Eure Sorgen sind nicht unsere!

Freitag, 3. April 2009

Es gibt schon ein bezeichnendes Bild von der Situation in diesem Lande ab, wenn Millionen Menschen sich um ihre Zukunft sorgen, Angst um Arbeitsplatz und existenzielle Sicherheiten haben müssen, weil eine Wirtschaftskrise wütet, aber auf der anderen Seite, d.h. der Seite derer, die die ganzen Ungeschicke lenken, wird hemmungslos gesoffen und gevöllt. Was muß sich ein solch angsterfüllter Mensch denken, wenn er dieser Tage die Bilder vom Nockherberg sieht, auf denen gerötete Wangen, entstellte und künstlich erzeugte Lachfratzen und üppig garnierte Brotzeitteller zu sehen sind? Was müssen sich diejenigen dieser Gesellschaft denken, die nicht mehr nur Angst haben, sondern bereits in die Mühlen der Nötigung geraten sind, die täglich mit den Ruchlosigkeiten des SGB II konfrontiert werden, einem Sozialgesetzbuch, verabschiedet von dieser dekadenten Nockherberggemeinde? Welcher Hass muß da entstehen, wenn auf dem Teller Seehofers oder Söders mehr Essbares liegt, als einem ALG II-Empfänger laut Regelsatz für einen ganzen Tag, vielleicht sogar für zwei oder drei Tage, zusteht?

Michael Lerchenberg, bayerischer Bühnendarsteller und Redenschwinger am diesjährigen Nockherberg, meinte vor Beginn der dekadenten Völlerei, dass die Bürger sich auf den Nockherberg deshalb freuen, weil dort den Mächtigen der Demokratie endlich mal die Meinung gegeigt würde. Wenigstens einmal im Jahr würde man die hohen Damen und Herren mit Volkes Meinung konfrontieren. Nun war der Nockherberg nie eine Veranstaltung, die wirklich eine oppositionelle Meinung verbreitete, unter Bruno Jonas, der von 2004 bis 2006 die sogenannte Fastenpredigt hielt, wurde der brave Spaß, die biedere Zote freilich kultiviert, denn eloquent ist der Niederbayer allemal, aber eine wirkliche Meinung wider den Mächtigen, wurde dortmals ebensowenig vertreten, wie unter dem heutigen, beinahe schon devoten Redner Lerchenberg. Würde dort wirklich an der Sache gerüttelt, würde man Inhalte fehlerhafter, arroganter, selbstherrlicher, eigennütziger Politik anprangern, wäre der Nockherberg eine tote Veranstaltung, würde er abgeschafft. Im Zweifelsfall sägt man den Prediger ab, so wie Uğur Bağışlayıcı, genannt Django Asül, der 2007 auftrat und prompt abgesetzt wurde, weil er relativ direkt war. Wenn er sich auch nicht an die politischen Inhalte bzw. Inhaltslosigkeiten der Politiker heranwagte, so war seine Wortwahl eher eine solche, die man auf der Straße antrifft, also eher Volkes Duktus, als diejenige eines Jonas oder Lerchenberg. Schon die derbe Sprache hat den feinen Herrschaften genügt, sie fühlten sich peinlich berührt, gossenhaft angegriffen. Hinfort mit dem Frevler!

So sitzen sie also wieder fröhlich zusammen, der Redner erzählt fade Scherze, bei denen man eigentlich nur schwer lachen kann, was man aber dennoch tut, man will ja nicht als humorloser Technokrat gelten. Man kann gepflegt Bier verköstigen, deftige Brotzeiten herunterwürgen, dabei ausgelassen lachen, die Backen in rote Töne versetzen, den Blick glasig und die Bewegungen tapsiger werden lassen, kann demjenigen, den man in der öffentlichen Arena der Politik feindselig entgegentritt, einfach mal kameradschaftlich auf die Schulter klopfen, die politischen Inhalte beiseite schieben, kurz: man kann feiern, ohne dass der Typ auf der Kanzel einem wehtut. Während das Volk, angeblich scharf auf das Derblecken (ein Bayer würde eher "Daablecka" schreiben), furchtvoll ins Morgen blickt, nicht weiß, was dort mit ihm geschehen wird, suhlt sich der Politpöbel in seiner mandatslastigen Sicherheit und feiert sich die Krise vom Herzen. Sie lachen voll Inbrunst in alle Kameras, zeigen Zähne, amüsieren sich jedenfalls beim Gelage, weniger beim langweiligen Singspiel oder der zahnlosen Predigt, und machen es den Bürgern nur allzu deutlich: Eure Sorgen sind nicht unsere!

