Kein Benehmen ist Lebensart

Dienstag, 24. November 2009

Deutschlands Unterschicht kennt kein Benehmen, besteht aus anstandslosen Dummköpfen und unflätigen Haudraufs. Heinz Buschkowsky klärt auf - wenigstens ein bisschen. Er hat sie besucht, die fehlende Kinderstube, war gleich um die Ecke bei Tante Montessori, dort wo die Eltern des kleinen Klaus-Rüdiger monatlich sechshundert Euro lassen und wo ein Koch den kleinen Rüpeln Hähnchen-Filets in Paprikarahm brutzelt oder Topfenpalatschinken bereitet. Schön wäre es, wenn Buschkowsky dort gewesen wäre - aber die geschliffene Manierlosigkeit dieser kleinen Egomanen, genetische Kleinkopien ihrer Erzeuger, meint er ausdrücklich nicht.

Nein, solche Selbstsüchtigen, die Jünger ungepflegter Ich-Kultur, die rücksichtslos durch die Welt stoffeln, die mit Genuss Grobian sind und mit Vorliebe ihr Rabaukentum ausleben, mögen vielleicht ebenso kein Benehmen kennen, aber deren sozialer Status, die Tatsache mittels hundertfacher Euroüberweisung Kindergarten und Schulbildung einkaufen zu können, enthebt sie des anstandslosen Makels. Wer zahlen kann, der darf auch rülpsen oder furzen und sich über das einstimmende Lob diesbezüglich freuen. Neinnein, Buschkowsky jammert über die soziale Unterschicht. Die ethische Unterschicht, die unabhängig von Arbeitsplatz und ökonomischen Stellenwert verkrüppelt durch die Lande rennt, die schwerbehindert ist im Bezug auf den Mitmenschen, die ist entschuldbar. Wo Transaktionen stattfinden, wo saftige Konten vorzufinden sind, wo man die eigenen siechen Umgangsformen mit Geld kaschieren kann, dort findet sich kein Freiherr von Knigge, da wird die abhandengekommene Etikette gekonnt ignoriert.

Dabei wäre es für diejenigen, die Gecken wie jenen Menschenfreund aus Berlin täglich ertragen müssen, gar keine Sünde, wenn sie ohne Benehmen durch die Gegend liefen. Es wäre doch nur verständlich, wenn man die Worte eines Buschkowsky als die gequirlte Scheiße eines schweißdampfenden Fettsacks benennen würde, wenn man diesen Maulhelden nicht per Handschlag, sondern per ausgespucktem Geifer begrüßte, statt einem guten Tag ein Halt's Maul! an den Jammerschädel würfe. Warum auch nicht? Für Typen wie Buschkowsky ist das fehlende Benehmen sowieso schon Tatsache - warum nicht gleich mit Angriff in die Verteidigung? Verwunderlich wäre es jedenfalls nicht, wenn man sich gar keiner geschliffenen Sprache mehr bedienen möchte, weil die Damen und Herren der geschliffenen Ausdrucksart täglich dabei sind, die oft tragischen und gescheiterten Lebensentwürfe der Unterschichtler auszubeuten, um ihrer unmenschlichen Politik Raum zu brechen. Wenn man von feinen Demokraten, gehüllt in feinem Zwirn und noch feineren Duktus, täglich zum Spielball gemacht wird, zum Gegenstand diverser Stammtischparolen, dann wird das unflätige Wort, die ungewichste Ausdrucksart, die verbale Gosse zum neuen Sprechmuster, zum geschliffenen Wort der Ungeschliffenen. Dann macht die Unterschicht aus diesen Schaumschlägern und Wichtigtuern eben, was sie aus deren Sicht sind: Arschlöcher und Dreckschweine! Und daran ist dann nicht einmal mehr etwas auszusetzen.

Das mag sicher kein Benehmen sein, wie es hohe Damen und Herren, die selbsterklärten Finanziers der Gesellschaft, gerne sehen würden. Aber man kann sich seine Unterschichten genausowenig aussuchen, wie seine fettgefüllten Eliten. Unbenehmen indes ist keine Problematik aus Unterschichten, es ist das Lebensgefühl dieser egomanischen Tage. Buschkowsky sollte einmal Verkäuferinnen fragen, denen Freundlichkeit in jeder Verkaufssituation abverlangt wird, die aber von der Kundschaft behandelt werden wie Ansage- und Informationsapparaturen aus Fleisch und Blut. Er sollte nachfragen, wer besonders rücksichtslos ist: der ALG II-Bezieher oder der krawattierte Großkotz. Aber letzterer würde die Unmenschen unserer Tage, diese Hetzer gegen Unten und Anders, nicht als Arschlöcher bezeichnen. Der Großkotz sieht solche ja als seine Herrn im Geiste, fütternde Hände, die man nicht in die Flucht beißen sollte. Deswegen ist der Großkotz Freund der Buschkowskys. Unter Freunden hält man zusammen: der Großkotz liebkost seinen Standartenführer und der Standartenführer linst gönnerhaft zur Seite, wenn sich der Großkotz wieder mal aufführt wie ein wildgewordener Vollidiot. So herrscht Unbenehmen nur dort, wo es politisch gewollt ist...

