Blattkritik

Donnerstag, 9. Oktober 2008

„Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, heute den großen Kunstschaffenden und Intendanten Hendrik Höfgen zu begrüßen. Er hat sich freundlicherweise dazu bereiterklärt, die heutige Blattkritik zu übernehmen. Wir, die Mitarbeiter unseres Hauses, sind uns der Ehre wohl bewußt, die Herr Höfgen uns mit seiner Anwesenheit und Kritik entgegenkommen läßt.
Wir wären dann soweit und dürfen nun das Wort an Sie übergeben. Bitte, Herr Höfgen, seien Sie schonungslos offen.“

„Vielen Dank, Herr Chefredakteur D., für die einleitenden Worte. Ich werde, so wie Sie es von mir verlangten, schonungslos und offen mit der heutigen Ausgabe Ihrer Tageszeitung ins Gericht gehen, was aber zweifellos nicht ganz einfach sein wird, bei der Fülle an wichtigen und mitteilenswerten Informationen, die Sie den Lesern täglich anbieten. Wenn die Damen und Herren bereit sind, werde ich nun beginnen. Entgegen der weitverzweigten Eigenart der Leser Ihrer Zeitung, werde ich aber von vorne nach hinten abhandeln.

Der heutige Aufmacher hat sofort Lust zum Weiterlesen gemacht – „Papa Göring – Hier hält er seinen Nachwuchs auf dem Arm!“ Dazu natürlich ein idyllisches Bild von einem stolzen Vater. Informativ sind dann auch die Zeilen, die erklären, dass das kleine Mädchen „Edda“ heißen soll, verbunden mit dem Anreiz an die Leser, auch ihren Nachwuchs für den Führer mit nordischen Namen auszustatten. Schön sind auch die Glückwünsche der Hebamme – „Im Namen des deutschen Volkes gratuliere ich zu einem reinrassigen Kinde!“ - , die dem Leser übermittelt werden. So fühlt man sich mitten unter den Görings, vielleicht wie ein Familienmitglied, und nimmt Anteil an deren Glück.

Leider etwas verunglückt scheint mir der relativ kleine Artikel, der sich mit des Führers Volkswagen-Projekt auseinandersetzt. Verunglückt, weil man jetzt erst von dieser Sache berichtet und dann auch nur sehr halbherzig, lediglich mit einem kurzen, kaum wahrzunehmenden Artikel. Man erfährt zwar von der Grundsteinlegung, unterstreicht nochmal des Führers Weitblick, durch den er eine mobile deutsche Gesellschaft schaffen möchte, vergißt aber, die Leser gezielter darauf einzuschwören. Da ich selbst ein großer Befürworter des Volkswagens bin und des Führers Vision als eine göttliche Eingabe bewerte, würde ich vehement darum bitten, in Zukunft mehr Enthusiasmus in dieser Frage an den Tag zu legen. Fesseln Sie Ihre Leser, machen Sie Ihnen klar, wie wichtig dieses Vorhaben ist, damit wir als deutsches Volk standhaft in der Welt stehen können. Mehr Mut, Herr Chefredakteur!

Lobenswert ist der Bericht des Professors für deutsche Geschichte und Staatskunde, der sich auf der zweiten Seite befindet. In einfach Worten erklärt dieser integere und fähige Wissenschaftler, dass die Tschechoslowakei als Konstrukt des Diktats von Versailles keine Existenzberechtigung habe. Und beachtlich ist natürlich die historische Aufarbeitung, die er gekonnt kurzhält, um den Leser mittels weniger Zeilen vollwertig zu informieren. Die Schlußfolgerung ist ein Meisterstück journalistischer Arbeit: „Daher, weil das Areal der heutigen Tschechoslowakei immer schon deutsch war, muß selbige zerschlagen werden und in den Besitz des deutschen Volkes zurückgelangen.“ Hier wird ganz klar, was die Notwendigkeiten der Zeit sind; hier gibt es keine journalistische Schwammigkeit – meisterhaft!

