In nuce

Mittwoch, 9. Juli 2008

Wissenschaft muß Thesen aufstellen dürfen, die durch das Zusammensetzen einzelner Fakten ein Mindestmaß an möglicher Erkenntnis erwirken. Ob eine These verifiziert in die Geschichte eingeht, vorallem dann, wenn es sich um eine These aus den sogenannten "ungenauen Wissenschaften" handelt, bleibt im zunächst im Trüben, muß die Geschichte regeln. Die Wissenschaft lebt davon, Thesen zu erstellen, sie gegebenenfalls zu erneuern und zu überarbeiten, sie wenn notwendig zu verwerfen und durch ganz neue Gedankenansätze zu ersetzen. Professor Arnd Krüger, der Direktor des sportwissenschaftlichen Instituts der Universität Göttingen, hat eine solche These in die Welt gesetzt. Er behauptete indirekt, dass die israelischen Geiseln, die am 5. September 1972 am damaligen Münchener Flughafen Riem von einer palästinensischen Terrorgruppe getötet wurden, eine Form der Selbstopferung betrieben.
Nun muß man selbstverständlich nicht dieser Meinung sein, sie nicht als vollkommen fehlerlos ansehen. Daraus aber einen Eklat zu konstruieren, zeugt erneut von der political correctness, mit der man versucht ist, die Wissenschaft ideologisch zu beeinflussen. Eine vollkommen freie Wissenschaft ist in einer Gesellschaft des Zwangs - für Bakunin z.B. war jede staatliche Gesellschaft ein Zwangskonstrukt - sowieso kaum denkbar. Genau aus diesem Grunde - so schlußfolgert ebendieser -, habe niemals eine freue Wissenschaft existiert. Neu ist es außerdem auch nicht, dass man Wissenschaft mißbraucht, um die politischen Zustände quasi metaphysisch abzusegnen und zu untermauern. Es fanden sich einst ja auch Forscher, die angeblich herausfanden, dass die arische Rasse eine Herrenrasse sei. Und gerade deshalb, weil wir bitterböse Erfahrungen damit machten, sollten wir darauf bedacht sein, die Politik und jene, die sich in politischer Korrektheit dem Moralisieren gewidmet haben, aus der Wissenschaft herauszuhalten. Auch wenn das politisch Korrekte im Gewand des Guten daherkommt, weil es vorgeblich für Vernunft steht, so hat es doch keinerlei Raum in der wissenschaftlichen Arbeit einzunehmen.
Krügers These mag also nicht gefallen; mag als uferloser Quatsch abgetan werden, aber das moralische Urteilen und Verurteilen - als Lieblings-Rache der Geistig-Beschränkten an denen, die es weniger sind, um es mit Nietzsche zu sagen - darf sich getrost eingespart werden. Die historische Wissenschaft, und damit deren Zweig der historischen Sportwissenschaft, sind keine ausgewiesenen Paradefächer der Ethik und dürfen sie gar nicht sein, wenn sie wissenschaftliche Objektivität garantieren wollen. Dies bedeutet nicht, dass Krügers Einsichten objektiv sind, aber darüber läßt sich natürlich streiten und argumentieren. Ein Antisemit, ein Fall für das Arbeitsgericht, ein moralischer Teufel ist Krüger deswegen aber noch lange nicht. Wenn also der Historiker aus dem Dritten Reich berichtet, so darf er als Privatperson die Abscheu zur Geltung bringen, darf verurteilen und den Fanatikern der deutschen Sache den Vogel zeigen, aber als Historiker sind Moralurteile rar zu säen. Aber in Zeiten eines Moralhistorikers wie Guido Knopp, der hinter jedem unmoralischen Zitat aus dem Mund einer historischen Gestalt ein Ausrufezeichen setzt, ein "Unfaßbar" schreibt und das Wort "Verblendung" inflationär gebraucht, ist wohl objektive Betrachtung nicht mehr zu erwarten.

Zuweilen werden seltsame, geradezu ins Dreiste abgleitende Gesetze ersonnen. Besonders seltsam ist aber jener Gesetzesentwurf, der diejenigen bestrafen soll, die die "geistige Sterbehilfe" am Nächsten vollziehen. Wenn man also seinem todessehnsüchtigen Mitmenschen seelisch unterstützt, wenn man ihm vielleicht Mut zuspricht, den finalen Schritt zu wagen, wenn es denn wirlich dem eigenen Wunsch entspricht. Wenn ein Sterbenwollender darum bittet, man möge ihm aufrichtig erläutern, wie man die Sache sehe und man dann aufrichtig ist und darlegt, dass man womöglich in einer solchen Situation auch diesen Weg beschreiten würde - macht man sich dann strafbar, weil man der Meinungsfreiheit folgte?
Nun steht aber die Frage unbeantwortet im Raume, ob man solche Zeitgenossen bestrafen wird, die sich schonungslos für das Recht auf Selbstmord und Sterbehilfe aussprechen. Vielleicht sollte ich schon mal meine Koffer packen und mich seelisch auf ein wohliges Einzelzimmerchen vorbereiten. Sozusagen auf meinen geistigen Selbstmord! Denn was ist denn der Unterschied zwischen dem Beschneiden von individueller Freiheit und dem Beenden von individueller Freiheit durch Lebensentzug?

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