Sozialverträglich ableben

Dienstag, 19. Januar 2010

Bereits im März 2004 riefen die Vereinten Nationen nach Hilfsgeldern für Haiti. Vor knapp zwei Jahren wurde nur zögerlich davon berichtet, dass aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise der Hunger in Haiti wüte. Als ob das nicht ausreichte, sicherte die Weltgemeinschaft Gelder zu, die nie im vollem Umfang eintrafen. Die Wälder Haitis werden seit Jahrzehnten systematisch gerodet, was Verkarstung und regionalen Klimawandel nach sich zieht. Rodungen, auch im Namen industriestaatlicher Unternehmen, die mit dem Raubbau Profite erzielen. Nein, das Erdbeben hat die Lage nicht wesentlich verschlechtert - es hat der chronischen Armut nur die Krone aufgesetzt.

Wo waren damals die emsigen Helfer, denen es eine Herzensangelegenheit war, den Menschen Haitis unter die Arme zu greifen? Wo die Spendengalas? Wo hochtrabende Prominente, die mit Leichenbittermiene um einige Groschen bettelten? Wo versteckte sich die emotionalisierte Berichterstattung der üblich verdächtigen Gazetten? Wo haben die einschlägigen Medien über teuere Lebensmittel berichtet? Wo über den einstigen Hilferuf der Vereinten Nationen? Und wenn, wie groß war der Aufmacher?

Ihr Elenden dieser Welt, ihr solltet spektakulär sterben! Nur dann, wirklich nur dann, nehmen euch die selbstgefälligen Industrienationen wahr. Industrienationen, die arrogant von der Weltgemeinschaft sprechen, wenn sie von sich selbst erzählen. Sie sind die Gemeinschaft der Welt! Sie sind die Welt! Solange ihr in eurer Baracke still dahinsiecht, langsam ausmergelt, immer dünner, immer knochiger werdet, interessiert man sich für euch nicht. Man sieht eure Not nicht, den bohrenden und ziehenden Hungerschmerz, die durchschüttelnden Krämpfe, den geistigen Verfall, der mit Hunger einhergeht. Selbst euer körperlicher Abbau ist nicht zu erkennen, weil er langsam, etappenweise vollzogen wird - langsam, aber zielsicher auf den Tod hinarbeitend.

Auch der Tod will selbstvermarktet sein, ihr Elenden! Der edle Spender westlicher Art will etwas geboten bekommen für sein Geld. Er will das Leid, das er abzuhelfen sich vorstellen könnte, zunächst begutachten; er will ein Showelement, will am Laufsteg des Elends staunen, am Catwalk der Qualen stutzen, um seine Spendenbereitschaft liebkost und geschätzt zu wissen. Raus aus euren Hütten! Rein ins Rampenlicht! Ihr erhaltet nur Zuwendung, wenn euch bebende Erdplatten mit Trümmern bedecken oder gigantische Fluten wegspülen. Man will den Tod sehen, im gewaltigen, unaussprechlichen Maßstab, man will in Massengräber starren, die noch nicht zugeschüttet wurden, in denen die Toten wild übereinander und kreuz und quer liegen. Show birgt Mitleid! Krampfende Hungerbäuche nimmt keiner wahr! Was ist schon der Hungertod, der in Raten verabreicht wird, gegen das sekundenschnelle Auslöschen von Leben? Der eine stirbt evolutionär, sich behäbig zum Tode hin entwickelnd, der andere revolutionär, die vitalen, atmenden Zustände von einen auf den anderen Moment ins Gegenteil umwerfend. Ihr elenden Hungerleider, ihr leidet und verendet letztendlich nicht sozialverträglich!

Sozialverträgliches Ableben bedeutet hierzulande, kurz vor Rentenantritt, bei bester Gesundheit, kurz und schmerzlos und preisgünstig, direkt an dem schon ausgehobenen Grabschacht umzufallen. Bei euch, ihr Gequälten, bedeutet es, im Angesicht von Naturgewalten verendet zu sein. Verschieden in Springfluten, abberufen durch Erdbeben, hingeschieden dank Wirbelstürmen! So gestorben, freilich in großer Anzahl, einer Massenveranstaltung gerecht, nennt man es sozialverträgliches Ableben. Denn wenn so gestorben wird, versucht sich die Weltgemeinschaft sozial zu verhalten, sozial Gelder lockerzumachen, sozial mit Mitleid und Anteilnahme zu hantieren. Ein solches Ableben ist sozial, weil es hernach ein klein wenig Soziales in euer Leben bringt! Wie unprofitabel so ein betulicher und schleppender Hungertod doch ist!

Der tägliche Tod, das stündliche Hungern - es leidet an schlechter Beratung. Wem geholfen werden will, der durchdenke seine Strategie. Der moderne Spender will keine nachhaltige Hilfe leisten, er will ungestüm und kopflos immer dann helfen, wenn es sowieso schon zu spät ist. Er will ruinierten Verhältnissen, die durch Naturgewalt zu Ruinen von Ruinen wurden, wieder zu altem Rost verhelfen. Erst dann zückt er seinen Geldbeutel! Erst dann ist er bereit, zum verantwortungsvollen Weltbürger zu werden! Solange ruinierte Verhältnisse aber herrschen, solange der Hunger hinter den Fassaden solcher Verhältnisse versteckt werden kann, kümmert es ihn wenig. Daher müssen die Elenden neue Wege beschreiten, dem Charity-Markt gerecht werden, kundenorientiert verscheiden. Wer sich weigert, findet nie einen Brotgeber. Ihr armen Kerle, werdet marktgerechter! Nur so krallt ihr euch Brotgeber! Wer leise stirbt, kein Spektakel offeriert, der berührt kein noch so aktionistisches Event-Herz, der stirbt letztlich ungehört. Unterstreicht eure Vorzüge, ihr Jammerbilder, nur wer sich selbst darstellen kann, wird zum Erfolg kommen!

Wenn euch das gelingt, wenn ihr das industriestaatliche Event-Geheische aufrüttelt, wenn die Hilfe und die Spende zum Massenereignis für kurzzeitig aufgewachte Hilfsbereite wird, dann regnet es Anteilnahme. Jedoch nicht zu üppig, einige Milliönchen müssen reichen. Wohin kämen wir mit dem Leistungsprinzip, wenn es lukullische Hilfsgelder regnen würde? Wer leistet, dem wird paradiesisch geholfen; wer Banken an die Wand fährt, dem wird das Paradies zuteil. Aber ihr, ihr armen Schlucker, ihr habt nur kurzzeitig das Gewissen aus dem Schlaf gerissen - das will freilich bezahlt sein, aber nicht in wucherischem Ausmaß. Verschüttetsein ist ja, wenn man es recht durchdenkt, keine Leistung, die man uferlos honorieren müßte!

