De dicto

Samstag, 10. April 2010

"Zuversichtlicher stimmen hingegen Beispiele von Haupt- und Realschulen, denen es gelingt, ihre Schüler erfolgreich in die Ausbildung zu vermitteln. Ihr Erfolg beruht auf der Erkenntnis, dass Jugendliche viel besser lernen, wenn sie schon in der Schulzeit die Berufspraxis intensiv kennenlernen."
- Lisa Becker, Frankfurter Allgemeine vom 8. April 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Wenn dem wirklich so ist, dass Schulabgänger heute dümmer sein sollen als früher - und es ist nicht gesagt, dass es so ist, weil erstens, die Presse zur maßlosen Übertreibung neigt und, zweitens, jammervolles Gestöhne zum Flickzeug der Unternehmer gehört - wenn dem also so ist, so muß man sich fragen, woher diese Umstände rühren und wie man dem entgegenwirken kann. Man hat sich zu fragen, wie man jungen Menschen Bildung so verabreicht, dass sie Freude daran haben - dies muß aber unabhängig vom zukünftigen Berufsleben geschehen, denn Bildung ist nicht alleine Grundlage von Ausbildung: sie ist Menschenrecht, gemäß Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Und sie ist Grundlage der gesamten Gesellschaft, nicht nur des Produktionsprozesses, nicht nur Basis für die Berufswelt.

Daher ist es ein immenser Eingriff in ein Menschenrecht, wenn Bildung nicht um ihrer selbst Willen betrieben, also nicht zweckfrei gelehrt wird. Ferner ist es eine Dramatisierung dieses Eingriffs, wenn private Unternehmer in ein dann nicht mehr zweckfreies Bildungssystem eingreifen, um zu ihren Konditionen Nachwuchs heranzuziehen, der sich dann später anstandslos in ihre Ausbildung einfügt. Eine Bildung, die nichts weiter sein soll als Vorgeplänkel für eine Ausbildung, angespornt durch privatwirtschaftliche Fingerzeige, untergräbt den Gedanken des Artikel 26 der Menschenrechtscharta. Die geforderte Zielführung der Bildung zu Ausbildungszwecken, ist aber nicht nur rechtlich oder moralisch bedenklich, sie scheint nicht mal besonders erfolgsversprechend zu sein.

Die Hauptschulen in Bayern haben in den letzten Jahrzehnten - ob bewusst oder unbewusst soll hier, um nicht auszuufern, nicht hinterfragt werden - die Lehrpläne zweckdienlicher gestaltet. Was einst als Sozialkunde, Geschichte, Erdkunde Einzelfächer waren, nennt sich nun GSE und schlägt mit zwei Schulstunden pro Woche zu Buche - vor Jahren wurden die Einzelfächer jeweils mit zwei wöchentlichen Stunden bedacht. Ähnlich ergeht es den ehemaligen Einzelfächern Physik/Chemie und Biologie, die nun als PCB eine Liaison eingingen und den Fächern Arbeitslehre, Werken und Technik als AWT zusammengefasst. Der Lehrstoff wurde gestrafft, was soviel heißt wie: mehr Augenmerk auf Rechnen und Schreiben/Lesen; weniger unprofitabler Schmus. Was heute in Bayerns Hauptschulen gelehrt wird, ist eine rumpfartige Schulbildung, die Notwendigkeiten abdeckt, aber Bildung nicht als zweckfreies Gut begreift. Man bildet Kinder nicht allumfassend, man bildet sie zielgerichtet. Dennoch dürfte sich die Situation der Schulabgänger nicht verbessert, schon eher verschlechtert haben.

Zweckgebundene Bildung, die Abkehr vom humanistischen Bildungsideal letztlich, verletzt die Würde des Kindes und des Jugendlichen ebenso, wie sie Integration vorenthält. Wer wenig Allgemeinbildung hat, wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, weiß sich nur schwerlich zu helfen, kann nicht auf Wissenschätze zurückgreifen, um Situationen zu bewerten. Die Spitze der Frechheit ist es, wenn sich nun die DIHK sorgt, dass Jugendliche nicht nur lückenhaftes Schulwissen aufweisen, sondern nicht belastbar und diszipliniert seien. Gerade die Belastbarkeit, die auch auf psychische Befindlichkeiten rückführbar ist, ist einer Schulpraxis geschuldet, die die allumfassende Bildung unterschlägt. Es kann in einer Welt, in der Allgemeinbildung die eigentliche Grundlage ist, um sich in den Wirren des Lebens zurechtzutasten, durchaus deprimierend und psychisch belastend sein, wenn man merkt, wie ungebildet und unterlegen man in einer Auseinandersetzung, einer Diskussion oder einer Debatte man doch ist - dann rumort die Gewalt, geht das, was man die Grunddisziplin des Zusammenlebens nennen könnte, flöten. Und wer dergestalt psychisch angeschlagen ist, der kann nicht belastbar sein. Doch statt diesen Mißstand zu tilgen, ein Bekenntnis zur Allgemeinbildung ohne wirtschaftliche Einflussnahmen abzulegen, scheinen weitere Maßnahmen zweckdienlicher Art bevorzugt zu werden; scheint die Verschärfung der Situation geplant.

9 Kommentare:

Leroy McSuperaids 10. April 2010 um 12:20  

Ich würde fast davon ausgehen, dass Schule hier lediglich dazu dient, um Menschen so früh wie möglich in wirtschaftliche Prozesse einzugliedern.

