Oberschichtenfernsehen

Dienstag, 16. Dezember 2008

Das Aushängeschild des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Thomas Gottschalk, mitsamt seiner Samstagabendsendung, "Wetten, dass...", zeichnet ein treffendes Bild der Gesamtgesellschaft. Freilich gleicht die soziale Kälte, die dieses Stück Oberschichtenfernsehen ergriffen hat, nicht jener aus den Unterschichtenprogrammen, kommt sie doch eloquenter und bürgerlicher daher, aber am Ende geht auch dort die Rechnung auf, möglichst dümmliche Unterhaltung als vermeintliches TV-Spitzenprogramm zu verkaufen. Und nachher überschlagen sich die Vertreter des guten bürgerlichen Geschmackes mit Lob, glauben im antiquierten, oft peinlich anmutenden Sendekonzept, Deutschlands Fernsehmeisterstück zu erkennen.

Soziale Kälte schlich sich schon vor Jahren ins Sendekonzept ein. Dabei gab es einst Zeiten, da wurde via "Wetten, dass..." gewettet, dass nicht einmal jeder dritte Zuschauer eine Mark spenden würde, um notleidenden Menschen in der Sahelzone zu helfen. Karlheinz Böhm initierte 1981 diese Wette, gewann - es kamen nur 1,7 Millionen Mark zusammen - und flog dennoch nach Afrika, was er eigentlich nur tun wollte, wenn er die Wette verloren hätte. Immer wieder traten Prominente auf, die zur Einlösung ihrer Wettschuld soziale Einrichtungen beehrten - da waren dann Schauspieler einen Tag in der Bahnhofsmission tätig oder Politiker in Gefängnissen im Einsatz. Und als in den Achtzigerjahren plötzlich Menschen mit Plakaten das Sendestudio unerlaubt betraten, um gegen einen Mißstand - es ging um die Zerstörung der Donauauen und richtete sich gegen den Wettpaten Fred Sinowatz - zu demonstrieren, und die Sendeleitung diese Menschen sofort rauswerfen lassen wollte, da ging der damalige Moderator Frank Elstner energisch dazwischen, betonte, dass niemand aus seiner Sendung geworfen würde und ließ die Demonstranten sogar kurz zu Wort kommen, damit diese ihre Botschaft verkünden konnten.

Nun mag man einwenden, dass viele dieser Wettschulden, die man mit sozialen und humanen Einsatz bezahlen wollte, eine gelungene PR-Kampagne des jeweiligen Prominenten war - und das kann durchaus zutreffen. Auch kann man generelle Kritik an den Mechanismen der Armenverwaltung üben, die sich in Bahnhofsmissionen und elitärer Suppenküchementalität niederschlägt - aber darum soll es in diesem Rahmen nicht gehen. Was aber von Belang ist für diese kurze Abhandlung über soziale Kälte im deutschen Fernsehen ist: Auch wenn es möglicherweise wohlkalkulierte PR war, auch wenn Suppenküchen keine Lösung sind, die damaligen Wettpaten suchten die Nähe zum sozialen Engagement, zu den Menschen in Not, versuchten sich in Humanität, Nächstenliebe, praktizierter Mitmenschlichkeit. Sie standen damit nicht nur einer Wette Pate, sondern konnten als gesellschaftliches Vorbild wahrgenommen werden, standen damit einer Gesinnung Pate, die soziales Engagement, tatkräftiges Unterstützen notleidender Menschen, für lobenswert und nachahmbar erklärte. Sie gaben in diesem Moment nicht nur Geld, sammelten Spenden, sondern machten sich selbst, ihre Arbeitskraft, ihr Interesse zum Gegenstand der Hilfe. Trotz möglicher PR, die da Mancher im Hinterkopf hatte, war es ein kleines Stückchen sozialer Wärme, was da in die Wohnzimmer transportiert wurde - zumindest war es der Versuch, ein wenig soziale Wärme zu erzeugen.