Diese Gesellschaft tut was sie kann - zu spät und im kleinsten Maßstab. Haiti ist in aller Munde. Gelitten wurde jedoch schon vormals, interessiert hat es damals kaum jemanden; gelitten wird auch hernach wieder, interessieren wird es dennoch niemanden. Niederträchtig sind aber jene, die die fröhliche Spendengala als Verlogenheit entkleiden, als Katharsis dieser Gesellschaft, als Selbstreinigungsprozess, als Gewissensbisse, die gewissenhaft vorheucheln, gutes Gewissen zu sein. Wir tun doch was!, verkünden sie. Wir sind gute Mitmenschen! Wir helfen! Bis die Hilfsbereitschaft vergessen ist, weil von den Aufmachern dieser Gesellschaft andere Themen prangen. Bis Haiti wieder so vergessen ist, wie es immer war...

38 Kommentare:

Anonym 19. Januar 2010 um 08:05  

2004 sind die Spenden an die Tsunamiopfer gegangen und 2006 war die Weltmeisterschaft. Da war für Haiti nichts mehr da und für weite Teile Afrikas und Teile Asiens und Südamerika.

Ein bissl zynisch, ich weiß.

Susanne K. 19. Januar 2010 um 08:20  

ich bin schockiert, wie zynisch man hier schreibt. da fehlt es an anstand. politisch korrekt ist es auch nicht.

epikur 19. Januar 2010 um 09:08  

Wie wahr! Sterben ist eben nicht gleich sterben! Nur ein großes mediales Trommelfeuer und Tamtam lässt das ansonsten steinkalte Herz erweichen, wenn es um Spenden geht.

Für mich eigentlich auch wieder ein guter Beweis für die mediale Steuerung: worüber nicht berichtet wird, das existiert in den Köpfen vieler einfach nicht. Oder anders: wo es keine Bilder gibt, dort auch keine Berichterstattung.

Anonym 19. Januar 2010 um 09:11  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

interessant finde ich auch, dass die USA nicht jeder helfenden Nation die Hand reichen.

Schon gar nicht dem Nachbarland Haitis Kuba, und dessen ALBA-Partner Venezuela - Beide schon vor dem Beben vor Ort - mit Hilfsorganisationen, aber ideologisch meilenweit von anderen helfenden Ländern entfernt.

Liebe Susanne K. das ist wahrer Zynismus, statt Hilfe unideologisch zu leisten wird einfach zwei Ländern der Zugang zu den Bebenopfern verweigert, weil die nicht-us-amerika-konform sind.

Es soll sogar der ehemaligen Kolonialmacht Haitis - Frankreich - der Zugang zum Flughafen, der von der US-Armee besetzt ist, verweigert worden sein.

Bei Robertos Text kann ich keinen Zynismus kennen, zumal ich die Zustände, die er hier beschreibt, schon selbst in einem Film über Haiti gesehen habe - VOR dem Erdbeben.

Auch der Blog Telepolis berichtet darüber, dass anscheinend Haitis "Eliten" vom Beben weniger betroffen sind als die arme Bevölkerung:

"[...]Die Elite Haitis blieb vom Erdbeben verschont[...]"

Quelle und kompletter Text:

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31913/1.html

Vielleicht ist die US-Armee, mitsamt Cheffolterer George W. Bush und dem Haiti neoliberal reformierenden Bill Clinton genau aus diesem Grund auf der Insel?

Das ist wahrer Zynismus, die "Eliten" - egal wo - haben ihre Helfershelfer.

Die Armen werden von Helfershelfern selektiert, d.h. US-genehme Staaten (z.B. die Niederlande, Deutschland) haben Zugang zu ausgewählten Opfergruppen, während US-nichtgenehme Staaten und Opfergruppen in Haiti, die "gefährlich sind" eben keine Hilfestellung erhalten sondern bekämpft werden - notfalls mit Schusswaffen in der Hand.

Hat eigentlich Von und Zu Guttenberg schon Bundeswehrsoldaten in Richtung Haiti, zur Unterstützung der US-Invasion dieser Insel, bereitgestellt? Wundern würde es mich nicht....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

ninjaturkey 19. Januar 2010 um 09:26  

Hm - ich nehme an, dass Du Dich selbst in Deinen Rundumschlag mit einbeziehst, und in sofern wäre Deine Polemik gerade noch treffend.
Andererseits - niemand kann die Not der Welt auf seinen Schultern tragen, gerade nicht in Zeiten, in denen es für uns selbst immer enger wird. Das ist zwar relativ, aber nichts desto weniger spürbar (wie auch Deine anderen GUTEN Texte aufzeigen).
Natürlich wird für Haiti gespendet - spontan und Herzen - und wenn morgen in der Eifel ein Vulkan ausbricht, auch dort. Gegen die Not dort kann ich nicht viel mehr machen, als mich hier umweltbewußt zu verhalten, meinen Konsum zu zügeln, und mich politisch für Frieden, Völkerverständigung und Nachhaltigkeit zu engagieren, und meine Kinder in diesem Sinne zu erziehen, und - ach ja - von meinen knappen Familieneinkommen in diesem Fall einen Hunnie zu spenden - gezielt an ein Dorf im Norden, dass zwar nicht so hart getroffen wurde, aber, wie Du richtig gesagt hast, schon vorher eine Spende hätte brauchen können. Darüber hinaus bin ich leider kein Katastrophen-Medizinier, DRK-Hundestaffelführer, Transportflugzeugpilot, und habe nicht die Kapazitäten mich vor Ort(en) zu engagieren. Zudem bin ich wie wir alle ein Gewohnheitstier, und werde auch in diesem Fall wieder dazu neigen, mich in einer Woche wieder meinen eigenen kleinen Alltagsproblemen zu zu wenden. Haiti, Nordkorea, Somalia, Bangladesch, Albanien, Boliven, Ukraine, Tibet, Madagaskar, Togo und vielleicht sogar die Eifel werden dann wieder aus meinem Fokus rücken bis zum nächsten Mal. Manche Dinge haben eben mehr damit zu tun dass man einfach nur ein Mensch ist, man muss dazu nicht notwendigerweise ein Arsch sein.

Franz Gebenedeit 19. Januar 2010 um 09:29  

ninjatürkey. arsch genug um die spendensumme zu nennen warst du aber schon :)

Geheimrätin 19. Januar 2010 um 09:51  

Klar spenden die Menschen aus Mitleid und von Herzen, aber in größerem Umfang eben nur dorthin, von wo viele erschütternde Bilder ihr Herz erweichen. Auch gab es oft genug schlimme Erdbeben und Katatsrophen in Gebieten, aus denen kaum Bilder geschickt wurden und wo die Spenden fast ausblieben.So wichtig die Spendenaufrufe natürlich sind, so ist aber eben auf der anderen Seite leider auch klar, dass hier noch ganz andere Interssen mitspielen. Es gibt Gegenden, wo sich Hilfe und Wiederaufbau für gewisse Spekulanten und Interssengruppen nicht ausbezahlt und die mediale Berichterstattung entprechend zurückhaltend vonstatten geht. Auch die Frühwarnung versagt leider allzuoft, auch dort wo sie möglich gewesen wäre...

