Die schlimmste aller möglichen Krisen

Mittwoch, 19. Mai 2010

Es ging uns ja schon seit Wochen, seit Monaten, eigentlich irgendwie immer schon dreckig. Krisen allerorten, Mord und Totschlag, Gewalt und Unterdrückung an allen abgerundeten Ecken der Weltkugel. Derzeitig hier Griechenland, dort das obligatorisch gewordene Weiter so! der politischen Kaste - und irgendwo am nebligen Horizont befehdet sich Thailand untereinander. Und nun das Krönchen, das i-Tüpfelchen, das saure Sahnehäubchen des gesamten Elendes! Wenn auch alles Vorherige schon schlimm, schon garstig war - das was uns nun ereilt hat, sprengt das letzte Fünkchen Zuversicht: denn Michael Ballack wird im Juni nur Zuschauer sein!

Ballack! Ausgerechnet Ballack! Dieser einäugige Messias zwischen erblindeten Jüngern; dieser Virtuose des gepflegten Fehlpass- und Versteckspiels! Ausgerechnet jener Ballkünstler, der stets gerade dann zwischen den Halmen des gesegneten Rasens auf Tauchgang geht, wenn es um etwas geht; der allweil dann ein Gigant seiner Zunft ist, wenn seine Mannschaft zum spielerischen Gigantismus aufläuft; der ebenda Führungspieler wäre, wenn seine Kollegen keinen Anführer brauchen, weil sie sich selbst führen. Ausgerechnet Ballack, der schnörkellose Techniker ohne Technik, mit seinem ebenso schnörkellosen uncharismatischen Charisma. Dieser funktionalisierte Werbe-Einfaltspinsel und Interview-Simpel, ausgestattet mit dem Unterhaltungswert und dem Charme eines vor sich hinschimmelnden Weißkohls. Ballackballackballack, dieser personifizierte Hoffnungsschimmer großdeutsch-pandemischer Fußball-Teutonitis!

Exklusive Sondersendungen und sonderliche Exklusivsendungen folgten umgehend. Trauerminuten und in Reportermimik gegrabenes Trauerflor waren selbstverständlich! Ballack übertünchte das sonstige Geschehen - nach seiner Absage dampfte die Kacke erst so richtig. Unbekümmerte, mit Barem unbeschwert umherwerfende Griechen verärgerten zwar, der thailändische Semi-Bürgerkriegsschauplatz ließ zwar stutzen: aber Ballacks unfreiwilliger Verzicht, er polarisierte erst so richtig, stachelte die Fernsehsender zur Unterbrechung ihres eisern ausgereiften Sendeplanes an. Da brachen alle Dämme! Lädierte Sportlerknochen sind die größte aller Sorgen, frei nach Leibniz: ramponierte Athletengebeine sind die schlimmste aller möglichen Krisen. Das ist der Stoff, den die Zuseher in stilechter Dramaturgie aufbereitet haben wollen!

Und so eine Materie hat Zukunft, bietet weitere Nachrichten, ermöglicht Ablenkung von den wirklichen Schauplätzen dieser Erde. Entweder keilt und rauft sich die Nationalelf ballacklos bis ins Halbfinale vor und man kann von einem Wunder ohne Ballack, einem nicht für möglich gehaltenen Sommer- oder Afrikamärchen schwafeln - oder aber, man verendet relativ frühzeitig, dabei ebenso keilend und trampelnd (virtuos gleich einer Herde Rindviecher), um dem ungerechten Fußballgott zu beschimpfen, der das Scheitern schon vorab, vor dem Turnier in den Knöchel des Ballack meiselte. Das ist der Stoff aus dem Helden werden können, wenn diese sich nicht zufällig zu Deppen machen.

