Solche und solche Nonkonformisten

Sonntag, 26. Oktober 2008

Ob man Marcel Reich-Ranicki und Elke Heidenreich gleichermaßen als Nonkonformisten einstufen kann, ist höchst zweifelhaft. Immerhin - und da hat Grass nicht ganz unrecht - war Reich-Ranicki lange Zeit Teil des von ihm kritisierten Apparates und hat die Literaturkritik durch Trivialisierung medientauglich gemacht. Was vorallem diesen Zweifel nährt ist sein Auftritt bei der Plauderrunde mit Thomas Gottschalk. Als Reich-Ranicki beim Fernsehpreis einen "Eklat" bewirkte, da konnte man ihm noch beistehen, konnte sich trotz aller außereinandergehenden Ansichten noch auf seine Seite schlagen - was er aber danach bot, war an Inhaltslosigkeit kaum noch zu überbieten. Konkret wurde er gegenüber Thomas Gottschalk nie, und wenn doch, fabulierte er von Brecht und Schiller und meinte mit denen - und nur mit denen - sei wertvolle Unterhaltung gesichert.

Vielleicht bot man auch daher Reich-Ranicki ein öffentliches Forum, weil man wußte, dass dieser Mann trotz aller sprachlichen Begabung, trotz der Fähigkeit mittels Sprache die Malaise auf den Punkt zu bringen, eigentlich selten konkret wird - nicht weil er nicht wollte, sondern weil diese Form der Schwammigkeit zu seinem Wesen gehört. Man wußte, erahnte es aber zumindest, dass er das greifbare Wort scheut, die direkte Konfrontation nicht suchen wird - man konnte voraussehen, dass er sich in seiner überheblichen Art nicht dazu herablassen wird, konkrete Sendekonzepte an den Pranger zu stellen. Zwar hat er seine Finger in den wunden Punkt der Unterhaltung gelegt, aber dies nur sehr zögerlich, wie es zuweilen seine Art ist - erst lospoltern, aber dann nicht deutlich werden, nicht darlegen, was eigentlich genau den Unmut erzeugte. Einem solchen Zeitgenossen, der es gerne in Schwammigkeit beläßt, räumt man zwar nicht gerne ein Forum ein, aber man tut es dennoch, denn man muß keine Angst haben, dass aus dem "Eklat" eine regelrechte Sinnkrise folgern könnte. So können sich die Medienanstalten mit Kritik arrangieren; so wissen sie sich sicher innerhalb oberflächlichen Kritikgeplappers und haben damit den Eindruck erweckt, als hielte man viel von basisdemokratischer Gesinnung.

Anders im Falle Heidenreichs. Sie wurde deutlich, überdeutlich geradezu. War nicht auf dumpfe Diplomatie aus, die es erlauben würde, der Verdummung und Verblödung auch nur den Anstrich von Legitimität zu erteilen. Heidenreich warf den Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vor, sie seien "verknöcherte Bürokarrieristen, die das Spontane längst verlernt haben, das Menschliche auch, Kultur schon sowieso" - das saß! Eloquente Worte fand auch sie, doch waren diese eindeutig positioniert und Heidenreich wüßte, wenn man sie nur ließe, wenn man mit ihr einen "gegebenen Anlass" in Szene setzen würde, auch wohlweislich deutlich und konkret zu werden. Die Gefahr, dass sich eine Heidenreich nicht in den Fluten schöner, aber nutzloser Worte werfen würde, wäre einfach zu groß für das Fernsehen. Sie könnte, würde sie Sendeplatz für eine Kritik erhalten, womöglich eine Sinnkrise bewirken, Sendekonzepte aus den Dreck herausholen, in dem sie schon liegen, um sie in den öffentlichen Diskurs zu werfen. Heidenreich könnte ich aller Direktheit bewirken, dass sich mehr Menschen der Abartigkeit und Perversität somancher Sendekonzepte bewußt würden. Sie könnte womöglich Casting-Shows als das bezeichnen, was sie sind - Prostitution; politische Talkshows als das, was sie seit Jahren sind - gezielte Verblödung; Realityshows als solche, die sie ganz offenbar sind - als konzeptlose Abstumpfungssendungen.