Ehrlicherweise gebe ich zu, dass ich über Seite drei und vier beinahe hinweggeflogen bin. Das hat aber nichts mit der Qualität der Artikel dort zu tun, sondern mit meinem mangelnden Interesse für Wirtschaftsangelegenheiten. Das kurze Essay des Ethnologen habe ich aber doch gelesen. Obwohl ich keine Ahnung von Wirtschaftszusammenhängen habe, mich deswegen auch kaum dafür interessiere, hat es dieser Mann fertiggebracht, mir in kurzen Sätzen die schockierenden Zusammenhänge von Wirtschaftskrise und Weltjudentum zu erklären. Zum erstenmal besehe ich die Probleme dieser Welt in einem höheren Lichte – dafür kann man auch nur loben. Einzige Kritik: Wir brauchen mehrere solcher Erklärungen, damit der gesamte Volkskörper Aufklärung erfährt.

Die Seiten für die deutsche Frau überfliege ich, sollen bei Gelegenheit von anderen Blattkritikern, vielleicht weiblichen, begutachtet werden. Traurig ist nur, dass man die Leserinnen scheinbar immer noch dazu animieren muß, sich nicht zu üppig zu schminken und das Rauchen zu unterlassen. Schade eigentlich...

Dann natürlich das Herz Ihrer Tageszeitung: Die Seiten des Herrn Dr. Goebbels. Das ist Pflichtlektüre für jeden Deutschen und das ausgerechnet Ihre Zeitung das Glück hat, eine Kolumne dieses genialen Mannes drucken zu dürfen, zeigt doch auf, wie großartig Sie Ihr Handwerk verstehen. Sie sind, und als Künstler darf ich das freimütig kundtun, ein Virtuose der schreibenden Zunft. Zum Inhalt der Kolumne kann man nur großartig sagen. Wenn der deutsche Leser heute noch nicht begreift, dass der Jude dem Volkskörper fremd ist, wann dann? Aber ich bin mir sicher, dass das Volk den Plan der SS, alle volksfremden Juden nach Madagaskar zu übersiedeln - so wie es die Polnische Kommission letztes Jahr empfohlen hat – für notwendig erachtet. Es ist eine humane, aber rassisch notwendige Vorgehensweise, für die sich Dr. Goebbels erneut ausspricht. Sehr schön, wie Sie diesen großen Humanisten ins rechte Licht rücken.

Sehr informativ sind auch die Sportnachrichten. Endlich kann die Schmach von 1936 getilgt werden. Deutsche Wissenschafter haben herausgefunden, dass der Arier doch leistungsfähiger ist als der Afrikaner. Pfiffig finde ich Ihren Sportkolumnisten, der nun feststellt, dass Jesse Owens' Olympiatriumph deshalb nur einer Betrügerei zu verdanken sein kann, so wie sie dem afrikanischen Typus innewohnt in dunkler Seele. Der Ausblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft in einigen Wochen, vorallem der Artikel „Hurra, wir tragen das Hakenkreuz!“ hat mich begeistert. Die darin enthaltene Vorstellung aller deutschen Spieler, die in Frankreich dabei sein werden, war wieder einmal ein genialer Einfall. Fesch ist auch die Aufmachung der Sportseiten: wohlgeformte Männerkörper, schön proportioniert – da wird einem der deutsche Sportsmann schmackhaft gemacht.

Herausragend ist auch das Engagement Ihrer Tageszeitung zur Vereinigung. Wie Sie da jeden Tag einen kleinen, aber bedeutungsvollen Artikel anbieten, der Kleindeutsche und Österreicher zusammenführen soll, ist schon bewundernswert. Hier wird Journalismus nicht aus Eigennutz betrieben, sondern zum Wohle des deutschen Volkes. Alleine schon der Titel dieser Serie ist treffend: „Damit zusammenwächst, was immer schon zusammengehörte!“ Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte, dass man Ihnen hierfür das Goldene Parteiabzeichen verleihen wird.“

„Vielen Dank, Herr Höfgen, Sie waren sehr gnädig mit uns. Viel Lob und viel Ehr von Ihrer Seite – es war uns ein Vergnügen. Damit ist die heutige Blattkritik beendet. Morgen haben wir einen ganz besonderen Kritiker im Hause, der aus dem näheren Umfeld des Führers entstammt. Seien sie gespannt!“

6 Kommentare:

Anonym 9. Oktober 2008 um 15:41  

Ich hätt' da noch einen Hinweis, der aber nix mit DER ZEITUNG (Zitat Heinrich Böll, "Die verlorene Ehre der Katharina Blum") zu tun hat.