Das erhitzt oder besorgt die Gemüter! Wen kümmert Griechenland? Wen Thailand? Einmal auf die Verschwendungssucht der Hellenen gepoltert, mal kurz das Ungestüm dieser asiatischen Halbwilden belächelt - aber mehr Berichterstattung bitte nicht. Das ist zu anstrengend, zu ernst, zu grässlich aus dem wirklichen Leben gegriffen. Nein, dann schon lieber Röntgenbilder von Ballack: als sorgenvollste Sorge einer Gesellschaft, die sich mehr als Anhängerschaft denn als Gemeinwesen verstehen möchte. Der ganze Erdenzinnober war ja vormals schon unerträglich, unsagbar traurig - aber Ballacks Läsion hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Das hält der beste Deutsche im Kopf nicht aus! Da wird Ausländerfeindlichkeit salonfähig, werden Kriegseinsätze Usus, sinkende Wahlbeteiligungen und ewig gleiche Wahlsieger Standard - aber der Deutschen Kümmernis ist die Abwesenheit eines Fußballers, wird ihnen jedenfalls als Kümmernis zugeworfen. Erst dann brechen alle Dämme, erst dann steht ein einig Volk zusammen, weil es sich sorgt, in Afrika gegen die Welt nicht bestehen zu können...

15 Kommentare:

landbewohner 19. Mai 2010 um 11:59  

es gibt eben auch nichtinformation durch information, tv und journaille können das bestens!!!

Bomber Müller 19. Mai 2010 um 13:12  

Eigentlich wollte ich diesen vor "medialer Nationaltrauer" und Rassismus strotzenden Vorfall nicht noch durch Diskussionen und Kommentare aufwerten. Aber Bezahl-Fussball ist ein permanentes Reizthema für mich, weil ich nicht versehe, dass jedes Wochenden zigtausend abhängig Beschäftigte und Arbeitslose 22 Millionären bei der Arbeit auf einem Kunstrasen zusehen.

Spitzenfussball wird immer mehr zum Zentrum für Gewaltorgien auf dem Spielfeld und auf den Zuschauerrängen. Sportsoziologen haben längst bewiesen, dass Sport das Phänomen "körperliche Gewalt" eher fördert, als elemeniert. In dieser Logik zeigt BILD heute mit positivem Duktus ein Foto, auf dem zwei Nationalspieler zu sehen sind, die sich aktiv in einer Ringerpose befinden. Vielleicht sollte anstelle von Ballack der Weltklasseringer Alexander Leipold (AC Goldach) nach Südafrika mitreisen.

Ein Riss des Innenbandes im Sprunggelenk gehört zum ganz normalen Berufsrisiko eines Multimillionärs, der seine Kohle mit den Beinen verdient. Vielleicht wäre so mancher Harzt-IV-Bezieher unter Umständen sogar bereit, sich für 1.000.000 Euro freiwillig das Innenband durchsemmeln zu lassen. Es soll ja auch Chirurgen gegeben haben, die sich für die Frühverrentung Finger der rechen Hand abgesägt haben.

Im Vordergrund steht aber die Absicht der Medien, nationalistische Ressentiments zu schüren. Erfreulich wäre es dagegen für mich, wenn durch den Ausfall dieser "Zentralfigur" die Titelchancen der Nationalelf sinken würden. In diesem Fall schlage ich Herrn Boateng für das Bundesverdienstkreuz vor.

Udo 19. Mai 2010 um 15:35  

Ach... Das passt doch alles! Wo ich hin und herhöre, kein Mensch nimmt Ballacks Ausfall irgendwie tragisch, jeder lacht bis lächelt über die Stilisierung dieses Berufszweibeiners zum Superfussballnationalhoffnungsträgervertreter...
Will sagen: Ob die Qualitätsmedien nun die Griechen als faule Verschwender der in Germanien sauer verdienten Euros hinstellen, die Bundeskanzlerin unter ehrfurchtsvollem Staunen der Journaille dekretiert, dass dieses schöne Land schon immer über seine Verhältnisse gelebt hat, die Perlen der deutschen Wirtschaftswissenschaft unter allgemeinem Beifall erklären, nur eisernes Sparen und Konsumverzicht führten zum konjunkturellen Heil: Wo liegt der qualitative Unterschied zur Ballack-Berichterstattung? Nirgends. Hier wie da verdampft auf dem Weg von der Tatsache bis zur Meldung jede Spur von Objektivität und Vernunft wie der Parfümtropfen auf dem Misthaufen.
Ob Politik, Wirtschaft oder Sport: Einheitliche Verhältnisse im deutschen Qualitatsjournalismus. Insofern findet ein Artikel über Ballack wie von Roberto ja auch seine Berechtigung in den politischen Blogs. Meinungsmache.