Und wie sieht es heute aus? Die Wettschulden sind trivialste Unterhaltung, stacheln nur die niederen Instinkte der Zuseher an, weil diese ja unbedingt sehen wollen, wie sich Prominente zum Affen machen, wenn sie beispielsweise, wie Lewis Hamilton und Norbert Haug ankündigten, Gitarre spielen und dazu trällern, oder wenn eine durchschnittliche TV-Darstellerin, gleich Tells Sohn, einen Luftballon vom Kopf geschossen bekommt und dabei so tut, als würde sie vor Angst gleich davonrennen. Gleichfalls die Wettschuld des Moderators, die nichts anderes ist als mit Banalitäten ausgefüllte Wichtigtuerei, wenn dieser einen Tag Tour-Manager für jugendliche Millionäre - Tokio Hotel - sein darf oder sich einfach mal lustig als Straßenmusikant verkleidet. Vor Jahren erklärte sich ein Prominenter dazu bereit, sollte er die Wette verlieren, würde er mit einem Wok eine Bobbahn herunterfahren - heute ist das Wokrodeln ein gesondertes TV-Ereignis, inszeniert von demjenigen, der damals Wettpate war: Stefan Raab. Was heute vornehmlich im Vordergrund steht, ist der Umstand, dass man das bekannte Gesicht auf der Wettcouch zum Affen macht. Man läßt ihn auf die alberne und kurz entwürdigende Weise an die Menschen heranrücken, indem der Zuschauer erkennt, dass der Prominente eben auch nur mit Wasser kocht, der gleiche Trottel aus Fleisch und Blut sein kann, wie man es selbst zuweilen ist.

Aber soziales Engagement steht nicht mehr auf der Charta, möglicherweise will man sogar, dass eine soziale Komponente außerhalb des bürgerlichen TV-Programmes bleibt, damit die abendliche Unterhaltung nicht überfrachtet wird mit Mitmenschlichkeit, Mitleid und Denken an den Nächsten - man will schließlich vergnüglichen Couchbesuch, ein Paar Stunden in Wolkenkuckucksheim der Prominenz, keine Bedenkenträger. Und was entginge doch den Zuschauern, wenn sich ein prominenter Zeitgenosse zur Einlösung seiner Wettschuld nicht eine Seppel-Lederhose anzöge, sondern womöglich mal ein oder zwei Tage dort hinginge, wo es wirklich wehtut. Auch wäre es schade, wenn ein 105-jähriges Ein-Mann-Unternehmen, ein personifizierter Geschäftsentwurf auf zwei Beinen, nicht mehr programm- und pflichtgemäß sich für Äußerungen entschuldigen dürfte, die kurze Zeit zuvor getätigt wurden, und das Publikum, ergriffen von Pathos, dabei nicht mehr applaudierend aufstehen dürfte, nur weil aus dem bürgerlichen "Wetten, dass..." wieder ein bißchen mehr Niveau herausschauen würde. Man ist viel zu gerne niveaulos fern jeglicher sozialen Wärme, schwebt lieber über den Zuständen...

12 Kommentare:

Anonym 16. Dezember 2008 um 00:18  

"[...]Man ist viel zu gerne niveaulos fern jeglicher sozialen Wärme, schwebt lieber über den Zuständen...[...]"

Hallo Roberto,

kann schon sein, dass du richtig liegst - mit deinem neuen Text - wie ich stark vermute, aber wie erklärst du dir, dass Thomas Gottschalk bei der Saalwette - den tanzenden Männern denen die Hose hochrutscht - auch jemanden, der offensichtlich beide Arme verloren hat eingeladen hat? Würde ich Gottschalk böse Absicht unterstellen dann würde ich behaupten, dass er diesen Mann vorgeführt hat. Ich denke aber, dass dem Mann selbst nicht wohl war - vor einem Millionenpublikum - seine Hose anzutanzen. Voyeurismus der übelsten Sorte? Wie denkst du darüber?

Ich hoffe nämlich immer noch, dass ich mich irre, aber dem offensichtlich armlosen Mann - so hatte ich wirklich den Eindruck - war selbst nicht wohl in seiner Rolle, obwohl er zum Schluß ganz stolz war als Erster seine Hose angezogen, pardon angetanzt hatte.

Meine Mutter, wegen der ich mir, trotz persönlicher Abneigung gegen Gottschalk, diese Sendung kurz antat sagte nur weise:

"Kein Wunder, der zieht sich ja täglich so an."