Kassandra 19. Januar 2010 um 10:06  

Chapeau!

Kassandra 19. Januar 2010 um 10:14  

@ Ninjaturkey:

"Niemand kann die Not der Welt auf seinen Schultern tragen"

Stimmt! Jedoch wird dieses Fernspenden genutzt, um hier bei "uns" weiterhin die Augen schließen und sich beruhigt und edel fühlen zu können.
Und im Betrieb, im Verein und in der Nachbarschaft, nicht zu vergessen in den Medien, geht dann wieder die Post ab. Same procedures as usual.

Peinhard 19. Januar 2010 um 10:18  

Noch ein anderes wohlbekanntes Muster ist hier auszumachen: 'normale' Armut ist immer selbstverschuldet, auch auf Staatenebene, dann liegt es eben an unfähigen und korrupten Eliten vor Ort, und es schwebt, vor allem solange wenigstens ein Fitzelchen 'Demokratie' auszumachen ist, auch immer das Diktum vom Volk, das seine Regierung verdient im Raum.

Bei einer Naturkatastrophe hingegen sieht das freilich ganz anders aus - die ist, sieht man von Leuten wie Pat Robertson ab, die auch hier noch eine Strafe für gottlosen Lebenswandel auszumachen meinen, offensichtlich mal nicht 'selbstverschuldet', und schon ztun sich die Beutel auf bzw werden medial aufgetan - was sozusagen einer 'Spendenerlaubnis' gleichkommt. Und in diesem Zusammenhang darf dann sogar der vorher schon katastrophale Zustand als 'Unbill', die dem Volke widerfährt thematisiert werden - aber natürlich auch wieder nur, ohne dessen Ursachen wirklich zu hinterfragen.

Einem 'normalen' HartzIV-Empfänger spendet ja auch hierzulande niemand - ereilt ihn hingegen noch zusätzlich Krankheit oder anderes 'unverschuldetes' Ungemach, dann und nur dann kann es sogar auch hier einmal zur Steinerweichung kommen.

Georg Jonathan Precht 19. Januar 2010 um 10:48  

Liebe Leser
Da schreibt der SPIEGEL online gerade: Erdbeben-Profiteure in Haiti "Die Katastrophe als Geschäft" und beklagt sich über die kleinen Gauner, die den anderen das Leben schwer machen. Über die grossen Gauner, die sich Staaten nennen, und die aus diesem Elend ihren langfristigen Profit stricken werden, über die steht natürlich nichts geschrieben. Wie ich diesen stumpf gewordenen und verdreckten Spiegel verabscheue, der nichts mehr reflektiert, in dem man nichts mehr erkennen kann; es ist doch zum heulen!
Gruss Georg

ninjaturkey 19. Januar 2010 um 11:04  

(Jetzt kapier ich - Roberto wollte hier eine schön kontroverse Diskussion lostreten ;-) )

@Kassandra: Klar geht hier im Verein und in der Nachbarschaft die Post ab - Zeit und Ressourcen fressend, ehrenamtlich und unentgeltlich. Dazu noch in diversen Fördervereinen, Elternbeiräten, den sogenannten Tafeln, Kleidersammelaktionen, Hilfen für wirtschaftlich schwache Nachbarn/Familien, Betreuungen, Privatpflege, bis hin zu Einkaufshilfen und Fahrdiensten und -gemeinschaften.

Nach meiner Erfahrung sind die Leute engagiert und willens, sich einzubringen. Sind wir hier in der Kommentarspalte doch auch (sogar zur besten Arbeitszeit ;-) ). Die Heuchelei und der Zynismus finden nach meiner Erfahrung weniger auf der Ebene des Normalbürgers statt, als auf der Ebene derer, die WIRKLICH überrregional und international etwas (für die dortigen Normalbürger) drehen könnten.

Offensichtlich muss auch der kleine Mann/die kleine Frau mehr Tamtam um ihr seit Jahren andauerndes soziales Engagement machen, sonst wird es einfach übersehen.

Anonym 19. Januar 2010 um 11:26  

@Peinhard

Man stelle sich einmal vor, dass in Deutschland so ein Erdbeben stattfinden würde - Hauptleidende Hartz IV-EmpfängerInnen.

Ich kann mir schon denken, wie die Medienmeldungen lauten würden "HartzIV-Problem biologisch gelöst"; "Hartz IVler endlich erledigt" usw.

Woher mein Zynismus kommt? Auf dem Höhepunkt der Einführung von Hartz IV gabe es mal ein Forum beim Arbeitsamt - dessen Homepage - Dort stand wochenlang zu lesen "Arbeitslose gehören alle vergast!"

Nach Protesten wurde der Thread von diesem ernst gemeinten Vorschlag gelöscht - Weitere Konsequenzen hatte diese unsägliche Aussage nicht, aber nachdem wir nun in einer Hartz IV-Gesellschaft leben ist mir klarer warum nicht.

Die "Eliten" denken offensichtlich schon an so etwas, und Opfer im weiten Ausland werden vorerst noch betrauert, um dann in Vergessenheit zu geraten....

....sieht hier jemand Parallelen? Ich schon....

Haiti ist doch eine schöne Insel, und ohne die ganzen Slums und Armen sicher noch viel schöner denkt sich wohl jeder aus der "Elite" von Haiti.....

Soviel ich weiß lief es genauso bei den Tsunami-Opfern in anderen Weltregionen ab, die wurden vom Strand vertrieben, um Hotelburgen bauen zu können....

....mir schwant Übles für die Einwohner von Haiti, und die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein "Die Schockstrategie" sieht ähnliches...

...warten wir noch fünf Jahre, und man sieht ob ich, und Naomi Klein, leider, recht behalten....

Peinhard 19. Januar 2010 um 11:28  

Dann gehen wir doch mal offensiv kontrovers: ich habe eigentlich nicht allzuviel übrig für 'soziales Engagement' - wenn es sich nicht gleichzeitig auch bemüht, die Ursachen der 'sozialen Schieflagen' zu benennen und zu bekämpfen. Man kann ihm sonst leicht den Vorwurf machen, vielleicht hie und da akute Not zu lindern, aber insgesamt eine durchaus stabilisierende Wirkung hinsichtlich der verantwortlichen Zustände auszuüben und diese damit fortzuschreiben...

ad sinistram 19. Januar 2010 um 11:29  

@ Ninjaturkey

Sie haben offensichtlich nicht begriffen, dass diese Form sozialen Engagements eine Willkürleistung nach Lust und Laune ist. Während der Staat seine Verantwortung zurückschraubt, während also gesetzlich verbürgte Standards verschwinden, fördert man Suppenküchenmentalität. Zitat eines überschätzten Autors: "Sozialfälle brauchen keine liberale Mildtätigkeit, die heute gegeben und morgen unterlassen werden kann. Sie brauchen eine sichere Burg..."

