Künstliche Entrüstung

Donnerstag, 17. Januar 2008

In regelmäßiger Unregelmäßigkeit "erschüttern" uns die Medien mit der immer gleichlautenden Hiobsbotschaft, wonach ein renommiertes Unternehmen schließt, Teile der Produktion verlagert oder sich der Automatisierung bedient. Arbeitsplätze, so heißt es dann, fallen weg oder werden rationalisiert. (Ratio: Vernunft also. So gibt man dieser unliebsamen Tat einen Anstrich vernünftigen Handelns.) Beileibe sind die Firmennamen, die solche Aufmacher zieren, Schall und Rauch; austausch- und ersetzbar - heute ist es Nokia -, lediglich die Größenordnung der wegfallenden Arbeitsplätze variiert. Gleichfalls ist das Verhalten, mit dem die Öffentlichkeit diesem Zirkus begegnet, eine ebenso regelmäßige Institution geworden: Man verurteilt, erhebt den moralischen Zeigefinger und ruft nach dem "Heilsbringer Politik".

Und da stampfen sie dann auf, die politischen Herrschaften, sprechen von Verantwortung - je nach Parteicoleur von nationaler oder gesellschaftlicher Verantwortung -, erdichten sich Trugbilder, wonach ein Unternehmen auch mal großzügig sein muß, und den Profit nicht zum alldominierenden Leitsatz der Firmenpolitik machen darf; ermahnen den "vaterlandslosen" Unternehmer, er solle sich an die Segnungen erinnern, die ihm der Bund, die Länder oder Kommunen haben zukommen lassen; und natürlich sollen auch die fleißigen Mitarbeiter nicht vergessen werden, die man jetzt so schimpflich im Stich läßt.

Freilich klingt dies vernünftig und für einen kurzen Moment könnte man an das edle Motiv solcher Zeitgenossen glauben, wenn sie versucht sind, den Erwerb so vieler Menschen zu retten. Und doch darf man nicht vergessen, daß es eben genau diese Herrschaften sind, die ihr unumstößliches Ja zum freien Markt geben, die sich gerne - dem Kapitalismus treu wie sie sind - um Reformen bemühen, die die Zügellosigkeiten der Arbeitsgeber beflügeln. Nein, konkrete Schuld läßt sich nicht zuschieben. Im aktuellen Falle - Nokia - ist die Ursache der Verlagerung nicht in der Reformiererei zugunsten eines radikal-freien Marktes zu suchen, aber zu geistigen Vätern, die die Unersättlichkeit der kapitalistischen Produktionsweise immer wieder bejahen, machten - und werden sich weiterhin machen - sich diese Zeitgenossen schon.

Es ist einfach zu kurz gedacht, in den Rüttgers' und Strucks die Retter der Arbeitnehmer zu sehen. Dem Wesen des Kapitalismus entsprechen die Aktionen und Reaktionen der Unternehmen, die uns mit Hiobsbotschaften traktieren. Der Profit ist das Maß und wenn man billiger, schneller und in höheren Stückzahlen fertigen kann, dann ist es systemgemäß, sich dahingehend unternehmerisch zu bewegen. So haben die Reformen - die den bedauernswerten Namen Hartz-Reformen tragen - erst ermöglicht, daß Unternehmen Hungerlöhne bezahlen, die dann von der Allgemeinheit aufgestockt werden. Und dann stellen sich die Befürworter dieser Gesetze vor die Werkshallen und predigen einen generösen, sanftmütigen, ja geradezu romantischen Kapitalismus. Erst füttern sie die Bestie - mal materiell mit Gesetzen, mal ideologisch mit der unumstößlichen Bejahung des freien Marktes - und dann wundern sie sich, wenn sie einem gefährlich wird.

Nein, hier vollziehe ich keine Abkehr von meinem Denken. All dies soll nicht den Kapitalismus rechtfertigen. Aber diese ethische Diskussion ist sinnlos, weil sie innerhalb des kapitalistischen Systems geführt wird. Da versucht man also, indem man die Romantik des freien Marktes anstachelt - den Unternehmer zu verantwortungsvoller Großzügigkeit und Standorttreue drängt -, an den Symptomen des Systems herumzumurksen. Dem System selbst begegnet man aber mit Nibelungentreue, daran ist keine Kritik festzumachen. Innerhalb des freien Marktes ist kein Platz für Ethik, daher ist auch jede ethische Diskussion seitens der Apologeten des Marktes nichts anderes als ein Ablenkungsversuch. Gerade so, als gäbe es innerhalb der "einzigen Alternative" - so sieht sich der Kapitalismus selbst - doch eine edle, reumütige, verantwortungsvolle Konzernleitung. Die künstliche Entrüstung will den Unternehmer in die Verantwortung nehmen, damit die globale Politik aus dem Schneider ist. Und wenn man nur oft genug wiederholt, daß der Unternehmer Verantwortung hat, dann wird er zwar nichts am seinem Verhalten ändern, aber die Menschen innerhalb des freien Marktes glauben weiterhin daran, daß es edlere Motive als den Profit und den Shareholder Value gibt.

Auch hieran läßt sich messen, wie weit sich sogenannte "sozialistische Parteien" hierzulande mit dem Kapitalismus arrangiert haben. Auch DIE LINKE äußert sich in diesem engen Rahmen eines "alternativlosen" Systems und träumt - so scheint es - von der Möglichkeit, einen romantischen Kapitalismus zu schaffen, den man dann den neosozialistischen Stempel aufdrücken kann. Alternativen zum System scheinen auch die "Sozialisten" nicht mehr zu kennen; sie wollen ein wenig an der Sache herummodeln, abändern. Aber wirkliche Veränderung, neue Strukturen: Davon wollen auch sie nichts wissen.

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