Keine politische Justiz?

Donnerstag, 14. Januar 2010

Ein Gastbeitrag von Frank Benedikt.

Von den Palmer Raids der Zwanziger Jahre bis zu den Fällen Peltier und Abu-Jamal durchzieht ein roter Faden die amerikanische Rechtsgeschichte – der der politischen Justiz.

Zwei mal drei Meter – das sind die Abmessungen der Zelle, in der der wohl bekannteste Todeskandidat der Welt seit 1995 eingekerkert ist. Seit 1982, als er wegen Polizistenmordes in einem fragwürdigen Verfahren zum Tode verurteilt wurde, hat der Journalist und Aktivist Mumia Abu-Jamal stets den Tod vor Augen. An seiner Schuld bestehen seit langem erhebliche Zweifel, dennoch droht ihm weiter die Hinrichtung. Das Todesurteil, das im März 2008 vorläufig aufgehoben wurde, wird in den kommenden Tagen vom Obersten Gerichtshof der USA entweder bestätigt oder in lebenslange Haft umgewandelt werden, ungeachtet weltweiter Initiativen, die seit langem eine Freilassung Abu-Jamals oder zumindest eine Wiederaufnahme des Verfahrens fordern. Dass es bei dem Verfahren gegen das ehemalige Black Panther- und MOVE-Mitglied zu eklatanten Verstössen gegen rechtsstaatliche Standards kam, heben auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch hervor. Gerade letztere Organisation betont auch nicht zuletzt die politische Komponente in diesem Fall, die bei der Urteilsbemessung eingeflossen sei. Ein „militanter“ Afroamerikaner – eine doppelte Herausforderung für das überwiegend weiße und konservative Justizsystem der USA, das auf emanzipatorische und „linke“ Bestrebungen schon früher mit staatlicher Härte reagiert hat.

„Red Scare“ und die Palmer-Raids

Schon mit dem Eintritt in den Ersten Weltkrieg breitete sich in den Vereinigten Staaten Angst vor Fremden und Spionage aus. Ein erstes Resultat war die Verabschiedung des Espionage Acts im Juni 1917, der unter anderem dazu führte, dass der dreimalige Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei, Eugene V. Debs, verhaftet und zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Auch der bekannte Schriftsteller E. E. Cummings wurde wegen „Spionage“, die sich darin erschöpfte, dass er keinen Hass gegen die Deutschen zu empfinden vermochte, zu dreieinhalb Monaten in einem Militärlager verurteilt. Der Sedition Act, der 1918 als Zusatz dem Espionage Act hinzugefügt wurde, stellte auch generell Kritik an der Regierung unter Strafe und markierte den einstweiligen Höhepunkt in der legislativen Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten in den USA.

Mit dem Ausbruch der Russischen Revolution wuchs nicht allein in den europäischen Ländern die Furcht vor einem Übergreifen der revolutionären Dynamik: in den Vereinigten Staaten existierte eine vielfältige Arbeiterkultur, zusammengesetzt aus Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten aus aller Herren Länder. Die Anarchisten waren schon gelegentlich durch Attentate aufgefallen und Gewerkschaften wie die Wobblies (IWW – Industrial Workers of the World) waren nicht nur gut organisiert, sondern auch „internationalistisch“ eingestellt. Der offene Konflikt zwischen Arbeiterschaft und Kapital hatte bereits lange vor dem Krieg begonnen, denn schon im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es blutige Auseinandersetzungen zwischen den Molly Maguires und den Kohlenbergwerksbetreibern Pennsylvanias. Andere massive Arbeitskämpfe sollten folgen und die gesellschaftlichen Verhältnisse waren bereits zu Beginn des Krieges angespannt.

Weitere große Streiks, staatliche Repression aufgrund der neuen Gesetze, und eine Serie von Bombenanschlägen, die den Galleanisten, einer anarchistischen Gruppierung zugeschrieben wurden, verschärften die Situation und der neue Generalstaatsanwalt, Alexander Mitchell Palmer, ließ – zusammen mit dem jungen J. Edgar Hoover – zwischen 1919 und 1920 die sogenannten „Palmer Raids“ durchführen. Bei Massenfestnahmen ohne offizielle Anklage wurden ca. 10.000 Personen landesweit festgenommen, unter ihnen auch die bekannten Anarchisten Alexander Berkman und Emma Goldman, die, zusammen mit rund 500 anderen „ausländischen Anarchisten und Kommunisten“, kurzerhand nach Russland abgeschoben wurden, welches sich zu dieser Zeit noch im Bürgerkrieg befand. Der Höhepunkt der ersten „Rotenfurcht“ sollte damit aber auch überschritten sein, da Palmer die Unterstützung der Bevölkerung einbüßte, nachdem sich seine Prognose, „die Roten“ würden für den 1. Mai 1920 eine Revolution in den USA planen, als völlig haltlos erwies. Bereits im Juni desselben Jahres beendete der Bundesrichter George W. Anderson die größte Massenverhaftung der US-Geschichte, aber zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele Menschen grundlos inhaftiert oder gar deportiert worden.

