Die angebliche Furcht des Albrecht Müller

Dienstag, 2. September 2008

"Angst vor der Linkspartei - SPD-Linke wollen Agenda 2010 kippen" - So titelt BILD Online und reiht die "Revolutionäre" gerade so aneinander, wie man seinerzeit RAF-Terroristen in sämtlichen Polizeirevieren der Republik abgebildet sah. Vor den Abgebildeten lauert der inkarnierte Teufel, blickt also Lafontaine auf jene herunter, die sich seiner beugen, die nun weiche Gelenke bekommen, weil seine Partei der SPD nach und nach den Rang abläuft. Die LINKE atomisiert die SPD und die SPD ist daher nicht mehr tragbar - so könnte die Botschaft lauten, die BILD damit verbreiten will. Und freilich auch, Wochen der Agitation gegen die "knallharten Kommunisten" weisen es ja aus: Die LINKE ist eine Gefahr für Deutschland und wer sich dieser Gefahr derart schamlos unterwirft, wie es diese 60 verirrten Genossen tun, der ist nicht mehr tragbar.

Ich will hier nicht alle 60 SPD-Mitglieder, die am BILD-Pranger stehen in Schutz nehmen. Womöglich mag der eine oder andere dieser Herrschaften wirklich nur aus taktischen Gründen gegen die Agenda 2010 aufbegehren, mag also nur retten was zu retten ist für seine Partei, doch für einen der dort Abgebildeten will ich - und muß ich förmlich - das Wort ergreifen. Es handelt sich dabei um eine Person, die seit Jahren ein politisches Blog betreibt, mittlerweile zu den Größen der sogenannten Blogosphäre zählt: Albrecht Müller. Für all jene, die sich über das Internet mit Informationen versorgen wollen, die fern der Massenmedien lieferbar sind, ist er kein Unbekannter.; für all jene sind die NachDenkSeiten allererste Anlaufstelle. Und dass er kein Freund der Agenda 2010 ist und war, sollte demnach auch bekannt sein. Dies trifft übrigens auch für seinen Kollegen Wolfgang Lieb zu, mit dem er das Blog betreibt. Seit Jahren treten beide dafür ein, dass die Agenda-Politik der Schröder-Ära, die später kritiklos von der Merkel-Regierung übernommen wurde, als Abgesang der klassischen Sozialdemokratie angesehen werden muß. Beide belegten sie die Agenda in diversen Artikeln und Büchern mit allerlei Adjektiven, die dem Leser die ganze Menschenverachtung dieses "Reformprojektes" nahebrachte.


Die BILD stellt es aber nun so dar, als ob Albrecht Müller standhafter Agenda-Jünger gewesen sei, der jetzt nur aus parteipolitischem Antrieb heraus zum Gegner der Agenda 2010 wurde; als ob er erst jetzt, da sich die LINKE als Größe innerhalb der politischen Landschaft manifestiert, gegen den Agenda-Wahnsinn auftritt. Außerdem: Müller hat sicherlich keine Angst vor der LINKEN, äußerte sogar oft, dass die LINKE die Positionen aufgreift, die die SPD verpaßt hat - eben gerade wegen der Agenda 2010 verpaßt hat! Die LINKE bezieht in vielen Punkten, so durfte man bei den NachDenkSeiten immer wieder lesen, sozialdemokratische Positionen bzw. zumindest sozialdemokratischere Positionen als die wirkliche, besser: namentliche, Sozialdemokratie. Im Gegensatz zu vielleicht einigen der abgebildeten "Revoluzzer", hat Müller das nicht erst jetzt erkannt, sondern schon vor Jahren und hat es ebenso vor Jahren schon formuliert, eine Abkehr vom Agenda-Irrsinn gepredigt. Er war Mahner, hat schon zu Zeiten des eintretenden Agenda-Fiebers gewarnt, ist nicht macht- und parteipolitisch orientierter Hinterherläufer, so wie es die BILD vielleicht gerne an ihre Leser weitergeben möchte.

Ihn nun als einen der Abtrünnigen zu stilisieren, offenbart einmal mehr die Skrupellosigkeit der Springer-Medien, die keinerlei journalistische Aufarbeitung und Analyse anbieten, sondern stumpfeste Propaganda und Agitation gegen all jene, die den Status quo nicht erhalten wollen. Man muß aufgreifen, was vor Jahrzehnten gefordert wurde - heute vielleicht vehementer als je zuvor: "Enteignet Springer", nehmt "ihm" endlich dieses Meinungsmonopol ab, mit dem "er" so verantwortungslos umgeht...

16 Kommentare:

Christian Soeder 2. September 2008 um 18:15  

Ich habe mich ganz knapp auch schon diesem Papier gewidmet. Es ist gut, dass nun endlich wieder über Inhalte gestritten wird und die Personaldebatten in den Hintergrund geraten. Noch ist es nicht soweit wie in den USA, dass Wahlen nur aufgrund der Beliebtheit der Spitzenpolitiker entschieden werden (auch wenn der Trend in die Richtung geht).