10 Kommentare:

Jutta Rydzewski 24. November 2009 um 21:10  

Die Buschkowskys, Sloterdijks, Barings und sonstiges Gezumpele scheint sich aktuell wahnsinnig zu vermehren. Das fällt sogar Der Zeit auf: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2009-11/schwarzgelb-zeitgeist

Übrigens, tolle Überschrift: Kein Benehmen ist Lebensart. Früher hieß das mal: Benehmen ist Glückssache. Die "Weiterentwicklung" ist unverkennbar.

mfg
Jutta Rydzewski

klaus baum 24. November 2009 um 23:28  

die abhängigen kann man schulmeistern. die finanziell unabhängigen können sich benehmen, wie sie wollen. ich kenne einen, der lebt vom geld der mutter . dem macht keiner in irgendeiner weise vorwürfe. obwohl er ein gänzlich asoziales lebn führt.

Geheimrätin 24. November 2009 um 23:42  

Da hat mir hier mal wieder jemand aus der Seele gesprochen, danke Roberto! Unwort Bildungsgutschein

epikur 25. November 2009 um 00:17  

Diese zunehmenden menschenverachtenden öffentlichen Äußerungen irgendwelcher Vollhansels werden irgendwann einen Abnutzungseffekt haben. Dann muss die Dosis erhöht werden, damit man noch einen Aufhänger und eine Schlagzeile hat. Davor sollten wir uns fürchten.

landbewohner 25. November 2009 um 00:36  

mir fällt dazu immer ein, daß all diese "pöbelhetzer" - sachliche oder fundierte kritik äussert sich nun einmal anders - aus der sozialdemokratischen und "liberalen" ecke kommen. die wahrhaft herrschende klasse befleissigt sich solch einer sprache nur selten. das macht sie zwar nicht besser, aber es zeigt, wozu sie die parvenues a la sarrazin etc. braucht und wie wenig sie mit diesen zu tun haben möchte. ist so ähnlich wie lude mit bullterrier - nur der arme (echte)hund kann leider nichts für seine rolle.

PeWi 25. November 2009 um 09:09  

Die Steigerung: „Arbeitsscheue im Sinn dieses Erlasses sind Männer im arbeitsfähigen Lebensalter, deren Einsatzfähigkeit in der letzten Zeit durch amtsärztliches Gutachten festgestellt worden ist oder noch festzustellen ist, und die nachweisbar und in zwei Fällen die ihnen angebotenen Arbeitsplätze ohne berechtigten Grund abgelehnt oder die Arbeit zwar aufgenommen, aber nach kurzer Zeit ohne stichhaltigen Grund wieder aufgegeben haben.” (Erlass „Schutzhaft gegen Arbeitsscheue”, Januar 1938).

maguscarolus 25. November 2009 um 11:54  

Die prima causa dieser Verfallserscheinungen ist das kapitalistische Pantheon, auf dessen höchster Hierarchiestufe das Geld und seine Priesterschaft herrschen.

Da somit oben und unten nur durch mehr oder weniger geldwertes Eigentum definiert sind, egal wie es "verdient" wurde, wird auch "Erfolg" schlechthin daran gemessen.

Wir haben eine Gesellschaft, in der sich Ethos und Moral von oben her auflösen und die sich mit großen Schritten auf einen barbarischen Zustand hin entwickelt, den ich nicht mehr erleben möchte.

Meinen und allen Kindern zu Liebe hoffe ich auf ein Wunder, das dieser Entwicklung ein Ende bereitet und zu einer Umkehr führt.

Michel 30. November 2009 um 12:28  

Irgendwo gelesen, dass neuerdings "Benimm-Experten" in Hauptschulen das Benehmen der Schüler korrigieren. Externe Benimmexperten, versteht sich.


Apropos Privatisierung der Bildung:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=2497


ich frage mich immer verzweifelter, was ich tun soll, denn wenn ich sehe, wie Deutschland kaputt gemacht wird von neoliberalen und neokonservativen Kräften, dann wird mir klar, dass sich
1. hier nicht mehr viel ändern lässt
2. man nur noch mit den Füßen abstimmen kann. Aber wohin soll man gehen?

Leider fängt meine ansonsten durchaus kritische und geistig nicht minderbemittelte Familie auch langsam an, den neoliberalen und neokonservativen Chören auf allen Kanälen Glauben zu schenken.

Zum Verzweifeln.

Anonym 30. November 2009 um 15:31  

"[...]Leider fängt meine ansonsten durchaus kritische und geistig nicht minderbemittelte Familie auch langsam an, den neoliberalen und neokonservativen Chören auf allen Kanälen Glauben zu schenken.[...]"

Man sollte vielleicht auch immer öfter den Neoliberalismus/Neokonservatismus im ganz normalen Lebensalltag entlarven. Es geht m. E. längst nicht mehr um ferne Politik und Wirtschaft, sondern ganz konkret darum, dass im ganz normalen Alltag die marktradikale bzw. neoliberale Bevormundung um sich greift.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 30. November 2009 um 15:31  

Zusatz:

Vielleicht schreibt Roberto J. de Lapuente mal was in seinem Blog über den "Neoliberalismus/Marktradikalismus im ganz normalen Lebensalltag von uns allen"?

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

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