Wenn Industrienationen immer noch mehr für Rüstung als für Entwicklungshilfe bereitstellen, wenn kein bedingungsloser Schuldenerlass stattfindet, ist jede Hilfsmaßnahme nur Spott und, wie Peinhard vollkommen richtig darlegt, eine Art ideologischeHilfe. Denn die Armut durch Erdbeben ist entschuldbar, während die chronische Armut als Makel an einem ganzen Menschenschlag eingeordnet wird. Hinzu kommt noch: der Lissaboner Vertrag verbietet es, mit Ländern in wirtschaftliche Beziehungen zu treten, die keinen Freihandel praktizieren. Das heißt also: darniederliegende Volkswirtschaften können keine Schutzzölle einführen, um die eigene rudimentäre Wirtschaft zu schützen, sofern sie mit Europa in Kontakt bleiben wollen. Und in einem solchen Rahmen wird Mildtätigkeit nur dann praktiziert, wenn ordentlich Blut fließt - aber auch nur dann, wenn nicht westliche Armeen Blutmeere füllen.

Machen wir uns doch nichts vor. Wo so ein angeblich riesiges Repertoire an sozialen Engagement geboten wird, wie Sie es oben beschreiben, stimmt in der Struktur des Sozialstaates nichts mehr. Denn das war die ursprüngliche Motivation des Sozialstaates - er sollte die Bittstellerei und die existenzielle Unsicherheit bestmöglich beseitigen. Dort wo Suppenküchen entstehen herrscht nicht solidarische Gemeinschaft - das nur an zweiter Stelle. An erster Stelle herrscht dort offensichtlich an Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe, um sich selbst ernähren zu können...

Anonym 19. Januar 2010 um 11:43  

Lieber Roberto J. de Lapuente,

sie bringen es wieder so wunderbar auf den Punkt.

Meine Gedanken zu ihrem Text: Erst wird der einfache Menschen/die einfache Menschin bis aufs Blut ausgepreßt. Und wenn der Notfall eintritt, wirft der Auspresser/die Auspresserin dem Notleidenden/der Notleidenden ein paar Brotkrummen zu. Das verkauft der Auspresser/die Auspresserin als große "soziale" Tat.

Wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, das es auch viele anständige Spender und Helfer gibt. Diese sind nicht gemeint.

Auf Grund verschiedener Ursachen bin ich zwischenzeitlich fast ganz unten in der dt. Gesellschaft gelandet und kämpfe um mein nacktes Überleben in einem der reichsten und "sozialsten" Länder der Welt.

Gerne würde ich den Notleidenden helfen, aber ich kann es wegen meiner eigenen Notsituation nicht. Bin ich zu egoistisch? Muß ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben?

Gruß G. G.

Anonym 19. Januar 2010 um 11:48  

Kann man sagen, das das was der Autor schreibt richtig ist?

Ich selber drückte es mal so aus: Was ich hier in meinem Beruf tue interessiert mich nicht wirklich, auch wenn ich es gerne tue und so gut wie möglich mache. Viel mehr würde es mich interessieren, der christlich nächstenliebenden Gesellschaft die Leviten zu lesen.

Das was hier steht, "stimmt" in Gänze eigentlich nur, wenn man annimmt, das es überhaupt möglich wäre, das ganze Elend zu besiegen, besten Willen vorausgesetzt.

Selbst wenn man wollte, würde man es geistig, logistisch bewältigen können?

Die Leviten sind schon "richtig" geschrieben. Gedanken an die praktische Umsetzung mach ich mir nicht. Mir stockt der Atem vor solch einer Aufgabe. Mich interessiert höchstens jeder kleine Schritt, wenn es ihn denn überhaupt geben würde, große Schritte gibts sowieso nicht.

Geheimrätin 19. Januar 2010 um 11:49  

@ Peinhard

Einem 'normalen' HartzIV-Empfänger spendet ja auch hierzulande niemand - ereilt ihn hingegen noch zusätzlich Krankheit oder anderes 'unverschuldetes' Ungemach, dann und nur dann kann es sogar auch hier einmal zur Steinerweichung kommen.

Iwo, Peinhard, hierfür gibt es einen Deutschen Verein, der den Härtegrad der Steinwerweichung genaustens errechnen und festlegen kann.

Anonym 19. Januar 2010 um 13:04  

Sehr geehrter Roberto de Lapuente, ich bedanke mich ganz herzlich für diesen Text!

Ich betrachte ihn als einen längst fälligen Nachruf. Einen Nachruf auf die viele tausend Menschen, die gestorben sind.

Es ist wichtig, dass auch wir um sie trauern. Statt dieser hektischen "Bereitschaftsökonomisierung" sollten wir Trauerarbeit leisten!

Das bedeutet dann auch, sich Fragen zu stellen, warum das menschliche Leben von sogenannten Eliten oft mehr als gering eingeschätzt wird.

Gewiss, wir können das Leid auf der Welt und auch das Leiden dieser unserer Welt nicht abrupt beenden. Aber, wir sollten, und Sie tun es immer wieder mit Bravur, uns immer wieder daran erinnern welche Bedeutung wir dem, nicht nur menschlichen, Leben geben.

karuna 19. Januar 2010 um 13:37  

Der Kommentar von Rosa Luxemburg vor hundert Jahren angesichts der internationalen Hilfe nach dem Ausbruch des Vulkans Pelée auf der Insel Martinique:
„Und nun sind sie alle auf Martinique, wieder ein Herz und eine Seele, sie helfen, retten, trocknen Tränen und fluchen dem unglücksäenden Vulkan. Mont Pelée, du gutmütiger Riese, du kannst lachen, mit Ekel kannst du herniederschauen auf diese mildtätigen Mörder, auf diese weinenden Raubtiere, auf diese Bestien im Samariterkleid. Aber es kommt ein Tag, wo ein anderer Vulkan seine Donnerstimme erhebt, ein Vulkan, in dem es brodelt und kocht, ob sie auch des nicht achten, und vom Erdboden fegt die ganze scheinheilige, blutbefleckte Kultur.“

Kassandra 19. Januar 2010 um 13:55  

@ Ninjaturkey, 11:04:

zu: "Leute sind engagiert und willens, sich einzubringen"

Stimmt!
Auswahl/ Zitate der Motive für Ehrenamt:

- EA als Ausgleich für einen ungeliebten Job, weil man nicht den gewünschten (Ausbildungs)Beruf bzw. entsprechende Stellen gefunden/ bekommen hat

- wenigsten im EA eine Führungsposition innehaben

- wenn schon nicht zuHause, dann im EA wenigstens das Sagen haben

- die laaaangen Sonntage und den Urlaub an der Nordsee nicht aushalten können

- Kontaktanbahnung für eigene Geschäfte im Städtle

- steuerliche Vergünstigung

- Homosexualität dort nicht verstecken müssen

- den Lebenslauf tunen

- sich selber nicht aushalten können

- Fluchtmöglichkeit vor der Familie und ungeliebten zeitlichen Verpflichtungen

- gelobt werden wollen

- ... .

ca. 25 Mio. sind in Deutschland ehrenamtlich tätig und leisten teilweise! wichtige Arbeit. VIELE andere Nützlinge dienen lediglich dazu, den in ehrenamtlichen Organisationen Hauptamtlichen die Jobs zu erhalten und ihnen staatliche Subventionen sicherzustellen.
Und das TAMTAM dazu findet ziemlich laut statt, finde ich.