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 16. Dezember 2008 um 01:13  

Die Frage ist also, was schlimmer ist: Prominente, die dem Pöbel ein paar Krümel vor die Füße werfen und sich damit auch noch als sozial engagiert gerieren oder Prominente, die genau das tun, was das Konzept von Wetten Dass... von ihnen erwartet: Eine aus dem Rahmen der Prominenz-Etikette fallende Aktion, die zeigt, dass auch Prominente ihre Schulden einlösen und sich unterhaltsam zum Deppen machen.

Ich persönlich finde beides scheisse, aber mir ist Unterhaltung ohne sozialen Gehalt immer noch lieber, als selbstherrliche "Tropfen-auf-den-heissen-Stein"-Aktionen wie sozialpädagogisch angehauchte Wetteinsätze (wie der Politiker im Knast, der Schumacher bei der Tafel oder was weiss ich) oder auch diese abstoßenen Donationtainment-Formate a la "Kinder in Not! Setzen sie sich vor den Fernseher, knabbern lecker Chips, trinken lecker Bier, kucken sich lustige Comedians an und spenden sie nen Fünfer. Te absoluto!" (*)

Reines Entertainment, Comedy statt Kabarett, Show statt Diskussion, Boulevard statt Analyse, ist zumindest konsequent in seiner profitmaximierenden Logik, in leicht konsumierbare Einheiten komprimiert und bar jeden politischen, ästhetischen oder sozialen Anspruchs.

Nicht dass ich es nicht besser fände, wenn die Massenmedien soziale Verantwortung übernehmen würden, aber so wie die Lage ist, tun sie es ohnehin nicht und jeder Versuch, sich trotzdem in dieses Licht zu rücken, ist Heuchelei.

Mir ist offene Ignoranz lieber als Heuchelei.

(*) okay, latein is bei mir schon ne weile her... :)

ad sinistram 16. Dezember 2008 um 08:38  

Auch ich denke, dass diese Krümel wenig wert sind, weil sie nicht radikal genug antasten, was den Mißstand erzeugt, also die Wurzel herausreißen. Doch es geht mir um zwei Dinge, die ich mit diesen Zeilen zum Ausdruck bringen wollte, ganz gleich, ob sporadisches Sozialsein sinnvoll ist oder nicht:

1.) Sendungen wie "Wetten, dass..." zeigen überdeutlich, wie sich die Gesellschaft entpolitisiert und entsozialisiert hat.
2.) Solche Sendungen sind zum Ausdruck elitären Zeitgeistes geworden, in denen Bessergestellte keinerlei Scham mehr haben, vollkommen sinnfreie Floskeln von sich zu geben und sich nebenbei immer politisch korrekt äußern.

Bernhard 16. Dezember 2008 um 09:37  

Servus Roberto,

als "Kommentar" dazu fallen mir zwei Buchtipps ein:

* Media Control - Wie die Medien uns kontrollieren (von Noam Chomsky)

* Consumed! - Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt (Benjamin Barber)

Es ist bald Weihnachten. Bevor man irgendwelchen Tand verschenkt, sollte man lieber das Risiko eingehen, sich auch einmal etwas unbeliebt machen. Diese Bücher sind meines Erachtens nach die richtigen Antikonsum-Weihnachtsgeschenke.

Viele Grüsse und weiterhin frohes produktives Schaffen,

Bernhard

Anonym 16. Dezember 2008 um 14:30  

Du triffst den Nagel auf den Kopf. Der Gottschalk hat zwar ein flottes Mundwerk, aber nichts im Hirn. Er ist der beste Beweis für die These, daß man auch reden kann, ohne zu denken.
Frank Elstner hat auch einst den Nobelpreisträger Klaus von Klitzig in einer Wetten-dass-Sendung korrigiert, als Klitzig allzu optimistisch sich über die Naturwissenschaften ausließ.
Gottschalk betreibt Infantilisierung bis weit unter die Schmerzgrenze - mit Scherzen auf dem Niveau des Scherzartikels Furzkissen.

Anonym 16. Dezember 2008 um 15:57  

Oberschichtenfernsehen, einfach zu blond!

Anonym 17. Dezember 2008 um 11:12  

Am dümmlichsten ist dabei wieder die wassertragende Sekundierung durch die Bild - Post von Wagner.

Diese Schmierenadjutante von Friede
(früher nannte man solche Leute Hofnarren)ist so hohl, die schwimmt sogar in Milch.