Der Amoklauf von Winnenden, so wollte es die politische Korrektheit dieser Republik, was soviel heißt wie: die Verlogenheit dieser Republik, führte dazu, dass die Veranstaltung auf dem Nockherberg verlegt wurde. Man sah es als unpassend an, einen Tag nach so einem Ereignis ausgelassen in der Öffentlichkeit zu feiern. Die wirtschaftliche Not vieler Millionen Menschen, die in diesen Wirtschaftsgefilden damit auch immer eine existenzielle Not wird, die Furcht vor dem Ungewissen, sind aber scheinbar nicht ausreichend, um die Dekadenz gänzlich aufzulösen. Im Angesicht wachsender Kinder- und Altersarmut, im Angesicht immer mehr Arbeitsloser für immer weniger freie Stellen, im Angesicht immer mehr arbeitender Armer, feiert es sich noch vortrefflich. Amoklauf ist eine Ausnahmesituation, Krise und Angst der Massen nicht - damit bestätigen diese Herrschaften, dass das heutige System eines ist, welches die Angst als normalen Faktor, als Alltagserscheinung manifestiert hat. Der Nockherberg, die Partylöwen-Mienen dort, geben wahrlich ein bezeichnendes Bild von den Zuständen in diesem Land ab. Sie liegen halt doch zu Tisch...

12 Kommentare:

Margitta 3. April 2009 um 12:03  

Lieber Roberto,

beim Lesen Deines Beitrags fiel mir auf, dass mir diese Veranstaltung vom Nockherberg entging. Sogleich machte ich mich bei YouTube auf die Suche und sah mir erst noch einmal die Rede von Django Asül an. Ich erinnerte mich daran, dass ich schon während dieser Rede zu meinem Mann sagte: "Der Django wird wohl kein zweites Mal in dieser Rolle zu sehen sein."
Die Statements der Geladenen am Ende selbiger Rede bestätigten meine Annahme schon damals.

Nachdem ich mir dann einen Teil von Michael Lerchenberg ansah, dachte ich: ´nun ja mensch lässt sich halt lieber von einem in eine Mönchskutte geschlüpften Kabarettisten etwas um die Ohren hauen als sich mit Volkes Stimme auseinanderzusetzen.`

Schon der Anfang diese Rede erschien mir eher wie ein Kammerspiel. Mensch bleibt halt lieber unter seinesgleichen und lässt sich lieber in Form einer Predigt die Leviten lesen.

Werde mir bei Gelegenheit die komplette Vorstellung mal ansehen um zu erfahren was Lerchenberg da so vom Stapel lies.

Liebe Grüße
Margitta Lamers

klaus baum 3. April 2009 um 13:04  

ich schätze, die haben mindestens den halben monatssatz eines Hartz-IV-Empfängers verprasst. das sind jene feudalen strukturen, von denen wolfgang lieb neulich berichtete.

Flying Circus 3. April 2009 um 14:31  

Halben Monatssatz? Das wäre allerdings preisgünstig. Bei größeren Festmahlen werden pro Person gerne 4-stellige Eurosummen gerechnet. Nein, ich nehme an so etwas nicht teil. ;-) Und nein, neidisch bin ich da auch nicht drauf.

Pankefuchs 3. April 2009 um 15:11  

Was nützt es!
Im September wird die betrogene Masse wieder das Kreuzchen an den alten Stellen machen - so wie jedes vierte Jahr!
Der deusche Michel ist halt noch zu dumm um zu erkennen was wirklich Phase ist!
Er erfreut sich ja lieber noch an den Kleidchen, Krawattchen und Rüschchen der Königinnen und Könige, die wieder mainsstreammedial in bunten Bildchen aufbereitet werden!

Anonym 3. April 2009 um 15:41  

@Pankefuchs

Volle Zustimmung - gilt aber auch für "die deutsche Michelin" ;-)

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

romano 3. April 2009 um 16:25  

hui, C. Roth ist toll fotografiert. Wie sie leibt und lebt.

Ad Viktor von Weizsäcker. Interessant, das habe ich nicht gewußt. Parallelen sieht man heute wieder noch und nöcher. Politische Naivität grassiert. Die höchsten akakdemischen Ehren können umschlagen in ideologische Konformität und sogar Aktivismus, wenn nur der öffentliche Diskurs in seinen Sinnuancen oszilliert und mit vorher ruhenden mentalen Momenten zusammenfällt und plötzlich eine Dynamik der Überzeugung erwächst, die vielfältige Handlungen zur Folge haben kann. Das Problematische ist, dass die Leute sich oft dagegen fast nicht wehren können, weil sie es nicht merken, was mit ihnen passiert. Das ist keine Entschuldigung, es ist eher sehr wichtig das zu überlegen.

Solche Sachen sieht man z.B. bei den deutschen Grünen sehr gut. Viele Fragen sich, was dort geschehen ist. Die tun so, als wären ihre sozialökologischen Ambitionen der 80er Kinderträume gewesen und nunmehr, nachdem man ins Erwachsenenalter eingetreten ist, müsse man sich der Realität stellen. Und das scheinen nicht nur strategische Überlegungen zu sein, sondern Überzeugungen. Das Foto von Roth im Beitrag spricht Bände.

diet 3. April 2009 um 17:29  

Lerchenberg war zahmer als im letzten Jahr.