Was für ein Potential für nicht! unanständig bezahlte Vollerwerbsjobs (schätze mal. ca. 1Drittel). Man stelle sich nur vor, die getane Erwerbsarbeit entspricht der naturgegebenen Berufung. Wie würde sich die Qualität unseres Zusammenlebens und -wirkens verändern!?

Wenn künftig der ehrenamtliche Sektor noch weiter ausgebaut (z. B. via Ein- oder Null-Euro-Jobs, Praktika) und um weitere lohndumpingfördernde Jobs erweitert wird (Mini-Jobs, Leiharbeit, usw.), dann wird der Staat immer größere Einnahmeausfälle und die Wirtschaft wachsende Nachfrageausfälle haben.

Dann sind wir irgendwann ALLE ehrenamtlich tätig.

PS: Achten Sie mal auf die Reaktion eines Ehrenamtlers, wenn er Ihnen z. B. beim Kennenlernen lächelnd erzählt, dass er/ sie ehrenamtlich tätig ist und Sie ihn NICHT loben. Köstlich!

Anonym 19. Januar 2010 um 14:06  

Eine Lanze für Ninjaturkey und dem Respekt, vor der fast nicht zu bewältigenden Aufgabe ein Mensch zu sein.

Ich sagte ja, mir stockt der Atem vor dem was da zu bewältigen wäre, wenn man die ganze Welt betrachtet.
Ninja hat das gut ausformuliert.
Einige seiner Passagen (ich kannte seinen Kommentar da noch nicbt) wollte ich meinem Kommentar zunächst hinzufügen. Die Länder die er aufführt fielen mir aber z. B. nicht alle gleichzeitig ein, deshalb formulierte ich es fotmal.

Die Reaktion von Roberto ist ja vielleicht nicht falsch (ich kann das sachlich nicht beurteilen), aber gegen die Größe der zu bewältigenden Aufgabe (vor allem wenn noch mit einbezieht, das es völlig illusorisch ist, die Gesellschaft für diese Aufgabe zu sensibilisieren), erscheint sie doch eher profan. Kein Lösungsvorschlag, keine konkrete Forderung kann der Größe der Aufgabe gerecht werden. Und um ein Beispiel zu nennen die Rüstungsausgaben sind doch keine reine Willkür, das ist doch mindestens zu verkürzt. Das stimmt doch nur, wenn man bestimmte andere
aber doch strittige
Positionen bezieht.

Was tun, wie leben?

James Trefil schreibt am Ende eines populären Physikbuches, nachdem auch er die Welt entzaubert hat, man solle sein Bestes geben. Manchmal muß man einfach sehen wie "klein" man ist.

Für die Wiedereinführung des Sozialstaats in Deutschland habe ich konkrete Vorschläge, aber für die Beseitigung des Elends der Welt (noch) nicht, was nicht heißen soll, das nicht auch ich noch hoffe.

maguscarolus 19. Januar 2010 um 15:17  

Weltweit flächendeckend werden die Agrarstrukturen "geglättet" und die Erwerbssituation aller Arbeitnehmer "eingeebnet". Selbst das "untere Drittel" der Erwerbstätigen in den Ländern mit einem Rest von sozialstaatlichem Gefüge spüren allmählich die Härte des Zwingeisens.

Über aller erforderlichen Hilfe für Haiti oder andere Elendsgebiete kann ich doch nie die eiskalte Berechnung der Kapitaleigner und ihrer Verwalter vergessen, mit der über das Schicksal und die Lebensperspektive der selben Menschen entschieden und hinweg gegangen wurde und auch künftig hinweg gegangen wird, um die man sich jetzt für etwa zwei bis drei Wochen so medienwirksam bemüht.

Ralf-zwei.null 19. Januar 2010 um 15:41  

Na, wenn das kein Zynismus ist, weiß ich auch nicht weiter:

http://af.reuters.com/article/oddlyEnoughNews/idAFTRE60I02P20100119

Gefunden in fefes Blog
http://blog.fefe.de/
...

carlo 19. Januar 2010 um 16:24  

Hallo Roberto!
Das ist ein "gewaltiger" geradezu "überwältigender" Text. Geb ihn mal komplett frei, damit ihn jeder, außerhalb der üblich verdächtigen Gemeinde liest oder lesen muß. Du weißt was oder wie ich das meine.
salud
carlo

ad sinistram 19. Januar 2010 um 17:05  

Lieber Carlo,

der Text ist frei. Bedien' Dich dran. Jederzeit und ohne schlechtem Gewissen...

Peinhard 19. Januar 2010 um 17:50  

"Und um ein Beispiel zu nennen die Rüstungsausgaben sind doch keine reine Willkür, das ist doch mindestens zu verkürzt."

Das wäre in der Tat verkürzt - die Rüstung dient in erster Linie der Absicherung eben der Ausbeutung und Ungleichheit, unter der zB die Haitianer 'normalerweise' zu leiden zu haben. Siehe zB über die Rolle des Militärs für den europäischen 'Geschäftsgang'.

"Für die Wiedereinführung des Sozialstaats in Deutschland habe ich konkrete Vorschläge..."

Um es wiederum kontrovers anzupacken - schon die Notwendigkeit eines 'Sozialstaats' ist eine Bankrotterklärung dieses Geschäftsmodells...

"...aber für die Beseitigung des Elends der Welt (noch) nicht, was nicht heißen soll, das nicht auch ich noch hoffe."

Unsere Produktivität ist längst so weit, dass alle Menschen dieser Erde nicht nur ohne existentielle Sorgen, sondern sogar einigermaßen 'luxuriös' leben könnten. Nahrungsmittel werden heute schon in ausreichender Menge erzeugt - trotzdem hungern Millionen, verhungern gar. Die Hoffnung sollte folglich darin bestehen, dieses Geschäftsmodell der selbstzweckhaften Geldvermehrung, auch 'Kapitalismus' genannt, endlich hinter sich zu lassen.

