In nuce

Samstag, 4. Oktober 2008

Die CSU steckt in einer Krise - dass durch diese Krise keine Freudensprünge seitens der Bevölkerung vollbracht werden können, nicht weil die CSU ihre Sache so gut gemacht hätte, sondern weil der nun benötigte Koalitionspartner diese - dann gemeinsame - Sache wahrscheinlich noch schlechter macht - (Man denke an den FDP-Fetisch von der Bürgergesellschaft, der den Staat verdammt wissen will; man lese die Leitlinien der FW, die lediglich Phrasen wiedergeben, wie z.B. dass "Leistung sich wieder lohnen müsse" und "Bürokratie abgebaut" werden muß!) -, dass also kein allgemeines Freudengebrüll losgehen kann, liegt auf der Hand. Wichtig ist den Medien derzeit sowieso nur, dass es in der CSU kriselt, dass Pöstchen und Ämter zu verteilen sind und welche der vielen austauschbaren Charaktermasken zu neuer Würde gelangen könnten. Diese Krise, die sich medial nicht als Krise, sondern als parteiinterner Säuberungsprozess gestaltet, macht schnell offenbar, dass die Problematiken der Christsozialen nicht sind, bei der Bevölkerung nicht mehr angekommen zu sein - zumindest nicht mehr, wie in alle den Jahrzehnten zuvor; die CSU plagt sich stattdessen mit Ämterstreit, Pöstchengeschacher, Besserwisserei und dem künstlichen wirkenden Versuch, eine Art christsoziale Einheitsfront ("Wir dürfen uns jetzt nicht zerfleischen!") zu erzeugen.
Dass bei soviel Ungerechtigkeit, die der bayerische Wähler, dieser undankbare Lump, seiner von Gott gegebenen Partei entgegenbrachte, die Sphären allen Irdischen verlassen werden, um Trost im Reiche des Herrn zu suchen, scheint da nur allzu verständlich. Und so pilgerten die CSU-Granden in die Gruft des Herrn - in die Untiefen einer Familiengruft, in der die Gottheit des bayerischen Vaters beerdigt ist. Geschlossen zelebrierte man den 20. Todestag des größten aller Bayern - Franz Josef Strauss. Und man darf sicher sein, dass dieser begangene Gedenktag mehr beinhaltete, als nur das Andenken an den Außenminister Bayerns, der nun zur Rechten des Herrn sitzt, um die Belange Bayerns auch im Paradiese gesichert zu wissen. Da wird mancher heimlich an den Gott der CSU gebetet haben, er möge ihm Kraft geben und dem bayerischen Volke wieder mehr Verstand. Und wenn er schon dabei sei, so sollte er bitte - und drei "Vater unser" danach - dafür sorgen, dass man sein Amt nicht verliere, eher vielleicht hierarchisch aufsteige. Romantisch wird man dann an die Tage zurückdenken, als Strauss noch unter den Lebenden weilte, als er zynisch beleidigen, dreist abkanzeln, unter die Gürtellinie schlagen konnte, ohne gleich einen Aufschrei der Entrüstung ausgesetzt gewesen zu sein. Das waren noch Zeiten, da konnte man noch auf den Tisch hauen und trotzdem Wahlen gewinnen!
Wenn sich der Christsoziale im Hier und Jetzt nicht mehr zurechtfindet, dann kriecht er zu Kreuze, betet zu Gott - oder zu dem, was er für den seinen Gott hält. Im Sinne des Parteiinteresses, ist auch Götzendienst erlaubt...