Am krassesten fand ich es immer in Mathe. Wenn mal ein_e Lehrer_in gefragt wurde, wofür diese ganzen Berechnungen, die wir tagtäglich durchführten, denn gut sein, dann wurde entweder der Frage ausgewichen oder es kamen so Sachen raus wie: Um Brücken oder Tunnels zu berechnen. Mh... also das hat mir schon ziemlich stark den Spaß an Mathematik verdorben. Schade. (ich hab vor zwei Jahren Abitur gehabt)

Bei uns im Kindergarten gibt es zur Zeit einen Sprachtest (Delfin heißt der glaube ich). Da wird schon von den Kleinsten verlangt, Leistung zu erbringen und vor allem ist das auch so ein zweckgerichteter Mist. Ich meine, wo soll das noch hinführen?

Gruß
Leroy

Heinilein 10. April 2010 um 15:44  

"Eine grundsätzliche Frage bei der Lösung aller dieser Probleme ist die Schulfrage und damit die Frage der Sichtung und Siebung der Jugend. ... Das Ziel dieser
Volksschule hat lediglich zu sein:
Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, daß es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für
erforderlich."

wer hat das gesagt?

Peinhard 10. April 2010 um 15:50  

>>Es kann in einer Welt, in der Allgemeinbildung die eigentliche Grundlage ist, um sich in den Wirren des Lebens zurechtzutasten, durchaus demprimierend und psychisch belastend sein, wenn man merkt, wie ungebildet und unterlegen man in einer Auseinandersetzung, einer Diskussion oder einer Debatte man doch ist - dann rumort die Gewalt, geht das, was man die Grunddisziplin des Zusammenlebens nennen könnte, flöten.

Ich glaube, das kann man gar nicht genug betonen...

klaus baum 10. April 2010 um 17:45  

@heinilein. es war himmler, der dies sagte.

ttp://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/zweiter-weltkrieg/textdokumente/16.html

M. 10. April 2010 um 18:32  

In meinem Lehramtsstudium - ich studiere zwei geisteswissenschafltiche Fächer für das Gymnasium - wird wert darauf gelegt, dass es nicht "nur" auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit ankommt. Allerdings schlagen sich auch bei uns die von PISA geforderten "Kompetenzen" als kategorisierte Fähigkeiten nieder, die natürlich auf dem Markt gefragt sind: Geschichte ist dann mehr oder weniger nur noch dazu da, den Verstand zu schärfen (bis zu einem gewissen Grad), Medienkomepetenz zu schulen etc.

Anonym 11. April 2010 um 00:50  

Über dieses abartige reaktionäre altdeutsch-westdeutsche Dreiklassenschulsystem - welches als einziger deutscher Staat nur die DDR mehr als 40 Jahre erfolgreich verbannt hat - wurde nun schon so viel geschrieben, aber ohne jegliche tiefere praktische Konsequenzen.
Ein wirkliche in die Breite gehende Reform scheitert doch ganz einfach am Widerstand und Unwillen unserer Eliten und ihrer Lakaien aus den "normalen" Mittelschichten sowie großen Teilen des Bildungsbürgertums.
Der Rest dieses Widerstandes mag auch den Finanzen geschuldet sein, aber eher zweitrangig.
Die Gründe für diese Widerstände - siehe ganz aktuell Hamburg und sein "Reförmchen! - kann jeder selbst leicht herausfinden.
Glück haben da zur Zeit nur alle jene Schüler, welche einige der wenigen wirklich guten neuen Schulen mit viel längeren gemeinsamen Lernen als auch gezielter persönlicher Förderung bei erkennbaren Begabungen besuchen können.
Der Rest aller bisherigen Reformen, z.B. Zusammenlegung von Haupt -u.Realschulen, die "Aufwertung" der Hauptschulen zu Werkrealschulen ganz aktuell in BaWü.., ist eher demographischen Ursachen geschuldet, dem immer größeren "Austrocknen" vieler Hauptschulen.
Ganz allgemein aber gilt noch immer: Die Eliten und deren Lakaien aus den Mittelschichten wehren sich nach wie vor vehement gegen ein wirklich demokratisches Bildungswesen mit allem, was dazu gehört.
Und bisher sind leider weit und breit keine relevanten gesellschaftlichen Kräfte vorhanden, welche eine Änderung als auch Verbesserung der heutigen schlimmen schulischen Zustände erzwingen könnten - so wie bei allen anderen großen gesellschaftlichen Problemen und Herausforderungen ebenfalls....
Wir werden daher wohl noch lange völlig fruchtlose "Debatten" zu diesem Thema über uns ergehen lassen müssen.

mfg Bakunin

landbewohner 11. April 2010 um 08:52  

heinilein, klaus baum

ich hätte das einem vertreter der insm oder der spd-fdp-cdu-grünen einheitspartei zugeordnet.

River Tam 11. April 2010 um 20:12  

@ Bakunin: Ja, ich bin auch froh, dass ich einen großen Teil meiner Schulzeit an einer POS erleben durfte. Aus dieser Zeit stammt mehr Wissen, als aus der der Gymnasialzeit danach - EOS gabs dann leider nicht mehr...

Anonym 12. April 2010 um 21:22  

Goethe über Schule, Universität und die heilige Kuh der "Bildung". Das Wesentliche, die Einsicht in sich selbst nämlich, wird nicht einmal erwähnt. Was lesen nur die Bildungsbürger, wenn sie Goethe artig zitieren?

Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie!
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;

Heiße Magister, heiße Doktor gar,
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum -
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.

Und dieser Teil des Monologs endet mit...

Weit besser hätt ich doch mein weniges verpraßt,
Als mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen!
Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last;
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.

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