Heiko 19. Januar 2010 um 18:54  

Nicht Roberto ist zynisch sondern die Welt ist zynisch. Und so ist das Eingreifen der US-Armee nur eine weitere Charity-Veranstaltung. Der Rest ist strategisches Denken (da man sich ja nun angeblich länger engagieren möchte) um im Hinterhof Amerikas aufzuräumen. Venezuela ist da ja nur ein paar wenige hundert Kilometer weit weg.

Man könnte glatt denken, dass Erdbeben kam dem gerade recht.

M.A. Verick 19. Januar 2010 um 19:37  

Zunächst einmal geht es um Geld, oder? Wer soll das bezahlen und vor allem wem?

Wie es den Anschein hat gibt es mehrere Möglichkeiten, um das sich zu ergebende Wichtigste im Verborgenen zu halten. Denn: Wer bekommt denn das ganze Geld? Wiegen die Probleme der Bewohner stärker als die Interessen von Anteilseignern multinationaler Konzernkraken? Ich stelle fest: Die Kraken bekommen das, was noch als Hilfe ankommt, während der Hauptanteil auf dem Weg zum Empfänger ständig abgezweigt wird. Ist ja auch klar, eine Spende ist immer die jeweilige Währung des Spenders. Diese hat mit eigentlicher Hilfe doch so rein gar nichts am Hut. Hinterlässt bei mir daher eher den Eindruck von Abspeisung. Geld aus Papier ist wie Papier an sich, sehr geduldig.

Geld, das ist es was die einen geben, das und die Zufriedenheit geholfen zu haben. Und jetzt macht sich dieses Geld also auf, um sich herauszunehmen, in vollem Umfang beim Hilfeempfänger ankommen zu wollen. Können die damit überhaupt umgehen? Kennen die uns, wissen die wer wir sind?

Wir helfen nicht allen, nur weil sie Hilfe benötigen. "Oh, ist wieder meine Hilfe erforderlich? Wieviel kostet es denn? Äh, nur der Neugier halber, wem soll denn dieses Mal geholfen werden?" Eine mögliche Antwort könnte lauten: "Diesmal sind es die Haitianer, wegen dem Erdbeben, und so!"

Wenn ich direkt gefragt werde ob ich helfen kann, dann schliesse ich mich allen Helfenden an, und packe ebenso mit zu. Entwicklungshilfe ist allerdings ein sehr reudiges und schmutziges Geschäftsmodell, welches es versteht, einer Sau gleich, sich im Elend und Leid anderer zu suhlen. Dies beschert den Mitarbeitern dieser Branchenteile eine dauerhafte Tätigkeit, denn Hilfeempfänger beklagen sich zunächst selten über die Dimensionen der Hilfeleistung. Erst mit der Zeit stellen Diese Unterschiede fest, da sie gelernt haben aufzupassen, dass Andere ja nicht zuviel erhalten, und selbst noch zu kurz kommen könnte.

Die Hilfe kommt denen zugute, die Hilfe benötigen, weil plötzlich Hilfe erforderlich ist. Was aber ist mit der Hilfe, die erforderlich ist, um allen die Hilfe benötigen diese zukommen zu lassen? Nicht für Adhoc-Hilfs-Almosen oder dem berechtigten Seelenfrieden wegen, der allerdings auch nicht alle erreicht. Nicht wegen Akutheit sondern wegen Permanentheit ist vielerort Hilfe dringlich, aber sie unterbleibt. Kein Scheinwerfer leuchtet dort gut und nachfühlbar aus. Warum? Ist nichts Spektakuläres, passiert andauernd.

Hilf Dir selbst, dann wird Dir geholfen. Und dafür wiederum gibt es die helfende Präsenz der Armeen dieser UN-Länder. Die waren noch vor den eigentlichen Hilfslieferungen dort. Klar, die müssen ja auch Hilfe verteilen statt Hilfe leisten. Sicherstellen, das niemand zuviel Hilfe bekommt. Eine herrschende Ordnung aufbauen. Hilfe nur in Dosen und verträglichen Mengen? Der Anschein von öffentlicher Ordnung in Haiti kann auch, helfend, von schwerem Kriegsgerät von statten gehen, wir werden es ja ein weiteres mal erleben. Wir helfen auch sehr gern bei dem Aufbau einer funktionierenden Demokratie mit allem pi-pa-po. Schauen wir auf den Irak, nach Afghanistan.

Schauen wir auf uns selbst!

Anonym 19. Januar 2010 um 22:48  

Gerade im 2DF zuende gegangen! Wir wollen helfen .....

Wenn so öffentlich Spenden vermarktet werden, ist das für mich nur das Ausnutzen einer billigen Werbung durch große und kleine Spender. Mehr nicht.

Wer spenden will, kann das ohne solche Aktion auch anonym machen. Auch das 2DF hätte solch eine Aktion ohne Sendung durchführen können, ohne die Spender zu nennen.

Ich denke, die Spendensumme läge erheblich niedriger.

Peinhard 20. Januar 2010 um 09:15  

"Eine herrschende Ordnung aufbauen."

Genau darum geht es...

Anonym 20. Januar 2010 um 12:42  

@Peinhard 19. Januar 2010 17:50

Also meine zitierten Aussagen sind wirklich nicht weltbewegend gewesen. 1. ging das in diesem Zusammenhang in der Kürze hier nicht besser, 2. Habe ich keine ausgearbeiteten Theorien dahinter.

Wenn ich jetzt den Beitrag über die Rolle des Militärs lese, werde ich sicher auch nicht überzeugt werden, das Militär

nur

der Ausbeutung dient. Mit Sicherheit nicht! Die Aussage ist so einfach falsch. Wer als (nach außen) friedliches Land kein Militär hat ist jedem Agressor wehrlos ausgeliefert. Militär rundweg ablehnen kann man also nur, wenn man glaubt man wird sich gewaltlos auf Dauer besser wehren können, auch wenn man zwischendurch nicht mehr am Leben ist. Aber ich seh mir den Artikel mal an!

Meine Äußerung zum Sozialstaat gefiel (und gefällt) mir schon beim Schreiben so auch nicht. Man diskriminiert irgendwie damit diejenigen, die (teilweise nur aus Pech) von Sozialleistungen abhängig sind und hatte doch selber nur Glück, das es einen selbst nicht getroffen hat.
Ich denke dabei immer daran, wenn ich im Sommer in Essen Straßenmaler sehe und sehe was die können! Ich kann kein Strichmännchen malen, aber konnte etwas wofür halt Geld bezahlt wird. Aber welches Geschäftsmodell soll diese Straßenmaler bezahlen?

Vor 20 Jahren hatte ich längst keine Ideologien mehr im Kopf. Aber ich behauptete der Hunger in der Welt läßt sich besiegen. Wenn man will, so ist das nur ein logistisches Problem. Ich hatte dabei auch Produktivität und Überproduktion im Kopf. Ich habe nie klären können ob meine Aussage so richtig ist.