Ich erwarte von meiner Partei, dass sie den Rest vom Jahr nutzt, um sich darüber klar zu werden, wie die Pläne für die nächsten 4 Jahre aussehen. Dazu ist es sehr hilfreich, wenn eine Seite sich mal vorwagt und ein Papier veröffentlicht. Mein Kreisverband ist da gewissermaßen Vorreiter, nur können wir nicht mit ganz so großen Namen glänzen. Aber klar ist: die SPD wird eine Vision entwickeln. Ob mit dieser am Ende alle einverstanden sein werden, kann man jetzt schwerlich sagen. Ein paar Kröten werden wohl alle Seiten schlucken müssen.

ad sinistram 2. September 2008 um 18:57  

"Ob mit dieser am Ende alle einverstanden sein werden, kann man jetzt schwerlich sagen."

Doch, das kann man schon sagen: Münteferings, Schröder, Clements, Steinbrücks und Konsorten werden mit kaum einer Position des Papieres einverstanden sein...

Christian Soeder 2. September 2008 um 19:19  

Das stimmt nun aber wirklich nicht. Einige Forderungen sind aktuell SPD-Beschlusslage, einige sind neu im Ansatz und meiner Meinung nach diskussionswürdig, einige wenige dürften auf totale Ablehnung stoßen ("Rente mit 67 zurückdrehen" als Schlagwort).

Aber hey: deshalb diskutiert man ja. Wenn man von Anfang an auf Harmonie aus ist und nix riskiert, kann man auch nix gewinnen. ;)

Anonym 2. September 2008 um 23:08  

Ich denke, dass es einige ehrlich meinen, aber bei Ottmar Schreiners Aussage riecht es eher nach durchsichtigem Wahlkampfmanöver, um der Linkspartei das Wasser abzugraben:

http://www.jungewelt.de/2008/09-03/054.php

Ich denke aber, dass der Schuß nach hinten losgeht, da die "S"P"D" viele mehr nach Taten statt nach Worten - eben das Positionspapier angeblicher SPD-"Linker" beurteilen dürften.

Gruß
Anonym

PS: Als eifriger Leser der Nachdenkseiten ist mir aber klar, dass es auch einige ehrliche unter den Aufrufern gibt, aber leider wohl allzuviel die ein rein wahltaktisches Manöver führen - Soll ich's noch sagen: Ottmar Schreiner und Albrecht Müller bzw. Wolfgang Lieb gehören für mich zu der Sorte die es ehrlich meint mit ihrer Ablehnung der asozialen Agenda2010 von Anfang an....Die anderen?...Ich weiß es nicht, die Zeit wird es zeigen....

Anonym 3. September 2008 um 11:42  

also, unabhängig davon, was man von dem Papier der SPD Linken hält im Hinblick auf dessen Glaubwürdigkeit, was dort kritisiert wird, war von vornherein absehbar. Kein einziges neoliberales Projekt in Europa hat auch nur im Ansatz etwas anderes gebracht als zunehmende Armut und eine völlig irrsinnige Umverteilung von arm nach reicht. Von daher, nicht nur der Lügner ist zu verabscheuen, sondern auch der idiot!

Anonym 3. September 2008 um 12:18  

@Christian Soeder

Nenne mir einen Gund, warum ein Wähler die Unionskopie SPD wählen sollte, wenn er doch mit der Linken das sozialdemokratische Original bekommen kann. Die Linke ist ja nicht wirklich links. Vergleicht man die Forderungen der Linken mit dem Status Quo unter H. Kohl ginge der glatt als Linksextremist durch.

In der SPD haben seit Jahren nur noch Seeheimer das Sagen. Das und nicht die nominelle Verteilung von politischen Ansichten in der SPD, ist für die praktische Politik maßgeblich. Da können 1000 Ortsverbände wie eurer sein. In den Schaltzentralen sitzen durchgängig Seeheimer und Parteitagsbeschlüsse gelten nur so lange wie sie den Seeheimern nutzen.

Wenn jetzt politisch längst kaltgestellte SPD-ler sehenden Auges vor dem Abgrund stehend, den Zwergenaufstand proben, in dem sie Forderungen der Linken abschreiben und ihre Namen darunter setzen, wirkt das, angesichts dessen, dass viele der Unterzeichner(Ausnahmen -s. oben- bestätigen die Regel) in der letzten Dekade entweder völlig oder zum Teil nichts weiter als brave Mitläufer waren, einfach nur lächerlich.

Christian Soeder 3. September 2008 um 12:40  

In der SPD haben seit Jahren nur noch Seeheimer das Sagen.
Verschwörungstheorien helfen nicht weiter.

Anonym 3. September 2008 um 12:40  

Hat "Bild" das Foto nicht schon bearbeitet? Ich jedenfalls sehe A. M. nicht mehr

ad sinistram 3. September 2008 um 12:49  

"Hat "Bild" das Foto nicht schon bearbeitet? Ich jedenfalls sehe A. M. nicht mehr"

Das Bild war der Aufmacher. Wenn man den "Artikel" angeklickt hat, war das dortige Foto kleiner, und da Albrecht Müller in der obersten Reihe stand, nicht mehr zu sehen. Da der Aufmacher natürlich schon wieder Geschichte ist, ist von Albrecht Müller nichts mehr zu sehen.