Sowas kann sich das Fernsehen, ganz unabhängig davon, ob wir hier das private oder öffentlich-rechtliche meinen, nicht gefallen lassen. Von einer solchen Kritikerin geht Gefahr aus, eine solche Kritikerin muß mundtot gemacht werden - muß also entlassen werden aus ihrem Vertragsverhältnis und nach Möglichkeit ohne weiteres öffentliches Engagement bleiben. Während Reich-Ranicki den Nonkonformisten in verdaulicher Form gibt, ja während er den Nonkonformisten vielleicht sogar nur in schlechter Großsprecherei mimt, könnte hinter der verärgerten Fassade Heidenreichs eine wahre Nonkonformistin stecken, die man freilich nicht behalten will.

Gleichschaltend gibt sich das Fernsehen, geben sich alle Medien, seit Jahren - und wer nicht gleichgeschaltet werden will, wer sich die Frechheit einer eigenen Meinung erlaubt, wer nicht wie Thomas Gottschalk - dieser Fahnenträger öffentlich-rechtlicher domini canes ("Hunde des Herrn") - nach oben, dem Zeitgeist entgegen buckelt, der hat einfach keine Berechtigung mehr, einen Sendeplatz zu behalten. Der Sendeplatz ist zu wertvoll, könnte mit Zeitgenossen wie Beckmann ausgefüllt werden, der ja brav Werbung für eine Privatversicherung leistete; der zudem vorbildlich wie sein Berufsgenosse Johannes B. Kerner, jede Sau durchs Dorf der öffentlichen Diskussion jagt, nur um seine unerträgliche Talkquatscherei einigermaßen interessant zu gestalten - interessant im Sinne seiner Auftraggeber, ob es die Zuschauer sehen wollen oder nicht. Derlei gleichgeschaltete, oft farblose Abziehbilder, gibt es im Fernsehen zu viele - man kann und will sich die Namen solcher austauschbaren Irgendwers gar nicht merken.

Reich-Ranicki jedenfalls hat die Wahrheit nur angedeutet und so wirr umschrieben, dass sie keiner mehr erfassen konnte - daher durfte er in einem öffentlichen Gespräch nachlegen. Heidenreich war konkreter, benannte die Wahrheit beim Namen, war überdeutlich, nicht wirr sondern präzise, so dass man in den Sendeanstalten Angst haben mußte, durch sie eine Sinnkrise heraufzubeschwören, wenn man ihr nur den nötigen Raum ließe, in dem sie ihre Kritik ausführlicher darlegen dürfte - daher wurde sie mundtot gemacht. (Man denkt unwillkürlich an Marcuses Ausarbeitung der "Repressiven Toleranz".) Im Deutschland 2008 atmet man weniger den frischen Duft der Meinungsfreiheit ein, als den modrigen Gestank stalinistischer Reinigungsprozesse. Fehlt nur noch, dass Heidenreich öffentlich ihrer Häresie abschwören muß, dabei weinend und sich selbst geißelnd...

9 Kommentare:

Anonym 26. Oktober 2008 um 14:05  

Lieber Roberto De Lapuente,

treffend - auch wenn ich mich wiederhole. Hast Du dir den von mir empfohlenen Kinofilm:

http://de.wikipedia.org/wiki/Free_Rainer

...einmal angesehen?

Hier wird sogar der faschistoide Charakter gewisser Rateshows, ja sogar von Fernsehprogrammmachern voll auf den Punkt gebracht.

Der Regisseur Hans Weingartner übrigens ist auch der Macher des Filmes "Die fetten Jahre sind vorbei" - dies nur am Rande.

Der Film läuft den Aussagen des Regisseurs eben nur im Kino, oder auf DVD, da er die Fernsehkritik ziemlich gut auf den Punkt bringt.

Seltsam nur, dass genau dieser Film in der öffentlichen Debatte um Marcel Reich-Ranicki und Elke Heidenreich totgeschwiegen wird.

Die Satire des Filmes ist nämlich wirklich treffend....z.B. die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und das Schielen auf Quoten betreffend...

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 26. Oktober 2008 um 16:35  

Zum Stichwort Sinn-Krise, hier ein Hinweis. Vielleicht könntest Du mal etwas schreiben über linke, sprich treffende Vergleiche von heutigen Phänomenen mit denn von 33, und Vergleichen von rechts, die nur perfide sind.

http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/Finanzen-Finanzkrise;art130,2645622

ad sinistram 26. Oktober 2008 um 16:50  

Tja, lieber Klaus, da war ich wohl schneller. Zeitgleich, als Du dies hier geschrieben hast, war ich dabei, genau zu diesem Thema etwas zu schreiben.

ad sinistram 27. Oktober 2008 um 08:32  

"... interessant im Sinne seiner Auftraggeber, ob es die Zuschauer sehen wollen oder nicht."