Ein Geschäftsmodell, das die Probleme löst kenne ich nicht. Weder hat je eins existiert noch existiert derzeit eins. Es gibt sozialphilosophische Theorien (und ich kenne deren wesentliche Gedanken), warum das westliche Modell wohl das Beste ist, obwohl man das kaum noch behaupten mag.

Auch hier gibt es sicher Gegenbehauptungen, aber in nunmehr 40 Jahren, davon (ideologiefrei (man möge mir diese Überzeugung nachsehen) 33 Jahre) bewußter Reflexion hat mich nie etwas als gesellschaftliches Alternativmodell geschlossen überzeugen können. Auch konkrete wirtschaftliche Gegenmodelle sind für mich nicht gesichert wenn auch diskussionswürdig.

Karl Popper empfahl mal die "Stückwerkstechnologie". Ich stellte mich hinter sein Plädoyer für die Freiheit war aber ansonsten skeptisch.
Was dann aber vor allem auch dazwischen kam war etwas, was ich mir 1972 nicht vorstellen konnte, das auch der relative Wohlstand für die Allgemeinheit verloren gehen könnte. In diesem Zusammenhang will ich präventiv sagen: Hartz IV muß weg, aber nicht Hartz IV als solches erzeugt die Armut, sondern zuallererst die ökonomischen Bedingungen. Hartz IV ist ja nur eine verkommene Reaktion auf die verschlechterten ökonomischen Bedingungen. Wenn Hartz IV weg ist, besteht die veränderte ökonomische Situation z. B Entwertung einfacher und mittlerer Tätigkeiten mit anschließender Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen fort.

Ich weiß nicht was Popper im Alter dachte, aber derzeit wird höchsten stückweise verschlechtert.

Was tun: ich versuche meine Gedanken zu dem was hier in dieser Gesellschaft verrottet ist und leider täglich verotteter wird zu verbreiten, wo es möglich ist. Manchmal dauert es 5 Jahre, jemanden zumindest teilweise zu überzeugen.

Peinhard 20. Januar 2010 um 13:52  

@Anonym 12:42

Unser Militär dient, so wie es eingesetzt wird, momentan ausschliesslich der Aufrechterhaltung der herrschenden Verhältnisse, das ist gleichzeitig Folge und Voraussetzung unseres 'Geschäftsmodells'.

Eine alternatives Geschäftsmodell lässt sich mE nicht 'vollumfänglich und wasserdicht' im Hier und Jetzt konzipieren, auch theoretisch nicht. Und das liegt ua daran, dass 'ideologiefreies' Denken, so sehr wir uns das vielleicht wünschen, schlicht nicht möglich ist. Es wäre dann ja auch 'ideenfreies' Denken. Aber auch allein schon aus der herrschenden Ideologie herauszutreten ist nicht so einfach - das meiste davon haben wir schließlich seit Generationen mit der Muttermilch aufgesogen. Ich denke daher, dass du eher so etwas wie 'undogmatisch' meinst.

Diese grundsätzliche Schwierigkeit hindert uns aber nicht, prinzipiell über Schritte nachzudenken, die uns da raus führen können. Nur ist das erste, was dazu zu leisten ist, eben auch wieder die Kritik der herrschenden Ideologie. Denn nur wenn ich weiß, was ich warum nicht (mehr) will, kann ich überhaupt erst anfangen, über 'Alternativen' sinnvoll nachzudenken.

"Aber ich behauptete der Hunger in der Welt läßt sich besiegen. Wenn man will, so ist das nur ein logistisches Problem. Ich hatte dabei auch Produktivität und Überproduktion im Kopf."

Das behaupte ich wie gesagt auch. Eine gute Übung in diesem Sinne ist es, stoffliche und (finanz-)ökonomische Produktionsbedingungen strikt getrennt zu betrachten - oder es zumindest immer wieder zu versuchen...

Anonym 20. Januar 2010 um 20:07  

Liebe Leute,ja wisst Ihr denn nicht, dass die Haitianer selbst für das Beben verantwortlich sind? Laut dem amerikanischen Prediger Pat Robertson haben die nämlich vor mehr als 200 Jahren einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, als sie sich gegen Frankreich erhoben und 1804 ihre Unabhängigkeit erklärten.

Anonym 20. Januar 2010 um 20:33  

@Peinhard 20. Januar 2010 13:52

"Eine alternatives Geschäftsmodell lässt sich mE nicht 'vollumfänglich und wasserdicht' im Hier und Jetzt konzipieren, auch theoretisch nicht."

Deshalb schlug Karl Popper ja auch die Stückwerkstechnologie vor und rasselte im Positivismusstreit mit Adorno et al aneinander.

"Nur ist das erste, was dazu zu leisten ist, eben auch wieder die Kritik der herrschenden Ideologie."

Also jetzt will ich mal konkret fragen was ist die "herrschende Ideologie"?

Ich dachte dabei (eventuell falsch) daran, das es z. B. die Unterstellung sei, daß die Arbeitslosen nicht arbeiten wollen weil die Sozialleistungen zu hoch sind. Wenn man das annimmt, dann kann man die Forderung nach Sanktionen rechtfertigen.

Aber diese Behauptung ist doch wahrheitsfähig. Sie ist i. a. falsch. Wenn sie trotzdem behauptet wird, ist sie dann eine Ideologie bzw Teil einer Gesamtideologie oder nicht einfach nur eine Lüge?

Wenn sie eine Lüge ist, was ist dann die herrschende Ideologie? (Das ist doch das Motto dieses Blogs) Seit August dieses Jahres (ja!) bin ich durch die Nachdenkseiten auf den Begriff des Neoliberalimus (also angekotzt hat mich das Ganze schon seit 10 Jahren) gestoßen. Die obige Aussage ist doch Teil des Neoliberalimus oder? Hat der Neoliberalismus übergeordnete Leitmotive die ihn zur herrschenden Ideologie werden lassen? Wenn er aus im obigen Sinne prinzipiell wahrheitsfähigen Aussagen besteht, dann ist eine Ideologie wahrheitsfähig und dann kann man ideologiefrei sein.

Oder machen spezielle Werte den Neoliberalismus zur Ideologie?
Werte sind nicht wahrheitsfähig.

Wenn der Neoliberalismus aufgrund seiner Werte eine Ideologie ist, dann könnte man eventuell aus seinen "Werten" ableiten warum seine Lügen skzeptiert werden.

Er redet sicher von Freiheit des Einzelnen und schwafelt von dessen Eigenverantwortung.
Aber auch das ist falsch (also wahrheitsfähig): Kein Mensch ist vollständig eigenverantwortlich. An Rande einer Demonstration in den Niederlanden, in der gegen höhere Eigenverantwortung demonstriert wurde, meinte ein Demonstrant "Only the rich can do that"

Also ich vertrete Eigenverantwortung als Wert weiß aber, das sie nur begrenzt möglich ist.Schon bin ich einer Ideologie entkommen.