Anonym 18. Dezember 2008 um 10:05  

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß es Programme gibt, die manchmal gute beiträge bringen- aber weder über die meisten Antennengemeinschaften angeboten werden noch in den meisten Fernsehprogrammzeitungen erwähnt werden ( z.B.Theaterkanal u.a.)Warum ist das so?
Sind die Antennengemeinschaften Teil des Manipulationssystems ?

Anonym 18. Dezember 2008 um 17:12  

Zu Kommentar #1:

Wenn ich die Saalwette richtig verstanden habe, wurden Teilnehmer gesucht, die sich die Hose ohne Zuhilfenahme der Hände anziehen können. Die Erschienenen (darunter der Mann ohne Arme) wurden nicht eingeladen, sondern sind spontan und freiwillig in die Sendung gekommen.

Noch ein Nachdenkseiten-Leser

Anonym 19. Dezember 2008 um 00:14  

@Noch ein Nachdenkseiten-Leser

Ich schrieb ja, ich hoffe, dass ich mich irre, denn so eine Menschenverachtung würde ich nicht einmal Gottschalk zutrauen.

Danke für die Berichtigung und Gruß
Nachdenkseiten-Leser

chromaticfan 19. Dezember 2008 um 02:53  

Der Begriff "Oberschichtenfernsehen" ist insofern ein Witz in sich, weil gerade dieses Fernsehen eher geistige Unterschicht praktiziert, sich aber dem Beifall derer sicher sein kein, die sich als Oberschicht selbst definieren.
Sehr genau wurde erkannt, dass der eigentliche Skandal - anders kann man das nicht nennen - der letzten Sendung der Auftritt der total jovialen Familienministerin v.d.Leyen war, die in ihrem gewollt volksnahen Mülltonnenauftritt genau den Wind aus den Segeln nehmen wollte, der ihr aus der Richtung der "noch Nachdenker" entgegen bläst.Dass es genau wie beabsichtigt gewirkt hat beweist dieses journalisitsche Meisterstück des Bild Wagner, der dieser Mischpoke so recht aus dem Herzen gesprochen hat.
Die Techniken der Abgrenzung und Abschottung werden immer subtiler. So kann man selbst da Stimmen einfangen, wo man eigentlich zum Teufel gewünscht werden sollte.
Der Metzger erweist dem Schwein vor seinem gewaltsamen Tod noch mal eine kleine Freude; und wird ihn wieder wählen, weil er ja so nett und komisch war.
Der Artikel "Oberschichtenfernsehen" zeigt einen weiter wachen Verstand und die Fähigkeit des Autors, in der überall angelegten Schleimspur der vermögenden Schichten nicht ins Rutschen zu kommen-

Anonym 19. Dezember 2008 um 08:58  

Ein wichtiger Artikel. Ich habe mir nach einer halben Stunde dieser Sendung, die ich wieder mal nach langer Zeit umständehalber kurz verfolgt habe, ähnliches gedacht. Die Wetteinsätze der Gäste seien aber schon mehrere Jahre so lahm und lächerlich, habe ich mir sagen lassen. Das wundert mich auch nicht und mehr erwarte ich von denen auch gar nicht. Prominenz hatte noch selten etwas mit Intelligenz zu tun. Was mir aber mehr aufgefallen ist, dass Gottschalk die Wettkandidaten in einem Sinnklima der gerechten Klassendifferenzen total verarscht. Da kommt er mit einem einfach-infantilen Annodazumaljargon heraus, der die Kandidaten wie Menschen darstellt, bei denen man halt eine Sondersprache sprechen muss im Vergleich zu den erfolgsverwöhnten, zeitgemäßen und souveränen Hochglanzrede der Auserwählten. Beispielhaft dafür wohl der Till Schweiger, der sich richtig aufgeblasen hat, um seine Überzeugung kund zu tun, dass die beiden Kinder ihre Wette verlieren würden.
Der Gipfel der Sendung (von dem was ich gesehen habe) war meiner Ansicht nach die Familienministerin. Nicht nur, dass sie sich aufgeführt hat wie ein bürgerliches Roy-Black-Twenty, sondern auch noch enthusiastisch auf den Rücken eines Kindes gestiegen ist, um in die Mülltonne zu kommen, nachdem der Gottschalk das Kind zur Steigbügelhaltung befehltigt hat. Mehr als symbolisch, diese Handlung.

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