West-östliche Verquickungen

Montag, 11. Februar 2008

Die christlich-abendländische Gesellschaft habe sich vor den islamisch-arabischen Einflüssen zu schützen, fordert Politik und Klerus unisono. In geradezu pathetischen Worten wird auf die Gefahren hingewiesen, die dieser Gesellschaft blühen, wenn erst zuviel Multikultur nach Deutschland überschwappt. Denn davon wird in Wirklichkeit gesprochen: von Deutschland. "Christlich-abendländisch" nimmt aber den nationalistischen Unterton heraus, womit die Debatte einen hochoffiziellen Eindruck vermittelt. Die historische Komponente bereichert die in sehr enge Bahnen gehaltene Diskussion nicht. Folgt man dem Geleier der fordernden Politiker und Geistlichen, so könnte der Eindruck entstehen, die christliche Welt und der islamische Raum haben sich bis heute nie berührt. Beinahe könnte man annehmen, wir lebten in einer geschichtsträchtigen Epoche, in der nun Christentum und Islam zum allererstenmal aufeinandertreffen. Gleichwohl bemüht man sich, die Rückständigkeit des Islam anzupreisen, um die eigene Verachtung - dem Islam gegenüber - nicht allzu bedeckt halten zu müssen.

Es paßt gar nicht ins Weltbild der Kulturtrenner, daß ein Großteil des griechischen Wissens aus der Antike nur erhalten blieb, weil islamische Gelehrte die ursprünglich griechischen Texte - die in Europa verlorengingen - ins Arabische übersetzten und damit für die Nachwelt sicherten. So gelangten die meisten Schriften des Aristoteles über den Umweg des Islam nach Europa und befruchteten den brachliegenden Geist der christlichen Stumpfsinnigkeit. Indem Thomas von Aquin die Lehren des Augustinus mit den Lehren des Aristoteles verquickte, gelang es, den reinen Glauben in vielen Bereichen des Lebens zu verwerfen, um der aristotelischen Vernunft Platz zu sichern. Die Integration der aristotelischen Schriften in die Scholastik, darf als zaghaftes Hinschreiten zu den Naturwissenschaften begriffen werden. Da Aristoteles schon sehr früh viele Denker im islamischen Raum befruchtete - man denke an ibn Sina (Avicenna) und ibn Rusd (Averroes) -, kann man die zeitweilige Aufnahme aristotelischer Schriften in die scholastische Theologie mit einem Brückenschlag zwischen den beiden Kulturkreisen gleichsetzen.

Während der expandierende Islam in den eroberten Teilen des Oströmischen Reiches oder in Persien, alten Kulturboden vorfand, auf dem nur anzubauen und von dem in der Folge nur zu ernten war, stieß er in Al-Andalus - der muslimisch beherrschte Teil der iberischen Halbinsel - lediglich auf noch zu kultivierende Böden. Die geistige Dynamik der islamischen Welt vollbrachte gerade in Spanien außergewöhnliche Leistungen auf allen Gebieten der Kultur und Zivilisation. Während der große abendländische Herrscher Karl (genannt: der Große) weder Schreiben noch Lesen konnte, herrschte in der arabisch-spanischen Stadt Córdoba Schulgeld- und Lernmittelfreiheit und zudem Schulpflicht für jedes Kind. Córdoba glänzte durch 30 Schulen, 17 Universitäten und 20 öffentliche Bibliotheken. Glänzend läßt sich die Verbandelung beider Kulturen in Spanien daran erkennen, daß bis um das Jahr 1080 der christliche Gottesdienst nach mozarabischen Ritus zelebriert wurde. Dieser Ritus hatte zahlreiche Elemente der arabischen Kultur aufgenommen. Im Rahmen der kirchlichen Zentralisierung zugunsten des römischen Bischofs, d.h. mit den Reformen, die den Primat des Papstes festigten, wurde dieser Ritus durch die römische Form der Liturgie ersetzt. (Dabei handelte es sich um jene Reformesbewegung, die die Reconquista und die Kreuzzüge - als aggressivsten Teil des neuen christlichen Selbstbewußtseins - in die Wege leitete.)