Lieber Roberto,

hast du dich immer schon gefragt, warum die bundesdeutschen Besatzer in Afghanistan beliebter sind als die anderen NATO-Staaten? Nein? Ich sah im TV 'ne nette kleine Dokumentation zum Thema.

Ein "afghanischer Mullah", des Ortes wo die dt. Soldaten stationiert sind - "Die Arier" werden von uns nicht angegriffen, da die ja vom selben Stamme sind?

Gute Nacht
Afghanistan und ISAF
kann man da nur sagen
Gruß
Rosa L.

Anonym 9. Oktober 2008 um 23:12  

Hendrik Höffgen, ist das nicht der Name von Claus-Maria Brandauer in der Thomas-Mann-Verfilmung von Mario der Zauberer? Stichwort: Gründgens.

Anonym 10. Oktober 2008 um 09:08  

Sehr schöner Artikel. Es sind erschreckend viele parallelen zu erkennen. Man fragt sich ja immer, warum damals die Leute nicht aufgestanden sind und sich gewehrt haben. Wenn ich mich heute umsehe, weiß ich warum.

ad sinistram 10. Oktober 2008 um 09:39  

Richtig, lieber Klaus, Höfgen ist der Protagonist aus Klaus Manns "Mephisto". Darin wird aus einem kommunistisch angehauchten Künstler, eben Höfgen, ein Mitläufer der Nationalsozialisten. Er selbst sah das wenig kritisch, sprach denen zwar nach dem Mund, aber doch nur, um auf der Bühne in seinem "eigenen Reich" bleiben zu können. Mann sah sich durch Gustaf Gründgens - seinem Ex-Schwager - dazu inspiriert, die Abwege der deutschen Künstler niederzuschreiben. Als Gründgens bei Goebbels mit Frack und Zylinder vorstellig wurde und Klaus Mann dieses Bild in den Zeitungen sah, überkam ihm der Ekel. Ausgerechnet Gründgens, der immer so unpolitisch sein wollte, ließ sich nun indirekt zur politischen Botschaft hinreißen - durch seine "Unpolitik" erkannte er wohl auch nicht, mit wem er sich einließ.

Weil ich in vielen Zeitgenossen der heutigen Zeit Höfgens erkenne, entschied ich mich für ihn. Freilich, heute würden sie es allesamt nicht so sehen, würden sie alles als halb so schlimm umdeuten. Aber in Jahren? 1936 oder 1938, vor Stalingrad zumindest, hätte keiner der Prominenten etwas Anstössiges daran gefunden, mit der Hitler-Regierung zusammenzuarbeiten - und sei es nur, um weiter arbeiten zu dürfen.

Was ist also der große, der alles unterscheidende Unterschied von heute zu damals?

Anonym 10. Oktober 2008 um 11:41  

lieber roberto, danke für informationen. ich hatte vor jahrzehnten den film gesehen, mir fiel aber gestern der titel und klaus mann nicht mehr.
was die anpassungsmechanismen und -prozesse betrifft, so kann ich zwischen heute und den dreißiger jahren keine unterschiede erkennen. und mithilfe von bild und dem privat-tv ist das geistlos mentale klima für die neuen lager vorbereitet gewesen, wenn jetzt die bankenkrise nicht gekommen wäre. da machen sich die paar hundert euro nicht so gut gegenüber den milliarden oder gar billionen.

Anonym 11. Oktober 2008 um 12:52  

Interessant wäre es die hiesige politische Entwicklung vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu diskutieren. Die Autorin Noami Wolf hat bereits zum Widerstand aufgerufen, um eine drohende Einführung einer Diktatur durch George Busch und seine Hintermänner zu verhindern.

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