@Bomber Müller: Keine Sorge. Die Chancen für die unsrige Mannschaft sinken nicht. Die bleiben gleich oder -im ungünstigsten Falle- steigen sogar.

FIXMBR hat das Thema auch schon aufgegriffen: http://www.fixmbr.de/michael-ballack-verletzt-na-und/

Na dann.

Anonym 19. Mai 2010 um 16:34  

"Erst dann brechen alle Dämme, erst dann steht ein einig Volk zusammen, weil es sich sorgt, in Afrika gegen die Welt nicht bestehen zu können..."

Perfekt. Oder nicht weniger als das.

Anonym 19. Mai 2010 um 17:59  

Erst Kachelmann, der nun nicht mehr kacheln kann und Ballack spielt nun auch nicht mehr mit`m Balla.

Grenzenlose Panik wird dieses Land womöglich noch befallen!?

klaus baum 19. Mai 2010 um 18:07  

eine frage. du schreibst über einen herrn ballack. wer ist das?

Anonym 19. Mai 2010 um 18:10  

Wunderbare Beschreibung eines ewig Überschätzten, doch hervorragend Vermarkteten.
Hättest Du es unterlassen den Namen zu nennen, selbst seine FANS hätten sofort erkannt, wer hier nur gemeint sein kann.
Eigentlich richtig traurig wird nur die Kühlschrankindustrie sein, denn der letzte Vertreter dieser doch gepflegten Fussballergattung "Der, der auf dem Feld den Kühlschrank trug" nimmt Abschied.

Keine Träne. Tränen sind genug aktiv.

Anonym 19. Mai 2010 um 20:08  

Hoffentlich fliegt Deutschland in der Vorrunde raus.

Dann kann Angie nicht mehr einen auf patente Fußball-Mutti machen und hinterrücks dem tumben Volk wieder eine Verschlimmbesserung reinwürgen wie vor vier Jahren, als im WM-Rausch unbemerkt die Hartz-IV-Sanktionen nochmals verschärft wurden. Die doofen Michels sollen ruhig auch mal ein bisschen was mitbekommen von z. B. der kommenden Erhöhung der Mehrwertsteuer und nicht nach dem Ausschlafen des WM-Rausches mit Blick auf den Kassenzettel überrascht werden: Huch! 25 % MwSt! Waren das nicht vor der WM noch 19 %?

Nein, ich will, dass Angie einem möglichst schlechtgelaunten Volk erklären muss, dass mal wieder neue Gürtel zum noch enger schnallen gekauft werden müssen, nachdem die alten Gürtel bereits nicht noch enger geschnallt werden konnten.

Vielleicht schnallen (schönes Wortspiel oder?) es dann auch die unverbesserlichen Blockpartei-Wähler. Aber ehrlich gesagt gibt es m.E. einen geistigen Bodensatz, der dann noch von Leistung und Freiheit faselt, wenn man im alles genommen hat und er knöcheltief in der eigenen Scheiße steht.

Jutta Rydzewski 19. Mai 2010 um 22:21  

Ob Ballack als Fußballer nun überschätzt, unterschätzt, oder was auch immer wird, ist doch hier nicht die Frage. Ballack bzw. seine PR-Berater versuchen aus dem Umstand seiner Nichtteilnahme das Optimale herauszuholen. Das ist in einer zunehmend kränker werdenden, und nur auf Profit basierenden Gesellschaft normal. Die Annormalität ist eben zur Normalität geworden. Kohle, Kohle über alles, über alles in der Welt. Das und nur das ist der Maßstab. Wie krank diese Gesellschaft schon (gemacht worden) ist, und welchen "Verdienst" die so genannten öffentlich rechtlichen Medien daran haben, ist an den Ballack-Brennpunkten und Ballack-Sondersendungen der ARD und des ZDF mal wieder deutlich geworden. Das Motto: Veröden - Verblöden - Generation Doof. Allerdings vermag ich bei den Talkshows der Illners, Wills, Plassbergs oder Beckmanns, hinsichtlich der Qualität, keine signifikanten Unterschiede mehr zu erkennen. Eigentlich ist es schon egal, ob da ein Balla(ck)-Balla(ck)-Brennpunkt, oder (wie gerade) eine Plassberg-Werbesendung, die ausschließlich mit Lobbyisten bestückt ist, aufgeführt bzw. inszeniert wird. Es ist alles nur noch Balla-Balla und krank.