An dieser Passage stossen sich einige; manche meinen dahinter gar "idiotische politische Korrektheit" zu erahnen, wie mich dieser Manche desöfteren schon als politischen Korrekten brandmarken wollte - warum auch immer, dies sei einerlei. Kurzum: Die Menschen wollen ja das sehen, was gesendet wird, heißt es von den Kritikern an der Passage.

Dessen bin ich mir nicht sicher - die Menschen haben kaum die Wahl. Sie hätten die Wahl zwischen Fernsehen und Ausschalten - aber wer fernsehen möchte, der ist quasi dazu verurteilt, den Mist anzusehen, den man sich in Think Tanks erdacht hat. Hochgepuscht wird dieser geistige Kot dann von Zeitungen wie der BILD, die meinen, sie müßten ausführlichst aus einem Dschungelcamp berichten - genug Menschen gibt es, die dann meinen, weil alle davon sprechen, davon schreiben, handele es sich um ein Ereignis, dem man unbedingt beiwohnen müsse, wenn man im Trend bleiben will.

Es ist zu einfach, und in meinen Augen eher die Ansicht der politischen Korrektheit, wenn man den Menschen unterstellt sie würden es sehen wollen - besagter Kritiker meinte gar, die Mehrzahl der Menschen seien blöd, teilweise auch quasi von Geburt auf. Es mag freilich in vielen Einzelfällen so sein, dass mit Genuss der Mist konsumiert wird. Aber es gibt sicherlich mehrere Einzelfälle, einen akuten Massenfall, wenn man so will, der will was er soll - Sollen zum Wollen degeneriert!

Womöglich gibt es keine Einseitigkeit in dieser Frage, womöglich ist es eine Wechselwirkung zwischen Zuschauerwillen und Fernsehwillen - aber eindeutig ist sicherlich, dass die Mehrzahl der Menschen TV stumpf konsumieren, d.h. sie sitzen antriebslos vor der Flimmerkiste, essen dabei etwas, trinken dazu, schlafen gelegentlich ein, lassen sich nur berieseln mit dem Mist aus dem Kasten. Für diese Art Konsum ist gleichgültig was man sendet, entscheidet man sich für Dumpf-TV, so ist das Dahinvegetieren jedenfalls gewährleistet. DIES ist sicherlich kein Wollen, DIES ist der mißbräuchliche Konsum des Fernsehens. Schlicht zu unterstellen, die Leute gieren nach dem Müll, der ausgestrahlt wird, ist eine Vereinfachung, wie sie nur einem unkritischen Geist entspringen kann.

Dem unqualifizierten Kommentator, der sich ja mehrmals schon in solcher Weise geäußert hat, wird hier für seinen durchaus arroganten Ton, kein Forum geboten. Um seine Unrat loszuwerden, gibt es mehrere Foren und Blogs. Auch er hat die freie Wahl, wie er sich so unbedarft den Fernsehzuschauern unterstellt. Über die Ansichten der Massenmedien muß man sich genug ärgern, man muß sich einem offensichtlich aggressiven Jünger der öffentlichen Meinung, der er ja mehr oder minder ist - er würde es sicherlich abstreiten -, hier nicht ins Haus holen. Zumindest nicht, solange in einem Ton lamentiert wird, der anmaßend gegenüber den hier denkenden Menschen ist.

Anonym 27. Oktober 2008 um 19:41  

"... interessant im Sinne seiner Auftraggeber, ob es die Zuschauer sehen wollen oder nicht."
Es ist genau dieses Zitat, das eine sehr große Wahrheit beinhaltet: Die Interessen der Auftraggeber haben sich, von dem was Zuschauer sehen wollen, abgewendet, wodurch das erreicht wurde was Auftraggebern vor einigen Jahren vorgeschwebt haben mag: Eine graue Masse zu kreieren, die das bekommt was sie braucht um grau zu bleiben - und dementsprchend behandelt wird.
Diese Rollenverschiebung - von einem gewissen Anspruch in der Qualität hin zu einer immer neuen Qualität des Anspruchs - hat viel früher begonnen als die Hartz-Ära. Letztere wäre aber, ohne der verdummenden Vorarbeit der Medien kaum möglich gewesen, wobei diese nur ein Teil einer breiter angelegten Strategie waren.
Um ehrlich zu sein: Einige Ergebnisse lassen sich aus Sicht derer, die ein Interesse an der Konsolidierung ihrer Kontrollmöglichkeiten hatten und haben, durchaus sehen: Eine manipulierbare Öffentlichkeit, eine kuschende Gewerkschaft, ein exklusives Casino, eine zunehmend besser abgeschottete, eigene Klasse (in Indien wird diese Sozialform Kaste genannt) deren Durchlässigkeit immer weiter abnimmt.
Haben also die Medien gute Arbeit (mit)geleistet?

