Gesetzlich geregelte Gleichgültigkeit

Donnerstag, 7. Februar 2008

Immer wieder hört man es aus vieler Munde, vorallem aus jenen Mundwerken, die auf Staatskosten kauen. „Tut mir leid, das Gesetz - Sie verstehen?“, „Ich würde ja gerne helfen, aber das Gesetz!“ oder „Wenn es nach mir ginge... aber das Gesetz schreibt vor!“ Dies ist das tägliche Brot des Sachbearbeiters in Staatsdiensten. Die menschliche Gesetzgebung als unumstößliches Naturgesetz! Gerade so, als klebte eines dieser geschmacklos gehaltenen Gesetzesbüchlein im Herrgottswinkel jener Damen und Herren. Von dort oben blickt es herab, sieht den Treuen beim löffeln der Suppe zu, die ihnen ein mangelndes Kritikbewußtsein bescheret hat. Die Wege des Gesetzes sind eben unergründlich. Es muß doch stimmen, was sich da in Paragraphen und Artikeln versammelt hat, es muß doch Gerechtigkeit darin sein, selbst wenn man diese nicht immer - und manchmal gar nicht - erkennen kann.

Dreist wirken jene, die ihre Gesetzesanbeterei mit einer ganz besonderes Form des Amens beschließen. „Nehmen Sie es nicht persönlich... das Gesetz, ich habe da leider keine Handhabe!“ Da sitzt der Ausgestoßene, Entlassene, von der Teilhabe am Allgemeinwohl Entfremdete, der Paria und Notleidende vor „seinem“ Sachbearbeiter, weil er „seine“ Notlagen geregelt wissen will, die ihn um „seinen“ Schlaf bringen, doch man läßt ihn wissen, er habe es nonchalant zu sehen, es ja nicht mit seiner Person in Verbindung zu bringen, d.h. er soll es nicht persönlich nehmen. Er soll seine Not abstrakt halten, vielleicht zum Trost die Nöte anderer betrachten und bewerten, um seinem Dilemma - eingeordnet in eine Rangliste möglicher Notlagen - etwas Positives abzuringen. In ein Kollektiv an Notlagen gebettet, schrumpft dann seine individuelle Zwangslage zu einer unbedeutenden Größe, von der er Trost zehren soll.

Die Wonnen des Gesetzes ermöglichen dem Sachbearbeiter einen wohligen Schlaf. Aber wir sollten nicht so kleingläubig sein, die Ignoranz unserer Zeit alleine am Büttel festzumachen. Die Menschen, die mit dem Gesetz winken, wenn sie Gleichgültigkeit meinen, sind Legion. Das Verweisen auf Gesetzeslagen ist das Ruhekissen desjenigen, der sich nicht die Mühe machen möchte, Kritik an Sachverhalten zu üben. Es ist der alltägliche Eichmann oder Tibbets, der die Menschen reitet, wenn sie fromm Befehle entgegennehmen und sie - noch frommer - in Tatsachen umsetzen. Das "Knöpfchen" wird gedrückt, auch wenn am anderen Ende ein Stromschlag durch einen Menschen geleitet wird, denn immerhin befiehlt es das Gesetz oder ein vom selbigen legitimierter Vorgesetzter.

Besäßen jene nur etwas mehr Elan, um über manchen Mißstand im Gesetzeswerk nachzudenken, so würden sie sich ihrer Rolle als Helfershelfer bewußt und müßten Konsequenzen ziehen; wären jene nur etwas antriebsloser in ihrem Gesetzeseifer, so würden sie, der guten Faulheit zugrunde, auf das Gesetzesalibi verzichten und entweder gewähren oder eben den Sündenbock auch beim eigenen Namen nennen. Dann hieße es nicht mehr "Wissen Sie, das Gesetz bindet mich... ich bin ja unschuldig", sondern "Ich bin zu feige, um mich der gesetzlichen Ungerechtigkeit zu widersetzen". Innerhalb dieser selbstentehrenden Aussage fände sich ein Fünkchen Kritik und das Gesetzeswerk wäre cum grano salis wahrgenommen. So aber sind es die banalen Durchschnittscharaktere, die als Ausführende des legislativen Unrechts herangezogen werden. Zeitgenossen also, die sich nicht durch besonderen Fanatismus, aber auch nicht durch Nachlässigkeit auszeichnen; der banale citoyen als feiner Zivilsoldat, der den Kanon des Gesetzgebers verinnerlicht hat, um ihn dem "Bürger mit Begehr" wie Honig ums Maul zu schmieren.

Innerhalb einer Gesellschaft, die den Totalitarismus des Systems in jeden Winkel des Alltags zu tragen versucht ist, gereicht die fehlende Negation des Gegebenen - d.h. die fehlende Kritik - zur individuellen Schuldfrage. Diese zur Schuld modifizierte Interessenlosigkeit am Gegebenen, findet mittels des Verweises auf die unantastbare Instanz der Gesetzgebung, ein druckablassendes Ventil. Das Outsourcing findet in der Gesellschaft des totalitären Marktes auch hier Einzug. Indem der Mißstand des Individuums - das ja nichts persönlich nehmen soll, weil es eben das Absolutum des Gesetzes ist, welches ihn an die Wand drückt - zum reinen Pech verklärt wird, befördert man die Schuldfrage ins Unbekannte. Wenn also ein Mensch nach einem Jahr seiner Erwerbslosigkeit in die Armenverwaltung (Arbeitslosengeld 2) fällt - und damit in Armut -, dann haben nicht die Menschen schuld, die abnickend jede Sozialschweinerei mitmachen, sondern es ist eben einfach das Pech des Betroffenen. Somit tritt das Gesetzesbuch als trefflichste Erfindung menschlicher Zivilisation auf. Dort läßt sich die Schuld der Kritiklosigkeit hineinpacken, diese Schuld, die keinen Abnehmer finden will, weil wir doch bei egozentrischen Entscheidungen sehr wohl kritisch begutachten können und wollen.

Der Staatsbüttel erfüllt nur seinen Dienst; das schweigende Individuum erfüllt nur seine Rolle als braver Bürger; der kritische Charakter in eigenen, aufs Ego bezogenen Fragen, erfüllt nur die Vorgehensweise eines auf Vorteil bedachten Kunden. Konventionen, Regeln, Paragraphen nehmen nur zu oft die Rolle des legitimierten Unrechts ein. Recht muß nicht gerecht sein. Das ius positivum, zum Absolut erklärt, an dem Kritik nicht erwünscht ist, weil es den herrschenden Zuständen zuwiderläuft, sich an herrschende Gesetzlichkeit kritisierend zu äußern, erlaubt dem Menschen kein mündiges Dasein, sondern entfremdet ihn vom negativen Denken, d.h. von der Kritik. Die sakrosankte Stellung, die das positive Recht ("gesetzte" Recht) in vielen Köpfen einnimmt, degradiert den Bürger zum Erfüllungsgehilfen ökonomisch begründeter Scheinzwänge und läßt Erkenntnis zum Spielball wirtschaftlicher Interessen verkommen.

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