mfg
Jutta Rydzewski

Anonym 19. Mai 2010 um 23:44  

Besagter Name begegnet mir hier auch zum ersten Mal. Habe keinen Fernseher und bin daher dumm wie Brot.

Großen Dank an den Autor, mich in der Richtigkeit meiner Präferenzen bestätigt zu haben.

Lutz Hausstein 20. Mai 2010 um 12:31  

Oh Roberto, Du Pöser, Du. :-)

Als sich ganz offen bekennender Fußball-"Verrückter" teile ich zwar Deine Meinung über die Wichtigkeit Ballacks für die Mannschaft und über seine fußballerischen Fertigkeiten nicht. Aber bzgl. des ganzen medialen Hypes und der aufgesetzten Nationaltrauer dann doch wieder schon.

Was ich so unsäglich finde, ist das fehlende Vermögen, diesen Umstand in eine angemessene Relation zu setzen. Denn der Fußball an sich (und damit auch der aktuelle "Knöchel der Nation) ist doch nur eine der schönsten NEBENSACHEN der Welt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Dass aus dieser fehlenden Relation dann fast folgerichtig völlig abstruse Verhaltensweisen gegenüber Kevin Prince Boateng entstehen (z.B. "82 Millionen gegen KPB") beweist dies doch eindrucksvoll.

Ich denke aber, dass wir uns einig sind, dass die Medien auf jeden Zug aufzuspringen versuchen, nur um von den wirklich wichtigen Themen und Problemen abzulenken. Selbst wenn dieser auch noch so weit an ihnen vorüberfährt. Man hat es gerade erst beim isländischen Vulkan erlebt. Nun jagt man die nächste Sau durchs Dorf. Und alle schauen hin, während sich Andere durch die Hintertür einschleichen und das Haus ausrauben.

Anonym 20. Mai 2010 um 16:26  

Nur dass die Medien eben genau das verkaufen/ oder senden was die Menschen sehen wollen. Wenn man sich eben nicht mit ernsten Problemen auseinandersetzen will, sondern lieber den bequemeren Weg geht, dann schaut man halt "Frauentausch" oder ähnliche "Bildungssendungen". Dazu gehört meiner Meinung auch die ganze WM-Hysterie, die total überzogen ist.

Im übrigen kann ich mich der Meinung nicht anschließen, dass Sport an sich zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft führt oder diese fördert.

Anonym 20. Mai 2010 um 22:09  

"Panem et circenses" (Brot und Spiele)- das trifft es wohl.

Wenn die WM mitte Juni wieder losgeht, darf wieder gegrölt werden und alle virulenten Problemfälle sind wieder einmal ganz weit weg. So weit weg, dass deren politischen Lösungsvorschläge ohne erforderliche Bürgerwahrnehmung behandelt werden. Geeignete Rahmenbedingungen um unliebsame Entscheidungen wie Sozialkürzungen durchzusetzen.

Ballack 21. Mai 2010 um 01:14  

Zum Lachen, zum Weinen!

Anonym 21. Mai 2010 um 09:23  

Wer zwingt mich, Massenmedien zu konsumieren? Niemand! Ist es ein Verlust für mein Leben,nicht "mitreden zu können"? Nein! Habe ich zu irgendeinem der ständig in den Medien präsenten Figuren eine persönliche Beziehung oder kenne ich auch nur eine dieser Figuren und deren Meinung persönlich? Nein!
"[...]Doch ich sag ja zu allem, was nur Freude macht,
was sich dreht und was nicht nachgedacht.
Ich steh zur großen Unvernunft,
ein breites Lachen muß ich tragen[...]" Klaus Hoffmann, "Nein"
Danke Dir, Roberto, für Deine immer wieder anregende Wortakrobatik.

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