Man könnte nun Herr Ranicki's Reaktion als die eines alten Mannes hinstellen, dem die Gala-Veranstaltung einfach zu lang wurde und der dann, als er dran war, eine nicht aufgeschriebene Rede hielt.
Man könnte weiters sein Verhalten im Dialog mit Gottschalk, als eine eingegraute Einsicht interpretieren, in einem Auftritt den er sich lieber geschenkt hätte.
Zusammengebracht, ergeben aber beide gesehenen Ranickis eine Botschaft: Die Erfolgreichen Medien geben jedem eine Chance, der einsichtig ist, wohingegen die "Unbelehrbahren", die "Querulanten", die "Aufmüpfigen" keine Gnade zu erwarten haben.
Als Zuschauer der erkannt zu haben glaubt, dass ein Teller einen Rand hat und der zudem (noch) neugierig genug ist um selber über den Rand schauen zu wollen, sollte mein Gedanke nicht "Einer von denen hat's mal richtig abgekriegt" lauten, sondern eher "Noch zwei, die weg sind." sein....

Anonym 28. Oktober 2008 um 09:27  

"Casting -Shwows als Prostitution"
hierzu noch eine kurze Anmerkung: Scheinbar sollen diese Shows auch eine Art Erziehungswirkung auf junge Leute haben.
Wie oft hat man schon von den Teilnehmern gehört, sie würden, um ihr "Ziel" zu erreichen "...alles tun...", und wie denjenigen, die nicht ganz so gefügig waren, von anderen Teilnehmern gesagt wird, "... sie hätten hier mal die Chance, zu lernen, sich unterzuordnen..."...

So sollen also die jungen Leute von heute sein: anpassungsfähig und willig, um alles, aber auch alles mitmachen, um "ihr Ziel" zu erreichen, das in Wahrheit gar kein Ziel, sondern nur eine Illusion ist.

Anonym 28. Oktober 2008 um 15:52  

"[...]So sollen also die jungen Leute von heute sein: anpassungsfähig und willig, um alles, aber auch alles mitmachen, um "ihr Ziel" zu erreichen, das in Wahrheit gar kein Ziel, sondern nur eine Illusion ist.[...]"

So erklärt sich die Aussage des investigativen Journalisten Markus Breitscheidel im Film "Leiharbeit Undercover" gestern im ARD von alleine:

"...moderner Arbeitsstrich...."

Zitatende Markus Breitscheidel mit seinen Erfahrungen bei Hartz IV, Leiharbeit und Erntehelfer auf Erdbeerfeldern - mit dem "Arbeitsstrich" meine er ausdrücklich die Leiharbeit.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

ad sinistram 28. Oktober 2008 um 17:11  

Liebe Persiana,

ich stimme Dir zu. Casting-Shows sind sicher mehr als Prostitutionskonzepte. Sie sind Konzepte, die junge Menschen auf Linie bringen sollen. Die Botschaft lautet eigentlich weniger "Du kannst ein Star werden" als "Wenn Du so und so bist, wenn Du folgsam und fleißig bist, alles tust, was man von Dir verlangt, so hast Du die winzige Chance, ins Showgeschäft hineinzuschnuppern" - es geht vorallem darum, die jungen Menschen gefügig zu machen. Gefügig im Sinne des Bohlencharakters.

Anonym 2. November 2008 um 15:52  

Bei diesen Castingshows à la DSDS geht es doch lediglich darum, leichtgläubige Jugendliche zu benutzen, sie bloßzustellen und aus ihren Illusionen irgendwie Profit zu machen (in dem Sinne finde ich den Ausdruck "Prostitution" sehr treffend)... dass das auch eine erzieherische Botschaft enthalten könnte, habe ich noch nicht in Betracht gezogen, aber es erscheint mir plausibel.
Und dann soll noch mal jemand die alten Römer für ihre Gladiatorenkämpfe verurteilen. Es war schon immer so, dass Unterhaltung möglichst niedrigen Niveaus die Massen am ehesten anspricht.
Bei den Gladiatoren gab es wenigstens noch gewisse "Spielregeln"...

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