Bereits im 8. Jahrhundert existierten in jeder Stadt des islamischen Weltreiches frei zugängliche Krankenhäuser, die im Vergleich zur europäischen medizinischen Versorgung - sofern man überhaupt von Versorgung sprechen konnte -, hervorragende medizinische Arbeit leisteten. Während man in der christlich-abendländischen Kultur Operationen ohne Betäubung ertragen mußte, war den muslimischen Ärzten die Anästhesie bereits bekannt. Die Narkose kannte man zu jener Zeit auch außerhalb der islamischen Welt, doch der christlichen Dogmatik gelang es, Krankheit weiterhin als Strafe für begangene Sünden ins Weltbild zu integrieren. Derart religiös unterminiert, konnte sich die medizinische Wissenschaft nur schwerlich entfalten. Somit geriet die Narkose in Vergessenheit und wurde erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt. Fränkische Chronisten berichten, daß Karl dem Großen eine Uhr von einer Gesandtschaft aus Bagdad übergeben wurde. Derartiges wurde am Aachener Hof "nie zuvor gesehen". Zu jener Zeit, als man in Europa die Tageszeit noch am Stand der Sonne ablesen mußte, soll in Damaskus an jedem öffentlichen Platz eine Uhr gestanden haben.

Hans Leicht schreibt in seinem Buch "Sturmwind über dem Abendland - Europa und der Islam im Mittelalter": "Nach dem Fall Palermos und Siziliens lebte der arabische Geist am Südende Europas weiter. Hier, wie in Spanien, blieb die Brücke, über die eine Fülle wissenschaftlicher Erkenntnisse und großer Traditionen aus der Antike in das Abendland flossen. Lange Zeit blieb dies für die Wissenschaft nur eine kaum begründete Behauptung. Enno Littmann tat die ersten Schritte des Beweises, und in der neuesten Zeit konnte Sigrid Hunke die ganze Fülle arabisch-islamischen Gedankengutes, dem die Menschheit einen Großteil der Fundamente ihres Geistes verdankt, in ihrem Standardwerk "Allahs Sonne über dem Abendland. Unser arabisches Erbe" aufarbeiten. Alleine 303 Wörter der deutschen Sprache, die arabischen Ursprungs sind, zählt sie auf. Über fünfzig astronomische Begriffe fanden Eingang in die Wissenschaft. In der Tat waren die Ströme der Erkenntnisse aus orientalischer Mittlerrolle und eigener Schöpfung die Geburt einer neuen Weltsicht."

Da die gegenseitige Beeinflussung der beiden Kulturkreise mannigfaltig war und ist, bleibt hier zu wenig Raum, um dies in aller Breite und Länge darzulegen. Raum bleibt aber, um Johann Wolfgang von Goethe diese Zeilen abschließen zu lassen, indem eine Passage aus dem "West-östlichen Divan" zum Besten gegeben wird: "Wer sich selbst und andere kennt; wird auch hier erkennen: Orient und Okzident; sind nicht mehr zu trennen."

1 Kommentare:

Andi 13. Februar 2008 um 12:19  

Leider hörte der Orient irgendwann auf sich weiter zu entwickeln. Und wie jeder weiß, bedeutet Stillstand Rückschritt. Kleingeister nutzen dies weidlich aus, um die Kulturen zu differenzieren, regelrecht zu diskriminieren und in Folge dessen zu entzweien.

Es gibt meines Erachtens nach keine gastfreundlichere und höflichere Kultur wie die des Islam. Da ist unsere westliche Kultur, wo man noch nicht einmal seinen Nachbarn beim Namen kennt und froh ist, wenn man vor anderen seine Ruhe hat, mittelalterliches Entwicklungsland.

Lieber Roberto,
ich finde es mutig und beachtenswert, daß Du versuchst, eine Brücke zwischen den beiden Kulturen zu schlagen, wo es doch bequemer wäre, sich dem breiten Strom der Masse anzuschließen und über die anderen zu hetzen. Sei Dir meiner moralischen sowie geistigen Unterstützung gewiß.


Gruß
Andi

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