Die Mörder sind unter uns

In der Zeit der „Palmer Raids“ und der ersten „Roten Angst“ ereignete sich auch der bekannte Fall der italienischstämmigen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti, der in Kunst und Literatur seinen Niederschlag gefunden hat. Die beiden Arbeiter, die sich dem Kriegsdienst verweigert bzw. entzogen hatten, hatten sich der Bewegung um Luigi Galleani angeschlossen und sollen im April 1920 bei einem Raub in South Braintree, Mass., zwei Menschen erschossen haben. Trotz zweifelhafter Zeugenaussagen und weltweiter Proteste wurden Sacco und Vanzetti 1927 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ihre Schuld gilt bis heute als nicht erwiesen und anläßlich des 50. Jahrestages ihrer Hinrichtung hat sie der damalige Gouverneur von Massachusetts, Michael Dukakis, postum rehabilitiert.

Leonard Peltier – der letzte der Lakota?

Im selben Jahr, als Mike Dukakis Sacco und Vanzetti rehabilitierte, wurde Leonhard Peltier, ein Mitglied von AIM, des American Indian Movement zur Befreiung von der Unterdrückung durch die weiße Mehrheit, zu zweimal lebenslänglich verurteilt, da er für die Ermordung von zwei Bundesagenten des FBI verantwortlich sein soll. Bürgerkriegsähnliche Zustände in der Pine Ridge Reservation in South Dakota hatten ihn und andere AIM-Mitglieder dazu veranlaßt, das Reservat aufzusuchen, um ihren Stammesbrüdern beizustehen.

Der indigene Aktivist, der sich bereits in jungen Jahren für die Interessen der unterdrückten Ureinwohner einsetzte, dürfte inzwischen wohl der dauerhafteste „Politische“ in den USA sein: seit Dezember 1976 ist Peltier bereits inhaftiert, wiewohl auch hier die Indizien und Zeugenaussagen dürftig genug schienen, um ihm beispielsweise die Unterstützung von Amnesty International und seitens des Dalai Lama einzutragen. Nachdem 2009 ein Gnadengesuch von der Parole Commission abgelehnt wurde, besteht die nächste Möglichkeit für ein Gnadengesuch erst wieder 2024 – Leonhard Peltier wird dann 79 Jahre alt sein und seine Strafe läuft voraussichtlich noch bis 2040.

Zusammen mit Mumia Abu-Jamal gilt Leonhard Peltier heute als der bekannteste politische Gefangene in den USA und ist auch – gerade hinsichtlich der zweifelhaften Beweislage – das doppelte Sinnbild für einen unschuldig und politisch Verurteilten.

Keine politische Justiz?

Die Wertung kann nur der Leser vornehmen, wenn es auch danach „riecht“ und renommierte Menschenrechtsorganisationen dies unumwunden so bezeichnen. Ein System, welches Menschen – schuldig oder unschuldig – ohne die Möglichkeit zu einer Rehabilitation dauerhaft „wegsperrt“ oder gar tötet, kann nach mitteleuropäischen Maßstäben und Ansicht des Autors kein humanes und gerechtes sein. Zwischen „Rache“ und „Gerechtigkeit“ wird es stets einen normativen Unterschied geben.

Freiheit oder Tod?

Fast scheint es so, wenn man sich Mumia Abu-Jamals akute Lage vor Augen ruft. Die „Freiheit“ wird er wohl, dem Rechtssystem in den USA geschuldet, kaum erlangen können, aber Freiheit von ständiger Bedrohung mit dem Tod wäre schon sehr viel. Da tritt spätestens dann auch die Schuldfrage in den Hintergrund, denn dieser Mensch hat in über 28 Jahren „alle seine Sünden gebüßt“ – es wäre an der Zeit, ihn zu begnadigen!

1 Kommentare:

Anonym 14. Januar 2010 um 12:57  

Sollten die USA Defizite haben, wollen wir hoffen, das sie beseitigt werden.
Die Chance dazu ist sicher größer als in Ländern ohne oder fast jeden Rechtsstaat und ohne jedwede Meinungsfreiheit.

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