Welche herrschende Ideologie also ist nicht wahrheitsfähig?

Die Herrschenden kommen ja nicht in die Verlegenheit,ihre Ideologien auf den Prüfstand zu stellen, weil sie von niemandem gefragt werden.

Jetzt fällt mir ein:
Ist die "Leistungsträgerideologie" eine Ideologie. Ja das schon eher, denn man kann sie vertreten (wenn man perverse Werte vertritt). Aber sie ist absurd. Man muß den Vertreter nur fragen wer ein Leistungsträger ist? Dabei wird rauskommen, das alle Leistungsträger sind. Mappus z. B. will Politik machen für die Leistungsträger "von der Hausfrau bis zum Manager". Ein BDI-Schwätzer faselte vor Kurzen auch von Leistungsträgern. Ich hätte ihn gefragt: Ist ein Müllmann einer? Ja hätte der gesagt usw. Leider kam die Moderatorin nicht darauf.

Wenn man weiß was die herrschenden Ideologien sind kann man sie dann erschüttern? Also Dein "Ideologie-Beitrag" hat mich zum Nachdenken gezwungen wie ich bisher darüber noch nicht nachgedacht habe.

Ich dachte immer ich kennte die herrschenden Ideologien als Ideologien,

Peinhard 21. Januar 2010 um 16:22  

Hallo immer noch Anonym, ;)

der Positivismusstreit geht etwas tiefer auf grundsätzliche erkenntnistheoretische Probleme, spielt - je nachdem welche Haltung man einnimmt - aber dann sicher auch in die Frage hinein, um die es hier geht.

Die 'herrschende Ideologie' besteht im Kern darin, in dem was auch Kapitalismus genannt wird, die naturwüchsig-selbstverständliche Ordnung zu sehen - 'postivistisch' gesehen etwas 'Vorgefundenes', nicht etwas 'Gemachtes'. Alle anderen 'Ideologismen' sind davon abgeleitet, auch wenn sie untereinander durchaus im Widerspruch stehen können wie zB Neoliberalismus vs Keysianismus mitsamt ihrer 'Menschenbilder'. Gemeinsam ist ihnen aber eben, dass sie die eigentlichen Grundlagen von Kapital, Lohnarbeit, 'Wertgesetz' etc nicht hinterfragen, sondern immer nur in diesem Rahmen als einem 'gegebenen' agieren.

So wird zB auch in der Frage, ob Arbeitslose denn nun zu faul seien oder nicht, immer nur auf der Grundlage der Lohnarbeit argumentiert, ohne diese und ihre stillschweigenden Voraussetzungen zu untersuchen und eventuell zu erkennen, dass Arbeitslosigkeit bereits in diesen Voraussetzungen begründet liegt, völlig unabhängig von einem 'Menschenbild' oder der Frage, ob 'die Leute' zu faul sind.

Anonym 22. Januar 2010 um 20:04  

@Peinhard 21. Januar 2010 16:22

Also ich denke über diesen Vorschlag nach. Ein wenig hab ich bereits mit einem Fetischgedanken (vielleicht schon recht weit) in Deine Richtung gedacht. Der Fetisch Begriff brachte mich dazu, zum ersten mal meine Gedanken zum Thema zu ordnen. Ich machte es am Beispiel des Fetischs Lohnarbeit (ich meine auch in diesem Blog in einem anderen Beitrag als Reaktion auf Lutz Hausstein.)

Ich meine die Lohnarbeit ist fetischisiert weil sie in dieser Gesellschaft die Grundlage für Alles ist. Die Fetischisierung führt dazu, das die falsche These vom "faulen" Arbeitslosen akzeptiert wird,

"völlig unabhängig von einem 'Menschenbild'"

wie Du sagst.

Anonym 23. Januar 2010 um 22:48  

@Peinhard
21. Januar 2010 16:22

Zum Positivismusstreit kurz der Knackpunkt. Popper vertrat die These, das die Soziologie (wenn denn, füge ich hinzu) als Wissenschaft keine besondere Methode benötigt.

Adorno und anders bezeichneten das u. a. als Szientismus. Sie behaupteten die Soziologie könne nur zu "richtigen" Erkenntnissen kommen wenn (auch nicht so plump) sie sich auf den Standpunkt der Unterdrückten stellte. Habermas nannte das kritische Theorie. Also nur wenn man "richtig" kritisch ist kommt man zu "korrekten" Ergebnissen. Der Szientismus liefere notgedrungen ideologische Ergebnisse im Sinne der herrschenden Klasse, weil er dem Gegenstand nicht gerecht würde.

Im Grunde war das ein Rettungsversuch der marxistischen Parteilichkeitsnahme für das Proletatriat, man konnte es nur nicht so nennen, denn man wollte nicht so ordinär sein wie die Studentenbewegung. Die Studentenbewegung begriff das aber nicht, die wollte Handlungsanweisungen und so mußte Adorno die Geister die er rief polizeilich aus dem philosophischen Seminar entfernen lassen.

Ich bin in der Tat der Meinung, das die Soziologie keine besondere Methode der Erkenntnisgewinnung erfordert. Er gibt nur eine Methode, die ist für jeden Gegenstand gleich.

Wenn man nicht zu eindeutigen Ergebnissen kommt, liegt das jedenfalls nicht an der prinzipiell nicht geeigneten Methode.

Die durch den Begriff "kritische Theorie" verkappte Parteilichkeitsnahme ist hingegen nicht annehmbar.
Eine Theorie wird nicht dadurch wahr, das sie für die Unterdrückten bzw. gegen das Elend Partei ergreift.

Habermas hat sein ganzes Leben darauf verwandt zu zeigen, wie die wahre Erkenntnis gewonnen werden könne (für die Unterdrückten). Das hat m. E. nichts gebracht. Selbst wenn der herrschaftsfreie Diskurs eine korrekte Methode wäre,

1. muß er nicht wie Apel meint "zwangsweise" eingehalten werden (Roland Koch z. B. hat schon wieder dagegen verstoßen das dies transzendental geboten sei!)
2. ist nicht einzusehen, das er die Erkenntnisse bringt, die zur Befreiung der Unterdrückten führen.

Das Ganze ist also witzlos, wenn es auch mindestens einen interesanten philosophischen Aspekt hat. Das ist die Behauptung, jeder der diskutiert habe implizit die Regeln der Kommunikationsgemeinschaft anerkannt. Vittorio Hösle stützt Apel in dieser Hinsicht. Aber ich blieb immer skeptisch, denn wenn es auch theoretisch ein Gedanke ist, praktisch wird von den Herrschenden und ihren Schergen permanent dagegen verstoßen.

Ich vertraue einfach auf Logik und Empirie. Das was ich daraus schließe kommt auf den Prüfstand. Für die Wahrheit einer Aussage ist es uninteressant wie sie zustande kommt. Sie muß begründbar sein.

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