Was hat man doch besserwisserisch auf Finnland verwiesen, wenn wieder mal PISA-Studien an die Öffentlichkeit weitergereicht wurden, die fundamentieren sollten, wie nötig neue Reformen im Bildungswesen doch seien. Finnland das Vorzeigeland Europas! An Finnland habe sich Europa zu orientieren! Nach Finnland wanderten Bildungsminister aller europäischen Länder, um sich dort Anreize für eine "Suomisierung" des jeweiligen nationalen Bildungswesens einzuholen!
Dann geschahen zwei Amokläufe, zweimal stürmten Jugendliche eine Schule, schossen um sich, töteten Schüler, brachten sich danach selbst um. Überrascht waren die Finnen, speziell die finnischen Lehrkräfte aber nicht. Ganz im Gegenteil: Es verwunderte sogar, warum solche Amokläufe derart selten sind. Denn - und dies wird hierzulande über das finnische Schulmodell gerne vertuscht - es findet im finnischen Schulwesen eine Entfremdung des Jugendlichen statt, weil nur die reine Bildungspraxis zählt. Zudem werden die Kinder und Jugendlichen in Ganztagseinrichtungen verfrachtet, damit der finnische Kapitalismusentwurf auch funktioniert, damit beide Elternteile Karrieren anstreben können - fachlich sei das finnische Schulmodell wahrscheinlich wirklich das Beste, so urteilen finnische Experten; menschlich blieb es auf der Strecke. Dies geht so weit, dass finnische Lehrer berichten, Schüler würden sich nurmehr ihnen anvertrauen, weil die Eltern so entfremdet sind vom eigenen Nachwuchs - oder eben andersherum -, dass nur der Lehrer, den man ja täglich sieht und den man vorallem die meiste Zeit um sich hat, eine Vertrauensperson im Leben des Kindes sein kann. Mehr und mehr fühlen sich die Kinder und Jugendlichen, gerade solche, die die schulischen Leistungen nicht in Bestform erfüllen können, zum störenden Faktor, zum Hindernis, zum abschiebenden Aspekt familiären Lebens - oder das, was man dann als Familie bezeichnen will - degradiert. Leistungsschwache wohl auch deshalb, weil sie sich dem Druck der Gemeinschaft ausgesetzt fühlen, weil die Eltern womöglich Vorwürfe machen, während sie einen doch weggeschoben haben und - auch das behaupten finnische Lehrer - keinerlei Interesse für den Schulablauf des Kindes an den Tag legen. Das ist die "schöne neue Welt", die uns zulächelt - das Kind als Bildungsapparat, bar aller kindlichen Neigungen und Notwendigkeiten, zur Gefühlskälte getrimmt, dafür aber leistungsstark und präpariert für einen übergangslosen Wechsel in die Berufswelt.
Das Musterland Finnland bietet also einen kalten Bildungsapparat an, der zwar schulische Höchstleistungen erzeugt, aber die Person seelisch verkrüppelt. Was in der Bundesrepublik dazu führt, überhastete Reformen in die Wege zu leiten, sorgt in Finnland dafür, alle Reformen zu unterlassen - schließlich zeigt PISA doch auf, dass in Finnland alles perfekt läuft. Warum sollte man die europäische Spitzenposition gefährden? Wen kümmern schon verkrüppelte Kinderseelen? - Und wen kümmert es im "Land der Reformen", wer sorgt sich in diesem Lande darum, dass das finnische Schulsystem seine tragischen Mängel hat? Die Reformer nicht, sie brauchen ein finnisches Schulsystem, um sich an ihrer eigenen Reformiererei aufzugeilen, um ein Musterbeispiel zu haben, an das sie sich lüstern heranreformieren können. Und der Deutschen Verdummungsblatt, als Sprachrohr der Reformer, hat auch kein Interesse an den wirklichen Gründen hinter den Amokläufen. Stattdessen konstruiert man sich wieder eine reißende Geschichte, ersinnt sich ein Amokläufer-Netzwerk, und läßt gekonnt, durch das Abdriften vom Kern der Geschichte, die Kritikpunkte am finnischen Schulmodell unter den Tisch fallen. Es soll ja bloß keiner auf die Idee kommen, dass in Finnland etwas schiefgelaufen ist, nur weil eine handvoll Schüler zu Tode kam. Solange man Einserschüler fabriziert, ist doch die Welt in Ordnung - trotz Amokläufe.

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