Die BILD hat einfach alle Unterschreiber des Papieres abgebildet, ohne deren Motiv zu kennen. Das SPD-Papier hat formal betrachtet auch nichts mit der LINKEN zu tun, wurde aber für BILD-Zwecke so konstruiert, um die SPD-Linken verächtlich zu machen und den Einfluß der "Kommunisten" zu unterstreichen...

Anonym 3. September 2008 um 13:16  

Was spielt es für eine Rolle, ob und wieviele der Unterzeichner es ernst gemeint haben?

Letztlich werden auch die Wahltaktiker unter ihnen nicht mehr verhindern können, dass sich ihre Seite der Waage zugunsten der Linkspartei senkt. Und das ist auch gut so, denn durch eine starke Linke erhält die SPD Gelegenheit, mit sich selbst ins Reine zu kommen und die neoliberalen Kräfte in die Wüste zu schicken.

Erst wenn Steinbrück, Steinmeier, Münte und Co. bei den nächsten Bundestagswahlen Misserfolge ernten (und verantworten müssen!), wird die Basis sich nicht mehr von ihnen beeindrucken lassen und sich endlich wieder auf ihren sozialen Ursprung besinnen.

Anonym 3. September 2008 um 16:24  

"[...]Vergleicht man die Forderungen der Linken mit dem Status Quo unter H. Kohl ginge der glatt als Linksextremist durch.[...]"

Tja, der Vergleich hinkt, denn ich würde dazu nicht die Linken heranziehen sondern die eigene CDU/CSU/FDP, die als Anhänger der neuen Alltagsreligion des Neoliberalismus Helmut Kohl als Kommunisten brandmarken würden.

Fazit: Angela Thatcher (ihr kennt diese Frau mit Vollsch... als Kanzlerin Angela Merkel) sieht sich als geistige Nachfolgerin der echten Margret Thatcher, die alles was nicht-neoliberal war als "kommunistisch" bzw. "sozialistisch" gebrandmarkt hat. Wohin dies in GB geführt hat konnte man vor kurzem in einer Studie nachlesen:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=3422#more-3422

Punkt 4 unter der Überschrift "Todesursache soziale Ungerechtigkeit".

Gruß
Anonym

Anonym 3. September 2008 um 16:26  

Noch was, die Bild-Hetze geht nun wieder gegen die angeblichen Sozialschmarotzer los:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=3434#more-3434

Albrecht Müller sieht hier eine direkte Antwort auf die Forderung der Abkehr von der Agenda2010.

Gruß
Anonym

Anonym 3. September 2008 um 22:11  

Hier noch ein Kommentar zu der neuen Bild-Hetze:

http://www.jungewelt.de/2008/09-04/034.php

Gruß
Anonym

Anonym 4. September 2008 um 18:01  

Lieber Roberto J. De Lapuente,

vielleicht schreiben Sie mal einen Artikel darüber wer von den HartzIV-Reformen profitiert.

Ich bin auf die Idee gekommen als ich "LTI" von Victor Klemperer las.

Es wäre doch einmal interessant die Menschen an den Pranger zu stellen, die in der Wirtschaft und im Mittelstand reich werden in dem die z.B. Immobilien von HartzIV-Empfängern und sonstiges Eigentum verhöckern.

Namentlich und finanziell aufgelistet meine ich....

Wäre das mal nicht eine Gegenkampagne zur Dauerkampagne gegen die "Opfer" der Agenda2010? Die A... an den Pranger zu stellen, die mit dem Zerlege des "Felles" von Langzeit- und sonstigen -arbeitslosen noch Fett Kohle machen...

Gruß
Anonym

Anonym 8. September 2008 um 14:46  

Ich habe mir mal den "Spaß" gemacht und 3/4 der Kommentare von Bild-Lesern dazu gelesen. Für mich neu war, dass doch eine erkleckliche Anzahl der Linkspartei aufgeschlossen gegenüberstehen. Mit den "Ihr-wollt-wohl-wieder-die-DDR-zurück" - Kommentaren hatte ich gerechnet (und wurde nicht enttäuscht ;-)).

Anonym 9. September 2008 um 12:31  

Hallo Anonym,

tja, es scheint so, dass das alte Feindbild des angeblichen DDR-Kommunismus bei der Linkspartei nicht mehr zieht?

Ich las erst vor kurzem ein Buch zum Thema "Feindbilder" - Fazit: Kommunismus/Sozialismus ist als Feindbild von vorgestern, ergo megaout.

Das sollte man dem dümmlichen PolitikerInnen der neoliberalen Einheitspartei Deutschlands (NLEP) aus CDU/CSU/FDP/SPD/Grünen mal beibringen - die Linkspartei ist eher sozialdemokratisch als sozialistisch/kommunistisch zu nennen.

Ironie ist, dass Sozialdemokraten (Münte, Steini & Co.) also gegen Sozialdemokraten (Lafontaine, Gysi & Co. vorgehen wollen - man könnte drüber lachen, wenn die Sache nicht so ernst wäre...

Ciao
Anonym

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