Diesmal schauten nur Maget, Uhde und Söder etwas säuerlich, alle anderen hatten eitel Freud und Sonnenschein.
Seehofer wurde geradezu hofiert.

Bruno Jonas´ letzten Nockherberg (2005 oder 2006 ?) fand ich brillant.

Danach verschwand er zunächst von der Bildfläche ... und verlor im Scheibenwischer nach und nach den Biss.

Ich habe den Verdacht, daß die bayrische Polit-/Kulturmafia ihn zur Brust genommen hat nach dem Motto "Für so was gibt es aber keine Kulturförderung. Überlege Dir beim nächsten Mal gut, was Du sagst..."

mg 3. April 2009 um 18:10  

Es geht um Anstand, Gute Erziehung, Moral. Welche der drei Charaktereigenschaften hätten die Herrschaften abhalten sollen und haben es nicht getan?

Möglicherweise gab es Politiker aus der dritten - vierten Reihe die aus Anstand, an "Das Große Freßen" nicht teilgenommen haben. Aber deren Namen werden wir vermutlich aus den Medien nie erfahren weder in Zusammenhang mit der jetzigen Veranstaltung noch in Zusammenhang mit ihrer täglichen Arbeit.

mg 3. April 2009 um 18:15  

@Pankefuchs
"Im September wird die betrogene Masse wieder das Kreuzchen an den alten Stellen machen..."
Leider gibt es nur zwei Möglichkeiten: Dieselben wählen (Parteien oder Konstellationen sind egal) oder daheim bleiben. Abstrafung einzelner bewirkt eventuell dass die noch kompromißloseren nach oben gespült werden, was nicht unbedingt besser sein muss. Wirklich entscheiden können wir nichst mehr, es sei denn wir werfen alles was den guten Geschmack ausmacht über Bord und wählen Extremen.
Ich wäre Dir sehr dankbar für eine andere Lösung, eine die mich in die Lage versetzt die derzeitigen in deren Gänze abzustrafen.

Anonym 3. April 2009 um 21:48  

wer meint im recht zu sein zeigt es auch ...
wer meint, nur der stärkere gewinnt, und das sei auch richtig so, muss es nicht nur in reden und gesetzen ausarbeiten, sondern auch im alltag, als vorbild gewissermaßen ...
da ist es nur konsquent, wie die damen und herren sich verköstigen lassen, dieses auch noch im fernsehen darzubieten damit doch der restmüll sieht wie wahre gewinner leben ...

sieht ein harz4 empfänger etwa täglich realexistierende menschen die reich sind und dies geniessen ?
nein, und daher gibt es diese show's ...

gut gut,
natürlich ist sowohl deren verhalten auf der politischen bühne fragwürdig, ganauso wie deren private äusserungen, aber sie sind stark, hart und haben macht ...

macht hatte auch der letzte amokläufer, in anderer hinsicht natürlich, er konnte zwar nicht über rechte und pflichten seiner untergebenen verfügen, aber er hatte für wenige momente eine ähnliche macht: zu entscheiden wer leben darf und wer nicht verschont werden soll ...

ich wette das zollt respekt bei den hohen herren, und gleichzeitig das gegenteil, denn er war zwar in seinem handeln und den auswirkungen ähnlich wie unsere regierer, doch nur von kurzer dauer und dabei zu offensichtlich vorgegangen, davon mal abgesehen das er selber keinen grossen profit daraus schlagen konnte, weder für sich selber noch für andere nutzniesser ...

in gewisser hinsicht ähneln die sich in diesem theater alle ...
nur das sie andere methoden anwenden ...

daher die trauer,
daher die verschiebung ...

pillo 3. April 2009 um 23:43  

Was Sie da so treffend beschreiben, lieber Roberto, ist der berühmte Tanz auf dem Vulkan. In einer Mischung aus Arroganz, Ignoranz und Selbstbetrug werden diese Herrschaften noch nicht einmal mitbekommen, wie sehr es bereits unter ihrem Hintern brodelt. So manch einem dieser feist grinsenden "Damen" und "Herren" wünscht man ein ähnliches Ende wie ihren geistigen Vorfahren anno 1789.

Anonym 4. April 2009 um 01:37  

@romano

"Solche Sachen sieht man z.B. bei den deutschen Grünen sehr gut. Viele Fragen sich, was dort geschehen ist,...."

Sowohl das Foto von Claudia Roth auch als deine Analyse über die Entwicklung der Grünen Partei ist eine hervorragende Metapher für die (politische) Bewusstseinsentwicklung der meisten Menschen in einer Industriegesellschaft. Mir fällt da spontan die abgedroschene Wendung ein: "Wer mit 20 kein Kommi ist, der hat kein Herz. WEr mit 60 immernoch ein Kommi ist..." naja weisst ja wie es is.

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