z. B. Lahm mit seinen bittertraurig hängenden Lippen) kam mir so die Idee, dass die Deutschen immer gaanz groß anfangen und ganz, ganz klein enden müssen. Ich hoffe, die gestrige Niederlage hat den Jubeldeutschen ein bisschen Mut gemacht, es zum Ausgleich mal mit Vernunft statt Euphorie zu versuchen. Dieser spanische Sieg war nötig, ich habe zu lange darauf gewartet. Ich hätte mir ein 0:4 gewünscht. Und worum es eigentlich bei diesem Fußballspiel (!) ging, wurde heute bei N24 deutlich: Die Welt soll uns lieben, sonst knallt's. Unsere Fußballer sind die idealsten Sympathieträger Deutschlands. Wer kommt da schon auf Nationalismus?

Anonym 8. Juli 2010 um 21:03  

Die Mildvariante von Wir-sind-wieder-wer also, BILD-verbreitet.

Dieser entspricht die zeitgenössische Variante des friendly fascism, der ganzdeutsch-fahnenschwenkende juventile Partyrassismus.

Leider schade, Roberto, daß Sie von Geschichte minus-Ahnung haben;-)

Harry

Anonym 8. Juli 2010 um 23:55  

Anonym Anonym hat gesagt...

"Das war wirklich unter der Gürtellinie, mein lieber Bakunin."

Hi Zoran, vielleicht, vielleicht...., aber diese hochgeputsche Hysterie geht mir einfach gegen den Strich.
Gegen gute und spannende Fußballspiele habe ich gar nichts.
Ich schaue mir mit meiner Familie bei EM und WM regelmäßig fast alle Spiele an, egal, welche Manschaften gerade antreten.
Über Erfolge von "Außenseitern" freue ich mich immer ganz besonders.

MfG Bakunin

epikur 9. Juli 2010 um 17:30  

Oh ja und wie beliebt wir Deutsche doch sind. Vor allem die Mallorca-Proleten und die Deutschen Sex-Touristen in Thailand. Sie lieben uns. Oder doch nur unser Geld und nicht uns persönlich? Hmm...

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